X. Höhe des Wasserstandes bei den Sturmfluten

Die Höhe der durch die Stürme an unsern Küsten erregten Fluten und Überschwemmungen ist in alten Chroniken, ja selbst noch in Überlieferungen aus dem vorigen Jahrhundert oft ins Ungeheuerliche übertrieben worden. Da liest man nicht selten von haus-, ja turmhohem Ansteigen der Wellen. Dieses kann nur im offenen Ozean vorkommen.

Leider mangeln uns für die älteren Fluten bis 1661 fast alle irgend brauchbaren Angaben, wonach man die Höhen verschiedener Fluten, oder die Höhen derselben Flut an verschiedenen Orten vergleichen könnte.


Für die Fluten von 1661–1825 lasse ich eine Tabelle folgen, welche Arends in seinem Gemälde der Sturmflut von 1825*) für Hamburg und Cuxhaven aufstellt. Die 11 ersten Angaben sind Outhoff*) entnommen, die folgenden sind von Woltmann im hannoverschen Magazin veröffentlicht.

*) Arends, Gemälde der Sturmfl. von 1825, Seite 17.
**) Outhoff, Verhaal, Seite 726.


Hiernach betrug die
Höhe der Flut über dem mittleren Wasserstande:

bei der Sturmflut von für Hamburg für Cuxhaven
1661 den 05. Januar 15’ 1“
1663 den 10. September 15’ 8“
1685 den 25. November 15’ 4“
1688 den 08. Oktober 14’ 4“
1693 den 31. Dezember 14’ 6“
1697 den 22. September 16’ ¾“
1699 den 10. November 14’ 0“
1701 den 17. Oktober 13’ 11“
1702 den 28. Februar 14’ 4“
1703 den 08. Dezember 15’ 2“
1715 den 04. März 15’ 6“
1717 den 25. März 16’ 6“
1736 den 24. November 16’ 0“
1745 den 15. November 14’ 2“
1751 den - - 16’ 11“
1756 den 08. Oktober 17’ 2“
1777 den 31. August 14’ 11“
1790 den 27. November 11’ 7“ 12’ 10 ½ “
1791 den 22. März 16’ 11 ½ “ 15’ 10 ½ “
1792 den 07. Dezember 13’ 7“ 13’ 5 ½ “
1792 den 11. Dezember 17’ 3“ 15’ 4 ½ “
1818 den 16. Januar 13’ 5“ 12’ 6 ½ “
1819 den 17. März 13’ 2“ 12’ 8 ½ “
1821 den 01. Dezember 13’ 1“ 13’ 3 ½ “
1822 den 11./12. März 12’ 11“ 12’ 5 ½ “
1823 den 04. März 12’ 09“ 12’ 3 ½ “
1823 den 05. Dezember 13’ 10“ 12’ 10 ½ “
1824 den 03. November 14’ 3“ 13’ 5 ½ “
1824 den 13. November 10’ 3“ 11’ 2½ “
1824 den 14. November 11’ 3“ 10’ 3 ½ “
1824 den 15. November 15’ 11“ 14’ 9 ½ “
1824 d. 26./27. Dezember 13’ 11“ 13’ 4 ½ “
1825 den 02./03. Januar 11’ 3“ 11’ 1 ½ “
1825 den 02./03. Februar 17’ 1“ 17’ 1 ½ “

Die Angaben von Arends beziehen sich auf den Wasserstand der ordinären Ebbe. Der Übereinstimmung wegen mit früheren Angaben habe ich dieselben auf den mittleren Wasserstand reduziert (d. h. auf das Mittel zwischen dem Stande der gewöhnlichen Ebbe und dem des Hochwassers); dies gibt uns zugleich ein deutlicheres Bild von der Einwirkung der Stürme, weil dann der Einfluss der Gezeiten eliminiert ist.

Arends rechnet den Unterschied zwischen dem Wasserstande der Hochflut und dem der ordinären Ebbe für Hamburg zu 6’ 6“, für Cuxhaven zu 9’ 9“. Beides stimmt bis auf einen halben Zoll mit den neueren, sorgfältigen Ermittlungen von Lentz *) überein. Auf Grund der von Arends gemachten Angaben habe ich die vorstehende Tabelle umgerechnet. Sämtliche darin enthaltenen Zahlenangaben sind danach für Hamburg 3’ 3“, für Cuxhaven 4’ 10 1/2 “ kleiner, als bei Arends.

*) Lentz gibt sie in seinem Werke über Flut und Ebbe des Meeres Seite 54 für Cuxhaven zu 9’ 9/2“, für Hamburg zu 6’ 6/2“ an.

Aus der Tabelle ergibt sich, dass sämtliche Fluten durchschnittlich für Hamburg eine Höhe von 14’ 5 2/3“, für Cuxhaven von 13’ 3“ über dem mittleren Wasserstande erreicht haben. Rechnet man, wie Arends vom tiefsten Stande der Ebbe an, so würden sämtliche Zahlen für Cuxhaven die von Hamburg übertreffen, da die Flutwelle der Gezeiten für Cuxhaven 3’ 3“ höher steigt als in Hamburg. Eine Vergleichung unserer mit der von Arends aufgestellten Tabelle zeigt dies deutlich.

Die von uns aufgestellten Angaben über die Höhen des Wasserstandes in den Sturmfluten stimmen mit den von Lentz veröffentlichten Angaben auffallend überein. *)

Nach allem diesen dürften nur wenige Fluten die Höhe von 13 – 14’ über dem mittleren Wasserstande erreicht, geschweige denn irgend erheblich überschritten haben. Dies gilt natürlich nur für unsere Küsten. Im offenen Meere entwickeln sich höhere Wellen, so hat man bei der Sturmflut von 1825 solche von 20 Fuß gemessen.

Die Höhe der Flut muss an den einzelnen Punkten unserer Küste verschieden sein. Nach den früheren Untersuchungen entsteht nur eine mäßige Anschwellung des Wassers, wenn der Wind geringere Ausdehnung besitzt und nicht lange anhält. Dann kann eben das emporgetriebene Wasser allseitig abfließen. Wirkt dagegen der Sturm längere Zeit auf eine weite Wasserfläche, so steigen die Wellen allmählich immer höher. Noch schlimmer, wenn dabei die Wassermassen gegen eine sich verengende Bucht getrieben werden. Dieser Fall tritt in der Nordsee ein bei NW.-Stürmen. Dann müssen die Wassermassen namentlich in der südöstlichen Bucht vor der Weser und Elbe am meisten anschwellen. Durch die Erfahrung wird dies vollkommen bestätigt. Die Flut vom 3./4. Februar 1825 übertraf in Cuxhaven den mittleren Wasserstand um 17’ ½ “, am Helder aber nur um 12 Fuß 9 ½ Zoll (Hamburger Maß). Sie blieb also dort um 4 Fuß 4 Zoll niedriger, als vor der Elbe, auch war sie in Emden nicht ganz so hoch, als in Cuxhaven. In London überstiegen während eines anderthalbjährigen Zeitraums die höchsten Abweichungen die Hochwasserhöhe um 5 Fuß, in Liverpool dagegen um 7 Fuß. Dies Alles ist durch die geographische Lage der erwähnten Punkte sofort erklärlich. *) Leider mangeln uns, wie schon erwähnt, für die meisten Sturmfluten sichere Angaben über die Fluthöhen an den verschiedenen Küstenpunkten.

*) Vgl. Lentz, Flut und Ebbe des Meeres, Seite 76, 77.

Höchst interessant ist folgende nach Angaben von Arends zusammengestellte Tabelle über die Höhe der Flut von 1825. Sie betrug

Für Norden 16’ 0“ über dem mittleren Wasserstande,
in der Jahde 18’ 0“ über dem mittleren Wasserstande,
in der Geeste 17’ 4“ über dem mittleren Wasserstande,
in Cuxhaven 17’ 1 ½“ über dem mittleren Wasserstande,
in Brunsbüttel 16’ 11“ über dem mittleren Wasserstande,
in Emden 16’ 11“ über dem mittleren Wasserstande,
in Brake 17’ 6“ über dem mittleren Wasserstande,
in Glückstadt 16’ 11“ über dem mittleren Wasserstande,
in Stade 17’ 4 ½“ über dem mittleren Wasserstande,
in Harburg 16’ 0“ über dem mittleren Wasserstande,
in Hamburg 17’ 1“ über dem mittleren Wasserstande.

Auch die in dieser Tabelle aufgestellten Zahlen erklären sich leicht aus der geographischen Lage der einzelnen Orte, sowie aus dem von uns theoretisch dargelegten Verlauf der Meereswellen an der Küste. Die Übersicht zeigt, dass die Flut um so höher stieg, je weiter die einzelnen Orte nach Osten lagen. Die Stadt Norden liegt im äußersten Winkel eines kleinen Busens, daher stieg dort die Flut höher, als an der nördlichen Seeküste Ostfrieslands. Die Jahde liegt weiter von der See entfernt und hat eine enge Öffnung, darum musste dort die Flut eine so ungewöhnliche Höhe erreichen. Auch die Seite 53 aufgeführte Tabelle der Höhen der Sturmfluten von 1661–1825 zeigt, dass dieselben in Hamburg durchschnittlich 1’ 1 2/3“ höher stiegen als in Cuxhaven. Merkwürdiger Weise stimmt diese Zahl auffallend mit der von Lentz aus ganz andern Beobachtungen abgeleiteten Größe dieses Unterschiedes überein. Er gibt dieselbe zu 1 1/2“ an. *) Man sieht hieraus, mit welcher Sorgfalt unser Arends sein Material gesammelt haben muss.

*) Vgl. hierzu Lentz, Flut und Ebbe des Meeres, Seite 69.
Die höchste Erhebung des Wassers tritt f?r verschiedene Orte unserer Küste ebenfalls zu verschiedenen Zeiten ein, gewöhnlich fällt sie mit dem Hochwasser zusammen. Dies lässt sich für mehrere Sturmfluten sicher nachweisen.

Wenn einzelne Sturmfluten bestimmte Küstendistrikte vorzugsweise hart mitgenommen haben, so kommt dies daher, dass die sie veranlassenden Stürme von mehr lokaler Ausdehnung und kürzerer Dauer, gerade an diesen Stellen ihr Maximum erreichten und zugleich mit dem Maximum des Hochwassers zusammentrafen.

Ältere Schriftsteller, selbst der vortreffliche Arends, halten es nicht für unwahrscheinlich, dass bei einigen Sturmfluten vulkanische Kräfte mitgewirkt haben. Ich glaube, dass sich alle verbürgten Erscheinungen durch Orkane hinreichend erklären lassen; wir haben daher nicht nötig, plötzliche, für unser Nordseegebiet unwahrscheinliche Schwankungen resp. Hebungen des Meeresbodens als Hypothese für die Erklärung der furchtbaren Verheerungen der Sturmfluten mit heranzuziehen; mir will es vorkommen, als ob diese Erderschütterungen nur in der Phantasie der aufgeregten Gemüter existiert haben.

*) Lentz, Flut und Ebbe des Meeres, Seite 76.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sturmfluten in der Nordsee *)