Unglücksverkünder

Bei den alten heidnischen Völkern legte man sowohl im gewöhnlichen Leben als auch insbesondere bei wichtigen Gelegenheiten dem Erscheinen gewisser Tiere einen mehr oder minder großen Wert bei, weil man glaubte, daraus Glück oder Unglück, guten oder schlechten Ausgang einer Unternehmung, eines Vorhabens bestimmen zu können. So war namentlich bei den Römern der Flug der Vögel ein Zeichen von hoher Bedeutung, und eigene Priester beschäftigen sich bloß damit, der leichtgläubigen Menge aus der Richtung und der Zahl einer Schar Geier oder Raben die Ereignisse der Zukunft vorherzusagen. Damals opferte auch noch das Volk seinen selbsterdachten Göttern Tiere, aus deren Blut und Eingeweiden ebenfalls wahrgesagt wurde. Vielleicht schreibt sich aus jener grauen Vorzeit der viel verbreirete Wahn her, dass das Begegnen gewisser Tiere Glück oder Unglück bedeute. So ist es ein fast in ganz Deutschland verbreiteter, und zwar nicht bloß unter den Ungebildeten heimischer Glaube, das Schwein habe einen so großen Einfluss auf den Gang und die Begebenheiten des menschlichen Lebens, dass seine Begegnung stets Unglück bringe. Die meisten Leute hassen daher auch dieselbe, oft ohne sich den Grund gestehen zu wollen. Ich habe Viele gekannt, welche, wenn bei einem ernsten Vorhaben ihnen ein Schwein begegnete, schnurstracks umwendeten und durch keine Macht der Erde zu bewegen waren, noch einen Schritt weiter zu gehen. Dann erfüllte sich aber auch gewöhnlich die Sage wirklich; denn das Vorhaben ward nicht ausgeführt, es entstanden dadurch Unannehmlichkeiten, vielleicht auch Verluste, und siehe da, das Schwein war wirklich ein Unglücksverkünder gewesen. Auf diese Weise wurde denn der gute Mann, welcher sich so leicht von seinem Wege hatte zurückschrecken lassen, in seinem Wahn bestärkt, denn es ist bemerkenswert, dass in derlei Fällen auch sonst ziemlich vernünftige Menschen weder ruhig überlegen, noch über das Erlebte einigermaßen nachdenken, und namentlich geneigt sind, die Schuld eher allem Andern, als sich selber zuzuschreiben. Ich will gestehen, dass ich selbst eine Zeit lang einem Schwein nicht begegnen konnte, ohne einigermaßen verdrießlich zu werden; aus meiner Kindheit stammte ein Rest dieses Aberglaubens, wie er eben Kindern gar zu häufig von Müttern, Ammen und Wärterinnen bewusster und unbewusster Weise eingeprägt wird. Die in der Jugend empfangenen Eindrücke haften aber am festesten und längsten, und zu ihrer gründlichen Vertilgung gehört eben so viele Kenntnis als Willenskraft.

Den erwähnten Aberglauben auf sein Nichts zurückzuführen, ist übrigens ganz leicht. Ich wenigstens habe mich augenblicklich frei davon gemacht durch die Vorstellung, welche unglücklichen Menschen die Landwirte sein müssten, denen unfehlbar an jedem Morgen und außerdem noch gar oft im Laufe des Tages Schweine begegnen. Nun wird man mir freilich einwenden, dass die Bedeutung jener Sage nur dann gültig, wenn der Begegnende gerade auf einem wichtigen Gang begriffen sei. Allein ich frage noch einmal: Wie viel tausendmal begegnen dem Landmann, überhaupt dem Landbewohner, auch auf wichtigen Gängen Schweine, ohne dass dadurch der mindeste Einfluss auf den Ausgang seines Vorhabens Statt fände? Er kann dabei, mit und ohne Schweine, Glück und Unglück haben, jenachdem er selber darauf hingewirkt hat, denn: Der Mensch ist seines Glückes Schmied!


Dem guten Schafe hat man gerade die entgegengesetzte Bedeutung verliehen; seine Begegnung bringt entweder Glück oder verkündet dem Reisenden, dass er an seinem Ziele willkommen sein werde. Es braucht nicht vieler Worte, um auch das Falsche und Törichte eines solchen Glaubens nachzuweisen. Inzwischen ist derselbe doch wenigstens nicht schädlich, sondern im Gegenteil mit einer angenehmen Empfindung verknüpft. Woher es kommen mag, dass man gerade das durch geistige Vorzüge keineswegs ausgezeichnete Schaf zum Glücksverkünder erkoren hat, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich stammt diese Meinung gleichfalls aus alten heidnischen Zeiten, in welchen Schafe und Lämmer als ein ganz besonders wertvolles Opfer betrachtet wurden. Wenn sie wahr wäre, wie glücklich müsste dann jeder Schäfer sein, welchem allmorgendlich beim Öffnen des Stalles ein Paar hundert Schafe entgegenkommen!

Viel verbreitet ist auch der Glaube, dass es ein großes Unglück bedeute, wenn Einem ein Hase über den Weg laufe. Nun möchte ich in aller Welt wissen, was der Hase mit dem Schicksal des Menschen gemein habe und in welchem Bezug er zur Vorherverkündigung desselben stehe. Entspränge diese Gabe einer übernatürlichen Macht dieses Tieres, ei so dürfte kein Hase mehr verfolgt, geschossen und gebraten werden. Oder sollte der Hase vielleicht bloß zur Warnung vor entstehendem Unheil dienen? Wie aber wäre dann diese Warnung zu benutzen? Kurz, es ist Nichts leichter, als durch ruhiges folgerichtiges Nachdenken sich von dem Ungrund solchen willkürlichen Wahns zu überzeugen. Fragt doch einmal einen Jäger, wie sich die Sache mit dem Hasen verhalte. Er wird Euch antworten: „Wenn mir ein Hase über den Weg läuft, so bedeutet dies allerdings Unglück, aber nicht mir, sondern gewöhnlich dem Hasen!“ — Dagegen wird es sich der Jäger nicht nehmen lassen, dass das Begegnen eines alten Weibes ihm Unheil bringe, und dies wird in den meisten Fällen auch wirklich der Fall sein aus dem Grunde, weil bei der einmal vorgefassten Meinung der Jäger nach solcher Begegnung die Ruhe und Zuversicht verliert, deren er zu glücklichem Erfolg bedarf.

Überhaupt ist die Bemerkung zu machen, dass fast ein jeder Stand seinen eigenen, man möchte sagen, gewerblichen Aberglauben hat. Damit sind aber am Meisten diejenigen Erwerbszweige oder Beschäftigungen behaftet, welche großenteils vom Zufall abhängen, Jagd, Fischerei, Schifffahrt. Es gibt keine abergläubischeren Menschen als Jäger, Fischer und Schiffer, und zwar bloß aus dem Grunde, weil ihnen bei dem fortwährenden Verkehr mit der Natur mehr Erscheinungen als Anderen aufstoßen, welche sie sich bei mangelhafter Kenntnis derselben nicht richtig zu deuten wissen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Tierwelt und der Aberglaube