Afrikanische Menschenstämme und deren Wohnsitze - Teil II

Stanley schildert uns den kraft- und geistvollen Mtesa, den Kabaka oder Kaiser von Uganda als einen hochgewachsenen, schlanken Mann mit intelligenten angenehmen Gesichtszügen, die unseren ausgezeichneten Reisenden an einige unter den Gesichtern der großen Steinbilder in Theben und der Statuen im Museum zu Kairo erinnerten. „Er hat dieselbe Fülle der Lippen, aber ihre Dicke wird durch den allgemeinen Ausdruck einer mit Würde gemischten Liebenswürdigkeit gemildert, welcher sich über sein Antlitz breitet, und durch die großen, glänzenden, wie zwei Flammen unruhig lodernden Augen, welche demselben eine wunderbare Schönheit verleihen und für die Rasse, von welcher er, wie ich glaube, abstammt, typisch sind. Seine Farbe ist ein dunkles Rotbraun und die Oberfläche seiner Haut von merkwürdiger Glätte." Ich glaube, dass nichts besser auf die Orma passt, als Stanleys obige Beschreibung. Wie sehr erinnert mich letztere an jene von den Wollo und anderen Gala herstammenden Individuen, die ich auf meiner Reise beobachtet habe.

Den Somal verwandt sind auch die Wamasay im ostafrikanischen Äquatoriallande, wilde kriegerische Leute, deren Nachbarn, die Wakamba, vieles mit ihnen Geneinsame haben. Ihnen und den Gala reihen sich die Wanyika, Wakuafi, Wanyamesi und andere nigritische Stämme der östlichen Gebiete an, wogegen die Wasuaheli des zanzibarischen Landes eine sehr starke Beimischung von arabischem Blute, namentlich von Hadramautblut, verraten.


Fig. 004 Somali von Geledi

Wir wollen uns nun zunächst zu den die afrikanische Nordküste bewohnenden Nachbarn der Ägypter zurückwenden. Den Hauptteil derselben bilden die Berbern, für welche die kollektive eingeborene Bezeichnung Imoschach (Einheit Amoschach) anwendbar erscheint. Sie sind ein sehr altes Volk, deren östlichste Zweige als Libu oder Ribu (Libyer) öfters die altägyptischen Grenzen beunruhigten. Sie wurden von den Ramessiden bekriegt und auf den Denkmälern hellgefärbt, blauäugig, blond- und rothaarig dargestellt.

Dies ist ein ausgebreitetes, individuenreiches Volk, unter welchem es Sesshafte und Nomaden gibt. Die Libyer, Gaetuler, die Mauretanier und Numidier der Alten gehörten zu diesen Imoschach. Sie scheinen sehr frühzeitig Beziehungen zu Südeuropa besessen zu haben. Nicht wenige Forscher der Neuzeit halten eine Stammesverwandtschaft zwischen Berbern und denjenigen

Fig. 005. Medjerten-Somali.

Völkern Europas für sehr wahrscheinlich, welchen wir die Errichtung der über Europa, Westasien und Nordafrika zerstreuten, megalithischen Denkmäler, der Dolmen und Menhir, verdanken. Es bleibt nicht zu verkennen, dass man unter den nördlichen Berbern Individuen findet, deren Gesichtszüge lebhaft an diejenigen von Spaniern und Italienern erinnern. Möglicherweise hat hier ein Zusammenhang zwischen diesen Nationalitäten geherrscht, noch ehe die Säulen des Hercules (d. h. die Straße von Gibraltar) ihre gegenwärtige Gestaltung erhielten. 15) Andererseits hat wieder eine Beeinflussung der Spanier und Italiener durch die Mauren des Mittelalters stattgefunden. Unter letzteren haben wir aber hauptsächlich Berbern zu suchen. Hanoteau und Letourneux, deren klassisches Werk über die „Kabylie" eine Fülle der wichtigsten Nachweise liefert, glauben in den alten Bewohnern der Städte Rusazuz, Jomnium, Rusucurru, Bida Municipium u. s. w. einen europäischen Ursprung erkennen zu müssen.

Fig. 006. Wakambaweiber.

In den Küstengebieten, namentlich in den Küstenstädten zeigt sich die Bevölkerung sehr gemischt. Hier haben Phönizier, Griechen, Römer, Araber, Juden, Türken, alle möglichen Nationalitäten Europas, alle die als „Franken" zusammengefassten, zwischen Nordkap, Cap Finisterre und Malta geborenen und nach Nordafrika verschlagenen Abenteurer, ferner die vielen noch bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts durch die Korsaren zusammengeschleppten Christensklaven teil an der Zusammensetzung der Einwohnerschaft genommen. Den Hauptstamm derselben bilden die Mauren, Moros, Morisken. Diese bestehen wieder hauptsächlich aus Berbern, sind aber unzweifelhaft gemischter als die berberische Bevölkerung des Acker-, Berg- und Wüstenlandes. In vorislamitischer Zeit haben sicherlich schon Karthager, Griechen, Römer, Vandalen usw. sich mit den einheimischen Leuten gekreuzt. Dann haben zunächst die Heersäulen der erobernden Koranverkünder sich vielfach teils mit den Imoschach amalgamiert. Es ist hier von Wichtigkeit, sich über die ethnologische Zusammensetzung der islamitischen Eroberer eine Vorstellung zu verschaffen. Unzweifelhaft bildeten das Hauptkontingent derselben Syroaraber, d. h. Sesshafte und Nomaden aus Syrien, Palästina, aus Arabien und Mesopotamien. Aber auch Kleinasiaten, bekehrte Griechen, Kurden, Armenier, ferner Perser, Ägypter, Berabra, Sudanesen werden der Fahne des Propheten gefolgt sein. Der Islam kümmert sich ja nie um die Herkunft und um die Farbe seiner Anhänger, sein Bekenntnis allein einigt die heterogensten Elemente zu seinem Gesamtkörper. Man kann sich nun ungefähr denken, in welchem Maße ein solcher buntscheckiger Haufe in Nordafrika die ohnehin von fremd her beeinflusste Urbevölkerung umzuändern gewusst, dass hierbei der arabische Volksstamm eine gewisse Rolle gespielt, weil eben der Hauptteil der Eindringlinge aus Arabern bestand. Die Hauptkämpfer werden freilich Sklaven, namentlich Schwarze, sogenannte Fethawie, gewesen sein. 16)

Nun wird man unter den Mauren gar häufig die physiognomische Eigentümlichkeit der arabischen Nationalität ausgeprägt finden. Aber auch bekehrte Juden, deren körperliche Bildung derjenigen des Arabers so nahe steht, haben sich mit den Mauren ehelich verbunden. In Tanger, Tetuan, Algier, Tunis, Tripolis usw. soll es oft recht schwer werden, Maurinnen und Jüdinnen voneinander zu unterscheiden. 17) Bekehrte Europäer haben sich seit islamitischer Zeit wohl nur in so geringer Zahl den Mauren beigemischt, dass ihr physischer Einfluss kaum bemerkbar sein dürfte. Dagegen zeigt sich das Ergebnis von Verbindungen zwischen Mauren und Schwarzen sehr kenntlich. Dadurch entwickelt sich ein Mulattentum von übrigens geringer ethnischer Beständigkeit. 18) Verbinden sich die ohnehin brünetten, ziemlich hellfarbenen Mauren mit den bräunlichen Arabern und mit den orientalischen Juden, so werden die Sprösslinge solcher Ehen nicht so sehr weit von dem Typus der Eltern abweichen, wie dies bei der Kreuzung zwischen Mauren und Schwarzen der Fall zu sein pflegt.

Fig. 007 Suahelifamilie

Trotz dieses unverkennbar gemischten Habitus der Mauren wird der Ethnolog unter ihnen das berberische Urelement doch an den meisten Stätten vorherrschen sehen. Das Wort Maure bezeichnet überdies einen sehr dehnbaren Begriff und die liederliche Namengebung unserer bisherigen Völkerkunde hat damit auch rein berberische Gemeinschaften belegt, welche, wie die Bewohner der Provinz El-Rif, wie die Sus und noch andere Stämme Marokkos, wie endlich die senegalischen Mauren (Trarza, Brakna, Dowisch usw.), bisher jede Verbindung mit Renegaten, Juden u. s. w. voll Eifer zurückgewiesen und welche sich höchstens mit nigritischen Leibeigenen gekreuzt haben. Arabische Vermischung kann hier den sehr selten sich darbietenden Objekten einer solchen gegenüber schwerlich in Betracht gezogen werden.

Ein großer Teil der nordafrikanischen Berbern, namentlich Algeriens, wird mit dem banalen Namen Kabylen belegt, obwohl doch Kabyleh, Mehrheit Kabail, im Arabischen nur einen Stamm von bald größerer, bald geringerer Familien-, bezüglich Individuenzahl bedeutet. Trotz dieser Begriffsverwechselung hat sich der Name Kabyle namentlich in Frankreich gewissermaßen als Volksbezeichnung eingebürgert. Unter diesen Kabylen sind blonde Leute nicht ganz selten. Es erinnert dies Vorkommen an die blonden Libu Tamhu der alten Ägypter (S. 22). Hanoteau und Letourneux erwähnen in ihrer oben beregten Monographie auch der arabischen Einwanderungen und bemerken, dass die arabische Rasse weit weniger durch gewaltsame Besitzergreifung des Landes, als vielmehr durch die islamitische Religion Eingang gefunden habe. Unzweifelhaft hätten sich zur Zeit der Bekehrung zum Islam eine gewisse Anzahl arabischer Familien im Lande als Missionare niedergelassen. Allein nicht alle Marabouts, von denen doch die religiöse Bewegung ausgehe, seien Araber, es gebe unter jenen auch berberische Eingeborene, die aber, um Ansehen über letztere zu behalten, sich einen fremden Ursprung, aus dem Geburtslande des Propheten, vindizieren möchten. Die Schirfa (Einheit Scherif), d. h. die Nachkommen Mohammeds, die einen wirklichen religiösen Adel bildeten, welche „Marabouts par excellence“ seien, würden Araber sein. Nur ist freilich zu bedenken, wie mancher schwarze, braune oder braungelbe Bummler sich im muselmanischen Afrika „Scherif" schimpft.

Ein anderer echter Berbernschlag sind die sogenannten Tuarik oder Tuarek, in der Einheit Targi, die Imoschach im engeren Sinne, welche, in viele Stämme geteilt, die Saharawüste, auf enorme Strecken hin verteilt, bewohnen. Unter ihnen nehmen die Ahogar, Mehrheit Ihogaren, als Edle, Noble eine bevorzugte Stellung gegenüber den Imrad oder Imroden, Einheit Amri, den Dienenden, Vasallen, ein. Der Ahogar ist von einer der südeuropäischen ähnlichem Körperbildung: d. h. er zeigt die Züge des gewöhnlichen Berbern, wie wir ihn unter dem Pseudonym Kabyle aufgeführt hatten. Der Amri ist von einer mehr nigritischen Bildung. Außerdem existiert unter den Tuarek noch eine Kategorie von Leuten, die nicht Edle, nicht Diener sind, als Condottieri den verschiedenen Gemeinschaften der Imoschach sich verdingen, ähnlich den fahrenden Reisigen des Mittelalters. Wie kann man sich die Ausbildung eines solchen Verhältnisses vorstellen? Einesteils ließe sich denken, ein hellfarbiger Berberstamm hätte einen dunkeln unterjocht; letzterer könne etwa von Art der Tibu oder Teda gewesen sein. In der Tat sollen die Imrad der östlichen Tuarik den Tibu in physischer Hinsicht auffallend ähneln. Andernteils dürften adelige Tuarik (eben die Ihogaren) ihr Blut in Reinheit durch Familien- oder Freundschaftsheiraten fortgepflanzt und dürften die Imrad, indem sie sich mit Teda oder mit sudanischen Nigritiern gekreuzt, eine Mischrasse gebildet haben und in eine abhängige Stellung von den reiner gebliebenen, wohlhabendem Familien geraten sein. Letztere konnten um so leichter zur Herrschaft gelangen und sich darin behaupten, als sie dem Kriegshandwerk in traditioneller Weise allein oblagen. Die Imrad erkauften sich die Möglichkeit zur Betreibung friedlicher Geschäfte von den Ihogaren dadurch, dass sie die Herrlichkeit der letzteren anerkannten und ihr schließlich bedingungslos zufielen. Da nun die Ihogaren, auf sich angewiesen, nicht immer zahlreich genug waren, die Stammesfehden auszufechten, so warben sie solche Imrad, die Lust und Befähigung zum Kriegführen zeigten, mieteten aber auch wohl fahrende Knechte von allerhand Nationalität, an denen unter den reise- und abenteuerlustigen Afrikanern selten Mangel ist, endlich richteten sie auch wohl passende Sklaven als Fethawie (S. 26) zum Kriegsdienst ab. Aus solchen Elementen bildeten sich jene Mittelspersonen hervor, von denen soeben die Rede gewesen (S. 28), Leute, welche nicht die dienende Stellung der Imrad, aber auch nicht die gebietende der Ihogaren einhalten können. Es ist übrigens eine bekanntlich nicht nur in Afrika sehr häufige, sondern auch über viele andere Länder verbreitete Erscheinung, dass sich Leute geringer Herkunft, welche in Ruhe ihr Feld bestellen, das Vieh weiden, Handel treiben, Handwerke ausüben wollten u. s. w., mit einem Wort, dass der Nährstand sich den bessersituierten, nicht auf Erwerbung des täglichen Brotes angewiesenen, zur Ergreifung des kriegerischen Berufes geeigneten Stammesgenossen, dass sie dem Wehrstande ihrer Nation Privilegien zusprachen. Letztere wurden dann von den kriegerischen Privilegierten später gewöhnlich mit Zähigkeit behauptet. Nun aber tritt in Afrika, wie auch anderswo, häufig der Fall ein, dass ein Stamm den andern unterwirft und dass das Siegervolk sich als eine den Kriegsdienst versehende Klasse Bevorzugter, als die herrschende den zur Ernährungsarbeit degradierten Besiegten gegenüberstellt. Die Bildung gewisser Kasten und gewisser Schutzverhältnisse zwischen Lehnsherren und Vasallen auf Afrikas Boden lässt sich absolut nur aus solchen Vorgängen herleiten. So ist z. B. unter dem Bedjastamme der Beni-Amir der adelige Belaui wahrscheinlich aus einem siegreichen Belautribus hervorgegangen, der schon eine frühere Zeit hindurch den Nawab oder Beherrschern der abyssinischen Seeküste als Kriegsvolk gedient hatte und dessen ursprüngliches Idiom das sogenannte Äthiopische oder Gees ist. Später hatte er sich des Gebietes der Beni-Amir bemächtigt und hatte sich diesen friedlichen Beduinen als herrschende Kaste aufgezwungen.

Die Kabylen und Tuarik sprechen berberisch. Erstere haben freilich in ihre Sprache schon viele arabische (und in Algerien selbst französische) Wörter aufgenommen. Sie bedienen sich auch wohl einer Geheimsprache, deren jede Profession ihre eigene besitzt und welche nur ein verwelschtes Berberisch, Kabylisch oder Takebailit darstellt (Hanoteau und Letourneux). Auch die Ababde in der arabischen Wüste Ägyptens haben sich eine Art Rothwelsch aus verdrehten arabischen und Bedjawörtern zurechtgemacht (S. 15). Neben diesen Berbern, über deren alte Sitze jetzt niemand mehr einen Zweifel auszusprechen wagt, sollen nun noch in Tripolitanien, Tunesien, Algerien und in Marokko eine ganze Anzahl echter Araberstämme von reinster Nationalität wohnen. Sie sollen zum Teil sesshaft, zum Teil Nomaden sein. Ihren besten neuern bildlichen Darsteller fanden gerade diese „Arabes" des halbgelehrten Haufens in dem großen Geschichtsmaler Horace Vernet. Aber sobald dieser ausgezeichnete Künstler uns die Typen jener ,,Arabes“ vorführt, sehen wir größtenteils Physiognomien, welche, nichts weniger als semitisch, durchaus an die plattesten Nigritier erinnern. Sie gehören jenen Berbern an, deren nahe Verwandtschaft mit den Bewohnern Sudans nicht nur die ganze Bildung des Hirnschädels, sondern auch diejenige des vorgebauten und in seinen einzelnen Partien wieder abgeflachten Gesichts kennzeichnen. Eine solche Verwandtschaft wird durch häufige Kreuzungen zwischen mit arabischem Blute vermischten Berbern und Nigritiern hervorgerufen worden sein. Jedenfalls ist auch innerhalb dieser Nomadenstämme von einem reinen Arabertum ebenso wenig die Rede, wie unter den magrebinischen Marabouts überhaupt. Hanoteau und Letourneux wollen den Isser allein einen arabischen Ursprung zuschreiben, in welchem freilich gegenwärtig infolge häufiger Kreuzungen das berberische Element vorherrscht. Diejenigen arabischen Semiten, welche etwa zur Zeit der Verbreitung des Islam sich hier niedergelassen, mögen allerdings die Gliederung der Stämme in die Hand genommen und nach ihren heimischen Gebräuchen geregelt haben. Namentlich werden alle die Tribus, denen das Hirtenleben alte Gewohnheit war, das bei den Beduinen der syrisch-arabischen Wüste herrschende beduinische Gesetz um so eher zu befolgen geneigt gewesen sein, als letzteres dem Individuum die größtmögliche Freiheit, der Gesamtheit aber dennoch einen großen Zusammenhalt sicherte. Die unter den arabischen Beduinen übliche Stammesverfassung repräsentiert ein sehr liberales Gemeinwesen. Jedes Mitglied desselben ist frei und erkennt niemand über sich. Zwar wählt jedes Beduinenlager seinen Schekh oder Emir, jeder Stamm seinen Groß-Schekh (Schekh el-kebir). einen Mann, welcher Ansehen besitzt, welcher durch seine persönlichen Eigenschaften und durch seinen Reichtum großen Einfluss erreichen kann. Der Schekh ist Anführer im Kriege, er leitet die für den Stamm nötigen Unterhandlungen, er bestimmt den Lagerplatz, er bewirtet hervorragende Besucher. Trotzdem ist er nicht eigentlich Fürst, wiewohl seine Würde sich in gerader Linie forterbt. Burckhardt erwähnt, dass selbst die mächtigsten Anführer der syrischen Aeneze nicht die geringste Strafe über den Ärmsten ihres Stammes verhängen dürfen, ohne sich einer tödlichen Rache des betreffenden Individuums und seiner Verwandten auszusetzen. Bei Rechtshändeln innerhalb eines Stammes rufen die Parteien wohl den Ausspruch des Schekh an, oder sie vergleichen sich miteinander, oder sie unterwerfen sich den Sentenzen des Kadi el-Arab, dessen Würde ebenfalls erblich ist. Selbst eine Art Gottesgericht existierte in der Syrischen Wüste, dessen Verhängung durch den Oberrichter, Mebesschae, erfolgte. Körperliche Strafen gibt es ursprünglich nicht, sondern nur Bußen an Geld und Naturalien. Derartige freie Einrichtungen entsprachen nun dem Sinne aller jener Nomadenvölker verschiedenartiger Nationalität, welche die weiten aussichtsvollen Wüsten und Steppen Ostasiens und Nordafrikas durchwanderten. Hierzu kam der Islam mit seinen mit der Anschauungsweise so einfacher Naturmenschen sich sehr wohl vertragenden Satzungen. Wenn unter den Bedjanomaden Nubiens und Sennars heutzutage jene freie, zugleich mit dem Islam eingeführte Stammesverfassung vielfach verändert wurde, so waren daran die Einflüsse der Könige der Funje und später auch der Türken schuld. Denn diese Mächte verliehen, kraft ihrer überlegenen Waffengewalt, den Bedja-Schekhs größere Rechte über ihre Stammesangehörigen, um unter diesen mehr Tribut zusammentreiben lassen zu können. Ihre Abgesandten übernahmen wohl öfters persönlich das Amt von Pügelprofosen gegen widerspenstige Steuerpflichtige. Wo im Magreb sich das Türkentum festgesetzt hat, da ist es mit der Beduinenfreiheit ebenfalls trübe geworden, und in Algerien soll es seit der französischen Okkupation kaum besser aussehen. Nun muss freilich anerkannt werden, dass kompaktere staatliche Gruppen solche Zügellosigkeit freien Nomadentums innerhalb ihrer eigenen Grenzen nicht dulden durften, ohne damit die Grundfesten ihrer eigenen Macht zu gefährden.

Wir können uns demnach wohl vorstellen, dass eingeborene Stämme des nordwestlichen Afrika, die Gesetze der Araber und deren Sprache annehmend, ihre zunftartige Abgeschlossenheit in Stämmen und Lagern durch Jahrhunderte hartnäckig weiter behaupteten. Hatten nun wirklich einmal arabische Eindringlinge in diesem oder jenem der angeführten Nomadenstämme numerisches Gewicht erlangt, so mochte dadurch auch das physische Aussehen der Glieder des betreffenden Tribus beeinflusst werden, sodass sich innerhalb desselben wirklich hervortretendere semitische Körpermerkmale ausbildeten. Aber annehmen zu wollen, dass ganze Tribus von Einwanderern aus dem ohnehin schwach bevölkerten Arabien sich in diesen Ländern des Magreb in völliger typischer Reinheit erhalten haben könnten, das muss an der Hand der Erfahrung durchaus zurückgewiesen werden. Dasselbe gilt von jenen angeblich reinen Araberstämmen, welche die Sudanstaaten unter den Namen Uled-Soliman, Schua oder Schiwa usw. bewohnen. Dazu gehören ferner auch die angeblichen Araber von Waday und Darfur, unter denen sich ja so mancher „Onkel oder Neffe des Propheten" herumtreiben soll. Die einfache schlichte Versicherung unserer Reisenden Barth, Nachtigal u. a. , jene Leute seien reine Semiten, genügt der wissenschaftlichen Anforderung keineswegs, hier heißt es vielmehr erst eine gründliche anthropologische Untersuchung führen und nur diese. Eine solche aber würde sehr voraussichtlich die über jene zentralsudanischen Stämme verhängte Semitentheorie ebenso zu Falle bringen, wie es jetzt selbst angesichts der Hagenbeck’schen Nubier vor dem Richterstuhle bewährter Anthropologen mit dem Semitentume der Bedja geschehen ist. Entweder sind jene obenerwähnten Beduinen Zentralafrikas versprengte Bedjastämme, oder sie sind Berbern, hier und da vielleicht mit etwas Araberblut gemischt. Spätere, von tüchtigen Untersuchern vorgenommene Forschungen werden ja auch hierüber die letzte Entscheidung bringen. Dass die arabische Sprache hier nicht in Betracht kommen darf, welche ja als Glaubens-, als Schrift- und Verkehrssprache die einheimischen Idiome teils schon verdrängt hat, teils noch immer verdrängt, ist bereits anderweitig hervorgehoben worden. 19)

                                          Anmerkungen

15) zu S. 24. Über die Verbreitung der Dolmen u. s. w. vgl. Sir John Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit, erläutert durch die Überreste des Altertums und die jetzigen Wilden. Autorisierte deutsche Ausgabe von A. Passow (Jena 1874), S. 102 fg.

16) zu S. 26. Hinsichtlich der Fethawie, Redemptores, bemerkt Wetzstein, der gründlichste und gelehrteste Kenner echt arabischen Wesens, dass in den schwersten Fehden der Araber, wo diese sich zu einer förmlichen Schlacht entschließen müssen, die Hauptaufgaben nicht ihnen selbst, sondern den schwarzen Panzerreitern, athletischen Negersklaven, zufallen. Diese, fast immer im Stamme geboren und, wie die römischen Gladiatoren, nur für den Kampf erzogen, sind die wahren Helden der Zeltlager; sie sind jederzeit bereit, für den Nutzen und die Ehre ihrer Herren das Leben einzusetzen. Der Araber ist zu klug, als dass er todesmutig sein sollte, wie das auch eine Menge von Sprichwörtern bezeugt u. s. w. (Zeitschrift für Ethnologie. Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft, 1878, S. 388.)

17) zu S. 26. Unter den Mauren und Maurinnen findet man nicht selten an arabische und jüdische erinnernde Physiognomien. Das rührt her: 1) von der Beimischung einigen wirklich syro-arabischen Blutes; 2) davon, dass viele der in Magreb lebenden Juden zum Islam übergetreten sind und jetzt noch übertreten, dass sie aber in diesem Renegatenzustande sich teils familienweise als „Mauren" fuhren oder mit letzteren Vermischungen eingehen, die auf Kind und Kindeskind die Spuren der Provenienz hinterlassen; 3) spielen hier zufällige Ähnlichkeiten mit, wie sie überall, selbst gelegentlich innerhalb rein germanischer Familien sich vorfinden.

18) zu S. 27. Die aus einer Vermischung von Berbern, Bedja, Abyssiniern u. s. w. mit Nigritiern hervorgehenden Abkömmlingen erben bei der großen physischen Verwandtschaft aller dieser afrikanischen Nationen untereinander auch die äußerlichen Merkmale viel dauernder und konstanter fort, als wenn Osmanen, reine Araber, Franken u. s. w. mit Nigritiern Vermischungen eingehen, wo es dann oft schon nach wenigen Generationen Rückschläge zum einen oder andern Typus der Älteren zu geben pflegt.

19) zu S. 34. Vgl. darüber Nigritier an verschiedenen Stellen. Die arabische Sprache verdrängt mit dem Koran und mit den allgemeinen in diesem Idiome schriftlich normierten Ritual- und Moralgesetzen des Islam allmählich die eingeborenen Sprachen. Wo ferner die Osmanen, deren Abkömmlinge und Anhänger sich festgesetzt haben, wird das Arabische als offizielle Sprache und als diejenige des öffentlichen Verkehrs auch von oben herab ganz besonders gepflegt und begünstigt. Daneben ist ja das Arabische Hauptidiom vieler Marabouts oder Missionare und der Derwische oder Mönche des Islams.
Fig. 004 Somali von Geledi

Fig. 004 Somali von Geledi

Fig. 005 Medjerten-Somali

Fig. 005 Medjerten-Somali

Fig. 006 Wakambaweiber

Fig. 006 Wakambaweiber

Fig. 007 Sualhelifamilie

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