Die Spuren des Brautraubes, Brautkaufes und ähnlicher Verhältnisse in den französischen Epen des Mittelalters.

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der hohen philosophischen Fakultät der Universität Rostock vorgelegt von
Autor: Schulenburg Emil (Rostock.), Erscheinungsjahr: 1894

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mittelalter, Ritterromane, Frankreich, England, Niederlande, Artussage, Volksleben, Sagen, Rittertum, Ritter, Prüfungen, Turniere, Drachen, König, Königin, Brautpreis, Brautkauf, Literatur, Brautraub
Zu der vorliegenden Arbeit bin ich durch Herrn Professor Dr. Bernhöfts Schrift „Frauenleben in der Vorzeit“ (Wismar 1893) *) veranlasst worden, in welcher der Verfasser auch dem Brautraub und Brautkauf die ihnen gebührende Stellung anweist. Herr Professor Dr. Lindner regte in mir den in der vorliegenden Abhandlung zur Ausführung gebrachten Gedanken an, die altfranzösischen Epen unter dem Gesichtspunkte des Brautraubes und Brautkaufes durchzusuchen und alles, was auf ein Lebendigsein jener Anschauungen dort hindeutete, zusammenzustellen. Da mir Handschriften nicht zu Gebote standen, musste ich die noch ziemlich beträchtliche Menge unedierter Epen unberücksichtigt lassen, soweit sie nicht in der Histoire litteraire de la France oder anderweitig wenigstens in genauer Inhaltsangabe vorlagen. Auch war ich durch die Verhältnisse der hiesigen Universitäts-Bibliothek etwas behindert, so dass ich auch schon edierte Dichtungen mitunter nur nach der Hist. litt, zitieren konnte. Nicht unwesentliche Hilfe hat mir die Berliner Königl. Bibliothek geleistet, welche mir mit der größten Bereitwilligkeit mehrere mir sonst unzugängliche Werke überlassen hat. Dass ich bei Zitaten nicht stets die neuesten Ausgaben anführe, hat gleichfalls die Ursache, dass dieselben mir nicht immer vorlagen; auch war für den speziellen Zweck meiner Arbeit, bei welcher es lediglich auf den Inhalt der Epen ankommt, ein kritischer Text nicht erforderlich. In einzelnen Fällen ist auf englische oder deutsche Epen verwiesen worden, falls dieselben mit Sicherheit auf französischer Quelle beruhen.

Der Ausdruck „Braut“ ist überall im weitesten, ursprünglichen Sinne gebraucht, so dass z. B. auch gewaltsame Entführung der Frau eines Andern unter Brautraub verstanden wird.

Bemerkt sei endlich, dass ich, um den ohnehin reichlichen Stoff nicht übermäßig auszudehnen, die altfranzösischen Prosaromane habe unberücksichtigt lassen müssen.

*) Vgl. Litt-Blatt für germanische und romanische Philologie, 1894, S. 128.
Einleitung.

Man hat sich neuerdings in juristischen Kreisen vielfach mit dem Brautraub und Brautkauf beschäftigt *) jenen Formen des Eheschlusses, welche nachweislich alle Völker der Erde einmal durchgemacht haben bzw. noch durchmachen, bevor sie zu der jetzt in Kulturstaaten üblichen Form gelangen. Die halbkultivierten Staaten Asiens stehen heute noch fast durchweg auf dem Standpunkt des Brautkaufes. Bei den ganz rohen Völkern Australiens, Neu-Guineas, Südamerikas herrschen oder herrschten, bis sich der Einfluss der Europäer fühlbar machte, noch ganz die Anschauungen des Brautraubes in seiner ursprünglichen Form. **) Auch bei fast allen arischen Völkern, besonders bei den Slaven, lässt sich das einstige Vorhandensein der Raub ehe entweder durch uns erhaltene mittelalterliche Rechtsbestimmungen oder an noch vorhandenen Hochzeitsgebräuchen, an denen in manchen Gegenden das Landvolk mit großer Zähigkeit festhält, nachweisen.***)

*) Unter andern: J. Kohler, Studien Aber Frauengemeinschaft, Frauenraub und Frauenkauf, Zeitschr. f. vgl. Rechtswiss., Bd. V, 1884, S. 334 ff.
J. Kohler, Frauenerwerbung und Frauenraub im finnischen Heldenepos, Zeitschr. f. vgl. Rechtswiss., Bd. VI, S. 277 ff.
Bernhöft, Die Prinzipien des europäischen Familienrechts, Zeitschr. f. vgl. Rechtswiss., Bd. IX, 1891, S. 392, ff.
Lothar Dargun, Mutterrecht und Raubehe, Breslau 1883, Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. XVI.
M. Kulischer, Interkommunale Ehe durch Raub und Kauf, Zeitschr. f. Ethnologie, Bd. 10, 1878, S. 193—226.
Weinhold, Die deutschen Frauen, Wien 1882, Bd. I, S. 308 ff.
**) Dargun a. a. O. S. 80 ff.
***) Ibid. S. 92 sf.


Einen dritten Anhaltspunkt endlich bieten die älteren literarischen Erzeugnisse, welche, da sie das Leben und Denken des Volkes wiederspiegeln, für uns oft zu Quellen für seine Auffassung der Ehe werden können. Nur muss man bei der Schlussfolgerung aus literarischen Nachweisen vorsichtiger zu Werke gehen als bei Sitten, welche das Volksleben direkt bewahrt hat, oder bei Gesetzen, die mit historischer Treue überliefert sind. Kaum ein Gebiet des geistigen Lebens ist äußeren Einwirkungen so ausgesetzt wie die Literatur, und man muss deswegen erst, soweit es möglich ist, den Ursprung der betreffenden Dichtung erforschen, bevor man auf einen im Volke wurzelnden Gebrauch schließen darf. In Frankreich, wie überhaupt in den romanischen Ländern, scheinen nun die Nachweise für die Form der Eheschließung aus der Literatur deswegen von umso größerer Bedeutung zu sein, als sich andere Anhaltspunkte dafür weit weniger wie bei Slaven und Germanen finden. Bei den Spuren von Brautraub und Brautkauf, auf welche wir in Gedichten von rein französischem Ursprung stoßen, lässt sich nun freilich nur selten mit Sicherheit entscheiden, ob sie auf keltische, romanische oder germanische Herkunft zurückweisen. Denn in jener Blütezeit des altfranzösischen Epos sind die Franzosen schon zu sehr Einheitsvolk, als dass sich in ihren Anschauungen stets bestimmte Spuren eines jener drei Hauptelemente nachweisen ließen. Andererseits macht sich, wie überall, auch in Frankreich der Einfluss fremder Literaturen und damit auch fremder Anschauungen geltend, in der altfranzösischen Periode besonders vom Orient her, sowie von den armorikanischen Kelten. Jedenfalls sind jedoch die mannigfachen, uns in jenen Dichtungen entgegentretenden Belege wohl geeignet, uns die Gewissheit zu geben, dass auf dem Boden des heutigen Frankreich Brautraub und Brautkauf ebenso geherrscht haben, wie anderswo.

Die weit überwiegende Mehrheit der in Frage kommenden altfranzösischen Epen stammt aus der Blütezeit der mittelalterlichen Literatur, die bekanntlich mit der höchsten Entfaltung des höfischen Wesens Hand in Hand ging. Man kann es vom Standpunkte der vorzunehmenden Untersuchung als ein Glück bezeichnen, dass gerade die Glanzperiode des Rittertums aus der Mitte des Volkes heraus durch so mannigfaltige Stimmen verherrlicht worden ist. Hätten wir zu dieser Zeit einen Niedergang der Literatur in Frankreich zu verzeichnen, und würde die Blüte etwa zwei Jahrhunderte früher eingetreten sein, so würden wir wahrscheinlich für unsern Zweck weit weniger Beweismaterial schöpfen können. Denn es ist keine Frage, dass gerade das Rittertum auf das Verhältnis von Mann und Frau einen entscheidenden Einfluss ausgeübt hat, und zwar in der Weise, dass es die alten Anschauungen vom Brautraub und in gewisser Beziehung vom Brautkauf wieder zur Geltung brachte. Wenn die Hypothese, dass der Ritterstand größtenteils aus früheren Hörigen, also den Nachkommen der Urbevölkerung, hervorgegangen sei, richtig ist, so würde das gleichzeitige Wiedererwachen der alten Ideen eine leichte, ansprechende Erklärung finden. Doch muss das wohl einstweilen dahingestellt bleiben.

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

001 Goldschmiedewerkstatt

001 Goldschmiedewerkstatt

002 Enge Gasse

002 Enge Gasse

003 Steinmetzen

003 Steinmetzen

004 Glockengießer

004 Glockengießer

005 Wundarzt

005 Wundarzt

006 Fahrendes Volk

006 Fahrendes Volk

007 Rathausplatz

007 Rathausplatz