Drittes Kapitel

Nachdem im Obigen die Spuren des Brautraubes und Brautkaufes, welch letzterer gewöhnlich in der Form des Dienens um die Braut nachgewiesen ist, einer eingehenden Betrachtung unterzogen sind, möge daran noch eine Erörterung geknüpft werden, welche zwar nicht direkt zum Thema gehört, aber doch im Anschluss an die angeführten Beispiele sich fast von selbst ergibt. In sehr vielen von den erwähnten Fällen, wo ein Ritter sich auf die Hand einer Dame durch Besiegung ihres Vaters oder Gatten, durch Erfüllung einer gestellten Aufgabe, durch Sieg im Turnier, endlich durch die der Jungfrau oder ihrem Gewalthaber geleistete Hülfe Anspruch erworben hat, lässt sich die Beobachtung machen, dass der Ritter sein Weib nicht in seinen Rittersitz mit sich führt, sondern dass er selber mit seiner Gattin zugleich ihr Besitztum — in der Dichtung gewöhnlich ein Königreich — sich erheiratet. Das Auffällige dabei ist, dass stets mit großer Selbstverständlichkeit angenommen wird, dass die Königstochter das Recht hat, selber über die Herrschaft zu verfügen, sie auch nach ihrem Belieben auf ihren Gatten zu übertragen. Der nächstliegende Gedanke ist doch der, es müsse die Herrschaft zunächst auf den Sohn des Königs übergehen. Das findet sich aber in den altfranzösischen Gedichten äußerst selten. Gewöhnlich ist nur von einer Erbprinzessin oder von einer verwitweten Königin die Rede, mit deren Hand zugleich das Reich vergeben wird. Dieses geflissentliche Fehlen eines männlichen Erben ist nun doch wohl nicht allein darauf zurückzuführen, dass es dem Trouvère Gelegenheit gab, seinen Helden zu immer höheren Ehren emporsteigen zu lassen. Wenn man bedenkt, dass in jenen Dichtungen die meisten Züge auf alter Volksüberlieferung beruhten und von den Trouvères nur in ein zusammenhängendes Ganzes gebracht wurden, so wird man sofort davon absehen müssen, der erwähnten Erscheinung einen so äußerlichen Grund unterzuschieben. Wenn aber das Volk in seinen uralten Sagen und Märchen schon dieselbe Neigung hatte, vom männlichen Erben grundsätzlich abzusehen, so darf man wohl annehmen, dass es dies in der unbewussten Nachwirkung einer früher allgemeinen Auffassung tat, welche überhaupt die Frau als Mittelpunkt und Haupt der Familie ansah. Dieses System, welches man mit dem Namen „Mutterrecht“ bezeichnet, steht im direkten Gegensatz zu unserer modernen, patriarchalischen Familienverfassung. Man hat nachgewiesen, dass das Mutterrecht bei allen Völkern einmal geherrscht haben muss. *) Wesentlich ist beim Mutterrecht, dass die Kinder einer Mutter unter sich und zur Mutter im nächsten Verwandtschaftsverhältnis stehen, nicht aber zum Vater, der bei so herrschendem Recht überhaupt nie Familienhaupt wird, sondern auch nach seiner Verheiratung nur Mitglied der Familie seiner eigenen Mutter bleibt. Eine Folge der mutterrechtlichen Anschauung war nun aber auch, dass die Töchter vielfach im Erbrecht vor den Söhnen bevorzugt wurden. Dieser Zug mag sich nun in der erwähnten, so häufigen Erscheinung erhalten haben. In den von mir als Spuren der Raub- oder Kaufehe angeführten Beispielen findet sich mehr als zwanzigmal ausdrücklich bemerkt, dass die Königin oder Königstochter dem glücklichen Bewerber mit ihrer Person zugleich ihr Land zubringt. An vier Stellen folgt der Ritter, der durch Besiegung des Vaters sich die Tochter erwirbt, jenem in der Herrschaft. Dreimal wird der Mörder des Gatten dessen Nachfolger in der Ehe und auch in der Regierung

*) Für die alte Welt beweist dies Bachofen, Das Mutterrecht (Stuttgart 1861); für alle Völker Dargun a. a. O, S. 4 ff, für die germanischen Völker speziell S. 21 ff. ; vgl. v. Wlislocki, Vom wandernden Zigeunervolk (Hamburg 1890), S. 63 ff., wo das Mutterrecht auch bei den Zigeunern nachgewiesen wird.


Noch häufiger findet sich dieser Zug beim Erdienen der Braut. Mit der Hand der Dame erwirbt sich der Ritter zugleich Anrecht auf ihr Besitztum, nachdem er entweder im Turnier gesiegt (viermal) oder eine gestellte Aufgabe gelöst (zweimal) oder endlich dem Gewalthaber der Jungfrau (siebenmal) oder ihr selber (viermal) einen wichtigen Dienst geleistet hat. Mit größerer Sicherheit könnte man diese Erscheinung auf das Mutterrecht zurückführen, wenn ein Fall vorläge, wo trotz des Vorhandenseins männlicher Nachkommen weibliche Erbfolge stattfände. Immerhin geht man wohl nicht fehl, wenn man die in diesen Dichtungen hervortretende Neigung, männliche Erben zu ignorieren, als eine — vielleicht unbewusste — Forderung des früher geltenden Mutterrechtes ansieht.
043 Landsknechtslager

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044 Kriegsrat vor belagerter Stadt

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045 Bauernkrieg

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046 Hirschjagd

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047 Kinderspiel (Turnier)

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048 Schembartläufer

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Edelfrau in der Hansezeit

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