Herr de la Blinaye, ein bretagnischer Edelmann, wohnte auf seinem Landgut, und hatte ein gutes Einkommen; es war jedoch zu gering, ...

Herr de la Blinaye, ein bretagnischer Edelmann, wohnte auf seinem Landgut, und hatte ein gutes Einkommen; es war jedoch zu gering, um davon in der Hauptstadt oder den großen Städten der Provinz zu leben. Derselbe Grund hatte ihn verhindert, sich zu verheiraten. Da er indessen ein hinreichend lebhaftes Temperament besaß, war er genötigt gewesen, sich an seine Bäuerinnen Die zu halten, die durch sein Bett sich geehrt fühlten; oder an die Frauen einiger Krautjunker, seiner Nachbarn, denen er Hörner aufgesetzt hatte. Er war mehr als sechzig Jahre alt, als er durch beträchtliche, ihm zufallende Erbschaften über eine Rente von hunderttausend Livres verfügen konnte. Der Augenblick, um zu genießen, war gekommen; und da er durch seine Jahre zur Eile sich getrieben fand, begab er sich ungesäumt nach Paris, dem Mittelpunkt der Freuden, und konnte da leicht, infolge ihrer Vielfältigkeit und ihrer ununterbrochenen Dauer, wieder gewinnen, was er notwendigerweise in den Zeiten der Dürre hatte verlieren müssen. Er nimmt ein prächtiges Haus; er stattet es in der vornehmsten Art aus und schwimmt in Wonnen. Er mietet eine Loge für das ganze Jahr in allen Theatern. Am besten gefällt ihm die Oper. Seine Sinne, in dieser Hinsicht unverbraucht, vermitteln ihm beinahe die lebhaften Eindrücke seiner Jugend; er zögert nicht, den Tribut zu zollen, das heißt sich in eine Nymphe dieses bezaubernden Reiches zu verlieben. Seine Liebe traf das Fräulein Beaumesnil. Die Feinheit ihres Gesichtes, das Pikante ihres Spieles, die Leichtigkeit und die Lieblichkeit ihrer Stimme verführten ihn; er fand sich gefangen, ohne es zu bemerken, und konnte die Oper nicht einen Tag entbehren, an dem sie spielte. Wenn sie nicht erschien, war er in äußerster Ungeduld: sie kam ihm immer zu spät auf die Bühne und ging viel zu früh wieder weg. Er hatte genügend Erfahrung, um einzusehen, was das be- deute; glücklicherweise setzte sein Reichtum ihn in die Lage, keine Zurückweisung befürchten zu müssen. Außerdem war der Augenblick günstig: er hörte, daß die Sängerin weder einen, der sie aushalte, noch einen Liebhaber habe; daß sie also ungehemmt seine Mätresse werden könne. Er ergreift die Gelegenheit und sucht sie auf. Er erklärt ihr, daß er ein Provinzler und ein alter plumper Mensch und im Umgang mit Frauen des Theaters ganz linkisch sei; daß er sie indessen, geführt von seinem guten Instinkt, aus hundert anderen herausgefunden und gewählt habe; daß sie ihm außerordentlich gefalle, daß er in sie vernarrt sei und daß er 50.000 Livres im Jahr mit ihr zu verzehren habe: wofern er so begünstigt sei, daß seine Huldigungen angenehm seien. Hinter diesem groben Ton, der ihr wenig vertraut war, entdeckt das Fräulein Beaumesnil eine Art sehr anziehender Beredsamkeit. Die Originalität dieses Mannes schreckt sie nicht ab, und sie scheint geneigt, seinen Plänen näher zutreten. Man zaudert nicht, über die Vertragsbestimmungen zu beschließen. Die wichtigste war schon angekündigt und musste alle anderen erleichtern; er gibt ihr als erstes Ehegeschenk tausend Louis und weiterhin tausend Taler monatlich. Er fordert dafür keine Liebe, er weiß, daß diese sich nicht gebieten lässt; sie ist nicht mehr genötigt, ihn zu lieben als er, sie nicht zu lieben; aber er verlangt Rücksichten, Zärtlichkeiten, alles, was ihm Liebe vortäuschen oder ersetzen könnte. Er wünscht, in zweiter Linie, daß sie alle diese Laffen, diese Stutzer, diese vornehmen Herren, deren Schwarm um sie herumflattert, entferne. Endlich fordert er die größte Verschwiegenheit: er fürchtet die Lächerlichkeit, die auf ihn durch eine so späte Leidenschaft fallen könnte. Eine einzige vertraute Zofe muss ihn in der Nacht einlassen; während des Tages müssen seine Besuche denen einer Menge anderer ernsthafter Leute, vernünftiger Herren gleichen, die kommen, um sie zu sehen.

Die Schauspielerin hatte sich den Wünschen des Herrn de la Blinaye so genau gefügt, daß er sehr zufrieden war. Ihre Vereinigung währte schon mehrere Monate, und die Dankbarkeit des Fräuleins Beaumesnil war so lebhaft, so eifrig, so glühend, daß sie vor aller Augen den Eindruck einer wahren Leidenschaft erweckt hätte, ohne das Alter des Liebhabers und diese Art der Aushaltung, die beide unverträglich mit Liebe sind. Wie dem auch sei: die weitere Vorsichtsmaßregel, die Herr de la Blinaye ergriffen hatte, um sich des Besitzes dieser verborgenen Schatzkammer zu versichern, widersprach seinen Absichten und verursachte wahrscheinlich das, was ihm seine Ruhe und sein Glück störte.


Er hatte einen Neffen, den Chevalier de la Royerie, einen jungen Gardeoffizier, in sein Haus genommen, den er sehr liebte und den er zu seinem Erben zu machen dachte. Sein Ziel war, ihn eilig zu verheiraten. Bis dahin wachte er mit Aufmerksamkeit über ihn, und dieser junge Soldat wurde nicht im geringsten in die Gründe eingeweiht, die ihn seine Neigung oder vielmehr seine Schwäche für eine Courtisane verborgen halten ließen. Er fühlte richtig, daß seine Reden dann keine Gewalt mehr über sein Mündel haben und daß sein Beispiel jede Wirkung seiner Lehren zerstört haben würde. Um ihn besser bewachen zu können, führte er ihn immer mit sich in die Schauspiele und in die Oper, in die er am meisten ging. Dort, wenn sie zusammen in der Loge waren, verfehlte er nicht, sich über seine Geliebte in Ausdrücken der Bewunderung zu verbreiten, und fesselte so, ohne es zu wollen, die Augen seines Neffen fortwährend an das Fräulein Beaumesnil, und kraft seiner dauernden Auszeichnungen, kraft seiner Lobeserhebungen brachte er es dazu, diesen jungen Mann für sie zu entflammen, der unter den gleichen Umständen für jede andere ebenso sich begeistert hätte. Man beurteile die Verheerungen, die in einem so unerfahrenen Herzen eine Leidenschaft verursachen muss, die durch die Gegenwart der Geliebten täglich emporwächst, die genährt wird von den immerzu wiederholten Lobreden, die sich verschließt, sich zurückhält infolge der Anwesenheit eines strengen Erziehers. Man kann sich leicht denken, bis zu welchem Grad der Unbesonnenheit sie gedeihen musste. Zunächst musste der Chevalier, getrieben von dem Bedürfnis, alles, was er fühlte, auszudrücken, sich begnügen, dem Fräulein Beaumesnil einen sehr brünstigen, sehr hitzigen Brief zu schreiben, in dem er ihr, da er sie nach den Frauen ihrer Art einschätzte, vorschlug sie zu bezahlen und ihr ungeheure Summen anbot.

Diese Erklärung blieb unbeantwortet. Die Leidenschaft des jungen Mannes wurde dadurch nur noch heftiger, und erhielt bald den Charakter einer wahrhaften Liebe. Er bereute die Form seines Briefes; da er vor dem Gegenstand seiner Neigung Achtung zu empfinden begann, entschloss er sich zu Vorschlägen, die den ersten ganz entgegengesetzt waren. Eines Tages, nach der Oper, nachdem er seinen Onkel unter irgendeinem Vorwand verlassen hat, lässt er sich bei dem Fräulein Beaumesnil melden; er tritt ein; da er noch unbekannt ist, ist er genötigt, sich durch die Erwähnung seines Briefes einzuführen . . . Bei diesen Worten nimmt die Theaterheldin eine würdevolle Miene an und lässt ihn sich nicht weiter erklären; sie fragt ihn, wie er es wagen könne, sie unter einem derartigen Vorwand aufzusuchen; sagt ihm, daß dieser Grund für sie genüge, ihn nicht zu empfangen; sie bitte ihn, sich zurückzuziehen. Verwirrt, durchdrungen von Schmerz, bleibt er und will sich entschuldigen: das Wort erstirbt auf seinen Lippen. Die Schauspielerin, die seinen Widerstand falsch auslegt, ruft ihre Zofe und droht, sich Hilfe kommen zu lassen, wenn er weiter darauf bestehe, sie zu belästigen. Da hält er sich nicht mehr: seine Tränen fließen unaufhaltsam, er schluchzt, er wirft sich der Geliebten in der Haltung der Reue und Verzweiflung zu Füßen und sagt, daß er lieber sterben wolle als ihre Ungnade sich zuziehen in dem Augenblick, in dem er zum ersten Male das Glück habe, sich ihr nähern zu dürfen. Er verwirft die Sprache der Leidenschaft, er schwört ihr die reinste und ehrfurchtsvollste Liebe; er wünscht keine andere Freiheit als die: ihr huldigen zu dürfen, ihre Gunst zu erwerben durch seine Ehrerbietung. Endlich will er (oder vielmehr: sein Herz will) die dauerhafteste und heiligste Verbindung, und er schlägt sie ihr vor; kraft seiner Bemühungen werde er zuversichtlich dahin gelangen, daß man ihn mit günstigeren Augen betrachte. Eine solche Änderung der Gesinnung, so ungewöhnliche und so schlecht hervorgebrachte Anerbietungen hießen das Fräulein Beaumesnil leicht einsehen, daß sie einen vor Liebe verdrehten Menschen vor sich habe. Sie hatte Mitleid mit diesem Unglücklichen; da sie ihm in diesem Augenblick nicht die Erklärung geben kann, die diese unerwartete Szene fordert, wird sie milder; sie sagt ihm, daß er zu einer gelegeneren Zeit eine Unterhaltung, die so viele Einzelheiten habe, wieder aufnehmen könne; daß sie ihn am folgenden Dienstag erwarte, wenn sie nicht spiele; sonst könne sie ihn mit Leichtigkeit während der Vorstellung sprechen. Diese wenigen Worte gaben dem Chevalier das Leben zurück oder vielmehr: er verließ ihr Zimmer als der glücklichste aller Menschen. Sein Gesicht erschien einigen seiner Kameraden, als er zu ihnen zurückkehrte, so strahlend, daß sie ihm Komplimente machten und ihm Glück wünschten zu seinen guten Aussichten. Er war von einer zu großen Verehrung für sein Idol erfüllt, um darüber zu scherzen; er beschäftigte sich unaufhörlich mit ihm bis zu dem Augenblick der Zusammenkunft; er überließ sich allen Trugbildern, die ihm Ereignisse, die in einer gleichen Situation sich abspielen könnten, vortäuschen sollten. Endlich sah er den erwünschten Tag erscheinen. Das Fräulein Beaumesnil hatte alle notwendigen Vorsichtsmaßregeln ergriffen, damit das Zusammensein nicht gestört werde und man die Angelegenheit gründlich besprechen könne.

Herr de la Royerie begann, nachdem er seine Versicherungen der Ehrerbietung, der Zuneigung, der gewaltigen Leidenschaft und alle anderen Gemeinplätze Verliebter erneut hatte, die Reinheit seiner Absichten, die Legitimität der Verbindung, nach der er trachte, umständlich zu beteuern; mit einem Wort: er machte dem Fräulein Beaumesnil einen richtigen Heiratsantrag. Er ging sodann auf die wesentlichen Einzelheiten ein: auf seinen Namen, sein Herkommen, seinen Rang, sein Vermögen, auf die beträchtlichen Hoffnungen, die er in seinen Onkel, Herrn de la Blinaye, setze. Bei diesem Namen wird das Fräulein Beaumesnil betroffen durch die Sonderbarkeit dieser Zusammenhänge; ohne daß er es merkt, fragt sie ihn aus, um sich zu unterrichten, ob dieser Onkel derselbe sei, der sie aushalte. Nachdem sie daran nicht mehr zweifeln kann, lässt sie sich durchaus nichts anmerken und wird nur fester in ihren Beschlüssen; sie lässt ihn den Faden seiner Rede wieder aufnehmen und als er aufgehört hat zu sprechen, antworte sie ihm:

„Das scheinbar verführende Anerbieten, das Sie mir gemacht haben, mein Herr, würde viele andere blenden. Es gibt zweifellos wenige unter meinen Kolleginnen, welche da widerstehen würden: Ich finde in allem, was Sie mir sagen, nur einen Grund mehr, Sie abzuweisen und Sie zu bekämpfen. Sie sind ein Mann von Stellung, im Dienst; Sie erwarten ein beträchtliches Vermögen eines Onkels, und Sie wollen, durch eine unpassende Heirat, sich in den Fall bringen, aus der Gesellschaft sich ausgeschlossen zu sehen, Ihren Beruf aufgeben zu müssen, enterbt zu werden. Ich weiß, daß Heiraten dieser Art so allgemein werden, daß man vielleicht bald nicht mehr Aufmerksamkeit dafür haben wird als für andere Missheiraten. Ich sehe alle Tage Offiziere, die dergleichen getan haben und die nichtsdestoweniger bei ihren Regimentern oder in ihrem Rang bleiben. Endlich gibt es zweifellos Wendungen, Mittel, Ihr Vergehen geheim zu halten, es dem guten Mann zu verbergen, um Ihnen die Hoffnung zu lassen, die Erbschaft ungekürzt antreten zu können. Ich habe diese Schwierigkeiten weniger zu fürchten als Sie selbst: Sie sind in der Blüte Ihres Alters, im Feuer der Leidenschaft, Sie brennen vor Liebe, und wenn Sie immer in demselben Rausche bleiben könnten, würde ich Ihr Glück sein, mein Besitz würde Ihnen genügen, Sie würden keinen anderen nötig haben. Aber wenn Ihre Augen sich öffnen, wenn der Schleier fällt, werde ich Ihnen ebenso verhasst sein wie ich Ihnen lieb gewesen bin, ebenso verächtlich wie ich Ihnen bewundernswert erschien. Sie werden mir Ihre Schädigungen anrechnen; Ihre Torheit, die Wirkung einer unfreiwilligen Verführung meinerseits, werden Sie mir zuschreiben. Ich wäre es gewesen, die die verborgene Schlinge auswarf, um Sie einzufangen! Ich wäre eine treulose, schreckliche, verabscheuungswürdige Frau! Nein, mein Herr, Sie werden mir niemals derartige Vorwürfe machen; ich kann mich Ihrer Anerbietungen nur würdig erweisen, wenn ich Sie zurückweise und stärker bin als Sie, indem ich mich weigere, auf diese sehr ehrenhafte Verbindung einzugehen. Jede weitere Erklärung würde überflüssig sein. Danken Sie mir, daß ich Sie von einem verzweifelten Entschluss abbringe. Dieser ist der erste und letzte Besuch, den Sie mir machen. Und ich werde an meiner Tür die Anweisung geben Sie niemals mehr vor zu lassen.“

Dieser Befehl wurde weder widerrufen noch aufgehoben, was auch der Chevalier sagen mochte, um die Drohung rückgängig zu machen; er zog sich zurück. Das Fräulein Beaumesnil bezweifelte, daß er nicht versuchen werde, wiederzukommen; sie traf Vorkehrungen, damit er nicht irgend eine neue Unbesonnenheit begehen könne. Sie hoffte, daß er, abgeschreckt durch ihr Benehmen, seine Huldigungen anderswo anbringen werde, da er zu ihr nicht einzudringen vermochte. Es kam nicht so; denn der Chevalier, nachdem er mehreren Abweisungen sich ausgesetzt hatte, nahm zu einem dieser außergewöhnlichen Mittel seine Zuflucht, die man nur noch in Romanen kennt. Man wird weniger davon überrascht sein, wenn man wissen wird, daß sie seine gewöhnliche Lektüre geworden waren. Diese Art von Büchern, die seiner Lage am ähnlichsten waren, war die einzige, die ihm gefiel. In einer schönen Nacht ließ er eine Leiter an das Fenster seiner Geliebten legen. Unter dem Beistand zweier Lastträger, die die Leiter hielten, nach dem Lichte sich richtend, das er sah, (seine Geliebte war noch nicht eingeschlafen), steigt er hinauf zu ihr und klopft an die Fenster. Glücklicherweise war das Fräulein Beaumesnil allein; sie erwartete Herrn de la Blinaye, der zum Abendessen auf dem Lande war und erst sehr spät zurückkommen wollte. Als sie das Geräusch hört, ist sie zuerst starr vor Schreck; aber bald lässt sie eine klägliche Stimme erkennen, daß es de la Royerie ist. Sie ist in der größten Ratlosigkeit, was sie tun soll. Sie fürchtet, daß er, wenn sie ihn in dieser Stellung verharren lässt, mit Absicht oder durch Zufall, sich den Hals brechen werde. Andererseits: Welche Szene, wenn der Onkel ihn bei ihr überraschte! Sie sucht der dringendsten Gefahr vorzubeugen: sie öffnet ihm; aber kaum ist er vor ihr auf den Knien, als sie ihre ganze Macht über ihn aufbietet und ihm befiehlt, sich zurückzuziehen. Sie erklärt ihm, daß sie unabänderlich auf ihrem Entschluss bestehe; außerdem erwarte sie jemand, der die Nacht mit ihr verbringen werde; wenn ihr Liebhaber ihn in ihrem Zimmer anträfe, würde das für sie die schrecklichste Katastrophe zur Folge haben. Diese Mitteilung macht mehr Eindruck auf ihn als alle die Vorstellungen, Bitten, Drohungen. Sie ist ein Dolchstich für den unglücklichen Liebhaber. Die Eifersucht gesellt sich zu seinen anderen Qualen, ihn ergreift das Entsetzen, einen glücklicheren Sterblichen, als er es selbst ist, zu sehen; er verzweifelt vollkommen und schießt wie ein Blitzstrahl hinaus. Er hatte gerade den „Grafen de Cominge“, diese Tragödie von Herrn d’Arnaud, gelesen; dort spielt die Szene sich auf der Abtei der Trappisten ab. Er sieht nur diesen Ort für geeignet an, um seine Scham und seine Verzweiflung zu begraben. Er geht, unter dem Vorwand, in Versailles Dienst zu haben, reist mit der Extrapost ab und begibt sich in dieses Kloster.

Herr de la Blinaye war inzwischen zurückgekommen und hatte nach seiner Gewohnheit seinen Wagen weggeschickt. Er kommt näher, und sieht von weitem zwei Männer, die eine Leiter entfernen und sie auf ihn zu tragen; er hält sie an, fragt sie aus und vermag nichts aus ihnen herauszulocken, als daß ein junger, liebenswert aussehender Herr ihnen an der Straßenecke begegnet ist, sie gefragt hat, ob sie ihm diese Leiter zu gegebener Stunde bringen wollten; er hat sie im voraus entlohnt und ihnen eine weitere Entschädigung versprochen; daß er durch das Fenster bei einem dort wohnenden Mädchen, das zur Oper gehört, eingestiegen ist; daß er sie gebührend entschädigt hat und daß sie die nun überflüssig gewordene Leiter zurücktragen.

Der Alte, der aus dieser Erzählung unschwer erraten kann, daß der heimliche Galan sich nur bei Mlle Beaumesnil eingeschlichen haben kann, wird von grausamsten Zweifeln erregt und eilt beflügelten Schrittes, Klarheit zu erlangen. Sie ist noch ganz bewegt von dem, was sich mit dem Neffen zugetragen hat, und der Überraschung, sich plötzlich ihrem Herrn gegenüber zu sehen, zu hören, das zu hören, daß er die Leiter und das ganze Einsteigmanöver mit angesehen hat, trägt nur dazu bei, ihre Verwirrung zu steigern. Der Eifersüchtige sieht darin eine Bestätigung und wünscht über dies Abenteuer informiert zu werden. Mlle Beaumesnils Zartgefühl empört sich dagegen; die Wut des Liebhabers verdoppelt sich. Er reizt auf empfindlichste Weise ihr Ehrgefühl, durch beleidigende Vorwürfe, durch verächtliche Ausdrucksweise. Und nun antwortet sie ihm mit der Entschiedenheit der Unschuld und dem Bewußtsein einer guten Tat, die sie selbst verherrlicht, daß sie in diesem Moment gewichtige Gründe habe, um ihn nicht befriedigen zu können; daß er eines Tages bitten solle; daß sie von ihm verlange, daß er deshalb an ihre Ehrlichkeit glaube; daß sie ihm schwöre, daß nichts sich bei diesem Zusammensein ereignet habe, das seine Liebe beunruhigen oder ihm missfallen könne; daß sie nach dieser Beteuerung jede weitere Frage beleidigen würde, und sie bäte wohlweislich darauf nicht zu bestehen. In den Augen eines beherrschten, menschlich denkenden Beobachters wären diese ihre Worte, die mit Ruhe nach der vorangegangenen Erregung, die sie bewegt hatte, ausgesprochen wurden, ein Beweis von der Wahrheit ihrer Entschuldigungen gewesen; aber der Alte war zu außer sich, um richtige Schlüsse zu ziehen.

Seine Wut entzündet sich daran; und indem er das Fräulein mit Vorwürfen, Beleidigungen und all den Schmähungen, die ein so grausam getäuschter Mann ausspeit, überhäuft, kündigt er ihr den definitiven Bruch an.

Wie ein Rasender geht er von ihr und versteckt sich zu Haus. Nach einer Nacht, in all den Zweifeln verbracht, wie sie jeder Liebhaber empfunden hat, der sich gezwungen sieht, eine noch geliebte Mätresse zu verlassen, verfällt er in tiefe Träumerei; am nächsten Morgen lässt er sein Haus schließen und findet kein anderes Mittel seine Melancholie zu heilen, als die Zurückgezogenheit des Landlebens. Es liegt ihm nichts daran, in seinem jetzigen Zustand seinen Neffen zu sehen und, davon unterrichtet, daß dieser sich in Versailles befindet, befiehlt er nur, daß man ihn, wenn er von der Wache abgelöst werde, von der Abreise seines Onkels und dessen Wunsch, ihm zu folgen, verständige.

Die Besitzung, auf die sich M. de la Blinaye zurückgezogen hatte, lag fast in der Perche, unweit von La Trappe. Eines Tages bestimmt er diese Abtei zum Ziel seines Spazierganges. Die Mönche waren mit Gartenarbeit beschäftigt. Als er sie einen nach dem anderen betrachtet, fällt ihm einer auf, dessen Gestalt ihn frappiert, da er seinem Neffen seltsam ähnlich sieht. Er beschäftigt sich nicht eingehender damit und verlässt das Kloster.

Nach wenigen Tagen empfängt er Briefe aus Paris, die ihm mitteilen, daß Herrn de la Royeries Verbleib unbekannt ist, daß er keineswegs, wie er behauptet hatte, in Versailles sei, daß er verschwunden sei, ohne daß man mit den gewöhnlichen Auskunftsmitteln habe in Erfahrung bringen können, was aus ihm geworden ist.

Nun erinnert er sich des Zusammentreffens mit dem jungen Mönche, dessen Anblick ihn bewegt hat; mit Eilpost begibt er sich nach der Abtei. Er verlangt Auskunft und zweifelt aus Antworten über den Novizen nicht, daß dies sein Neffe sei. Man lässt ihn kommen; beim Anblick seines Onkels wird er bewußtlos; zu sich gekommen, fragt man ihn aus. Fasten und Kasteiungen haben die Wallungen seines Blutes beruhigt und die Heftigkeit seiner Leidenschaft gemäßigt. Seine Gedanken haben sich geklärt und da sein Gelübde mehr die Folge von Liebesgram als ein Wunsch nach göttlicher Gnade war, war ihm diese Gelegenheit, seiner Abgeschiedenheit zu entgehen, für die er nicht geschaffen war, nicht unlieb. Er erzählt seine Tollheiten. Bei seiner Erzählung kostet es Herrn de la Blinaye Mühe, an sich zu halten.

Doch ist er so entzückt, seine Mätresse unschuldig zu finden, ihre Vorsicht, ihre Reserve und den Edelmut ihres Vorgehens zu bewundern, daß er dem Chevalier billig vergibt.

Der Abt drängt als erster den Novizen, in die Welt zurückzukehren und seinem Onkel zu folgen, der ihn in Güte wieder aufnehmen würde. Bald finden sich beide wieder in der Stadt.

Nachdem sich Herr de la Blinaye über die Absichten seines Neffen vergewissert und überzeugt hat, daß dieser dank seiner kurzen aber heilsamen Weltflucht von einem Delirium, das in seiner Heftigkeit allein seine Schnelle Heilung trug, befreit ist, sagt er ihm, daß er ihn als einzige Strafe verwirrt zu den Füßen seiner Angebeteten zu sehen wünscht; und ohne sie zu benachrichtigen, führt er ihn zu ihr.

Diese Anekdote verwirrt durch ihre Seltsamkeit.

Das Erstaunen der Schauspielerin beim Anblick der versöhnten Rivalen war ungeheuer: „Madame, sagt Herr de la Blinaye, hier sehen Sie zwei reuige Sünder, die desto würdiger ihres Verzeihens sind, weil Liebe ihre Sünde war.“

Dann, zu seinem Neffen gewendet: „Ja,“ fährt er fort, „ich bin es, der Ihnen vorgezogen worden ist; ein siebzigjähriger Greis hat den Sieg über alle Reize der Jugend davongetragen, und ich bin es, der gewagt hat, eine Frau zu verdächtigen, der man Altäre errichten sollte.“ Darauf ergeht man sich in Erklärungen aller Art über alles, was sich zugetragen hat. Die beiden Liebhaber verlassen sie endlich, nicht ohne ihre Heldin mit Lobesbeteuerungen überschüttet zu haben und ihren Ruhm zu singen und ganz Paris zu erzählen, daß Anstand und Tugend noch leben und sogar in den Foyers der Oper.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sitten des Rokoko.