Ein junger Herr von Rang, der kaum den Händen eines Erziehers, der ihn in tugendhafter Unwissenheit bewahrte, ...

Ein junger Herr von Rang, der kaum den Händen eines Erziehers, der ihn in tugendhafter Unwissenheit bewahrte, entschlüpft ist, hat sich in eine unserer kühnsten Abenteuerinnen verliebt, und er belagert diese Festung sehr standhaft nach allen Regeln der Kunst.

Vielleicht hätte er ebensoviel Zeit gebraucht wie die Spanier vor Gibraltar, wenn nicht ein kleines Ereignis seinen Ernst ein wenig verwirrt und ihm gezeigt hätte, daß seine bezauberten Augen ganz ungeheure Breschen übersahen.


Er hatte ganz einfach geglaubt, eine Soubrette besiegen zu müssen, und da er die äußerste Vorsicht anwenden musste, weil seine Eltern nicht die Leute waren, eine schöne Passion dieser Art zu verzeihen, hatte er sich mit großen Unkosten einen Vermittler für seine Briefe und Geschenke zu verschaffen gewußt. Vorläufig hat er nur das Glück genossen, zu lorgnettieren und lorgnettiert zu werden. Eine außerordentliche Schüchternheit hatte ihn eine Anrede, die ihn zittern machte, nicht wagen lassen; aber schließlich begannen die Antworten auf seine Briefe so zärtlich und so ermutigend zu werden, daß er nach Schluß der Vorstellung, kühner als sonst und stolz ob so viel Mutes, in dem Glauben, erst jetzt wirklich ein Mann von Welt und Unternehmungsgeist zu sein, sich einem seiner Diener eröffnete und ihn beauftragte, dieser Dame nach ihrer Wohnung zu folgen, sie von ihm zu grüßen und sie zu fragen, wann sie ihn empfangen wolle.

Der Lakai, ein schöner Junge, der eben erst nach Paris verpflanzt ist, folgt ihrer Spur, kommt an, tritt ein, ahnt nicht, daß er Schritt auf Schritt von seinem Herrn verfolgt ist, dem das Herz ebensosehr vor Furcht wie vor Hoffnung schlägt. Jener schleicht sich ins Haus, steigt die Treppe herauf und schmiegt sich eng an die Tür, die die Schöne nach Eintritt des hübschen Lakais hat schließen lassen. Wie oft beißt man sich nachher die Finger blutig, weil man an fremden Türen gelauscht hat!

„Madame, der Herr Marquis beauftragt mich, Sie zu grüßen und Sie zu fragen, wann er zu Ihnen kommen darf ...“ „Wie? kommen? und wann? Wie heißt Er, mein Freund?“ „La Brie, Madame.“ „Aber . . . , Julie, weißt du wohl, daß La Brie einer der hübschesten Burschen ist, die ich jemals gesehen habe? Diese Haare! Diese Zähne! Dieser Wuchs! Und die Kraft eines Türken! Und diese Haut, wie Atlas! Julie, dreh den Türschlüssel um! Euer Herr hat also große Eile? Aber, mein Kind, die Dia- manten, die er mir gestern sandte, sind gar so klein; ich habe ihn nicht zur Verzweiflung treiben wollen ... Er ist jener schlanke junge Herr, nicht wahr?“ — „Ja, Madame.“ — „Oh, um zu sehen . . . schnür mich auf, mein Lieber; diese Julie verschwindet immer, ich weiß nicht wohin. Und dein Auftrag ist also ein großes Geheimnis?“ — „Manhat mir strengste Diskretion anempfohlen.“ — „Du weißt also ein Geheimnis zu wahren. Nun wohl, ich will dir eins anvertrauen . . . Sehr gut, weiter so . . . La Brie ist geschickt . . . Wie heiß es ist! ... Löse mir diese Nadel . . . Nein, diese hier . . . Stütze mich . . . Aber, ich werde mich lieber setzen. . . Nur auf meinem Ruhebett ist mir wohl . . . Wie schön du gewachsen bist . . . Komm, wir sind allein . . . Du bist erstaunlich . . . Der entzückende Junge . . . Oh, wie tüchtig du bist!“

Der Marquis, der nicht mehr an sich zu halten vermag (man kann schon früher die Geduld verlieren), versucht einzudringen, aber die Tür widersteht. Bei diesem Lärm stürzt Julie von einer anderen Seite herbei, zieht ihn in ein getrenntes Gemach, befragt ihn, antwortet, und unterdessen entschlüpft La Brie. Es klingelt. „Was für ein Lärm ist denn dies?“ sagt eine schleppende Stimme.

„Der Herr Marquis, der glaubt, daß sein Lakai hier sei, und der einzutreten wünscht.“

„Mein Gott, wünscht denn dieser Herr Graf mir gleich bei der ersten Visite das Hemd zu reichen, mich ganz nackt zu überrumpeln? Laß ihn einen Augenblick warten.“ Der junge Graf, der jemanden die Treppe hinuntereilen hört, stürzt hinaus, läuft und erreicht La Brie vier Häuser weiter. „Wie, Erzschelm! So also richtest du meine Bestellungen aus? Ich habe alles gehört; du sollst meine Schläge fühlen.“

„Oh, Herr Graf, versetzen Sie sich an meine Stelle . . . Glauben Sie, auch trotz der zwei Louis, die man mir gegeben hat, hier sind sie, hätte ich Ihnen aus Respekt alles anvertraut . . . Ach, ich wußte nicht, wie ich anders handeln sollte.“

„Ich bin wütend . . . Ein Lakai ... Ich werfe dich hinaus . . . Aber nein, ich habe unrecht. Hier sind noch zwei andere Louis . . . Nimm . . . Die Lektion ist mehr wert . . . Wo, zum Teufel, hätte ich meine Liebe hingetragen! — Gib mir jeden Morgen Nachricht über deine Gesundheit. Dies sind zwei Erfahrungen, eine moralische und eine physische. Schließlich ziehe ich es vor, daß du diese Erfahrung gemacht hast, als ich.“ Der Galan, die lose Schöne und der hübsche Lakai erzählen alle drei dies Geschichtchen mit viel Vergnügen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sitten des Rokoko.