Afrikanische Menschenstämme und deren Wohnsitze - Teil I
Dunkel sind die Sagen, welche der Mund altägyptischer Weisen über die Vorzeit des merkwürdigen Landes verkündet hat, in welchem die Pharaonen (die Söhne der Sonne, wie ihre selbstgefällige Titulatur lautete) das Szepter geführt. Der erste König, der über Ägypten geherrscht hat, war, wie die Priester nach Herodot angaben, Menes (Mena), zu dessen Zeiten das ganze Land, mit Ausnahme des thebaischen Gaues (Gau ägyptisch Hesep, griechisch Nomos) ein Sumpf gewesen und wo nichts zu sehen gewesen sein soll von all dem Gebiet, welches jetzt unterhalb des Sees Möris liege u. s. w. 8) Vor Mena sollen Götter, Halbgötter und rätselhafte Könige geherrscht haben, Wesen, deren Anführung den Alten zur Bemäntelung ihrer Unkenntnis der ägyptischen Urgeschichte gedient hat. Da nun übrigens Mena als Gauherr von Tini geschildert wird, da man ihm mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit die Gründung von Memphis und die Stiftung kolossaler Dammbauten zuschreiben darf, so lässt sich annehmen, dass schon zur Zeit seines Auftretens, d. h. etwa 6.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, Ägypten in einem Zustande der geordneten landschaftlichen Einteilung und überhaupt gewisser Gesittung sich befunden haben müsse.
Wer hat nun diese allmählich sich bildenden Ablagerungen fruchtbaren Schlammes besiedelt? Sind es syrisch-arabische Einwanderer gewesen? Die altägyptische Sprachforschung betrachtet es als eins ihrer Hauptergebnisse, die Sprache des pharaonischen Volks habe einen innigen Zusammenhang mit den indogermanischen und semitischen Idiomen besessen, und müsste daher innige nationale Beziehungen zu den Völkern dieser Kategorie gehabt haben. Allein kein ernst zu nehmendes physisches Merkmal spricht für eine angeblich semitische Herkunft der Ägypter. Man ist jetzt daran gewöhnt, von Seiten der wissenschaftlichen Anthropologie zwar indoeuropäische Sprachen anzuerkennen, die indoeuropäische Völkerfamilie als ethnische Einheit jedoch für eine unberechtigte Aufstellung der Philologen zu erklären. Sprachverwandtschaft bedingt aber keineswegs notwendig auch die ethnische, nationale Verwandtschaft. Inwieweit aber die altägyptische, zum Teil noch jetzt im Koptischen dürftig fortvegetierende Sprache 9) wirklich eine semitische Sprache, oder inwieweit sie nur stärker oder geringer mit semitischen Lehnwörtern durchsetzt sei, darüber haben uns die Philologen noch keineswegs genügend aufgeklärt.
Manche haben auf einen nationalen Zusammenhang zwischen den Altägyptern und der großen libyschen, Nordwestafrika bewohnenden Völkerfamilie geraten. Auch für diese Ansicht wurden vornehmlich sprachliche Gründe, die Verwandtschaft altägyptischer Wörter mit Wörtern aus der Sprache libyscher Oasen, wie Siwah u. s. w., geltend gemacht. Eine physische Ärmlichkeit zwischen den Retu oder den auf altägyptischen Denkmälern bildlich dargestellten Vertretern des Pharaoneuvolks und den heutigen Bewohnern Nordwestafrikas ist freilich unverkennbar. Mehrere Tage lang widmete ich einer genauen Durchmusterung der (S. 2) erwähnten sogenannten Magrebin, d. h. der libyschen Reiter zu Bulak, und überall begegnete ich unter diesen gefälligen und zutulichen Wehrmannen des ägyptischen Statthalters Physiognomien, wie sie mir bereits von den Straßen der ägyptischen Städte und aus den Landschaften um Kairo her vertraut geworden waren. Dasselbe traf sich auf den belebten und reichlich beschickten tuneser oder magrebiner Bazaren zu Kairo, woselbst ich namentlich eine überraschende Ähnlichkeit zwischen dem Typus der Jüngern Magrebin und Jüngern Fellachin auffand. Entsprechende Beobachtungen machte ich an den Turcos, welche sich 1867 in Paris und 1870 — 1871 als Kriegsgefangene unter uns befanden. Selbst der Schädelbau der Libyer und Ägypter bietet Anhaltspunkte für unsere Ansicht dar.
An die ägyptischen Grenzen hinan reichen die heute sogenannten Berabra (Singular Berberi), die vor den Fellachin schon durch dunkle Hautfarbe ausgezeichneten Bewohner der felsigen, heut so armen Distrikte Nubiens. Im Altertum hießen diese Nachbarn Ägyptens wie alle ihre damals bekannt gewordenen Stämme Nahasu — es waren die Schwarzen, Neger, Nigritier. Sie zeigten sich den Pharaonen öfters unbequem und da wurden denn Kriegszüge gegen dieselben veranstaltet, deren (wenigstens nach heutigem Maßstabe) unbedeutende Ergebnisse auf den Denkmälern durch prahlerische bildliche Darstellungen und Inschriften verherrlicht wurden. Weit fassten die Pharaonen freilich nicht Fuß in dem okkupierten Lande der tapferen Nahasu. Alte Namen ihrer Stämme, Beraberata, Kens, Argin, Prim, kehren noch heute wieder in den Stammes- und Ortsbezeichnungen Berabra, Kenus, Argo, Ibrim u. s. w. u. s. w. Während sich nun auf Ägyptens Boden der geologische Prozess allmählicher alluvialer Schichtenbildung unter gleichzeitiger Austrocknung des Saharameeres vollzog, rückten nubische Familien in das mehr und mehr sich regelnde, endlich zwischen Uferbänken sein periodisch-schwankendes Wasserleben durchlaufende Bett des Nils stromabwärts hinab. Sie bebauten Stelle um Stelle und gingen allmählich den gesellschaftlichen Umbildungsprozess ein, der sie zur Schöpfung eines der wenigen Kulturzentren der antiken Welt befähigte. In ihrer Isoliertheit, in dem von felsenstarrenden Wüsten eingeschlossenen sehr fruchtbaren Niltale bildeten sie eine gewisse Eigenart, die jedoch immerhin gänzlich auf echt afrikanischer Sitte fußt, von Geschlecht zu Geschlecht weiter aus. Sie modelten eine Art des Fetischdienstes 10) nach den ihnen so geläufig werdenden Naturerscheinungen des Steigens und Fallens der Nilwasser 11), den für ihr ganzes Kulturleben so wichtigen Vorgängen. Im Bewusstsein ihres Könnens dehnten sie sich endlich weiter über die Nachbargegenden aus und zwangen syrisch-arabische, also semitische Nomadenstämme, wie Araber und Juden, zur Sesshaftigkeit und zum Frondienst. 12)
Brugsch führt aus, dass Amu, d. h. Semiten, Leute syrisch-arabischen Stammes, als sesshafte Einwohner diejenigen Gebiete des Deltalandes innehatten, welche sich in der Umgebung des heute Menzaleh genannten Sees befanden. Mit solchen ursprünglich der asiatischen Seite Ägyptens entsprossenen Eindringlingen mochten sich nun die nubischen Einwanderer reichlich vermischen. Dasselbe geschah sehr wahrscheinlich mit von Libyens Seite (damals wie noch später) an den Nil heranstreifenden Bewohnern. So entstanden die weltbeherrschenden, alles mit ihrer hohen Kultur befruchtenden Retu, welche, heller wie die Berabra, ein Mischvolk bildeten, in dem jedoch afrikanisches Blut weit vorherrschte. Unsere Reisenden heben gewöhnlich den Gegensatz zwischen den hellen Ägyptern und den dunkeln Nubiern zu schroff hervor. Es kam mir immer so vor, als ob diese Herren die Zeit und die Orte zwischen Kene und Syene so gut wie verschliefen. Denn gerade auf dieser Strecke sieht man genug Übergänge zwischen beiden Völkertypen. Es beruht das nicht etwa nur auf Einwanderung und Ansiedelung nubischer Familien in dem Said, in Oberägypten, sondern der Bewohner dieses Said wird, dem Wendekreise allmählich sich nähernd, dunkler, dunkler durch die Sonne, aber auch dunkler infolge von Heiraten mit Berabra. So mochte auch der nubische Besiedler des Niltales allmählich unter der milden Sonne Mittelunterägyptens heller werden, zum Teil freilich auch wieder infolge von Heiraten mit ursprünglich hellem Leuten. Dass aber bei solchen Prozessen eine gewisse Anpassung an Grund und Boden, an dessen physikalische, klimatische Verhältnisse stattfinde, erscheint mir als ein unabweislicher naturgeschichtlicher Vorgang.
Übereinstimmende physische Merkmale zwischen Ägyptern und Berabra wird kein aufmerksamer Beobachter hinwegleugnen können. Wer mir hier eine Verschiedenheit der Färbung allein entgegenhalten will, der lässt sich seinen Blick durch eine bei diesen Untersuchungen keineswegs stichhaltige Einzelheit trüben. Brugsch hat ferner intimere Beziehungen zwischen Altägyptischem und Nubischem (letzteres alte Sprache von Meroë) hervorgehoben. Die von dem gelehrten Ägyptologen veröffentlichte Wörterliste ließe sich noch erweitern. 13)
Die ägyptischen Retu, welche nach dem Untergänge ihres großen Reichs so viele fremde Einfälle erdulden gemusst, sind später Vermischungen namentlich mit Persern, Griechen, sowie, nach der moslimischen Eroberung unter Amr Ibn-el-Asi, mit Syroarabern, später selbst mit Osmanen eingegangen. Noch heute dauern derartige Kreuzungen fort, denen sich solche mit Nigritiern hinzugesellen. Durch diese Vermischungen ist der ursprüngliche Bevölkerungstypus vielfach geändert worden. Trotzdem aber hat sich ein erkleckliches Maß von Retu-Blut in diesem Volke bis zum heutigen Datum erhalten. Die sprechenden Vertreter desselben findet man aber nicht allein unter den reiner gebliebenen christlichen Kopten, sondern auch unter den weit gemischtem muselmanischen Fellachin. Man möchte zuweilen, durch eins der dürftigen, halb zwischen den Säulenstämmen der Dattelpalmen vergrabenen Nildörfer schlendernd, sich ganz seiner Phantasie hingeben und glauben, eine der Ramses-Statuen sei nach Jahrtausenden wieder belebt worden und von ihrem Postament herniedergestiegen, oder es seien die zierlich geschmückten, sich am Gerüche frischer Lotosblumen ergötzenden Jungfern aus den thebaischen Wandgemälden herausgetreten, um wie ehedem zum Wasser des heiligen Stromes zu wandeln.
Als Nachbarn und nahe Verwandte der Ägypter treffen wir also die nubischen Berabra, gegenwärtig in einer Längenausdehnung von fast sechs Breitengraden bis zum sechsten Nilkatarakt hin ansässig, mitten zwischen den wüsten Felsbergen des Nilthales voll Mühsal das eine so geringe räumliche Ausdehnung darbietende Ackerland bebauend, dessen Areal alljährlich noch von dem jeweiligen Stande der Nilüberschwemmung abhängig wird. Karger Schlammabsatz in Jahren untergeordnetem Steigens der Nilwasser macht sich in dem armen Nubien noch stärker fühlbar als in Ägypten, dessen ausgedehnteres Ackerland ein paar Zoll Schlammdecke einmal noch eher entbehren kann, obgleich der Faktor selbst hier nicht ohne Bedeutung erscheint. In vielen Distrikten sind die Nubier ganz rein geblieben, es sind heute noch die braunen Leute zum Teil mit mächtigem Haartoupet, welche auf den pharaonischen Malereien neben den als Rothäute dargestellten Retu figurieren, gegen welche die Usurtasen, Amenhotep, Thutmes, Seti, Ramses u. s. w. jene bereits (S. 7) skizzierten Kriege führten, teils um unruhige Nachbarn zu bändigen, teils um das am Ollakiberge und an andern Stätten vorkommende Gold auszubeuten. Diese Berabra haben sich übrigens in früheren Zeiten weiter nach Süden ausgedehnt als heutzutage. Sie haben vielleicht durch Jahrhunderte nicht bloß das Niltal über Khartum stromaufwärts innegehabt, sondern sie haben sich selbst noch über einen großen Teil der heutigen Landschaften Kordufan, Taka und Sennar erstreckt. In diesen Ländern führen viele Örtlichkeiten Namen, welche unverkennbar der Berbersprache angehören. Später wurden diese Leute durch die erobernden Furer, Bedja und Funje zurückgedrängt. Letztere Nationen gingen übrigens mit den Berabra vielfache Mischungen ein. Schon als im spätem Mittelalter im Sennar das Reich Aloa blühte, dessen Herrscher Bedja waren, bildete sich in der Gegend des Zusammenflusses (arabisch Mogren) der beiden Nile ein Mischvolk aus, dessen Hauptelement Berabra waren. Später lieferten die nigritischen Funje noch andere Elemente der Mischung. Übrigens nisteten sich zwischen reineren Berabra schon frühzeitig zerstreute Gemeinden arabisierter Bedja, sich zu staatlichen Gruppen zusammentuende zentralafrikanische Pilgrime (Tekarine) u. s. w. ein. Auch unter diesen fremden Familien haben viele eine unverkennbare Reinheit bewahrt. Ihren reinsten Stamm oder Stock bilden die Berabra in den heutigen Distrikten Wady-Kenus, Dar-Sukkot, Dar-Mahas und in Nord-Dongola. In Oberägypten, um Syene*) her, in Süd-Dongola und Berber haben teils Mischungen, teils fremde Einkeilungen stattgefunden.
*) Am Schellal (Katarakt) von Syene oder Assuan zeigen sich die sogenannten Schellalin oder Kataraktbewohner als Berabra mit starker Beimischung von Fellach-(Ägypter-) Blut.
Die Bedja nehmen eine eigentümliche Stellung in der afrikanischen Ethnologie ein. Sie wurden seit lange als eingewanderte, reine unvermischte Araber angesehen und beschrieben. Nicht wenige Reisende glaubten an diesen Stämmen die physiognomischen Eigentümlichkeiten der Bewohner der arabischen Halbinsel in einem treuen Abbilde wahrzunehmen. Ja es hatten einige (allerdings nur sehr wenige!) und zum Glück nicht anthropologisch gebildete Leute den Mut, an jenen in den beiden verwichenen Jahren in Europa von K. Hagenbeck öffentlich ausgestellten, so charakteristisch beschaffenen Bedja (zum Teil dem Jägerstamme der Homran angehörend) den nord-westarabischen Typus wiedererkennen zu wollen. Natürlicherweise begegnete dies teils vielfachem energischen Widerspruch, teils gänzlicher Nichtbeachtung.
Afrika ist ein Gebiet, in welchem sich schon seit alters die Völker in Kasten oder wenigstens in kastenähnliche Gesellschaftsklassen gegliedert haben. In vieler Hinsicht forderte hierzu gewissermaßen die Bodenbeschaffenheit auf. Gute Beispiele bietet uns besonders der Nordosten des Erdteils dar; hier gewährte ja das alljährlichen Niveauveränderungen unterworfene Schwemmland des Nils, des Atbara u. s. w. dem Ackerbau seinen Sitz, und dieser vermochte auch an den fruchtbaren Berggehängen des abyssinischen Alpenlandes aus der Bodenkultur seinen genügenden Unterhalt zu gewinnen. Die weite mit nur kargem Pflanzenwuchs besetzte Wüste und die üppig begraste Steppe eröffneten dagegen der Viehzucht gewaltige Strecken. Es geschah dies um so leichter, als auf Gebieten der letztgenannten Art wichtige Haustiere, wie Pferd, Esel, das einhöckerige Kamel, das Rind, das Schaf und die Ziege eine große und leichte Verbreitung fanden. Diesen Objekten der Viehzucht gebrach es ja nirgends an wohlgeeigneter pflanzlicher Nahrung; der Urwald *) aber bot wieder dem Jäger das geeignete Feld für seine Tätigkeit. Letzterer konnte ja auch der Viehhirte auf der ebenfalls wildreichen Steppe mit Lust nachgehen. Ähnliches wiederholt sich in ganz Afrika.
*) Im allgemeineren Interesse bemerke ich hier, dass der Araber hierzulande die Wüste Atmur oder Akaba, die Steppe Chala und den Urwald Ghaba nennt. Es finden sieh übrigens zahlreiche Übergänge zwischen diesen Bildungen des Landes.
Nun klammerte sich übrigens der einzelne Volksstamm nicht ausschließlich an die Beschäftigung des Ackerbauers, Hirten oder Jägers, der Bedja z. B. wurde an den Flussniederungen sesshafter Ackerbauer, in der Wüste und Steppe aber wurde er Nomade und zugleich Jäger. Er betrieb zwar auch im letzteren lalle mal etwas Ackerbau, aber doch nur nebenher und nur so lange, als die ihm feindliche Jahreszeit, die Regenzeit (oder der Kharif) seinem ruhelosen Wandern mit den Viehherden ein jeweiliges Ziel gebot. Man kann nun wohl sagen, dass die Bedja ihrer größeren Individuenzahl nach mit Vorliebe die Beschäftigung des nomadisierenden Viehzüchters ergriffen und dass nur ein geringerer Teil derselben sich zur Handhabung des Grabscheites bequemte. In diesen Ländern des Herkommens schrieb der Volksmund den Bedja von alters her eine ganz besondere Umsicht und Geschicklichkeit in der Viehhaltung, namentlich in der Züchtung und Wartung des Kameles zu. Dabei ist es bis auf den heutigen Tag verblieben. Leute anderer Nationalität wagten, wohl ausschließlich herkömmlichen Ideen folgend, mit den sie umgebenden Bedja in jener Beziehung nur selten zu konkurrieren. An einem der Hauptsitze der Funje, am Berge Guli oder Gule in Sennar, hausen die Bewohner, Ackerbau und auch etwas Viehzucht treibend, in Dörfern. Selten und fast nur bei den Häuptlingen dieser Funje sieht man ein Kamel. Desto reicher an letzteren Haustieren, aber auch an Rindern, Schafen u. s. w., ist der große, in der Nachbarschaft campierende Bedjastamm der Abu-Rof. Auf meine Frage, warum denn die Funje nicht zahlreichere Kamele und noch zahlreichere Rinder züchteten, erwiderte man, hierzu seien die Abu-Rof da, bei denen könne man dergleichen Tiere jederzeit mieten oder kaufen; der Funje habe mit der Ackerbestellung und mit der Industrie genug zu tun. Die Funje verschmähen die Jagd auf das große in ihren Steppen und Wäldern hausende Wild (Büffel, Pferdeantilopen, Gnus, Gazellen, Giraffen, Elefanten u. s. w.) keineswegs; sie halten das für eine nützliche und männliche Beschäftigung. Dennoch aber wird man hier bei Veranstaltung großer Jagdpartien stets einige besonders geschickte Agagir oder Jagdmatadoren der Abu-Rof hinzuziehen, welche bei der Fällung des Büffels usw. allen andern vorauf ihre Kunst zu zeigen haben. Das sind so fest eingewurzelte Landessitten.
Fig. 001 Bedja-Nomade
Die Abstammung der Bedja ist dunkel; wahrscheinlich ist dieselbe auf der Osthälfte Afrikas zu suchen, wo einst ein geraeinsames verwandtschaftliches Band große Stämme, die sogenannten Bedja, Schoho, Afer oder Danakil, Somal, die Masay, die Dschagga, Gala, Orraa, Wahuma und die A-Bantu umschlang. Ein Teil dieser meist kriegerischen Völker zerstreute sich erobernd nach verschiedenen Seiten. Während die Gala und Dschagga besonders dem Herzen Afrikas entgegenströmten, ergossen sich die A-Bantu mehr über den Süden des Erdteils. Schon frühzeitig, in der Dämmerzeit der menschlichen Geschichte, müssen derartige Züge sich eingeleitet haben, denn auf pharaonischen Denkmälern geschieht bereits der Schari Erwähnung, welcher Name wohl nicht mit Unrecht auf die heutigen Bescharin bezogen worden ist. Auf den aksumitischen Ruinen werden die Buka, Bugaiten (Bedja) als vom Könige Lasan (Aizanas) Bekriegte aufgeführt; hier erkennt man auch unter andern Völkernamen denjenigen der Halenga, eines noch heute blühenden Bedjastammes, welchen jene in Europa herumgeführten Ilomran nicht fern stehen. Außerdem erscheinen die Bega oder Bedja bereits auf der altberühmten, dem König Ptolemäus Euergetes zugeschriebenen Inschrift von Adulis. Eine treffliche ethnologische Darstellung dieses Volks verdanken wir dem arabischen Gelehrten Makrizi. Verschiedene Stellen bei Strabo, Agatharchides, Diodor und Claudius Ptolemäus lassen sich ohne Zwang auf die Bedja beziehen. 14) Das bei den Alten erwähnte axumitische oder aksumitische Reich vereinigte viele dieser Stämme in sich. In dem blühenden Aloa spielten christliche Bedja eine Hauptrolle. Makrizi und Ibn-el-Wardi erwähnen auch eines Bedjakönigs. Manche alte Candace oder Königin Äthiopiens scheint dem Bedjavolke entsprossen zu sein. Alles deutet darauf hin, dass dieses im Altertum und im Mittelalter zu nicht unmächtigen staatlichen Gemeinwesen vereinigt gewesen sei. Der Verfall Aksums erschütterte wohl diese Herrlichkeit für lange Zeit, und mit der Zertrümmerung Aloas durch die Funje ging die Redjamacht gänzlich zu Grunde. Die sich zerstreuenden Stämme gerieten in Abhängigkeit von Darlur, Sennar und von Habesch, seit 1820 auch von den Ägyptern. Im Lande Taka einigten sich Bedjastämme noch in unserm Jahrhundert zu einem lockern politischen Verbände, welcher die Kraft des Widerstandes gegen die ägyptischen Eroberungsgelüste entwickelte, endlich aber durch die Bataillone der Paschas Achmed des Tscherkessen und Achmed Menekle gewaltsam aufgelöst wurde.
Die größeren Anhäufungen dieser Völker in den fruchtbaren Stromanschwemmungen Ost -Sudans, welche die Bodenkultur, der Anbau von Durra oder Negerkorn, von Mais, einigem Weizen, von Gurken, Melonen, Eibisch, von Zwiebeln, rotem Pfeffer, Baumwolle und Tabak zu noch festeren Gemeinschaften verband, wurden christlichen Einflüssen schon früh zugänglich; sie wurden aber später von Heiden (Funje) besiegt und bekehrten sich samt ihren Besiegern zum Islam. Leicht fand letzterer bei den herumschweifenden Bedja-Nomaden Eingang. Diese ernsten, zur Beschaulichkeit und religiösen Zerknirschung geneigten Leute nahmen gern die Sendboten des Islam, fast durchgängig ausgewanderte Araber und arabisch redende, aber nigritische Mekkapilger, unter sich auf, verliehen ihnen Macht und Einfluss innerhalb des eigenen Stammes, unterwarfen sich der politischen Gliederung, der Sitte und dem Gesetz sogar der Hedjaz-Beduinen und wurden so nach ihren kommunalen Einrichtungen, ihrer Sprache und Religion großenteils zu Arabern. Sie hielten mit fanatischer Zähigkeit am Islam und an dem ihnen so edel erscheinenden, erworbenen Arabertum fest und nannten sich zum Teil mit Stolz: Araber. Freilich behielt auch mancher Nomadenstamm, wie die Halenga, Hadenduo, Schukune, Homran u. s. w. neben dem Arabischen ihr Bedja-Patois bei und fälschte dies noch durch sprachliche Verzerrungen, die den Leuten als Jägerlatein ihrer Art bequem erschienen. Solche Tatsachen der Konservierung eigener Idiome werden gewöhnlich von allen den Reisenden mit und ohne Absicht übergangen, welche unsere Nomaden durchaus zu echten, reinen, eingewanderten Arabern stempeln wollen. Ich bemerkte, dass die Bedjahirten und Jäger dem Islam leichter zugänglich gewesen seien, als Städter und Ackerbauern ihrer Nation. Trotzdem sind selbst diesen glaubenseifrigen Nomaden, unter denen es Haufen niederer Frommer (Fukra, Einheit Fakir) und selbst höherer Schriftgelehrter Allahs, die Fukaha (Einheit Fakih) gibt, vielerlei heidnische Anschauungen und selbst heidnische Gebräuche geblieben. Ja, manche der zwischen Nigritiern eingekeilten und mit diesen sich auch häufiger ehelich vermischenden Stämme, wie die Bagara, Hamar und Abu-Rof, sollen in nicht geringer Individuenzahl weit eher Heiden nach Art der Schilluk und Denka, denn eigentliche Moslemin sein. Widersprüche besonderer Art, an denen aber Afrikas ethnische Verhältnisse so reich sind! Will man nun diese nomadisierenden Bedja des abyssinischen Küstenlandes, des Taka von Sennar, Kordufan, Darfur, Waday u. s. w. auch anthropologisch zu Arabern machen, so begeht man ein sehr großes Unrecht. Denn selbst wenn diese hier und da durch Inkorporierung von Arabern das Blut der letzteren in sich aufgenommen haben, so bewahrten sie doch einen eigentümlichen Typus, welcher sich mehr den Ägyptern, Berabra und den energischer profilierten Nigritiern, wie Funje, Wahuma und A-Bantu, näherte.
Fig. 002 Bedja-Nomaden in ihrem Zeltlager
Den Bedja sind körperlich nahe stehend die abyssinischen Bergbewohner; gewisse Stämme derselben, wie Agau, Kömant, Falascha, Schoho, Bogos sind Verwandte der Bedja und augenscheinlich sehr alte Völker. Andere haben sich erst im Laufe der Jahrhunderte aus Urbewohnern, in Vermischung mit andern Bedja, mit Gala, Afer und arabischen Einwanderern hervorgebildet, auch zum Teil dem semitischen oder syro-arabischen ähnliche Idiome, wie das Geez und das Tigrinya, herausgebildet. Gesichter von arabischem und jüdischem Schnitt scheinen unter den östlichen Abyssiniern häufiger zu sein, als unter den arabisierten Bedja. Diejenigen Bewohner von Habesch freilich, welche ich selbst zu Gesicht bekommen, und es waren ihrer nicht wenige, ähnelten, abgesehen von der (hier so wenig bedeutenden) Hautfarbe, sehr den Bedja von Taka und Sennar, den Ababde und selbst Berabra! Die echten Agauphysiognomien der Ubie, Kasa (Kaiser Theodor, Tedrus), Kasay (Kaiser Johanös), Madrakal, mahnen stark an diejenigen von Horaran und Ababde, von Ramses und Amenemha, von den Priesterkönigen des Gebel-Barkal. Verwandt mit den Bedja und den Abyssiniern sind ferner die Afer oder Danakil und die Somal. Auch diese ursprünglich mit den Gala sehr wahrscheinlich zu einem Völkerstock gehörend, haben sich durch öftere Aufnahme arabischer Elemente in eigentümlicher Weise umgeändert. J. M. Hildebrandt, gegenwärtig einer der besten Kenner der Somal, bemerkte an ihnen selbst das in manchen (namentlich privilegierten) Familien zu gewisser Geltung gelangte, zu körperlichem Ausdruck sich gestaltende südarabische Element, dessen Einflüssen übrigens diese der Küste näher wohnenden Leute in besonderem Grade ausgesetzt sind. Arabische Einwanderungen finden von Südarabien aus statt, aus einer Gegend, welche in früheren Zeiten von Ostafrika her mit den nigritischen nahe stehenden Völkern, mit Agau u. s. w. überflutet worden war. Diese Bewegungen von Südwest gegen Nordost haben in Südarabien als Produkt eine Bevölkerung zurückgelassen, die nicht rein arabisch, sondern arabisch-nigritisch ist. Der Rückfluss dieser Elemente nach Ostafrika und ihre materielle Beteiligung bei der Fortbildung der Afer- und Somalgemeinden konnte den Typus der letzteren im Durchschnitt nicht so ändern, dass jener physiognomische Habitus zum Durchschlag kam, welchen wir unter den Bewohnern von Nordarabien, Palästina, Syrien u. s. w. beobachten. Erkennen wir einmal unter Danakil und Somal Physiognomien letzterer Art, so wird auch an ihrer Erzeugung ein aus Nedjed stammender Vater oder Großvater seinen Anteil geboten haben. Vorherrschend sind bei den Afer physiognomische Eigentümlichkeiten, welche dem ostafrikanischen Nigritier angehören. Unter den Ostafrikanern haben übrigens die Somal die größte politische Macht erreicht, diese ist gerade jetzt in neuem Wachstum begriffen, nachdem es einigen ihrer wildesten und energischsten Stämme gelungen ist, die ihnen todfeind gesinnten Gala von mehreren wichtigen östlichen Küstengebieten abzudrängen und mehr nach dem Innern zurückzuwerfen.
Fig. 003 König Mtsa von Uganda mit seinem Gefolge, nach H. Stanley
Die Gala oder Wahuma, welche sich selbst Ilmorma (Söhne der Menschen) nennen, haben ihre Wiege in den um die Schneeberge Kenia und Kilimandjaro her gelegenen Landschaften. Echte Nigritier, haben sie sich als ein kräftiges, eroberndes Volk von fast spartanischen Sitten nach verschiedenen Richtungen hingezogen; sie haben z. B. einen großen Teil von Südabyssinien und von den Landschaften am oberen blauen Nil in Besitz genommen, sich hier zum Teil mit Bedja, Agau und mit unreinen Abyssiniern vermischt.
Aus dieser Kreuzung ist ein interessanter Mischtypus mit im ganzen schärferer Profilbildung hervorgegangen, als die sonst stumpferen Physiognomien der Orma sie darzubieten pflegen. Die sehr hübsche Profilabbildung eines „Adjao-Galla" (Adjau) nach Salt, seit Jahren oftmals für ethnologische Werke kopiert, stellt jenen Gala-Mischtypus vor; namentlich diese Abbildung hat aber viele Ethnologen dazu verführt, dieselbe für eine das ganze Ormavolk getreulich darstellende und danach letztere Nation selbst für eine semitische, den Kaukasiern nahe stehende zu erklären, ein ungeheurer Fehler, an dessen Beseitigung unsere Generation gegenüber den eingewurzelten Vorurteilen unserer Vorgänger (ja selbst leider noch eines Teils unserer Zeitgenossen) hart arbeiten muss. Die Orma haben als Södama die Länder Guragie, Kafa, Inarya usw. im Süden von Schoa besiedelt, auch haben sie an den Seegebieten des östlichen und zentralen Afrika große Ausbreitung gewonnen. Die Wanyambo und Watusi um den Ukerua Nyanza (Victoria Nyanza) her gehören ihnen sehr wahrscheinlich an. In Kitara wurden Eingeborene, entweder Walmma oder Nigritier, von einer andern Nationalität, durch ihrem Herkommen nach unanfechtbare Gala unterjocht. Kitara zerfiel später in die Reiche Unyoro, Uganda, Usoga und Mruri.
Anmerkungen
8) zu S. 5. Die Musen des Herodotus von Halicarnassus, übersetzt von J. Chr. F. Bahr (Stuttgart 1866), Buch II (Euterpe), Kap. 4.
9) zu S. 6. Die koptische Sprache wird seit etwa tausend Jahren vom Volke Niederägyptens nicht mehr gesprochen und verstanden, während dies in Oberägypten nach zeitgenössischen Schriftstellern noch bis ins 16. oder 17. Jahrhundert hinein der Fall gewesen zu sein scheint. Selbstheute beten die in den Schulen unterrichteten Kopten in ihrer Sprache. Die Bibel wird in den Kirchen auf koptisch gelesen, jedoch in arabischer Sprache erklärt. Die liturgischen Bücher werden zur Zeit mit arabischen Lettern, wenn auch im koptischen Idiom, geschrieben und gedruckt.
10) zu S. 8. Über den „Fetischdienst der alten Ägypter" hat Dr. E. Pietschmann eine sehr interessante Arbeit in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, 1878, veröffentlicht.
11) zu S. 8. Die von mir vorgebrachte Auslegung der Osiris-Sage ist keineswegs neu oder originell, sie ist aber jedenfalls der Denkweise und Naturauffassung der Retu am meisten entsprechend. Osiris versinnlicht das Steigen und die befruchtende Wirkung des alljährlich von den Regengüssen Zentral- und Ostafrikas geschwellten Nils, wogegen Typhon, des Osiris feindlicher Bruder, die sengenden Wirkungen des Wüstenwindes und die dürren Monate repräsentiert, während welcher letzteren der Schöpfeimer und das Schöpfrad arbeiten müssen u. s. w.
12) zu S. 8. Die Betu zwangen nomadisierende, dem eigenen Volke und dem stammverwandten der Bedja angehörende, sowie syro-arabische Stämme, auch Israeliten, zur Sesshaftigkeit und zur Ableistung härtesten Frondienstes.
13) zu S. 9. Vgl. H. Brugsch in der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde, Neue Folge, XVII, 1 fg. Ferner: Geschichte Ägyptens unter den Pharaonen (Leipzig 1877), S. 730.
14) zu S. 14. Vgl. Nigritier, Bd. I, Abschn. I, Kap. IV.
Wer hat nun diese allmählich sich bildenden Ablagerungen fruchtbaren Schlammes besiedelt? Sind es syrisch-arabische Einwanderer gewesen? Die altägyptische Sprachforschung betrachtet es als eins ihrer Hauptergebnisse, die Sprache des pharaonischen Volks habe einen innigen Zusammenhang mit den indogermanischen und semitischen Idiomen besessen, und müsste daher innige nationale Beziehungen zu den Völkern dieser Kategorie gehabt haben. Allein kein ernst zu nehmendes physisches Merkmal spricht für eine angeblich semitische Herkunft der Ägypter. Man ist jetzt daran gewöhnt, von Seiten der wissenschaftlichen Anthropologie zwar indoeuropäische Sprachen anzuerkennen, die indoeuropäische Völkerfamilie als ethnische Einheit jedoch für eine unberechtigte Aufstellung der Philologen zu erklären. Sprachverwandtschaft bedingt aber keineswegs notwendig auch die ethnische, nationale Verwandtschaft. Inwieweit aber die altägyptische, zum Teil noch jetzt im Koptischen dürftig fortvegetierende Sprache 9) wirklich eine semitische Sprache, oder inwieweit sie nur stärker oder geringer mit semitischen Lehnwörtern durchsetzt sei, darüber haben uns die Philologen noch keineswegs genügend aufgeklärt.
Manche haben auf einen nationalen Zusammenhang zwischen den Altägyptern und der großen libyschen, Nordwestafrika bewohnenden Völkerfamilie geraten. Auch für diese Ansicht wurden vornehmlich sprachliche Gründe, die Verwandtschaft altägyptischer Wörter mit Wörtern aus der Sprache libyscher Oasen, wie Siwah u. s. w., geltend gemacht. Eine physische Ärmlichkeit zwischen den Retu oder den auf altägyptischen Denkmälern bildlich dargestellten Vertretern des Pharaoneuvolks und den heutigen Bewohnern Nordwestafrikas ist freilich unverkennbar. Mehrere Tage lang widmete ich einer genauen Durchmusterung der (S. 2) erwähnten sogenannten Magrebin, d. h. der libyschen Reiter zu Bulak, und überall begegnete ich unter diesen gefälligen und zutulichen Wehrmannen des ägyptischen Statthalters Physiognomien, wie sie mir bereits von den Straßen der ägyptischen Städte und aus den Landschaften um Kairo her vertraut geworden waren. Dasselbe traf sich auf den belebten und reichlich beschickten tuneser oder magrebiner Bazaren zu Kairo, woselbst ich namentlich eine überraschende Ähnlichkeit zwischen dem Typus der Jüngern Magrebin und Jüngern Fellachin auffand. Entsprechende Beobachtungen machte ich an den Turcos, welche sich 1867 in Paris und 1870 — 1871 als Kriegsgefangene unter uns befanden. Selbst der Schädelbau der Libyer und Ägypter bietet Anhaltspunkte für unsere Ansicht dar.
An die ägyptischen Grenzen hinan reichen die heute sogenannten Berabra (Singular Berberi), die vor den Fellachin schon durch dunkle Hautfarbe ausgezeichneten Bewohner der felsigen, heut so armen Distrikte Nubiens. Im Altertum hießen diese Nachbarn Ägyptens wie alle ihre damals bekannt gewordenen Stämme Nahasu — es waren die Schwarzen, Neger, Nigritier. Sie zeigten sich den Pharaonen öfters unbequem und da wurden denn Kriegszüge gegen dieselben veranstaltet, deren (wenigstens nach heutigem Maßstabe) unbedeutende Ergebnisse auf den Denkmälern durch prahlerische bildliche Darstellungen und Inschriften verherrlicht wurden. Weit fassten die Pharaonen freilich nicht Fuß in dem okkupierten Lande der tapferen Nahasu. Alte Namen ihrer Stämme, Beraberata, Kens, Argin, Prim, kehren noch heute wieder in den Stammes- und Ortsbezeichnungen Berabra, Kenus, Argo, Ibrim u. s. w. u. s. w. Während sich nun auf Ägyptens Boden der geologische Prozess allmählicher alluvialer Schichtenbildung unter gleichzeitiger Austrocknung des Saharameeres vollzog, rückten nubische Familien in das mehr und mehr sich regelnde, endlich zwischen Uferbänken sein periodisch-schwankendes Wasserleben durchlaufende Bett des Nils stromabwärts hinab. Sie bebauten Stelle um Stelle und gingen allmählich den gesellschaftlichen Umbildungsprozess ein, der sie zur Schöpfung eines der wenigen Kulturzentren der antiken Welt befähigte. In ihrer Isoliertheit, in dem von felsenstarrenden Wüsten eingeschlossenen sehr fruchtbaren Niltale bildeten sie eine gewisse Eigenart, die jedoch immerhin gänzlich auf echt afrikanischer Sitte fußt, von Geschlecht zu Geschlecht weiter aus. Sie modelten eine Art des Fetischdienstes 10) nach den ihnen so geläufig werdenden Naturerscheinungen des Steigens und Fallens der Nilwasser 11), den für ihr ganzes Kulturleben so wichtigen Vorgängen. Im Bewusstsein ihres Könnens dehnten sie sich endlich weiter über die Nachbargegenden aus und zwangen syrisch-arabische, also semitische Nomadenstämme, wie Araber und Juden, zur Sesshaftigkeit und zum Frondienst. 12)
Brugsch führt aus, dass Amu, d. h. Semiten, Leute syrisch-arabischen Stammes, als sesshafte Einwohner diejenigen Gebiete des Deltalandes innehatten, welche sich in der Umgebung des heute Menzaleh genannten Sees befanden. Mit solchen ursprünglich der asiatischen Seite Ägyptens entsprossenen Eindringlingen mochten sich nun die nubischen Einwanderer reichlich vermischen. Dasselbe geschah sehr wahrscheinlich mit von Libyens Seite (damals wie noch später) an den Nil heranstreifenden Bewohnern. So entstanden die weltbeherrschenden, alles mit ihrer hohen Kultur befruchtenden Retu, welche, heller wie die Berabra, ein Mischvolk bildeten, in dem jedoch afrikanisches Blut weit vorherrschte. Unsere Reisenden heben gewöhnlich den Gegensatz zwischen den hellen Ägyptern und den dunkeln Nubiern zu schroff hervor. Es kam mir immer so vor, als ob diese Herren die Zeit und die Orte zwischen Kene und Syene so gut wie verschliefen. Denn gerade auf dieser Strecke sieht man genug Übergänge zwischen beiden Völkertypen. Es beruht das nicht etwa nur auf Einwanderung und Ansiedelung nubischer Familien in dem Said, in Oberägypten, sondern der Bewohner dieses Said wird, dem Wendekreise allmählich sich nähernd, dunkler, dunkler durch die Sonne, aber auch dunkler infolge von Heiraten mit Berabra. So mochte auch der nubische Besiedler des Niltales allmählich unter der milden Sonne Mittelunterägyptens heller werden, zum Teil freilich auch wieder infolge von Heiraten mit ursprünglich hellem Leuten. Dass aber bei solchen Prozessen eine gewisse Anpassung an Grund und Boden, an dessen physikalische, klimatische Verhältnisse stattfinde, erscheint mir als ein unabweislicher naturgeschichtlicher Vorgang.
Übereinstimmende physische Merkmale zwischen Ägyptern und Berabra wird kein aufmerksamer Beobachter hinwegleugnen können. Wer mir hier eine Verschiedenheit der Färbung allein entgegenhalten will, der lässt sich seinen Blick durch eine bei diesen Untersuchungen keineswegs stichhaltige Einzelheit trüben. Brugsch hat ferner intimere Beziehungen zwischen Altägyptischem und Nubischem (letzteres alte Sprache von Meroë) hervorgehoben. Die von dem gelehrten Ägyptologen veröffentlichte Wörterliste ließe sich noch erweitern. 13)
Die ägyptischen Retu, welche nach dem Untergänge ihres großen Reichs so viele fremde Einfälle erdulden gemusst, sind später Vermischungen namentlich mit Persern, Griechen, sowie, nach der moslimischen Eroberung unter Amr Ibn-el-Asi, mit Syroarabern, später selbst mit Osmanen eingegangen. Noch heute dauern derartige Kreuzungen fort, denen sich solche mit Nigritiern hinzugesellen. Durch diese Vermischungen ist der ursprüngliche Bevölkerungstypus vielfach geändert worden. Trotzdem aber hat sich ein erkleckliches Maß von Retu-Blut in diesem Volke bis zum heutigen Datum erhalten. Die sprechenden Vertreter desselben findet man aber nicht allein unter den reiner gebliebenen christlichen Kopten, sondern auch unter den weit gemischtem muselmanischen Fellachin. Man möchte zuweilen, durch eins der dürftigen, halb zwischen den Säulenstämmen der Dattelpalmen vergrabenen Nildörfer schlendernd, sich ganz seiner Phantasie hingeben und glauben, eine der Ramses-Statuen sei nach Jahrtausenden wieder belebt worden und von ihrem Postament herniedergestiegen, oder es seien die zierlich geschmückten, sich am Gerüche frischer Lotosblumen ergötzenden Jungfern aus den thebaischen Wandgemälden herausgetreten, um wie ehedem zum Wasser des heiligen Stromes zu wandeln.
Als Nachbarn und nahe Verwandte der Ägypter treffen wir also die nubischen Berabra, gegenwärtig in einer Längenausdehnung von fast sechs Breitengraden bis zum sechsten Nilkatarakt hin ansässig, mitten zwischen den wüsten Felsbergen des Nilthales voll Mühsal das eine so geringe räumliche Ausdehnung darbietende Ackerland bebauend, dessen Areal alljährlich noch von dem jeweiligen Stande der Nilüberschwemmung abhängig wird. Karger Schlammabsatz in Jahren untergeordnetem Steigens der Nilwasser macht sich in dem armen Nubien noch stärker fühlbar als in Ägypten, dessen ausgedehnteres Ackerland ein paar Zoll Schlammdecke einmal noch eher entbehren kann, obgleich der Faktor selbst hier nicht ohne Bedeutung erscheint. In vielen Distrikten sind die Nubier ganz rein geblieben, es sind heute noch die braunen Leute zum Teil mit mächtigem Haartoupet, welche auf den pharaonischen Malereien neben den als Rothäute dargestellten Retu figurieren, gegen welche die Usurtasen, Amenhotep, Thutmes, Seti, Ramses u. s. w. jene bereits (S. 7) skizzierten Kriege führten, teils um unruhige Nachbarn zu bändigen, teils um das am Ollakiberge und an andern Stätten vorkommende Gold auszubeuten. Diese Berabra haben sich übrigens in früheren Zeiten weiter nach Süden ausgedehnt als heutzutage. Sie haben vielleicht durch Jahrhunderte nicht bloß das Niltal über Khartum stromaufwärts innegehabt, sondern sie haben sich selbst noch über einen großen Teil der heutigen Landschaften Kordufan, Taka und Sennar erstreckt. In diesen Ländern führen viele Örtlichkeiten Namen, welche unverkennbar der Berbersprache angehören. Später wurden diese Leute durch die erobernden Furer, Bedja und Funje zurückgedrängt. Letztere Nationen gingen übrigens mit den Berabra vielfache Mischungen ein. Schon als im spätem Mittelalter im Sennar das Reich Aloa blühte, dessen Herrscher Bedja waren, bildete sich in der Gegend des Zusammenflusses (arabisch Mogren) der beiden Nile ein Mischvolk aus, dessen Hauptelement Berabra waren. Später lieferten die nigritischen Funje noch andere Elemente der Mischung. Übrigens nisteten sich zwischen reineren Berabra schon frühzeitig zerstreute Gemeinden arabisierter Bedja, sich zu staatlichen Gruppen zusammentuende zentralafrikanische Pilgrime (Tekarine) u. s. w. ein. Auch unter diesen fremden Familien haben viele eine unverkennbare Reinheit bewahrt. Ihren reinsten Stamm oder Stock bilden die Berabra in den heutigen Distrikten Wady-Kenus, Dar-Sukkot, Dar-Mahas und in Nord-Dongola. In Oberägypten, um Syene*) her, in Süd-Dongola und Berber haben teils Mischungen, teils fremde Einkeilungen stattgefunden.
*) Am Schellal (Katarakt) von Syene oder Assuan zeigen sich die sogenannten Schellalin oder Kataraktbewohner als Berabra mit starker Beimischung von Fellach-(Ägypter-) Blut.
Die Bedja nehmen eine eigentümliche Stellung in der afrikanischen Ethnologie ein. Sie wurden seit lange als eingewanderte, reine unvermischte Araber angesehen und beschrieben. Nicht wenige Reisende glaubten an diesen Stämmen die physiognomischen Eigentümlichkeiten der Bewohner der arabischen Halbinsel in einem treuen Abbilde wahrzunehmen. Ja es hatten einige (allerdings nur sehr wenige!) und zum Glück nicht anthropologisch gebildete Leute den Mut, an jenen in den beiden verwichenen Jahren in Europa von K. Hagenbeck öffentlich ausgestellten, so charakteristisch beschaffenen Bedja (zum Teil dem Jägerstamme der Homran angehörend) den nord-westarabischen Typus wiedererkennen zu wollen. Natürlicherweise begegnete dies teils vielfachem energischen Widerspruch, teils gänzlicher Nichtbeachtung.
Afrika ist ein Gebiet, in welchem sich schon seit alters die Völker in Kasten oder wenigstens in kastenähnliche Gesellschaftsklassen gegliedert haben. In vieler Hinsicht forderte hierzu gewissermaßen die Bodenbeschaffenheit auf. Gute Beispiele bietet uns besonders der Nordosten des Erdteils dar; hier gewährte ja das alljährlichen Niveauveränderungen unterworfene Schwemmland des Nils, des Atbara u. s. w. dem Ackerbau seinen Sitz, und dieser vermochte auch an den fruchtbaren Berggehängen des abyssinischen Alpenlandes aus der Bodenkultur seinen genügenden Unterhalt zu gewinnen. Die weite mit nur kargem Pflanzenwuchs besetzte Wüste und die üppig begraste Steppe eröffneten dagegen der Viehzucht gewaltige Strecken. Es geschah dies um so leichter, als auf Gebieten der letztgenannten Art wichtige Haustiere, wie Pferd, Esel, das einhöckerige Kamel, das Rind, das Schaf und die Ziege eine große und leichte Verbreitung fanden. Diesen Objekten der Viehzucht gebrach es ja nirgends an wohlgeeigneter pflanzlicher Nahrung; der Urwald *) aber bot wieder dem Jäger das geeignete Feld für seine Tätigkeit. Letzterer konnte ja auch der Viehhirte auf der ebenfalls wildreichen Steppe mit Lust nachgehen. Ähnliches wiederholt sich in ganz Afrika.
*) Im allgemeineren Interesse bemerke ich hier, dass der Araber hierzulande die Wüste Atmur oder Akaba, die Steppe Chala und den Urwald Ghaba nennt. Es finden sieh übrigens zahlreiche Übergänge zwischen diesen Bildungen des Landes.
Nun klammerte sich übrigens der einzelne Volksstamm nicht ausschließlich an die Beschäftigung des Ackerbauers, Hirten oder Jägers, der Bedja z. B. wurde an den Flussniederungen sesshafter Ackerbauer, in der Wüste und Steppe aber wurde er Nomade und zugleich Jäger. Er betrieb zwar auch im letzteren lalle mal etwas Ackerbau, aber doch nur nebenher und nur so lange, als die ihm feindliche Jahreszeit, die Regenzeit (oder der Kharif) seinem ruhelosen Wandern mit den Viehherden ein jeweiliges Ziel gebot. Man kann nun wohl sagen, dass die Bedja ihrer größeren Individuenzahl nach mit Vorliebe die Beschäftigung des nomadisierenden Viehzüchters ergriffen und dass nur ein geringerer Teil derselben sich zur Handhabung des Grabscheites bequemte. In diesen Ländern des Herkommens schrieb der Volksmund den Bedja von alters her eine ganz besondere Umsicht und Geschicklichkeit in der Viehhaltung, namentlich in der Züchtung und Wartung des Kameles zu. Dabei ist es bis auf den heutigen Tag verblieben. Leute anderer Nationalität wagten, wohl ausschließlich herkömmlichen Ideen folgend, mit den sie umgebenden Bedja in jener Beziehung nur selten zu konkurrieren. An einem der Hauptsitze der Funje, am Berge Guli oder Gule in Sennar, hausen die Bewohner, Ackerbau und auch etwas Viehzucht treibend, in Dörfern. Selten und fast nur bei den Häuptlingen dieser Funje sieht man ein Kamel. Desto reicher an letzteren Haustieren, aber auch an Rindern, Schafen u. s. w., ist der große, in der Nachbarschaft campierende Bedjastamm der Abu-Rof. Auf meine Frage, warum denn die Funje nicht zahlreichere Kamele und noch zahlreichere Rinder züchteten, erwiderte man, hierzu seien die Abu-Rof da, bei denen könne man dergleichen Tiere jederzeit mieten oder kaufen; der Funje habe mit der Ackerbestellung und mit der Industrie genug zu tun. Die Funje verschmähen die Jagd auf das große in ihren Steppen und Wäldern hausende Wild (Büffel, Pferdeantilopen, Gnus, Gazellen, Giraffen, Elefanten u. s. w.) keineswegs; sie halten das für eine nützliche und männliche Beschäftigung. Dennoch aber wird man hier bei Veranstaltung großer Jagdpartien stets einige besonders geschickte Agagir oder Jagdmatadoren der Abu-Rof hinzuziehen, welche bei der Fällung des Büffels usw. allen andern vorauf ihre Kunst zu zeigen haben. Das sind so fest eingewurzelte Landessitten.
Fig. 001 Bedja-Nomade
Die Abstammung der Bedja ist dunkel; wahrscheinlich ist dieselbe auf der Osthälfte Afrikas zu suchen, wo einst ein geraeinsames verwandtschaftliches Band große Stämme, die sogenannten Bedja, Schoho, Afer oder Danakil, Somal, die Masay, die Dschagga, Gala, Orraa, Wahuma und die A-Bantu umschlang. Ein Teil dieser meist kriegerischen Völker zerstreute sich erobernd nach verschiedenen Seiten. Während die Gala und Dschagga besonders dem Herzen Afrikas entgegenströmten, ergossen sich die A-Bantu mehr über den Süden des Erdteils. Schon frühzeitig, in der Dämmerzeit der menschlichen Geschichte, müssen derartige Züge sich eingeleitet haben, denn auf pharaonischen Denkmälern geschieht bereits der Schari Erwähnung, welcher Name wohl nicht mit Unrecht auf die heutigen Bescharin bezogen worden ist. Auf den aksumitischen Ruinen werden die Buka, Bugaiten (Bedja) als vom Könige Lasan (Aizanas) Bekriegte aufgeführt; hier erkennt man auch unter andern Völkernamen denjenigen der Halenga, eines noch heute blühenden Bedjastammes, welchen jene in Europa herumgeführten Ilomran nicht fern stehen. Außerdem erscheinen die Bega oder Bedja bereits auf der altberühmten, dem König Ptolemäus Euergetes zugeschriebenen Inschrift von Adulis. Eine treffliche ethnologische Darstellung dieses Volks verdanken wir dem arabischen Gelehrten Makrizi. Verschiedene Stellen bei Strabo, Agatharchides, Diodor und Claudius Ptolemäus lassen sich ohne Zwang auf die Bedja beziehen. 14) Das bei den Alten erwähnte axumitische oder aksumitische Reich vereinigte viele dieser Stämme in sich. In dem blühenden Aloa spielten christliche Bedja eine Hauptrolle. Makrizi und Ibn-el-Wardi erwähnen auch eines Bedjakönigs. Manche alte Candace oder Königin Äthiopiens scheint dem Bedjavolke entsprossen zu sein. Alles deutet darauf hin, dass dieses im Altertum und im Mittelalter zu nicht unmächtigen staatlichen Gemeinwesen vereinigt gewesen sei. Der Verfall Aksums erschütterte wohl diese Herrlichkeit für lange Zeit, und mit der Zertrümmerung Aloas durch die Funje ging die Redjamacht gänzlich zu Grunde. Die sich zerstreuenden Stämme gerieten in Abhängigkeit von Darlur, Sennar und von Habesch, seit 1820 auch von den Ägyptern. Im Lande Taka einigten sich Bedjastämme noch in unserm Jahrhundert zu einem lockern politischen Verbände, welcher die Kraft des Widerstandes gegen die ägyptischen Eroberungsgelüste entwickelte, endlich aber durch die Bataillone der Paschas Achmed des Tscherkessen und Achmed Menekle gewaltsam aufgelöst wurde.
Die größeren Anhäufungen dieser Völker in den fruchtbaren Stromanschwemmungen Ost -Sudans, welche die Bodenkultur, der Anbau von Durra oder Negerkorn, von Mais, einigem Weizen, von Gurken, Melonen, Eibisch, von Zwiebeln, rotem Pfeffer, Baumwolle und Tabak zu noch festeren Gemeinschaften verband, wurden christlichen Einflüssen schon früh zugänglich; sie wurden aber später von Heiden (Funje) besiegt und bekehrten sich samt ihren Besiegern zum Islam. Leicht fand letzterer bei den herumschweifenden Bedja-Nomaden Eingang. Diese ernsten, zur Beschaulichkeit und religiösen Zerknirschung geneigten Leute nahmen gern die Sendboten des Islam, fast durchgängig ausgewanderte Araber und arabisch redende, aber nigritische Mekkapilger, unter sich auf, verliehen ihnen Macht und Einfluss innerhalb des eigenen Stammes, unterwarfen sich der politischen Gliederung, der Sitte und dem Gesetz sogar der Hedjaz-Beduinen und wurden so nach ihren kommunalen Einrichtungen, ihrer Sprache und Religion großenteils zu Arabern. Sie hielten mit fanatischer Zähigkeit am Islam und an dem ihnen so edel erscheinenden, erworbenen Arabertum fest und nannten sich zum Teil mit Stolz: Araber. Freilich behielt auch mancher Nomadenstamm, wie die Halenga, Hadenduo, Schukune, Homran u. s. w. neben dem Arabischen ihr Bedja-Patois bei und fälschte dies noch durch sprachliche Verzerrungen, die den Leuten als Jägerlatein ihrer Art bequem erschienen. Solche Tatsachen der Konservierung eigener Idiome werden gewöhnlich von allen den Reisenden mit und ohne Absicht übergangen, welche unsere Nomaden durchaus zu echten, reinen, eingewanderten Arabern stempeln wollen. Ich bemerkte, dass die Bedjahirten und Jäger dem Islam leichter zugänglich gewesen seien, als Städter und Ackerbauern ihrer Nation. Trotzdem sind selbst diesen glaubenseifrigen Nomaden, unter denen es Haufen niederer Frommer (Fukra, Einheit Fakir) und selbst höherer Schriftgelehrter Allahs, die Fukaha (Einheit Fakih) gibt, vielerlei heidnische Anschauungen und selbst heidnische Gebräuche geblieben. Ja, manche der zwischen Nigritiern eingekeilten und mit diesen sich auch häufiger ehelich vermischenden Stämme, wie die Bagara, Hamar und Abu-Rof, sollen in nicht geringer Individuenzahl weit eher Heiden nach Art der Schilluk und Denka, denn eigentliche Moslemin sein. Widersprüche besonderer Art, an denen aber Afrikas ethnische Verhältnisse so reich sind! Will man nun diese nomadisierenden Bedja des abyssinischen Küstenlandes, des Taka von Sennar, Kordufan, Darfur, Waday u. s. w. auch anthropologisch zu Arabern machen, so begeht man ein sehr großes Unrecht. Denn selbst wenn diese hier und da durch Inkorporierung von Arabern das Blut der letzteren in sich aufgenommen haben, so bewahrten sie doch einen eigentümlichen Typus, welcher sich mehr den Ägyptern, Berabra und den energischer profilierten Nigritiern, wie Funje, Wahuma und A-Bantu, näherte.
Fig. 002 Bedja-Nomaden in ihrem Zeltlager
Den Bedja sind körperlich nahe stehend die abyssinischen Bergbewohner; gewisse Stämme derselben, wie Agau, Kömant, Falascha, Schoho, Bogos sind Verwandte der Bedja und augenscheinlich sehr alte Völker. Andere haben sich erst im Laufe der Jahrhunderte aus Urbewohnern, in Vermischung mit andern Bedja, mit Gala, Afer und arabischen Einwanderern hervorgebildet, auch zum Teil dem semitischen oder syro-arabischen ähnliche Idiome, wie das Geez und das Tigrinya, herausgebildet. Gesichter von arabischem und jüdischem Schnitt scheinen unter den östlichen Abyssiniern häufiger zu sein, als unter den arabisierten Bedja. Diejenigen Bewohner von Habesch freilich, welche ich selbst zu Gesicht bekommen, und es waren ihrer nicht wenige, ähnelten, abgesehen von der (hier so wenig bedeutenden) Hautfarbe, sehr den Bedja von Taka und Sennar, den Ababde und selbst Berabra! Die echten Agauphysiognomien der Ubie, Kasa (Kaiser Theodor, Tedrus), Kasay (Kaiser Johanös), Madrakal, mahnen stark an diejenigen von Horaran und Ababde, von Ramses und Amenemha, von den Priesterkönigen des Gebel-Barkal. Verwandt mit den Bedja und den Abyssiniern sind ferner die Afer oder Danakil und die Somal. Auch diese ursprünglich mit den Gala sehr wahrscheinlich zu einem Völkerstock gehörend, haben sich durch öftere Aufnahme arabischer Elemente in eigentümlicher Weise umgeändert. J. M. Hildebrandt, gegenwärtig einer der besten Kenner der Somal, bemerkte an ihnen selbst das in manchen (namentlich privilegierten) Familien zu gewisser Geltung gelangte, zu körperlichem Ausdruck sich gestaltende südarabische Element, dessen Einflüssen übrigens diese der Küste näher wohnenden Leute in besonderem Grade ausgesetzt sind. Arabische Einwanderungen finden von Südarabien aus statt, aus einer Gegend, welche in früheren Zeiten von Ostafrika her mit den nigritischen nahe stehenden Völkern, mit Agau u. s. w. überflutet worden war. Diese Bewegungen von Südwest gegen Nordost haben in Südarabien als Produkt eine Bevölkerung zurückgelassen, die nicht rein arabisch, sondern arabisch-nigritisch ist. Der Rückfluss dieser Elemente nach Ostafrika und ihre materielle Beteiligung bei der Fortbildung der Afer- und Somalgemeinden konnte den Typus der letzteren im Durchschnitt nicht so ändern, dass jener physiognomische Habitus zum Durchschlag kam, welchen wir unter den Bewohnern von Nordarabien, Palästina, Syrien u. s. w. beobachten. Erkennen wir einmal unter Danakil und Somal Physiognomien letzterer Art, so wird auch an ihrer Erzeugung ein aus Nedjed stammender Vater oder Großvater seinen Anteil geboten haben. Vorherrschend sind bei den Afer physiognomische Eigentümlichkeiten, welche dem ostafrikanischen Nigritier angehören. Unter den Ostafrikanern haben übrigens die Somal die größte politische Macht erreicht, diese ist gerade jetzt in neuem Wachstum begriffen, nachdem es einigen ihrer wildesten und energischsten Stämme gelungen ist, die ihnen todfeind gesinnten Gala von mehreren wichtigen östlichen Küstengebieten abzudrängen und mehr nach dem Innern zurückzuwerfen.
Fig. 003 König Mtsa von Uganda mit seinem Gefolge, nach H. Stanley
Die Gala oder Wahuma, welche sich selbst Ilmorma (Söhne der Menschen) nennen, haben ihre Wiege in den um die Schneeberge Kenia und Kilimandjaro her gelegenen Landschaften. Echte Nigritier, haben sie sich als ein kräftiges, eroberndes Volk von fast spartanischen Sitten nach verschiedenen Richtungen hingezogen; sie haben z. B. einen großen Teil von Südabyssinien und von den Landschaften am oberen blauen Nil in Besitz genommen, sich hier zum Teil mit Bedja, Agau und mit unreinen Abyssiniern vermischt.
Aus dieser Kreuzung ist ein interessanter Mischtypus mit im ganzen schärferer Profilbildung hervorgegangen, als die sonst stumpferen Physiognomien der Orma sie darzubieten pflegen. Die sehr hübsche Profilabbildung eines „Adjao-Galla" (Adjau) nach Salt, seit Jahren oftmals für ethnologische Werke kopiert, stellt jenen Gala-Mischtypus vor; namentlich diese Abbildung hat aber viele Ethnologen dazu verführt, dieselbe für eine das ganze Ormavolk getreulich darstellende und danach letztere Nation selbst für eine semitische, den Kaukasiern nahe stehende zu erklären, ein ungeheurer Fehler, an dessen Beseitigung unsere Generation gegenüber den eingewurzelten Vorurteilen unserer Vorgänger (ja selbst leider noch eines Teils unserer Zeitgenossen) hart arbeiten muss. Die Orma haben als Södama die Länder Guragie, Kafa, Inarya usw. im Süden von Schoa besiedelt, auch haben sie an den Seegebieten des östlichen und zentralen Afrika große Ausbreitung gewonnen. Die Wanyambo und Watusi um den Ukerua Nyanza (Victoria Nyanza) her gehören ihnen sehr wahrscheinlich an. In Kitara wurden Eingeborene, entweder Walmma oder Nigritier, von einer andern Nationalität, durch ihrem Herkommen nach unanfechtbare Gala unterjocht. Kitara zerfiel später in die Reiche Unyoro, Uganda, Usoga und Mruri.
Anmerkungen
8) zu S. 5. Die Musen des Herodotus von Halicarnassus, übersetzt von J. Chr. F. Bahr (Stuttgart 1866), Buch II (Euterpe), Kap. 4.
9) zu S. 6. Die koptische Sprache wird seit etwa tausend Jahren vom Volke Niederägyptens nicht mehr gesprochen und verstanden, während dies in Oberägypten nach zeitgenössischen Schriftstellern noch bis ins 16. oder 17. Jahrhundert hinein der Fall gewesen zu sein scheint. Selbstheute beten die in den Schulen unterrichteten Kopten in ihrer Sprache. Die Bibel wird in den Kirchen auf koptisch gelesen, jedoch in arabischer Sprache erklärt. Die liturgischen Bücher werden zur Zeit mit arabischen Lettern, wenn auch im koptischen Idiom, geschrieben und gedruckt.
10) zu S. 8. Über den „Fetischdienst der alten Ägypter" hat Dr. E. Pietschmann eine sehr interessante Arbeit in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, 1878, veröffentlicht.
11) zu S. 8. Die von mir vorgebrachte Auslegung der Osiris-Sage ist keineswegs neu oder originell, sie ist aber jedenfalls der Denkweise und Naturauffassung der Retu am meisten entsprechend. Osiris versinnlicht das Steigen und die befruchtende Wirkung des alljährlich von den Regengüssen Zentral- und Ostafrikas geschwellten Nils, wogegen Typhon, des Osiris feindlicher Bruder, die sengenden Wirkungen des Wüstenwindes und die dürren Monate repräsentiert, während welcher letzteren der Schöpfeimer und das Schöpfrad arbeiten müssen u. s. w.
12) zu S. 8. Die Betu zwangen nomadisierende, dem eigenen Volke und dem stammverwandten der Bedja angehörende, sowie syro-arabische Stämme, auch Israeliten, zur Sesshaftigkeit und zur Ableistung härtesten Frondienstes.
13) zu S. 9. Vgl. H. Brugsch in der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde, Neue Folge, XVII, 1 fg. Ferner: Geschichte Ägyptens unter den Pharaonen (Leipzig 1877), S. 730.
14) zu S. 14. Vgl. Nigritier, Bd. I, Abschn. I, Kap. IV.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Völker Afrikas - Erstes Buch. - Afrikanische Menschenstämme und deren Wohnsitze.
Fig. 001 Bedja-Nomade
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