IX. Einwirkung der Gezeiten auf die Sturmfluten

Gehen wir nun zu der Frage über: welchen Anteil hat die Wasserbewegung der Gezeiten an der Erzeugung der Sturmfluten? Die durch sie erregte Anschwellung des Wassers ist, wie oben angegeben, zur Zeit des Neu- und Vollmondes am größten; die dann entstehenden Springfluten übertreffen die im ersten und letzten Viertel auftretenden Nippfluten bedeutend an Höhe.

Leider habe ich bei allen von mir untersuchten Sturmfluten bis zum Jahre 1790 nur in 12 Fällen die Angabe der Mondkonstellation gefunden. Von diesen 12 Fluten sind 11 bei Neu- oder Vollmond eingetreten, nur eine, die von mir skizzierte Flut des Jahres 1717, zur Zeit des letzten Viertels. Diese Zahlen scheinen mir wenig Zutrauen zu verdienen, Betrachten wir nämlich im Gegensatz zu denselben die von 1790–1825 angegebenen 17 Fluten, so sind nach zuverlässigen Hamburger und Cuxhavener Beobachtungen*) von diesen nur 7 von Springfluten, 10 dagegen von Nippfluten begleitet gewesen.


Zum Beleg für das eben Angegebene folgt hier eine Übersicht der Mondkonstellationen bei verschiedenen Sturmfluten: Sturmflut vom Mondkonstellation:

24. Februar 1221 | Neumond.
18. Sept. 1221 | Neumond.
25. November 1516 | Neu- oder Vollmond (wird als Springflut angegeben).
1. November 1570 | Neumond.
15. Aug. 1597 Vollmond.
7./8. März 1625 | Neumond.
11. Oktober 1634 | Neumond.
22. Februar 1651 | Neu- oder Vollmond (wird als Springflut angegeben).
1. Oktober 1714 | Vollmond.
24./25. Dezember 1717 | letztes Viertel (und tiefe Ebbe).
26. Mai 1719 | Neumond.
11. Sept. 1751 | (2 Stunden vor Hochwasser).
27. Nov. 1790 | fast Vollmond (Mond in Mitteldistanz von der Erde).
22. März 1791 | Vollmond (Mond in Erdnähe).
7. Dezember 1792 | Neumond (Mond in Erdnähe).
11. Dezember 1792 | erstes Viertel (Mond in Mitteldistanz).
16. Jan. 1818 | erstes Viertel (Mond in Erdferne).
17. März 1819 | letztes Viertel (Mond in Erdnähe).
1. Dezember 1821 | erstes Viertel (Mond in Erdnähe).
11./12. März 1822 | letztes Viertel (Mond in Erdferne).
4. März 1823 | letztes Viertel (Mond in Erdferne).
5. Dezember 1823 | 3 Tage nach Neumond (Mond in Erdferne).
3. November 1824 | 3 Tage vor Vollmond (Mond in Erdferne).
13. November 1824 | letztes Viertel (Mond in Erdnähe).
14. November 1824 | letztes Viertel (Mond in Erdnähe).
15. November 1824 | letztes Viertel (Mond in Erdnähe).
26./27. Dezember 1824 | erstes Viertel (Mond in Erdferne).
2./3. Januar 1825 | 2 Tage vor Vollmond (Mond in Mitteldistanz).
3./4. Februar 1825 | 2 Tage vor Vollmond (Mond in Erdnähe).

Außerdem werden noch 2 Fluten von 1806 und 1817 als bei Vollmond eingetreten erwähnt. Die ersten Überströmungen der Deiche, welche man gewöhnlich als den Anfang der Sturmfluten ansah, erfolgten in der Regel bei Hochwasser. Doch sind auch nicht wenige verzeichnet, welche mehrere Stunden vor Hochwasser oder nach demselben, ja einige sogar, welche bei tiefster Ebbe eingetreten sind. So die schwere Flut des Jahres 1717. Aus allem diesen schließe ich, dass die Flut der Gezeiten einen zwar bedeutenden, aber mehr unterstützen den Einfluss auf die Höhe der Sturmfluten ausgeübt hat. Die Hauptursache dieser traurigen Naturereignisse liegt in den Orkanen. Es stimmt dies vollständig mit den früheren theoretischen Entwicklungen überein, wonach ja die Anschwellung des Meeres in den Gezeiten eine allmähliche, langsame ist.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sturmfluten in der Nordsee *)