Abschnitt 4 - Englands Alleinherrschaft über alle Meere.

„Seine Handelsflotten streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das Reich der freien Amphitrite
Will er schließen, wie sein eignes Haus.“

So sang Friedrich Schiller schon bei Anbruch des 19. Jahrhunderts, zu dessen Begrüßung. Seit 1815, dem Abschluß der napoleonischen Epoche, ist diese angemaßte ungeheuerliche Alleinherrschaft über alle Meere England nicht mehr streitig gemacht worden. Dass es sie hat erlangen können, erklärt sich zunächst wieder aus seiner geographischen Lage heraus.


Als Inselreich liegt Großbritannien mit all seinen Eilanden, Landzungen und Buchten, den zahllosen natürlichen Häfen, inmitten des offenen Meeres an der Weltstraße, und dies als Glied des europäischen Weltteils, der im Gefolge seiner unvergleichlichen Küstengliederung und Flussgebiete, der verhältnismäßig geringen Dimensionen, die es zu bewältigen und dem Menschen nutzbar zu machen galt, seiner klimatischen Verhältnisse, vor den übrigen Weltteilen einen solchen Vorsprung gewonnen hat, daß er auf alle gleichsam den Daumen hat legen, sie mehr oder minder hat unterkriegen können.

Nach dem Weltmeere zu, Europa vorgelagert, hat England dieses zum Hinterlande, dessen Weltverkehr auf dem Wasserwege zu vermitteln und an sich zu reißen es mehr als irgend ein anderer Teil in der Lage ist. Solange das Weltmeer in seiner Weise unzugänglich war, ist England an das europäische Festland gekettet, mit diesem verwachsen geblieben. Kelten, Römer, Germanen, die französischen Normannen haben es, über die schmale Meerenge hinweg, vom Festlande aus eingenommen. Zu eigener Überkraft erblüht, hat es seinerseits fast ganz Frankreich seinem Schwerte unterworfen gehabt. In dem selben Maße indes, als sich ihm das Weltmeer und damit das Erdenrund erschloss, hat es sich von dem europäischen Festlande emanzipiert und losgelöst, um sich schließlich von diesem vollständig zurückzuziehen und dadurch vollends unantastbar zu werden. Europa interessierte es nur noch insoweit, als es dessen Handel möglichst in seine Hand zu bekommen trachtete. Keine europäische Macht durfte ihm auf See bedrohlich werden, auch keine Koalition von Mächten. Seine Kriegsflotte sollte ständig so stark sein, daß sie die zwei stärksten zusammengenommen übertrumpfte.

Unter keinen Umständen durfte sich auf dem europäischen Festlande eine Macht zur führenden aufschwingen. Am unmittelbarsten gefährdet fühlte es sich naturgemäß durch Frankreich und die Niederlande. Letztere hatte es, vollends nachdem ein Oranier von dort aus den englischen Thron bestiegen hatte, in solche Abhängigkeit gebracht, daß sie aus eigener Kraft heraus nichts vermochten und ihm nur noch als Hilfsvölkerschaft gegen Frankreich dienten.

Frankreich blieb der „Erbfeind“, gegen den es, natürlich nur um des europäischen „Gleichgewichtes“ wegen, eine europäische Koalition nach der anderen ins Feld geführt hat, bis dieses soweit geschwächt und ihm gegenüber wehrlos geworden war, daß heute der einst so gefürchtete Rivale ihm gradwegs als Kettenhund dient. Schon Napoleon III. erachtete es für ratsam, es mit England zu halten. Mit seiner Hilfe hat es (im Krimkriege) zunächst jenes Russland in Schranken zu weisen versucht, das ihm Asien strittig macht und von dem Trachten nach Konstantinopel nicht ablassen will. Nachdem das Deutsche Reich erstanden war und so weit zu erstarken begann, daß über und auch auf See mit demselben gerechnet werden mußte, ward mit Frankreich, das bei Faschoda endgültig zu Kreuze gekrochen war, die „Entente Cordiale“ geschlossen, die Deutschland kirre kriegen sollte. Erst mußte freilich Russland noch einmal gründlich zur Ader gelassen werden. Das wurde durch die Japaner besorgt, die es aus Port Arthur und der Mandschurei hinausschlugen und bei Tsuschima seine gesamte Kriegsflotte vernichteten. Das mit Russland verbündete Frankreich mußte, wollte es nicht mit England in Krieg geraten, dies alles unbehindert geschehen lassen. Das derart geschwächte Zarenreich geriet, gründlich gezähmt, ebenfalls an das englische Gängelband, um, mit Konstantinopel als Köder, gegen Deutschland dirigiert zu werden. Das Deutsche Reich, zugleich mit ihm das verbündete Österreich, die beiden europäischen Zentralmächte, in die Pfanne zu schlagen, reichte indes selbst diese Koalition noch nicht hin. Belgien, Holland, Dänemark, Portugal, Griechenland, Italien, die Balkanvölker — sie alle sollten womöglich mithelfen! Englands eigene Macht in Europa war so unzureichend, daß es Kanada und Australien mit aufbieten mußte. Dazu noch Asien und Afrika. Indier, Neger, was irgend mit Hilfe der „Silberkugeln“ des Schatzkanzlers Lloyd George unter das Gewehr zu bringen und als Kanonenfutter zu brauchen ist, muss, um das europäische Blutbad voll zu machen, auf englischen Schiffen herbei. Inzwischen haben die Japaner mit den deutschen Siedelungen im Großen Ozean aufgeräumt und sollen nun dazu helfen, Indien unter dem englischen Joch zu erhalten. Je gründlicher sich die europäischen Völker allesamt verbluten, um so gesicherter Englands Meeresmonopol und Weltherrschaft!

Je unzureichender die Wehrmacht Englands zu Lande bislang gewesen ist, um so mehr hat es darauf Bedacht genommen, sich Seefesten zu sichern. Das sicherste und einfachste Mittel hierzu hat darin bestanden, sich der Meerengen und der Inseln zu bemächtigen. Zunächst um Europa herum. Den Ärmelkanal, der es vom Festlande trennt, beherrscht, an seiner schmälsten Stelle, die Felsenburg Dover. Außerdem wacht England über nichts eifersüchtiger, als dass die Niederlande in Ohnmacht beharren und keiner Großmacht anheimfallen. Calais und Dünkirchen, an der gegenüberliegenden französischen Küste, hat es solange als möglich in eigener Gewalt behalten. Die dicht vor der französischen Küste gelegenen normannischen Inseln, Guernsey und Jersey, hat es, obgleich die Bevölkerung eine französierte ist, heute noch inne. Die Nordsee und damit den Zugang zum Atlantischen Ozean hat es, aus Furcht vor dem heranwachsenden Preußen-Deutschland, mit Hilfe von Hannover, bis 1866, Preußen vorzuenthalten verstanden, vor der Elbemündung sich überdies auf Helgoland festgesetzt, das erst 1891 gegen Zanzibar und ein Stück Ostafrika eingetauscht worden ist. Solange Schleswig und Holstein zu Dänemark gehörten, dessen Flotte zu Anfang des 19. Jahrhunderts zweimal hintereinander von der englischen zusammengeschossen worden ist, und das seither dazu hat dienen sollen, für alle Englandfeinde die Ostsee zu sperren, war auch die ganze Westküste des „Deutschen“ Meeres den Deutschen entzogen.

Lissabon, die ozeanische Hafenstadt Portugals, am Ausfluss des Tajo, die zur Zeit der bloßen Küstenschifffahrt auf dem Wege um Europa herum, vom Mittelmeer nach der Nordsee, naturgemäß die Hauptstation gebildet hatte, lebt seit mehr als 100 Jahren unter englischen Kanonen und vom englischen Gelde. Seit dem spanischen Erbfolgekrieg, da die deutschen Heere ihm die Übermacht Frankreichs unter Ludwig XIV. brechen halfen, ist England im Besitze von — Gibraltar, dem mächtigen Felsenvorsprung an der Südspitze Spaniens, im Angesicht der afrikanischen Küste. Selbst als die Flotten von Spanien, Frankreich und Holland sich zusammengetan hatten (während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges), hat sich Gibraltar als uneinnehmbar erwiesen. Gibraltar aber ist der Schlüssel zur engen Pforte des Mittelländischen Meeres. Im Mittelländischen Meere selbst hat England sich zuerst der Balearen zu bemächtigen versucht und lange Port Mahon besetzt gehalten, von dem aus es die französische Mittelmeerküste mit Toulon in Schach halten konnte. Die Eroberung Korsikas, durch die es auch Nord- und Mittelitalien das Knie auf die Gurgel gesetzt hätte, ist ihm nur vorübergehend und unvollständig geglückt: dessen Küstenfestungen erwiesen sich, im französischen Besitze, zu widerstandsfähig. Vor Calvi hat Nelson einen Arm lassen müssen. Dafür gelang die Einnahme von Malta, der Zentralfeste, deren steil aus dem Meere aufragende Felsen einen natürlichen Hafen bilden, der auf dem Erdenrunde seinesgleichen sucht. Südöstlich von Sizilien, auf halbem Wege zwischen der Südspitze des italienischen Festlandes gelegen (die Bevölkerung ist italienisch) und der nordafrikanischen Küste, im Gürtel des mittelländischen Meeres, wo es am schmälsten ist, beherrscht Malta die Straße aus dem westlichen Becken in das östliche und damit den Zugang zum Orient. 1815 hat das unersättliche Albion sich auch noch die Jonischen Inseln am Ausgange der Adria zusprechen lassen. Während der napoleonischen Kriegszeit hatten die Russen auf ihnen Fuß gefaßt, diese galt es in Zukunft aus dem Mittelländischen Meere fern zu halten. Wenn England die griechische Inselgruppe später aus freien Stücken an Griechenland abgegeben hat, so um dieses zu stärken, damit es die Russen nicht heran lasse, ohne selbst gefährlich werden zu können, als einen der „Schwachen“, für die das edelmütige Großbritannien nicht ritterlich genug in die Schranken treten kann! Auf dem Berliner Kongress 1878 hat es, nicht zufrieden mit der Wiederaufrichtung der ihm willfährigen Türkei an den Dardanellen, fertig gebracht, seine Flagge auch noch auf Cypern zu hissen, von wo aus es die Bucht von Alexandrette beherrscht und damit die Südküste Kleinasiens und Syriens!

Damit war das Nildelta so umlagert, daß der Löwensprung direkt in das Pharaonenland hinein, an den Suezkanal, gewagt werden konnte.

Jahrhunderte hindurch schien das Mittelmeer eine französische See werden zu sollen. Schon Philipp der Schöne, zu Anfang des 14. Jahrhunderts, hatte im Gefolge der Kreuzzüge, während welcher das fränkische Schwert sich im nahen Orient besonders zur Geltung gebracht hatte, daran gedacht, sich des Nillandes zu bemächtigen. Araber und Türken hatten sich indes damals noch zu stark erwiesen. Später hat die Ausschau nach Amerika den Blick und die Waffen Frankreichs über den Atlantischen Ozean hinweg, nach Westen gewendet. Der Verlust von Kanada jedoch bewirkte eine Umkehr. 1768—69 wurde das italienische Korsika erobert und dies zwar als erste Etappe auf dem Wege nach — Ägypten. Seither blieb das nur von den Mamelucken, einer unbotmäßigen mohammedanischen Reiterhorde, beherrschte Pharaonenreich das von Frankreich begehrteste Stück der türkischen Lande, deren Aufteilung in naher Sicht zu sein schien. Mit Ägypten, dem natürlichen Stapelplatz zwischen Europa und Indien, sollte dieses selbst den Franzosen anheimfallen. Indem Bonaparte sich 1798 auf den Weg an den Nil machte, führte er daher zunächst nur aus, was die Staatslenker an der Seine schon seit einem Menschenalter planten. Er verlor das Spiel, indem England, seit dem Tage, da Nelson der französischen Flotte, die ohnehin infolge ihrer Vernachlässigung in der Revolutionszeit wenig mehr bedeutete, bei Abukir den Rest gab, im Bunde mit der Türkei und Russland, nach Einnahme von Malta, im Mittelländischen Meere Herr geworden war. Auch durch die Vereinigung der italienischen, spanischen und holländischen Flotten mit der französischen vermochte Napoleon nicht mehr gegen die englische Seemacht aufzukommen. Seit Trafalgar blieb er unwiderruflich an das Festland gebunden. Damit war die Expansion Frankreichs im Mittelmeer vorläufig zu Ende. 1830 gelang dann den Bourbonen die Eroberung Algeriens. Napoleon, III. wagte einen Feldzug nach Syrien hinein und erbaute den Suezkanal. Letzterer ist als sein eigenstes Werk anzusprechen, indem es sich nicht sowohl um ein technisches Problem handelte, als um eine politische Aktion und zwar eine solche ersten Ranges. Sah England doch Frankreich, wenn das Unternehmen glücken sollte, in den Besitz des nächsten Weges nach Indien geraten! Was Wunder, daß es das Erdenkliche aufbot, um das Unterfangen zu hintertreiben? Es hatte zwar mit Gibraltar, Malta und, am Ausgange des Roten Meeres, Aden, die Wasserstraße gegebenenfalls unter seinen Kanonen, allein wer über den Suezkanal gebot, konnte nur zu leicht in Besitz des Nillandes selbst gelangen. Disraeli, der kühne Orientale, der das Staatsruder an der Themse führte, kaufte eines Tages dem infolge märchenhafter Verschwendung zahlungsunfähig gewordenen Khediven seinen königlichen Anteil an Suezaktien ab und bekam auf diesem kaufmännischen Wege den Kanal in die Hand. Anfangs der 80 er Jahre nutzte dann sein Antagonist, der tugendpochende Gladstone, der Pacifist, der Krieg und Eroberung nicht genug verpönen konnte, einen Araberaufstand, um Alexandrien zu bombardieren und die englische Waffenmacht bis in den Sudan hinein vorzuschieben. Wohl erklärte ein englischer Minister nach dem anderen, Gladstone selbst voran, zur Beruhigung Europas, daß England am Nil nur Ordnung schaffen wolle, um, sobald dies geschehen, sich zurückzuziehen. Dieser Augenblick aber ist wohlweislich nie gekommen. Als der Franzose, dem derart der so lange und sorgsam vorbereitete Bissen vom Munde weggeschnappt worden war, von Faschoda am oberen Nil aus vorzustoßen wagte, setzte ihm John Bull kurzerhand die Pistole, will sagen seine Schiffskanonen auf die Brust: entweder mußte er seine Ansprüche auf das Nilland ein für allemal fahren lassen, wofür ihm Marokko zufallen sollte, oder — eben da die Nullität seiner Flotte am Tage lag — mit England kämpfen! Frankreich kroch zu Kreuz, ließ Ägypten fahren und schloss mit England die „Entente Cordiale“ — zur Vernichtung Deutschlands! Den zu diesem Zweck entfachten Weltbrand aber hat England bereits benutzt, um die Annexion Ägyptens, nebst Nubiens und des Sudan, in aller Form zu verkünden. Wozu Frankreich natürlich nur hat Amen sagen können. Dem Dampfschiff hat sich das Dampfross beigesellt. Wasserstraße und Eisenbahn ergänzen und fördern sich gegenseitig. Mittelst des Eisenbahnstranges sind die Engländer um die Katarakte des Nilstromes herumgekommen und haben so diesen bis in sein unzugängliches Quellgebiet hinein sich dienstbar gemacht. Einmal in Kairo, warum dieses nicht durch eine Eisenbahn mit dem Kap verbinden und so ganz Ostafrika an die Leine bekommen? Mittelst des Schienenstranges lässt sich Kairo auch mit Indien verbinden, kann man im Schlafwagen auch nach Kalkutta fahren. Das erforderliche Gelände befindet sich bereits, mit Ausnahme des nördlichen Arabien, in englischer Gewalt. So hat die zunächst nur maritime Machtstellung im Mittelmeer das ganze Nilland eingebracht und damit auch den Landweg durch ganz Afrika bis ans Kap, und (der Strang von Kalkutta bis Schanghai ist ebenfalls schon geplant) ganz Südasien.

Den Seeweg um Westafrika herum, den dereinst die Portugiesen als Erste eingeschlagen und ausgebeutet hatten, hatte England bereits längst ausgeschlachtet. Azoren, Madeira, die Kapverdischen Inseln sind zwar den Portugiesen, die Kanadischen den Spaniern verblieben, allein die Küste von Sierra Leona ist längst englisch. Dazu sind Aschanti, die Goldküste und der ganze Unterlauf des Niger mit seinem Mündungsgebiet gekommen. Auf der ungeheueren sonst ununterbrochenen Wasserfläche bis zum Kap haben die Engländer die beiden einzigen Inseln: Ascension und St. Helena sich gesichert. Auch die Deutsch-Südwestafrika vorgelagerte Walfischbay gehört ihnen.

Vor allem sind sie seit über einem Jahrhundert Herren am Kap. Die holländischen Buren, die es als Erste dauernd zu besiedeln vermocht hatten, sind immer weiter nach Nordosten, in die afrikanische Wildnis hinein verdrängt worden, wobei darauf geachtet wurde, daß ihnen auch dort die Küste vorenthalten blieb: Port Natal und das Zululand kamen unter die englische Flagge und das englische Schwert. Mauritius, die ehemalige „Isle de France“, sowie die Insel Diego Rodrigues, östlich von Madagaskar, bilden, als Oasen in der unermesslichen Wasserwüste, bereits feste Stützpunkte im Indischen Ozean; desgleichen nördlich des französischen Madagaskar, das sorings umstellt ist, die Amiranten und Seychellen. Sobald Deutschland an der afrikanischen Ostküste Fuß fasste, mußte das davor liegende Sanzibar unter englisches Protektorat und zudem an der Ostküste selbst das beste Stück, Uganda, zu englisch Ostafrika kommen! Um den Golf von Aden, an dessen Eingang die Insel Sokotra — längst in britischem Besitz ist, unbedingt zu beherrschen, ist dessen Südküste, das Somaliland, in Besitz genommnen worden. Die Insel Perim, mitten in der Enge gelegen, die aus dem Arabischen ins Rote Meer führt, dieses zu einer regelrechten Mausefalle macht, ist ebenfalls in John Bulls Händen. So ist allgemach ganz Afrika von einem englischen Netzwerk umspannt.

An Asien sind auch die Engländer, wie vor ihnen die Portugiesen und Holländer, zunächst um Afrika herum herangekommen. Das Ziel war Indien. An dessen Westküste gewannen sie mit Bombay den denkbar besten und gefestigtsten Hafen. Selbstverständlich wurden die Lakkadiven und Malediven, die wie eine vorgezogene Kette das Arabische Meer vom Bengalischen trennen, besetzt. Der begehrteste Bissen aber war die paradiesische Insel Ceylon mit ihren friedlichen Singalesen, die 1795 den Holländern entrissen worden ist. An der Ostküste gewährte Madras einen Hafen und militärischen Stützpunkt, ähnlich wie Bombay im Westen. Im Norden führen Ganges und Indus die Schiffe bis in die Täler des Himalaya. So ist ganz Vorderindien zu Schiff, vom Wasser aus, unter das englische Schwert gekommen.

Zwischen Vorder- und Hinterindien, letzterem vorgelagert, gehören ihnen die Andaman- und Nicobar-Inseln. Schon früh fassten sie Fuß auf der riesigen Landzunge von Malakka; um schließlich in den Besitz der Insel Singapur und damit der Meerenge zwischen Sumatra und der Südspitze von Malakka, der Straße aus dem Indischen Ozean in den großen, ins Chinesische Meer, zu gelangen.

Mit der Insel Hongkong kam der Zugang zu Kanton und damit zu ganz Südchina in ihren Griff. Auch die riesigen Handelsemporien des mittleren China, an Küste und Flussläufen, vermochten europäischen Kriegsschiffen keinen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen. Auf dem Wege durch das gelbe Meer und den Golf von Petschili wurde auch Nordchina leicht zugänglich. Peking ward erobert, ganz China zu einer Domäne des englischen Handels.

Ungleich schwerer war an das Inselreich Japan heranzukommen. Zur Öffnung seiner Häfen ist dieses zunächst durch amerikanische Kriegsschiffe gezwungen worden. Durch seine erstaunlich schnelle Anpassung an europäische Technik, Organisation und Kriegführung ist Japan dann so erstarkt, daß selbst England davor höllischen Respekt bekommen hat. Es ließ sich indes als Sturmbock benutzen gegen das an den Golf von Petschili vorgedrungene Russland und zur Vertreibung der Deutschen aus dem Großen Ozean. Die Staatslenker an der Themse haben daher vorgezogen, es vorerst als „Bundesgenossen“ zu benutzen.

Von Indien aus nach Westen hin ist bereits Belutschistan unter englische Oberhoheit gebracht und von hier aus ganz Südpersien in Angriff genommen worden. Vor allem galt es, sich des persischen Golfs zu bemächtigen und damit den Russen zuvorzukommen. In der schmalen Straße von Hormus haben die Rotjacken bereits auf der Insel Kischm festen Fuß gefaßt und eine Kohlenstation errichtet. Auch die Bareininselgruppe, am arabischen Ufer, mit ihren reichen Perlenfischereien, ist in ihrem Besitz. An beiden Ufern haben sich die Engländer bereits so zur Geltung gebracht, daß sie als die Herren derselben anzusehen sind. Vor allem haben sie sich mit ihren Panzern des Schatt-el-Arab, der Mündung von Euphrat und Tigris, bemächtigt, sowie des ebenfalls in denselben einströmenden Karunflusses. Unerschöpfliche Ölquellen verbürgen ihren Schiffen hier ein immer mehr erwünschtes Brennmaterial. Als 1898 ein deutscher Kreuzer in den persischen Golf einfuhr, um dem deutschen Handel daselbst Schutz angedeihen zu lassen, ist an der Themse kaum weniger Lärm geschlagen worden, als da 1912 der „Panther“ im Hafen von Agadir vor Anker ging.

Um ganz Arabien, dessen Westküste das abgesperrte Rote Meer bespült, vollends zu umstellen, beanspruchen die Engländer in Moskat entscheidenden Einfluss. An der Südküste Arabiens haben sie auch noch die Kuria-Muria-Inselgruppe in Beschlag genommen.

Den größten aller seiner Triumphe aber hat England in der Südsee errungen. Mit den Entdeckungsfahrten seines Cook, des Umschiffers von Neuseeland, begann es auch dies Stück Weltmeer in seinen Machtbereich zu ziehen. In der Südsee aber lag, von Europäern noch so gut wie unbetreten, ein ganzer neuer Weltteil, der, nur von wehrlosen, ganz tiefstehenden Wilden bevölkert, den Weißen als jungfräuliches Land entgegenlachte: Australien. Auch Neuseeland wurde ein englisches Kolonialreich, um das die ganze Südsee kreist. Auf ungezählten Inseln, auch auf Borneo und Guinea, den beiden Riesen, auf denen die Holländer sich bereits angesiedelt hatten, wurde die englische Flagge gehisst.

Auf diesen Siegeszug des Briten durch alle Meere zielte bereits Schiller mit der Strophe:

„Zu des Südpols nie erblickten Sternen
Dringt sein rastlos ungehemmter Lauf,
Alle Inseln spürt er, alle fernen
Küsten — nur das Paradies nicht auf.“

Selbst die Kokosinseln, weit südlich von Sumatra, auf dem Wege aus dem offenen Indischen Ozean in die australischen Gewässer, sind nicht vergessen worden. Was so ein Wachtposten inmitten des Weltmeeres bedeuten kann, davon weiß die „Emden“ ein Lied zu singen. Indem der deutsche Kreuzer, der gezeigt hatte, was ein einziges Kriegsschiff in nur von Handelsschiffen befahrenen Gewässern auszurichten vermag, die Funkenstation auf den Kokosinseln zerstörte, ist er durch Funkenspruchverrat, von englisch-australischen Panzern (es scheinen ihrer mehr als einer dabei gewesen zu sein!) ereilt und zusammengeschossen worden.

Auch in Bezug auf Amerika hat das meerbeherrschende England es geradewegs auf das Ganze abgesehen gehabt. Die Europa zugekehrte Küste Nordamerikas lag ihm näher als irgend einem anderen europäischen Staate. Nachdem es sich einmal, an Stelle der Holländer auf Long-Island am Ausfluss des Hudson festgesetzt und aus Neu-Amsterdam New-York gemacht hatte, war es Herrin des ganzen Küstenstriches geworden, von Neu-Schottland bis nach Florida hinunter. Nachdem die Franzosen in Kanada der englischen Waffenmacht unterlegen waren, schien England der ganze nördliche Erdteil zufallen zu sollen. Die Erhebung und Losreißung der eigenen Pflanzstätten, die Gründung der Vereinigten Staaten hat zwar durch diese Rechnung einen Strich gemacht, allein Kanada, der gewaltige nördliche Erdstrich, von Ozean zu Ozean sich erstreckend, ist mit dem davorgelagerten Neufundland England verblieben und das übrige unwiderruflich anglikanisiert. Dadurch, daß es die Bermuda und die Bahama-Inselgruppe noch inne hat, steht zudem die Südostküste der Vereinigten Staaten und der Zugang zum mexikanischen Golfe, um Florida herum, noch in seinem Machtbereich.

Auch in Mittelamerika, selbst auf dem Festlande, hat England Fuß gefaßt: die Südostküste Yukatans und die davorliegende Insel Turneff gehören ihm, trotzdem das übrige Mittel- und Zentralamerika sich seit über einem Jahrhundert von Europa emanzipiert hat, heute noch. Von der langen Kette der kleinen Westantillen, die sich beinahe den Bahama-Inseln berührt, besitzt es den größten Teil, bis dicht an die Küste von Südamerika heran. Vor allem hat es auch Jamaika, die westlichste, vorderste Insel der großen Antillen, von der aus es den Isthmus — Panama — bedroht.

Damit ist zugleich die ganze Nordküste Südamerikas umgarnt. Auf dieser besitzt England zudem ein Riesenstück: Guyana. Die Ostküste Südamerikas hat es bisher unbehelligt lassen müssen, dafür hat es am Südende derselben die Falklandinseln, nebst den mehr östlich gelegenen Aurora- und Georgiainseln sowie das südliche St. John und damit die Maghelhaensstraße und auch den Weg um Kap Hörn herum, aus dem Atlantischen in den Großen Ozean unter seine Kanonen gebracht. Hieran hat neulich Admiral Spee mit seinem heldenmütigen Kreuzergeschwader denken müssen. Während die übermächtigen Japaner, nachdem Spee ein englisches Kreuzergeschwader an der Küste von Chile vernichtet hatte, ihn aus der Südsee vertrieben hatten, haben ihm die Engländer an den Falklandinseln aufgelauert, wo beide vereint seinem kleinen erschöpften Geschwader mit absolut erdrückender Übermacht den Todesstoß versetzten. Beiläufig bemerkt, möchten die Argentiner die Falklandinseln als zu ihrer Machtsphäre gehörig, angesehen wissen. Sie fürchten, daß England sich sonst eines Tages noch Patagoniens bemächtigen könnte und damit eines auserlesenen Landes für Schafzucht und somit Wollernte.

Wenn England sich noch nicht der zu Ecuador gehörenden Gallapagos-Inseln bemächtigt und damit die Herrschaft über die Nordwestküste Südamerikas gesichert hat, so offenbar nur aus Furcht vor der Monroe-Doktrin der Vereinigten Staaten. Bruder Jonathan hat John Bull schon auf dem südamerikanischen Festlande an der Grenze von Guyana scharf auf die Finger gesehen und sogar, als diese nach dem benachbarten Venezuela ausgreifen wollten, ungeniert darauf geklopft.

Das verhältnismäßig kleine europäische Inselreich hat sich derart nicht nur in den Besitz aller Meerengen und meerbeherrschenden Inseln gesetzt, sondern ganzer Weltteile und ist auf nichts Geringeres aus, als sie womöglich alle fünf in seine Machtsphäre zu ziehen. Die Weltkugel soll, dank den Weltmeeren, den Engländern gehören.

Unter den europäischen Mächten gibt es nur eine, die dem Briten wenigstens das festländische Europa und Asien strittig zu machen in der Lage ist: das auf der Grenzscheide beider Weltteile rittlings auf dem Ural aufsitzende Russland.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Völker und das Meer im Lauf der Jahrtausende