Viertes Kapitel
Schon bei flüchtigem Überblicken der im Laufe der Untersuchung herangezogenen Beispiele wird man die Beobachtung machen, dass dieselben sich fast sämtlich in die drei Kategorieen einordnen lassen, die beim altfranzösischen Epos überhaupt in erster Linie zu unterscheiden sind. Diese drei Hauptgruppen sind:
1) Chansons de Geste, d. h. Dichtungen, deren — freilich sehr oft ins Sagenhafte gehüllter — Ursprung in der französischen Geschichte liegt.
2) Die sogenannten bretonischen Romane, die meistens mit der Sage von Artus verknüpft sind.
3) Die Epen griechischen, d. h. byzantinischen Ursprungs.
Im Allgemeinen kann man nun annehmen, dass die Chansons de Geste die ureigenen Anschauungen und Empfindungen des französischen Volks, wie sie durch die großen Ereignisse der ersten Karolingerzeit eingewurzelt waren, widerspiegeln. *) Ebenso geht man wohl nicht fehl, wenn man die Romane byzantinischen Ursprungs als wesentlich orientalischen Charakters und als ihrem Inhalt nach im Allgemeinen frei von anderweitigen Einflüssen, wenn nicht etwa dem französischen, ansieht. Am schwierigsten erscheint die Frage nach dem Ursprung der „bretonischen Romane“. Die Ansicht, „dass die Franzosen die Artusromane mit Haut und Haaren von den Kelten übernommen haben“, ist beweisend widerlegt worden. Derselbe Gelehrte stellt dann die Behauptung auf, die Artusgedichte enthielten, abgesehen von dem äußeren Aufputz, überhaupt nichts Keltisches, seien vielmehr nichts anderes, als Chansons de Geste, welche von den Jongleurs nur mit der damals modernen Staffage der phantastischen keltischen Sagen geziert worden seien. Nun zeigt sich aber zwischen den Chansons de Geste und den bretonischen Romanen in der Auffassung des Brautdienstes durchweg eine derartige Verschiedenheit, wie sie in Dichtungsgattungen, von denen die eine genau der anderen nachgebildet sein soll, unmöglich hervortreten kann.
*) Abgesehen von einzelnen jüngeren Chansons, die fremdartige Stoffe behandeln und durch die Volkssänger (jogleors) nur aus praktischen Rücksichten in den Rahmen der Chansons de Geste eingefügt sind (so Jourdain de Blaie; Florent et Octavian; Florence de Korne, cf. G. Paris, La litt, franc. au moyen âge, Paris 1890, § 27).
Gerade die Stellung von wunderbaren Aufgaben, welche stets auf noch wunderbarere Weise erfüllt werden, harmoniert mit dem Inhalt der echt keltischen Lais vollkommen, während die Chansons de Geste nichts Ähnliches bieten. Liegt da nicht die Vermutung sehr nahe, dass wenigstens diese betreffenden Stellen in den bretonischen Romanen wirklich keltischen Ursprungs sind? So lange indessen das Dunkel, welches diese Frage umhüllt, nicht gänzlich gelichtet ist, wird man hier über eine, wenn auch meines Erachtens recht annehmbare Vermutung nicht hinauskommen. Immerhin werden wir im Folgenden zwischen den sicher auf keltischem Boden erwachsenen Lais und den — möglicherweise mit keltischen Bestandteilen durchsetzten — sogenannten Artusromanen unterscheiden müssen.*)
*) Nur sehr wenige der angeführten Beispiele entstammen Dichtungen, die sich nicht einem der drei Hauptgebiete anschließen, so der kleine, auf reiner Erfindung beruhende Roman Gautier d'Aupais.
Man halte es mir zugute, wenn ich in der folgenden Übersicht vielfach der Kürze halber den Ausdruck „bretonische Dichtung“ gebrauche. Wenn Foersters — bisher noch nicht widerlegte — Ansicht richtig ist, ist der Ausdruck „bretonische Dichtungen“ für echt französische Romane, die sich nur mit einigen sehr oberflächlichen bretonischen Federn geschmückt hätten, natürlich unzulässig; aber selbst wenn, wie ich glaube, die aus der Bretagne entlehnten keltischen Bestandteile zahlreicher und gewichtiger sind, ist jener Ausdruck recht gewagt und von mir nur angewandt, weil er der kürzeste ist, und weil man wenigstens nicht zweifelhaft sein kann, was damit gemeint ist.
Wir wollen nun kurz zusammenstellen, wie die einzelnen Erscheinungen des Brautraubes und Brautkaufes sich auf die drei Dichtungsgattungen verteilen.
Der Brautraub ist trotz mancher Schwankungen im Einzelnen auf die drei Gebiete ziemlich gleichmäßig ausgedehnt. *)
Auffallend ist zunächst, dass die Anwendung von List, gewöhnlich in Gestalt freiwilliger Entführung, sich vorwiegend in Romanen byzantinischen Ursprungs findet, weniger häufig in Chansons de Geste und gar nicht in Artusromanen. **)
*) Brautraub im eigentlichen Sinne in zwei bretonischen Romanen (Gefahrvoller Kirchhof; Erec), in einer Chanson de Geste (Aye d'Avignon). — Erpressung besonders in Chansons de Geste (Aye d'Avignon; Elie de St Gille; Doon de Mayence; Florent et Octavian; Florence de Rome, wovon die beiden letzten nicht französischen, sondern vielleicht orientalischen Ursprungs sind); doch auch in bretonischen Dichtungen (Chevalier as deus espees; Lais de Gugemer und d'Eliduc. welche beide keltischer Herkunft sind endlich in den Romanen Athis und Porphirias, Guillaume de Palerme, welchen orientalische Quellen zu Grunde liegen (vgl. G. Paris a. a. O. § 51).
**) Anwendung von List in Romanen byzantinischen Ursprungs (Cléomades, Méliacin, Guillaume de Palerme, Florient et Florete, Floris und Liriope); nur in zwei Chansons de Geste (Aiol und Florent et Octavian, von denen das letztere aber seiner ganzen Handlung, wie auch dem Schauplatz nach sich mehr den orientalischen Stoffen zu nähern scheint).
Dagegen findet sich der Vorgang, dass ein Ritter die Hand einer Frau gewinnt nach Besiegung ihres Vaters, Gatten oder Verlobten gar nicht in den Dichtungen orientalischer Herkunft, verhältnismäßig selten in Chansons de Geste, häufig aber in bretonischen Dichtungen. *)
Die wenigen Beispiele von eigentlichem Brautkauf finden sich nur in zwei, inhaltlich sehr ähnlichen Epen orientalischen Ursprungs und in einer Chanson de Geste, während eine andere Chanson de Geste, wie wir gesehen haben, ein Beispiel liefert, das auf deutliche Abneigung gegen die Anschauung des Brautkaufes schließen lässt. **)
Ungleich zahlreicher ist der als Abart des Brautkaufes anzusehende Brautdienst vertreten. Wir haben in obiger Ausführung zwei Hauptunterschiede gemacht: 1) Der geleistete Dienst hat nur den idealen Zweck, die Tapferkeit des Ritters zu beweisen. 2) Mit dem Dienst ist ein persönlicher, direkter Vorteil der Braut oder ihres Gewalthabers verbunden.
*) In Artusromanen. (Lanzelet an zwei Stellen; Vengeance de Raguidel an zwei Stellen [einmal Besiegung des Vaters und einmal des Verlobten]; Daniel, Chrestiens Lancelot, endlich Ivain, wo freilich gerade die uns interessierende Stelle auf keinem spezifisch keltischen, sondern auf einem internationalen, schon im Altertum bekannten, ursprünglich aus dem Orient stammenden Sagenstoff beruht [vgl. V. Foerster, Der Löwenritter, a. a. O. S. XXI -XXIII]). - In Chansons de Geste (Guibert d'Andrenas. Chanson des Saisnes, Bucvcs de Commarchis).
**) Der Stoff des Cléomades und des Méliacin ist sicher orientalisch, er findet sich zuerst wohl in indischen Erzählungen, kam dann zu den Arabern und gelangte wahrscheinlich durch diese über Spanien nach Frankreich (vgl. hist. litt. Bd. 31, S. 192 f.). Die einzige Chanson de Geste, die ein Beispiel von
Brautkauf bietet, ist Aubéri le Bourgoing, eine Dichtung, die im Gegensatz zu anderen Chansons de Geste außerordentlich viel Fabelhaftes enthält, und bei der die Erscheinung des Brautkaufes leichter erklärlich ist (vgl. G. Paris a. a. O. § 25).
Betrachten wir zunächst den ersten Fall, so finden wir in erster Linie Beispiele, in welchen die Jungfrau ihrem Bewerber die Erhörung seiner Wünsche von einer zu erfüllenden Aufgabe abhängig macht. Diese kann zweierlei Art sein:
1) Es wird allgemein Betätigung der Tapferkeit verlangt. Diese einfachste Art der Aufgabestellung findet sich nur in einem Artusroman und in zwei Chansons de Geste, dieselbe Auffassung, aber in anderer Form auch in einem Gedichte germanischen Ursprungs. *)
2) Es wird eine bestimmte Aufgabe gestellt, die in den meisten Fällen wunderbarer Art ist und auch wunderbare Lösung findet. Hiervon haben wir Belege nur in bretonischen Dichtungen. **)
Hervorragende Tapferkeit wird ferner mehrmals auf dieselbe Art belohnt, auch ohne dass irgend welche Aufgabe gestellt war. Vorzugsweise erhält der Sieger im Turnier die Hand einer Jungfrau, und zwar, wie wir gesehen haben, ohne dass er sich um sie bewirbt, ja sogar ohne dass ihm damit sonderlich gedient ist.
*) Im Mèraugis von Raoul de Houdenc, nächst Chrestien wohl dem bedeutendsten Bearbeiter bretonischer Stoffe; ferner im Bueves de Commarchis und im Guy de Warwick. Der Letztere enthält freilich auch germanische Elemente (was A. Tanner, Die Sage von Guy von Warwick, Diss. Bonn 1877, S. 43 ff. nachweist), aber die für uns wichtigen Stellen sind jedenfalls, wie der größte Teil des langausgedehnten Gedichts, französisches Beiwerk, das dann in die — von mir zitierte — altenglische Bearbeitung hinübergenommen ist. — Der Roman von Horn, dessen Eigenart bereits hervorgehoben wurde, ist die einzige der in Betracht kommenden Dichtungen, deren germanischer Ursprung sicher ist (vgl. Wissman, Anglia Bd. 4 S. 342 bis 400).
**) Es sind die Romane Torec, Teil der großen niederländischen Compilation des Lancelot, welche sicher auf französische Dichtungen zurückzuführen ist (vgl. hist litt. Bd. 30, S. 263); ferner die Fortsetzung des Chrestienschen Perceval von Gautier de Doulens; Le Bei Inconnu; Gliglois; endlich das keltische Lai de Doon.
Auch diese Erscheinung findet sich in Artusromanen weit häufiger als in Chansons de Geste. *)
Auch die Gatten wähl findet sich überwiegend in bretonischen Dichtungen.
Dass behufs Gattenwahl ein Turnier veranstaltet wurde, haben wir in drei bretonischen Dichtungen und in einem Roman byzantinischer Herkunft gefunden. **)
Endlich konnte auch die Gattenwahl von der Erfüllung einer Aufgabe abhängig gemacht werden, und auch hier dienen, wie bei der dem einzelnen Bewerber gestellten Aufgabe, ausschließlich bretonische Dichtungen als Beleg. ***)
*) In den Artusromanen: Le Bei Inconnu, Fergus, Escanor, Chevalier à la Manche (Teil des niederländischen Lancelot, vgl. oben); von Chansons de Geste gehört nur Garin de Montglane hierher.
**) In den Artusromanen La Vengeanco de Raguidel und ' im Chevalier du papegaut und im keltischen Lai du Chaitivel der Marie de France; der Roman byzantinischen Ursprungs ist Partonopeus de Blois.
***) Artusromane: Ider, Lancelot et le cerf au pied blanc (Teil des niederländischen Lancelot, vgl. oben), Mériadeus oder Le Chevalier as deus espees; keltische Lais: La Mule sans Frein; Lai de Doon; Lai de Tyolet; Lai des deus amanz von Marie de France. Auf die große Ähnlichkeit der Episoden im Tyolet und im Lancelot et le cerf .... ist bereits hingewiesen. Beide werden auf eine gemeinsame Urquelle zurückgehen, welcher der Drachenkampf im Tristan noch, nähersteht. Die Episode ist übrigens nicht speziell keltisch, sondern international; sie ist auch in einem griechischen Mythus und selbst in Bengalen nachgewiesen worden. (Vgl hist litt. Bd. 30, S. 115-117.)
Um das Resultat unserer Übersicht über die Belege der ersten Hauptgruppe des Brautdienstes kurz zu nennen:
Es finden sich Belege:
in bretonischen Dichtungen 20
(darunter keltische Lais 6)
in Chansons de Geste 4
in byzantinischen Romanen 1
Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis der drei oder besser zwei Hauptrichtungen des altfranzösischen Epos — denn die Romane byzantinischer Herkunft nehmen bezüglich des Brautdienstes eine zu untergeordnete Stellung ein — in den Fällen, welche die zweite Hauptgruppe des Erdienens der Braut in sich schließt. Das wesentliche Unterscheidungsmoment dieser Gruppe von der vorigen ist, dass der vom Bewerber geleistete Dienst für die Braut oder ihren Gewalthaber von persönlichem, materiellem Vorteil ist. Die Eigenart der Chansons de Geste einerseits und der bretonischen Dichtungen andererseits tritt auch hier in charakteristischer Weise hervor. Dass ein König ihm geleistete Kriegsdienste mit der Hand seiner Tochter belohnte, lag, wenn es auch nichts Alltägliches war, immerhin im Bereich der Möglichkeit. Daher denn die mehr realistischen Chansons de Geste diese Erscheinung mit Vorliebe aufweisen. *)
*) Belohnung der dem Vater oder Gewalthaber geleisteten Dienste mit der Hand der Tochter in den Chansons de Geste: Hue Capet, Charles le Chauve, Florent et Octavian, Florence de Rome, Garin de Montglane, Couronnement de Louif;, Floovent, Enfances Godefroy, Doon de Mayence, endlich Guy of Warwick, bei welchem auch diese Stelle französisches Beiwerk ist (vgl. S. 45, Anm. 1). Von bretonischen Dichtungen zeigt diesen Zug nur Tristan im Drachenkampf, der übrigens, wie erwähnt, auf einem internationalen Sagenstoff beruht (vgl. S. 46, Anm. 3).
Die oft unter romantischen Umständen erfolgende Befreiung einer Jungfrau aus drohender Gefahr, aus den Banden von Zauberern u. dgl. lag mehr im Sinne der bretonischen Dichtung und findet sich dort vorzugsweise. *)
Die Romane byzantinischen Ursprungs, obwohl für den Brautdienst wenig in Betracht kommend, bieten dennoch auch in dieser Beziehung einige vereinzelte Erscheinungen. **)
*) Befreiung der Jungfrau in den Artusromanen: Durmart le Galois, engl. Perceval, Daniel, Le Bei Inconnu, La Vengeance de Raguidel, Le Chevalier as deus espees; in den Chansons de Geste: Aubéri le Bourgoing, Ogier le Danois.
**) Belohnung der dem Vater oder Gewalthaber geleisteten Hilfe durch die Hand einer Königstochter im Jourdain de Blaives, dessen zweiter — hier in Betracht kommender — Teil die Nachahmung eines griechischen Romans (Appollonius von Tyrus) ist (vgl. G. Paris a. a. O. S. 47) und — d. h. versprochene, aber nicht gehaltene Belohnung — in Aucassin und Nicolete (wo jedoch provençalischer Ursprung oder Beeinflussung nicht ausgeschlossen scheint). Befreiung der Jungfrau selber in Florient et Florete.
Es sei mir gestattet, auch an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Lindner, sowie Herrn Prof. Dr. Bernhöft in Rostock für das meiner Arbeit freundlichst entgegengebrachte Interesse meinen aufrichtigen Dank zu sagen.
1) Chansons de Geste, d. h. Dichtungen, deren — freilich sehr oft ins Sagenhafte gehüllter — Ursprung in der französischen Geschichte liegt.
2) Die sogenannten bretonischen Romane, die meistens mit der Sage von Artus verknüpft sind.
3) Die Epen griechischen, d. h. byzantinischen Ursprungs.
Im Allgemeinen kann man nun annehmen, dass die Chansons de Geste die ureigenen Anschauungen und Empfindungen des französischen Volks, wie sie durch die großen Ereignisse der ersten Karolingerzeit eingewurzelt waren, widerspiegeln. *) Ebenso geht man wohl nicht fehl, wenn man die Romane byzantinischen Ursprungs als wesentlich orientalischen Charakters und als ihrem Inhalt nach im Allgemeinen frei von anderweitigen Einflüssen, wenn nicht etwa dem französischen, ansieht. Am schwierigsten erscheint die Frage nach dem Ursprung der „bretonischen Romane“. Die Ansicht, „dass die Franzosen die Artusromane mit Haut und Haaren von den Kelten übernommen haben“, ist beweisend widerlegt worden. Derselbe Gelehrte stellt dann die Behauptung auf, die Artusgedichte enthielten, abgesehen von dem äußeren Aufputz, überhaupt nichts Keltisches, seien vielmehr nichts anderes, als Chansons de Geste, welche von den Jongleurs nur mit der damals modernen Staffage der phantastischen keltischen Sagen geziert worden seien. Nun zeigt sich aber zwischen den Chansons de Geste und den bretonischen Romanen in der Auffassung des Brautdienstes durchweg eine derartige Verschiedenheit, wie sie in Dichtungsgattungen, von denen die eine genau der anderen nachgebildet sein soll, unmöglich hervortreten kann.
*) Abgesehen von einzelnen jüngeren Chansons, die fremdartige Stoffe behandeln und durch die Volkssänger (jogleors) nur aus praktischen Rücksichten in den Rahmen der Chansons de Geste eingefügt sind (so Jourdain de Blaie; Florent et Octavian; Florence de Korne, cf. G. Paris, La litt, franc. au moyen âge, Paris 1890, § 27).
Gerade die Stellung von wunderbaren Aufgaben, welche stets auf noch wunderbarere Weise erfüllt werden, harmoniert mit dem Inhalt der echt keltischen Lais vollkommen, während die Chansons de Geste nichts Ähnliches bieten. Liegt da nicht die Vermutung sehr nahe, dass wenigstens diese betreffenden Stellen in den bretonischen Romanen wirklich keltischen Ursprungs sind? So lange indessen das Dunkel, welches diese Frage umhüllt, nicht gänzlich gelichtet ist, wird man hier über eine, wenn auch meines Erachtens recht annehmbare Vermutung nicht hinauskommen. Immerhin werden wir im Folgenden zwischen den sicher auf keltischem Boden erwachsenen Lais und den — möglicherweise mit keltischen Bestandteilen durchsetzten — sogenannten Artusromanen unterscheiden müssen.*)
*) Nur sehr wenige der angeführten Beispiele entstammen Dichtungen, die sich nicht einem der drei Hauptgebiete anschließen, so der kleine, auf reiner Erfindung beruhende Roman Gautier d'Aupais.
Man halte es mir zugute, wenn ich in der folgenden Übersicht vielfach der Kürze halber den Ausdruck „bretonische Dichtung“ gebrauche. Wenn Foersters — bisher noch nicht widerlegte — Ansicht richtig ist, ist der Ausdruck „bretonische Dichtungen“ für echt französische Romane, die sich nur mit einigen sehr oberflächlichen bretonischen Federn geschmückt hätten, natürlich unzulässig; aber selbst wenn, wie ich glaube, die aus der Bretagne entlehnten keltischen Bestandteile zahlreicher und gewichtiger sind, ist jener Ausdruck recht gewagt und von mir nur angewandt, weil er der kürzeste ist, und weil man wenigstens nicht zweifelhaft sein kann, was damit gemeint ist.
Wir wollen nun kurz zusammenstellen, wie die einzelnen Erscheinungen des Brautraubes und Brautkaufes sich auf die drei Dichtungsgattungen verteilen.
Der Brautraub ist trotz mancher Schwankungen im Einzelnen auf die drei Gebiete ziemlich gleichmäßig ausgedehnt. *)
Auffallend ist zunächst, dass die Anwendung von List, gewöhnlich in Gestalt freiwilliger Entführung, sich vorwiegend in Romanen byzantinischen Ursprungs findet, weniger häufig in Chansons de Geste und gar nicht in Artusromanen. **)
*) Brautraub im eigentlichen Sinne in zwei bretonischen Romanen (Gefahrvoller Kirchhof; Erec), in einer Chanson de Geste (Aye d'Avignon). — Erpressung besonders in Chansons de Geste (Aye d'Avignon; Elie de St Gille; Doon de Mayence; Florent et Octavian; Florence de Rome, wovon die beiden letzten nicht französischen, sondern vielleicht orientalischen Ursprungs sind); doch auch in bretonischen Dichtungen (Chevalier as deus espees; Lais de Gugemer und d'Eliduc. welche beide keltischer Herkunft sind endlich in den Romanen Athis und Porphirias, Guillaume de Palerme, welchen orientalische Quellen zu Grunde liegen (vgl. G. Paris a. a. O. § 51).
**) Anwendung von List in Romanen byzantinischen Ursprungs (Cléomades, Méliacin, Guillaume de Palerme, Florient et Florete, Floris und Liriope); nur in zwei Chansons de Geste (Aiol und Florent et Octavian, von denen das letztere aber seiner ganzen Handlung, wie auch dem Schauplatz nach sich mehr den orientalischen Stoffen zu nähern scheint).
Dagegen findet sich der Vorgang, dass ein Ritter die Hand einer Frau gewinnt nach Besiegung ihres Vaters, Gatten oder Verlobten gar nicht in den Dichtungen orientalischer Herkunft, verhältnismäßig selten in Chansons de Geste, häufig aber in bretonischen Dichtungen. *)
Die wenigen Beispiele von eigentlichem Brautkauf finden sich nur in zwei, inhaltlich sehr ähnlichen Epen orientalischen Ursprungs und in einer Chanson de Geste, während eine andere Chanson de Geste, wie wir gesehen haben, ein Beispiel liefert, das auf deutliche Abneigung gegen die Anschauung des Brautkaufes schließen lässt. **)
Ungleich zahlreicher ist der als Abart des Brautkaufes anzusehende Brautdienst vertreten. Wir haben in obiger Ausführung zwei Hauptunterschiede gemacht: 1) Der geleistete Dienst hat nur den idealen Zweck, die Tapferkeit des Ritters zu beweisen. 2) Mit dem Dienst ist ein persönlicher, direkter Vorteil der Braut oder ihres Gewalthabers verbunden.
*) In Artusromanen. (Lanzelet an zwei Stellen; Vengeance de Raguidel an zwei Stellen [einmal Besiegung des Vaters und einmal des Verlobten]; Daniel, Chrestiens Lancelot, endlich Ivain, wo freilich gerade die uns interessierende Stelle auf keinem spezifisch keltischen, sondern auf einem internationalen, schon im Altertum bekannten, ursprünglich aus dem Orient stammenden Sagenstoff beruht [vgl. V. Foerster, Der Löwenritter, a. a. O. S. XXI -XXIII]). - In Chansons de Geste (Guibert d'Andrenas. Chanson des Saisnes, Bucvcs de Commarchis).
**) Der Stoff des Cléomades und des Méliacin ist sicher orientalisch, er findet sich zuerst wohl in indischen Erzählungen, kam dann zu den Arabern und gelangte wahrscheinlich durch diese über Spanien nach Frankreich (vgl. hist. litt. Bd. 31, S. 192 f.). Die einzige Chanson de Geste, die ein Beispiel von
Brautkauf bietet, ist Aubéri le Bourgoing, eine Dichtung, die im Gegensatz zu anderen Chansons de Geste außerordentlich viel Fabelhaftes enthält, und bei der die Erscheinung des Brautkaufes leichter erklärlich ist (vgl. G. Paris a. a. O. § 25).
Betrachten wir zunächst den ersten Fall, so finden wir in erster Linie Beispiele, in welchen die Jungfrau ihrem Bewerber die Erhörung seiner Wünsche von einer zu erfüllenden Aufgabe abhängig macht. Diese kann zweierlei Art sein:
1) Es wird allgemein Betätigung der Tapferkeit verlangt. Diese einfachste Art der Aufgabestellung findet sich nur in einem Artusroman und in zwei Chansons de Geste, dieselbe Auffassung, aber in anderer Form auch in einem Gedichte germanischen Ursprungs. *)
2) Es wird eine bestimmte Aufgabe gestellt, die in den meisten Fällen wunderbarer Art ist und auch wunderbare Lösung findet. Hiervon haben wir Belege nur in bretonischen Dichtungen. **)
Hervorragende Tapferkeit wird ferner mehrmals auf dieselbe Art belohnt, auch ohne dass irgend welche Aufgabe gestellt war. Vorzugsweise erhält der Sieger im Turnier die Hand einer Jungfrau, und zwar, wie wir gesehen haben, ohne dass er sich um sie bewirbt, ja sogar ohne dass ihm damit sonderlich gedient ist.
*) Im Mèraugis von Raoul de Houdenc, nächst Chrestien wohl dem bedeutendsten Bearbeiter bretonischer Stoffe; ferner im Bueves de Commarchis und im Guy de Warwick. Der Letztere enthält freilich auch germanische Elemente (was A. Tanner, Die Sage von Guy von Warwick, Diss. Bonn 1877, S. 43 ff. nachweist), aber die für uns wichtigen Stellen sind jedenfalls, wie der größte Teil des langausgedehnten Gedichts, französisches Beiwerk, das dann in die — von mir zitierte — altenglische Bearbeitung hinübergenommen ist. — Der Roman von Horn, dessen Eigenart bereits hervorgehoben wurde, ist die einzige der in Betracht kommenden Dichtungen, deren germanischer Ursprung sicher ist (vgl. Wissman, Anglia Bd. 4 S. 342 bis 400).
**) Es sind die Romane Torec, Teil der großen niederländischen Compilation des Lancelot, welche sicher auf französische Dichtungen zurückzuführen ist (vgl. hist litt. Bd. 30, S. 263); ferner die Fortsetzung des Chrestienschen Perceval von Gautier de Doulens; Le Bei Inconnu; Gliglois; endlich das keltische Lai de Doon.
Auch diese Erscheinung findet sich in Artusromanen weit häufiger als in Chansons de Geste. *)
Auch die Gatten wähl findet sich überwiegend in bretonischen Dichtungen.
Dass behufs Gattenwahl ein Turnier veranstaltet wurde, haben wir in drei bretonischen Dichtungen und in einem Roman byzantinischer Herkunft gefunden. **)
Endlich konnte auch die Gattenwahl von der Erfüllung einer Aufgabe abhängig gemacht werden, und auch hier dienen, wie bei der dem einzelnen Bewerber gestellten Aufgabe, ausschließlich bretonische Dichtungen als Beleg. ***)
*) In den Artusromanen: Le Bei Inconnu, Fergus, Escanor, Chevalier à la Manche (Teil des niederländischen Lancelot, vgl. oben); von Chansons de Geste gehört nur Garin de Montglane hierher.
**) In den Artusromanen La Vengeanco de Raguidel und ' im Chevalier du papegaut und im keltischen Lai du Chaitivel der Marie de France; der Roman byzantinischen Ursprungs ist Partonopeus de Blois.
***) Artusromane: Ider, Lancelot et le cerf au pied blanc (Teil des niederländischen Lancelot, vgl. oben), Mériadeus oder Le Chevalier as deus espees; keltische Lais: La Mule sans Frein; Lai de Doon; Lai de Tyolet; Lai des deus amanz von Marie de France. Auf die große Ähnlichkeit der Episoden im Tyolet und im Lancelot et le cerf .... ist bereits hingewiesen. Beide werden auf eine gemeinsame Urquelle zurückgehen, welcher der Drachenkampf im Tristan noch, nähersteht. Die Episode ist übrigens nicht speziell keltisch, sondern international; sie ist auch in einem griechischen Mythus und selbst in Bengalen nachgewiesen worden. (Vgl hist litt. Bd. 30, S. 115-117.)
Um das Resultat unserer Übersicht über die Belege der ersten Hauptgruppe des Brautdienstes kurz zu nennen:
Es finden sich Belege:
in bretonischen Dichtungen 20
(darunter keltische Lais 6)
in Chansons de Geste 4
in byzantinischen Romanen 1
Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis der drei oder besser zwei Hauptrichtungen des altfranzösischen Epos — denn die Romane byzantinischer Herkunft nehmen bezüglich des Brautdienstes eine zu untergeordnete Stellung ein — in den Fällen, welche die zweite Hauptgruppe des Erdienens der Braut in sich schließt. Das wesentliche Unterscheidungsmoment dieser Gruppe von der vorigen ist, dass der vom Bewerber geleistete Dienst für die Braut oder ihren Gewalthaber von persönlichem, materiellem Vorteil ist. Die Eigenart der Chansons de Geste einerseits und der bretonischen Dichtungen andererseits tritt auch hier in charakteristischer Weise hervor. Dass ein König ihm geleistete Kriegsdienste mit der Hand seiner Tochter belohnte, lag, wenn es auch nichts Alltägliches war, immerhin im Bereich der Möglichkeit. Daher denn die mehr realistischen Chansons de Geste diese Erscheinung mit Vorliebe aufweisen. *)
*) Belohnung der dem Vater oder Gewalthaber geleisteten Dienste mit der Hand der Tochter in den Chansons de Geste: Hue Capet, Charles le Chauve, Florent et Octavian, Florence de Rome, Garin de Montglane, Couronnement de Louif;, Floovent, Enfances Godefroy, Doon de Mayence, endlich Guy of Warwick, bei welchem auch diese Stelle französisches Beiwerk ist (vgl. S. 45, Anm. 1). Von bretonischen Dichtungen zeigt diesen Zug nur Tristan im Drachenkampf, der übrigens, wie erwähnt, auf einem internationalen Sagenstoff beruht (vgl. S. 46, Anm. 3).
Die oft unter romantischen Umständen erfolgende Befreiung einer Jungfrau aus drohender Gefahr, aus den Banden von Zauberern u. dgl. lag mehr im Sinne der bretonischen Dichtung und findet sich dort vorzugsweise. *)
Die Romane byzantinischen Ursprungs, obwohl für den Brautdienst wenig in Betracht kommend, bieten dennoch auch in dieser Beziehung einige vereinzelte Erscheinungen. **)
*) Befreiung der Jungfrau in den Artusromanen: Durmart le Galois, engl. Perceval, Daniel, Le Bei Inconnu, La Vengeance de Raguidel, Le Chevalier as deus espees; in den Chansons de Geste: Aubéri le Bourgoing, Ogier le Danois.
**) Belohnung der dem Vater oder Gewalthaber geleisteten Hilfe durch die Hand einer Königstochter im Jourdain de Blaives, dessen zweiter — hier in Betracht kommender — Teil die Nachahmung eines griechischen Romans (Appollonius von Tyrus) ist (vgl. G. Paris a. a. O. S. 47) und — d. h. versprochene, aber nicht gehaltene Belohnung — in Aucassin und Nicolete (wo jedoch provençalischer Ursprung oder Beeinflussung nicht ausgeschlossen scheint). Befreiung der Jungfrau selber in Florient et Florete.
Es sei mir gestattet, auch an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Lindner, sowie Herrn Prof. Dr. Bernhöft in Rostock für das meiner Arbeit freundlichst entgegengebrachte Interesse meinen aufrichtigen Dank zu sagen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Spuren des Brautraubes, Brautkaufes und ähnlicher Verhältnisse in den französischen Epen des Mittelalters.
Fuhrmann in der Hansezeit
Jäger in der Hansezeit
Hanseatische Kaufleute
Hanseatische Kaufleute (2)
Kirchlicher Würdenträger in der Hansezeit
Kriegsmann mit Beute beladen
Sittenbild aus der Hansezeit
Ein Turnierteilnehmer stellt sich vor
Mittelalterlicher schweizer Söldner
Lanzenstechen
Begrüßung eines Turnierteilnehmers
Lanzenstechen
Mittelalterliche Burganlage
Turnierteilnehmer
Beim Lanzenstechen am Hals getroffen
Beim Lanzenstechen an der Hüfte getroffen
Anreise der Turnierteilnehmer per Schiff
Siegerehrung
Beim Lanzenstechen man Oberschenkel getroffen
Huldigung
Angriff auf eine Burg
Rittermahl
Beide Kämpfer am Boden
Beratschlagung
Beim Lanzenstechen am Hals getroffen
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