Der Schulze und der Stadtvogt

Der Schulze und der Stadtvogt leiteten Anfangs in Gemeinschaft mit dem aus der Bürgerschaft gewählten Rat die ganze Verwaltung der Stadt, wie auch im Namen des Obervogts die Gerichtsverhandlungen, zunächst wohl nur die der niedern Gerichtsbarkeit, während die Handhabung des Blutbanns dem Obervogt allein vorbehalten blieb. Es war aber das unausgesetzte Bestreben der Städte, sich von der fürstlichen Einwirkung in ihren inneren Angelegenheiten los zu machen. Dies suchten sie auf zwiefachem Wege herbeizuführen, indem sie sowohl bei Bestellung der Stadtvögte oder Schulzen die fürstliche Willkür beschränkten, als auch die städtische Verwaltung den Händen jener Beamten entzogen. In dieser Hinsicht war es namentlich den Städten mit Magdeburger Recht bequem, dass das Amt des Schulzen in der Regel an Bürger erblich verliehen wurde. So scheint das Schulzenamt in Stettin schon bald nach ihrer Bewidmung mit Stadtrecht an die Familie von Barfuß gekommen zu sein. Prenzlau ließ sich 1282 von den Markgrafen Otto und Conrad ausdrücklich verbürgen, dass das Schulzenamt immer einem Erb- und Lehnschulzen übertragen bliebe, und dass weder die Markgrafen noch ihre Vasallen es ankaufen oder erwerben dürften*). Auch in den Städten Lübischen Rechts findet sich bisweilen das Institut der Erbvögte, besonders den ersten Besetzern der kleineren Städte wurde dies Amt oft erblich übertragen. In den größeren Städten aber suchte man der fürstlichen Gewalt dadurch entgegen zu wirken, dass der Rat auf die Besetzung der Stadtvögte Einfluss gewann. Seit dem Jahr 1319 durfte in Stralsund kein Stadtvogt mehr bestellt werden, über dessen Person sich nicht zuvor der Obervogt mit dem Rat geeinigt hatte. Dasselbe Recht erhielt Treptow a. R. schon 1287, Stargard 1292**). 1322 erwarb Greifswald das Recht, dass der Rat ganz allein den Stadtvogt ein- und absetzen durfte. Mehr aber erlangten die Städte dadurch, dass sie allmählich die Verwaltung der Hand des Stadtvogts oder Schulzen entzogen. Er verlor damit den Vorsitz im Ratskollegium, und an seine Stelle traten einige Personen des Rats selber, welche nun als Vorsteher desselben den Titel der Bürgermeister (proconsules) erhielten. In den Städten mit Lübischem Recht treten die Ratsbürgermeister früher hervor, als in den Städten mit Magdeburger Recht. Während zu Stralsund schon 1293, und zu Greifswald 1303 proconsules genannt werden, finden wir solche in Stettin erst seit 1344 erwähnt.

Dem Stadtvogt oder Schultheiß blieb fortan nur die Verwaltung der Gerichtsbarkeit, wobei ihm in den Städten mit Lübischem Recht zwei Ratmänner, in den Städten mit Magdeburger Recht ein besonderes Schöffenkollegium zur Seite stand. Allmählich verschmolzen freilich auch hier Schöffen- und Ratskollegium, sodass die Schöffenbank aus der Mitte des Raths besetzt wurde. 1503 schaffte in Stettin Herzog Bogislaw X. diesen Usus als einen Missbrauch ab, schloss die Ratspersonen von der Schöffenbank aus, und ließ die elf Schöffen aus der Mitte der Alterleute der Kaufmannschaft und der Gewerke erwählen. Nachdem auf jene Weise der Stadtvogt oder Schulze zu einem bloßen Richtvogt herabgesunken war, der, selbst ein Bürger der Stadt, Bürger zu Beisitzern hatte, war das städtische Gericht, wenn auch fortwährend noch im Namen des Landesherrn gehandhabt und zum Nutzen seiner Einkünfte, da ihm aus den Gerichtsgefällen der größere Teil, gewöhnlich zwei Drittel, zukam, verwaltet, doch recht eigentlich ein Stadtgericht geworden, dessen Kompetenz es nunmehr weiter auszudehnen galt. Schon früh scheint die Handhabung des Blutbanns durch den Obervogt aufgehört, und das Stadtgericht die volle Gerichtsgewalt in sich vereinigt zu haben. In manchen Stadtprivilegien kehrt die Formel wieder, dass alle Exzesse oder Verbrechen, die in der Stadt oder dem Stadtgebiet begangen wären, allein durch den Schulzen oder Vogt gerichtet werden durften. Hierzu kam bald das jus de non evocando, das Recht, dass kein Bürger vor einem andern Forum als vor seinem eigenen Stadtgericht verklagt werden durfte, es sei denn, er wäre auf frischer Tat ergriffen. Sogar die Begünstigung erwarben, obwohl nicht alle, doch manche Städte, dass in Schuldsachen und andern Prozessen zivilrechtlicher Natur, die zwischen Bürgern einerseits und Vasallen oder Bauern andrerseits schwebten, die Vasallen und Bauern nicht bloß als Kläger sondern auch als Verklagte vor dem Stadtgericht erscheinen mussten. Dabei ging die Appellation in allen Sachen von dem Stadtgericht an das Gericht der Mutterstadt, in höchster Instanz nach Lübeck oder Magdeburg. Auf solche Weise wurde eins der wichtigsten Regalien in den Städten den Händen der Landesherren entzogen. Erst Bogislaw X. und seine Nachfolger machten große Anstrengungen, dasselbe wieder zu gewinnen, und zwangen die Städte endlich, die Appellation von dem Stadtgericht an das herzogliche Hofgericht zuzulassen.


*) Riedel, Cod. I, 21, p. 94. — 2) Da Stargard sein Lübisches Recht nach dem Muster von Anklam erhielt, so liegt implicite darin, dass jene Beschränkung bei der Wahl des Stadtvogts auch bereits in Anklam üblich war. Man muss aber voraussetzen, dass die wichtigeren Städte Stralsund und Greifswald darin nicht zurückgestanden haben können, wenn dies Recht auch erst später bei ihnen urkundlich hervortritt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Städte der Provinz Pommern