Zwei Damen von Rang, die von einer Ausländerin gehört hatten, daß sie die Zukunft besser weissagen sollte als die glaubwürdigsten ...

Zwei Damen von Rang, die von einer Ausländerin gehört hatten, daß sie die Zukunft besser weissagen sollte als die glaubwürdigsten Geschichtsschreiber Vergangenes berichten, be- schlossen, sie aufzusuchen. Sie kommen auf dem Weg zum Theater in großer Toilette, juwelengeschmückt, zu der Zigeunerin. „Meine Damen,“ sagt die alte Zauberin, „wenn Sie auf Ihrer Absicht bestehen, so seien Sie mutig auf alles gefaßt. Jeder Mensch wird von seinem verwandten Geist gefolgt, der sich allen seinen Schritten anheftet und sich ihm nicht zu erkennen gibt, es sei denn, daß er durch höhere Macht dazu gezwungen werde. Diese Macht ist mir gegeben, und ich kann einer jeden von Ihnen zu einer Verständigung mit Ihrem verwandten Geist verhelfen; ei wird Ihnen alles, was Sie zu wissen wünschen, sei es aus der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft sagen, aber nur unter gewissen Bedingungen kann er sich sichtbar machen ...“ Was auch diese Bedingungen sein mögen, was tut’s, man wird sich ihnen unterwerfen; man wünscht diesen Geist zu sehen, ihn zu sprechen, eine Unzahl von Dingen zu wissen; Gefahr ist nicht vorhanden?

Nein, diese Geister sind wohlgesinnt; ihr Ziel ist, sich mit dem Wesen in Einklang zu bringen, das sie zu behüten bestimmt sind.


„Lass uns unsere Wagen fortschicken, meine Liebe, dies ist bessere Unterhaltung als Kunst, ich will nach Herzenslust mit dem braven Geist schwatzen, der mir so freundschaftlich zugetan ist, und der mir zweifellos die interessantesten Dinge erzählen wird . . . Gute Frau, schnell, was sollen wir tun?“

„Sie müssen sich allen Schmuckes entledigen, der die menschliche Würde verschleiert, der Ansichten und Gedanken materiellster Natur verrät. Als Adam mit den Geistern sprach, war er in völliger Nacktheit; dieser Zustand kommt ihnen näher, er. . .“

„Wie, nackt? Wir müssen nackt sein wie Adam?“ — „Ja, meine Damen, nicht das mindeste fremde Kleid darf Sie entstellen, Sie müssen völlig entblößt von irdischen Dingen sein. Und dann, was fürchten Sie? Niemand als ihr verwandter Geist wird Sie erblicken; hier sind Sie sicher.“

Meine schönen Damen entkleiden sich gedankenschwer ob dieser seltsamen Zeremonie. Kleider, Wäsche, Schmuck und Putz werden in einer Kammer aufbewahrt; als sie in einfacher Nacktheit dastehen, führt man jede in ein getrenntes Kabinett, dessen Tür man sorgfältig verschließt . . . „An mir ist es nun, das übrige zu tun,“ sagt die Zauberin, „warten Sie nun auf den Erfolg meiner Beschwörungen, Sie werden ihn in kürzester Zeit verspüren.“ Schon nach Ablauf einer Sekunde hatten die entkleideten Schönen Mühe, ihre Ungeduld zu beherrschen; diese steigerte sich, als nach einer halben Stunde, einer Stunde, endlich zwei Stunden, noch immer dasselbe Schweigen, dieselbe Öde um sie herrschte.

Gleichzeitig, im Moment, wo ihnen beiden der Gedanke kommt, daß sie getäuscht seien könnten, brechen sie aus; mit aller Kraft fangen sie an zu rufen, um endlich vor Angst ohnmächtig zusammenzubrechen. Nachbarn eilen herbei; alles war verschlossen: man musste einen Kommissar holen; mit seinen Helfern eilt er herbei, man drückt die Türen ein, und man erblickt zwei Frauen, die wohl dem Auge ein recht angenehmes Bild bieten, die aber das Bewußtsein verloren haben.

Schnelle Hilfe bringt sie dazu zurück: aber Beschämung ergreift sie, sich in diesem Zustand zu wissen und den Augen der Menge ausgesetzt zu sein. Bald gesellt sich dazu die Verzweiflung, beraubt und schmählich ausgenutzt worden zu sein.

Die Alte hat, nachdem sie sie eingeschlossen hatte, das möblierte Haus verlassen, indem sie gewohnt, und nachdem sie ihre Miete unter dem Vorwand einer plötzlichen Abreise bezahlt hat, ohne die geringste Schwierigkeit all den Tand dieser neugierigen Damen mit fortgetragen.

So lernten sie also nicht mehr und nicht weniger, als daß man eher an Schelme denn an Geister und Zauberer glauben soll.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sitten des Rokoko.