Viertes Kapitel. Ruhe taugt nicht in der Liebe. — Meine Verschwiegenheit. — Frau von ... . denkt mehr als ich an meinen Eintritt in die Welt. — Mein Geschmack an Gemälden.

Ein Maler in Versailles. — Ich finde bei ihm Sophiens Bildnis. — Er verschafft mir Gelegenheit, sie zu sehen. — Liebeserklärung. — Gegenerklärung. — Mein Vater kommt nach Versailles. — Meine Stiefmutter.— Ihr Porträt. — Wir gehen ins Schauspiel. — Tancred. — Abreise. — Die Herzogin von Polignac. — Der Herzog. — Schnelles Glück der Familie Polignac. — Erstes Erscheinen der Gräfin Jules bei Hofe. — Zuneigung der Königin. — Die Königin und die Prinzessin von Lamballe. — Der Graf Jules erhält die Anwartschaft auf die Stelle des Oberst-Stallmeisters bei der Königin. — Der Graf und die Gräfin von Tesse. — Erster Eindruck der Gräfin Jules auf mich. — Meine Liebe zu Frauen der Vorzeit und der Einbildung. — Der Graf von Vaudreuil. — Herr von Polastron. — Seine Gemahlin. — Die Königin behandelt die Prinzessin von Guémené zu streng. — Tod der Herzogin von Polignac in Wien. — Die Herzogin von Guiche. — Ihr Porträt. — Ihr Tod. — Ich schreibe an Sophien. — Ein paar Worte über die Sympathie. — Schwere Aufgabe, zwei Frauen zugleich zu lieben. — Meine Zusammenkunft mit Sophien. — Sie läßt sich rühren. — Rendezvous. — Sie widersteht. — Meine Verzweiflung. — Sophie schwankt. — Ich verehre ihre Tugend. — Versuchungen; menschliche Schwäche. — Ich schreibe an Sophien. — Die Kirche soll unsern Bund besiegeln. — Sie willigt.

L’amour, qui vit dans les orages et croît souvent au sein des perfidies, ne résiste pas toujours au calme de la fidélité.


Unser Verhältnis hatte keine Abgründe auszufüllen, keine Felsen zu erklimmen. Keine Eifersucht machte es pikanter. Der Argwohn träufelte keinen Wermut in den Kelch der Liebe. Alles ging still und ruhig zu. Frau von ... fand, wie ich glaube, in dieser Lage das Glück, ich den Genuß.

Der Augenblick rückte heran, wo ich in die große Welt eintreten sollte. Es waren nur noch sechs Monate bis dahin. Sie schwanden unter den Flügeln einer zärtlichen Geliebten, einer liebevollen Mutter, einer sorgsamen Freundin. Die ganze Zeit über machte ich mich keiner Indiskretion schuldig. Dies Betragen vermehrte ihre Liebe und gewann mir zugleich ihre Achtung. Meine Zukunft beschäftigte mich weniger als sie; ihr Auge, schärfer als meines, durchschaute, was ich nicht einmal mutmaßte; es entdeckte auf der Bahn meines Lebens Abgründe, wo der Jüngling nichts als Blumenpfade erblickte.

Von Zeit zu Zeit verfolgte mich jedoch Sophiens Bild. Ich hatte keine Gelegenheit sie zu sehen. Ich mußte sogar glauben, Frau von ... halte sie vor mir verborgen und habe ihretwegen einen zweiten Ort zu unsern Zusammenkünften gewählt. Ich durfte mir kaum erlauben, nach ihr zu fragen und ihren Namen zu nennen.

Endlich aber bediente mich der Zufall besser als die feinste Anlegung eines Planes, als das Resultat der tiefsten Kombinationsgabe.

Ich war ein leidenschaftlicher Zeichner geworden. Vom Zeichnen war der Uebergang zum Malen schnell; ich wurde ein leidenschaftlicher Liebhaber der Malerei. Von diesem lebhaften Geschmack für die Kunst ist mir so viel geblieben, daß, ohne ein ausgezeichneter Kenner zu sein, ich noch immer imstande bin, den Gemälden ihren wahren Standpunkt anzuweisen, das Mittelmäßige vom Guten, das Schlechte vom Mittelmäßigen richtig zu unterscheiden.

Es lebte damals in Versailles ein Maler und Gemäldehändler von einigem Ruf, oder vielmehr ein begeisterter Farbenquacksalber, auf welchen Figaros Devise in Beaumarchais’ Barbier von Sevilla: Consilio manuque vollkommen paßte. Er war eigentlich Porträtmaler und gab Unterricht darin. Dieser Universalkünstler besaß noch überdies eine Menge Talente – vor allem eine grenzenlose Menschenliebe. Der Mann war ein gefälliger Philanthrop, sein Herz fühlte das dringende Bedürfnis des Wohlwollens und der Dienstbeflissenheit – besonders wenn er seinen eigenen Vorteil dabei fand. Aus kosmopolitischem Patriotismus wurde er in der Folge ein feuriger Anbeter der Revolution, aber seine Geliebte lohnte ihn mit Undank. Sein Haupt fiel unter dem Beile, obschon er sich immer als einer der eifrigsten Verfechter der Maßregeln gezeigt hatte, die man damals mit dem prunkenden Namen der grandes mesures du salut public belegte. Doch das gehört nicht hierher. Ich eile schnell über diesen Umstand weg, der ihm den Kopf kostete. Damals, als ich seine Bekanntschaft machte, trug er ihn noch, obgleich schief,*) auf den Schultern.

Ich besuchte ihn bisweilen. Eines Tages, als er mir mit Selbstgefälligkeit seine Porträts und übrigen Gemälde zeigte, erblickte ich ... man denke sich mein Erstaunen! ... man denke sich meine noch größere Freude! ... ich erblickte das Bild der jungen Person, mit welcher sich mein Herz so oft beschäftigte. Kaum durfte ich es wagen, mich zu täuschen und aus dem schönen Traume grausam geweckt zu werden. Endlich fragte ich doch Herrn Morand und er gab zur Antwort: „Es ist der Kopf einer meiner Schülerinnen. Ich kann sie so nennen, obwohl sie schon malte, als sie zu mir kam, denn ich bin der erste, der sie in dem faire suave unterrichtete, von dem die Maler in den Provinzstädten nichts verstehen, es folglich auch nicht lehren können. Dieses Porträt ist das ihrige und von ihr selbst gemalt. Ich behalte es noch bei mir, um ein gewisses je ne sais quoi darüber zu verbreiten, was sie verfehlt, oder eigentlich nicht erreicht hat, nicht hat erreichen können, weil es sozusagen der letzte Ausdruck der Seele ist und niemand in seine eigene Seele schauen kann. Sie lebt bei einer vornehmen Dame vom Hofe, die sich für sie interessiert. Diese Dame, noch schön genug, um nicht eifersüchtig sein zu dürfen, hält sie in einer Art von Abgeschiedenheit, die mir auffällt. Auch scheint die junge Person damit unzufrieden. Sie hat einen Anstrich von sanfter Schwermut, welche doppelt für sie einnimmt ...“ – Sie sind Maler, lieber Herr Morand (unterbrach ich ihn hier), aber den Namen der jungen Dame! Ich bitte um den Namen. – „Der Name, mein Herr Graf, ist das letzte, was hier in Betracht kommt, es ist ein unbekannter Name, eine unbekannte Familie aus der Provinz; ein gewisses Fräulein von Lorville, die Tochter eines Edelmannes à simple tonsure,**) eines Landjunkers, der nichts gelernt als jagen – und obendrein schlecht jagen, seinen Pfarrer quälen, seine Bauern schinden, ein langes und breites von Feldzügen erzählen, die er nicht mitgemacht, von Garnisonen, in welchen er gehockt und sein Pflanzenleben zugebracht hat, mit einem Worte, der in seiner Provinz stirbt, ohne Paris und den Hof gesehen zu haben.“ – Sie, mein Herr Morand, Sie haben beide gesehen. – „Nicht allein gesehen, Herr Graf, nicht gesehen allein! Meine Kunst, meine Verhältnisse haben mich in die Höhe gebracht. Ich habe mit den Großen, den Vornehmen gelebt, mit dem höchsten Adel, mit den ersten Künstlern verkehrt.“ – Ich zweifle nicht daran, Herr Morand, aber die junge Person ... – „Die junge Person, Herr Graf, kam sonst bisweilen her, aber ...“ – Wie? Sophie? ... Fräulein von Lorville ist zu Ihnen ... hierher ... gekommen? – „Ha, Herr Graf, Sie kennen Sie also? Mit welchem Feuer, mit welchem Entzücken Sie ihren Namen aussprechen!“ – Herr Morand, von Stund an setze ich Sie weit über alle Michel-Angelos, über alle Raphaëls, über alle Corregios, wenn Sie, das erste Mal, wenn Sophie zu Ihnen kommt, mir einen Wink geben wollen. Zählen Sie auf meine ganze Dankbarkeit, auf eine ewige Erkenntlichkeit, die sich nicht auf Worte beschränken soll. ... Ich scheide nächstens aus der Pagenschule. ... Ich bin in kurzem mein eigener Herr. ... Vielleicht kann ich Ihnen dann Beweise geben. ... Sie können sich für überzeugt halten. ... – „Wie, Monsieur le Comte, sehen Sie mich für einen an, der ... Können Sie glauben, daß ein niedriges Interesse mich bewegen könnte? Nichts in der Welt kann es, als die Liebe zur Kunst, nichts als der edle Zweck, zwei Personen, welche wie ich die Kunst abgöttisch lieben, einander näher zu bringen, ihnen die Mittel zu verschaffen, zu erleichtern, sich mit den Hauptwerken der berühmtesten Meister, sozusagen unter den Augen und Flügeln des Genius derselben, bekannter und vertrauter zu machen! Genug, ich will sehen, was ich tun kann. ... Doch, es stellen sich mir Schwierigkeiten ... ja, Herr Graf, viele und große Schwierigkeiten ... Schwierigkeiten aller Art entgegen. Das Fräulein kam ehedem oft zu mir ... sie kam sogar allein. ... Jetzt ist es anders, sie kommt seltener und immer unter Begleitung. Es ist mir aufgefallen. Die erste Kammerfrau der Frau von ... weicht nicht von ihrer Seite.“ – Mademoiselle Emery? nicht wahr? – „Richtig, Herr Graf. Das erstemal, daß ich hingehe und der jungen Dame Unterricht gebe, will ich es unter einem schicklichen Vorwande so einleiten, daß sie mich besuche. Ich will ihr von neuen Gemälden erzählen, die ich erhalten, sie wird neugierig sein, sie zu sehen. ...“ – Herr Morand, liebster, allerliebster Herr Morand, Sie sind ein Gott in meinen Augen! – „Ja, so sind die jungen Herren alle! Wenn man gegen sie gefällig ist, ihnen dient, ihren Leidenschaften nachhilft, ist man ein Gott in ihren Augen, widerspricht man ihnen aber im mindesten, so ist man – weniger als ein Mensch.“ – Ei, Herr Morand, wie Sie da sprechen! Was soll diese Apostrophe, diese philosophische Deklamation? Lassen Sie doch das leere Pathos weg! Wie ungerecht! Zumal unter uns beiden!

Dem guten Manne war, wie man sieht, schon ein Funke von Revolution durch den Kopf gefahren, hatte sich angesetzt, glimmte im Gehirn, schlug in der Folge Flammen und brach eines Tages, wie die bewaffnete Pallas, aus seinem Schädel hervor.

Ich schwebte zwischen Furcht und Hoffnung, ob er Wort halten würde. Hatte ich noch Zweifel über Sophie, so war mir in Hinsicht der Frau von ... alles klar geworden. Ihr Mißtrauen, ihr Verdacht lag am Tage. Ich klagte sie einer Ungerechtigkeit gegen Sophie an, die ihr zwar nicht meine Ergebenheit, meine Dankbarkeit, wohl aber die Liebe entzog, die ich bisher für sie gefühlt hatte. Der Zwang, unter welchem Sophie lebte, ihre Traurigkeit, die ich mir vielleicht in der Einbildung vergrößerte, gewannen ihr ganz ein Herz, welches ich bis jetzt geteilt hatte.

Ich ließ Herrn Morand keinen Augenblick Ruhe, bis sein Versprechen erfüllt war. Es wurde ihm leichter, als ich es erwarten durfte, denn schon nach einigen Tagen ließ er mich wissen, er werde Sophie und ihre Begleiterin bei sich sehen. Ich eilte zu ihm. „Sie haben einen Garten (sagte ich). Führen Sie die Kammerfrau hin, zeigen Sie ihr alles, Ihre Blumen, Ihre Gewächse. Lassen Sie Ihre reizende Schülerin ein paar Minuten allein, weiter verlange ich nichts von Ihnen. Mich wird ein glücklicher Zufall bedienen. Sie verbergen mich in einem Nebenzimmer. Ich benutze Ihre Abwesenheit und die paar Minuten zu einer Unterredung mit Sophie.“

Alles ging nach Wunsch. Mir ward das unaussprechliche Glück, mit Sophie allein zu sein. Ich war im ersten Moment Zeuge ihrer Bestürzung, ihrer unwillkürlichen Bewegung. Sie hatte mich nicht vergessen. Sie wollte sich vergebens das Ansehen geben, als zweifle sie an dem Eindruck, den sie am ersten Abend ihrer Erscheinung bei Frau von ... auf mich gemacht hatte. Ich merkte deutlich, daß er ihr nicht entgangen war.

Die Augenblicke waren kostbar. Ich sprach mit Begeisterung von jener Erscheinung, von der schnellen und dauernden Wirkung, die sie in mir hervorgebracht, von dem künftigen Glück oder Unglück meines Lebens. – „Oh (versetzte sie), wenn alles Schöne, was Sie mir da sagen, auch wahr wäre, warum kämen Sie so selten zur Frau von ...? Ich bin eine Zeitlang abwesend gewesen. Nach meiner Rückkehr wagte ich es einmal zu fragen, warum man Sie nicht mehr sähe? Die Antwort war trocken und kurz. Es hieß: Sie müßten Ihre Zeit zwischen Ihren Pflichten und Ihren Vergnügungen teilen, jene hätten zugenommen, da Sie im Begriff ständen, zum Regiment abzugehen; was das Vergnügen beträfe, so würden Sie wahrscheinlich Ihre Zeit besser anzuwenden wissen, als in ihrem einförmigen Umgange.“ – „Oh, wie hat man Sie betrogen!“ rief ich aus. „Ich habe kaum so viel Zeit, Ihnen aufs Heiligste zu beteuern, daß Sie nie, nie auch nur einen Augenblick mir aus den Gedanken gekommen sind. Das Maß Ihrer Nachsicht und Güte wird das Maß meines Glücks sein. Beweisen Sie mir, daß ich Ihnen nicht verhaßt bin, dadurch, daß Sie bisweilen hierher kommen. Herr Morand, welchen ich von der Aufrichtigkeit und Reinheit meiner Absichten überzeugt habe, verspricht meiner Liebe behilflich zu sein. Sollte ich Sie nicht so oft sehen können, als ich es wünsche, so lassen Sie es sich mindestens gefallen, die Briefe, welche Ihnen Morand zustellen wird, anzunehmen, und versagen Sie mir nicht die Hoffnung, daß es Ihnen nicht zu viel Selbstüberwindung kosten werde, sie zu beantworten.“ –

Dies alles wurde so schnell und so leidenschaftlich ausgedrückt, daß sie, ohne Zeit zur Antwort zu gewinnen, mir nur durch Erröten und sichtbare Verwirrung den Zustand ihres Herzens zu erkennen geben konnte. Wir hörten Schritte. Ich eilte in mein Versteck zurück.

Als sie gegangen war, dankte ich meinem Vertrauten mit einer Herzensergießung, die nie wahrer und lauterer fließt, als wenn sie ihre Quelle in der Liebe hat. Damit ihm aber Zeit, Mühe und Eifer nicht unvergolten blieben, kaufte ich ihm ein mittelmäßiges Gemälde ab, dem er selbst aber großen Wert beilegte. Es war Achill, als Mädchen verkleidet, zu Deïdamias Füßen. Zugleich bemerkte ich, daß ich die Absicht hätte, einen schönen Rahmen für das Bild zu bestellen, und ersuchte ihn, es bis dahin bei sich zu behalten. Die Wahrheit zu gestehen, ein Page ist selten bei Gelde, und ich hatte noch zwei Monate zu warten, bis ich über mich und einen vollen Beutel verfügen konnte.

Als ich wieder nach Hause kam, fand ich einen Bedienten meines Vaters, der mich von seiner soeben erfolgten Ankunft benachrichtigen ließ. Der Bediente sollte mich zu ihm ins Hotel de Modène bringen, wo er abgestiegen war. Der Herr Gouverneur machte keine Schwierigkeit, und somit folgte ich meinem Führer, der mir unterwegs erzählte, die Frau Marquise sei ebenfalls angekommen und brenne vor Ungeduld, meine Bekanntschaft zu machen. Mein Vater hatte sich aus einer Grille, die ihm viel zu teuer zu stehen gekommen ist, als daß ich sie ihm noch hier zum Vorwurf machen sollte, zu einer zweiten Heirat entschlossen. Dies konnte mir im Grunde gleichgültig sein, da mein Vermögen von mütterlicher Seite kam, und man ihm, als er anfing, etwas zu verschwenderisch damit umzugehen, die vormundschaftliche Verwaltung abgenommen und einem Familienrate übertragen hatte.

Mein Vater war noch in den besten Jahren und in seiner vollen Lebenskraft. Er hatte sich, wie man zu sagen pflegt, gut konserviert. Nichtsdestoweniger war dieser Heiratsfall eine komplette Torheit; denn seine junge Frau, aus einem guten, aber nicht reichen Hause, hätte seine Tochter sein können. Man denke sich eine äußerst pikante Brünette, mit einem üppigen, sinnlichen, liebeheischenden Gesichtchen. Dieses Gesicht war nichts weniger als hübsch; man würde sogar geneigt gewesen sein, es häßlich zu nennen, wenn es nicht zu denen gehört hätte, welche auf den ersten Anblick eben den Eindruck eines hübschen machen. Sie hatte ein Etwas in den Augen, was ich nicht geradezu Schielen nennen möchte, was ihm aber so ziemlich gleichkam; bei näherer Untersuchung löste es sich in einen Blick auf, der zwischen der Begehrlichkeit der Sinne und der Schamhaftigkeit der Konvenienz mitten innelag und den inneren Kampf zwischen beiden ausdrückte. Dieser sichtbare Kampf gab ihren Augen jenen schiefen, unstäten Seitenblick. Die Nase war etwas dick; die Lippen rot, aber ungleich gestaltet. Der Mund zeigte zwei Reihen gesunder, reiner Zähne, doch ohne Emailleglanz. Dabei hatten ihre Gesichtszüge, wenn sie sprach, eine Beweglichkeit in den Muskeln, die dem, was sie sprach, so schnell und unzusammenhängend es war, immer vorauseilte. Sie war ziemlich groß, wohlgewachsen, mit einem Walde von Haaren, und anderen etwas starken Reizen, deren Fülle es nicht an Schönheit gebrach. Ihr Organ war abwechselnd einschmeichelnd und abstoßend; ihr Verstand von keinem sonderlichen Umfange, aber, wie ich es nachher erfahren, schlau und wetterwendisch. Ihr Herz war vielleicht nicht schlecht, aber schwach genug, um allen Eindrücken offen zu stehen, und sich allen nachteiligen Urteilen auszusetzen, die es nur zu leicht in die Klasse der entarteten versetzten.

Mein Vater stellte mich ihr vor, und genoß dabei in seiner Meinung keinen geringen Triumph. Im Taumel seines Glücks, im Rausch seines Sieges, schlug seine Flamme bei der Voraussetzung hoch auf, daß ich seine Bewunderung teilen müsse. Sie, die junge Frau, schien ihrerseits mir durch einen heuchlerischen Blick zu verstehen geben zu wollen: Ich möchte es ihr verzeihen, daß sie meine Stiefmutter geworden.

Ich war nachdenklich, zerstreut, gegen beide eingenommen, verstimmt, kalt, aber ehrerbietig. Mein Vater teilte mir seinen Plan mit. Er wollte im Tale von Montmorency ein Haus kaufen, und den Rest seiner Tage in der Nähe und Gesellschaft zweier Jugendfreunde, des Marquis von Montmorency und des Kommandeurs von Champignolles, zubringen. Ersterer war ein mittelmäßiger Kopf; sein Hauptverdienst bestand in einem großen Namen, der ihn zum Generalleutnant gemacht, ohne daß er selbst gewußt, wie? Und ihn in eine Karriere versetzte, die ihm das Mißfallen seiner Familie zuzog, obschon alles, was Frankreich Ausgezeichnetes hat, von jeher, und mit Recht, diese Laufbahn für die allerehrenvollste gehalten hat. Letzterer war ein guter, ehrlicher Mann, nicht gerade mit Verstand gesegnet, der sich seit langer Zeit von einer alten, an Geist und Leib schwerfälligen Flamländerin gängeln und beherrschen ließ. Er betrank sich regelmäßig Tag für Tag, und konnte nicht begreifen, wie dies möglich sei, weil er immer die Vorsicht gebrauchte, in jedes Glas Champagner, die er zu Dutzenden hinunterschlürfte, ein paar Tropfen Wasser zu träufeln. Niemand teilte sein Befremden; niemand wollte seine Vorsicht loben.

Mein Vater versicherte mich mit vieler Zärtlichkeit: Seine Reise nach Versailles habe keinen andern Zweck, als mich zu sehen; er werde am nächsten Morgen wieder abreisen, und könne schon aus dem Grunde nicht länger mit Anstand bleiben, weil seine Gemahlin noch nicht bei Hofe vorgestellt worden.

Abends gingen wir ins Schauspiel. Man gab Voltaires Tancred. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit einer Bemerkung meines Vaters. „Amenaïde,“ sagte er, „hätte sich mit einem Worte von dem Verdacht des Verrats reinigen können. Sie durfte nur dieses Wort sprechen.“ Er wunderte sich, daß Monsieur de Voltaire***) diesem Teile seines Trauerspiels so wenig Wahrscheinlichkeit gegeben. Dagegen behauptete meine Stiefmutter: Durch den ihrem Geschlechte angeborenen Stolz, und durch den Stolz der Unschuld überhaupt lasse sich Amenaïdens Schweigen erklären, und dem Vorwurfe begegnen. Sie setzte hinzu: Hätte Amenaïde sich gerechtfertigt, wie sie es konnte, so wäre das Stück mit dem ersten Akte zu Ende gewesen. Dieser letzte Grund gefiel mir besser als der erste. Nach Tische nahm ich Abschied von Vater und Mutter. Sie reisten am folgenden Morgen nach Paris, und von da auf ihr Landgut zurück.

*) Und zwar so schief, daß er, wie ein zweiter Argus, sehen konnte, was hinter ihm vorging.

**) Sprichwörtlich nennt man Docteur à simple tonsure einen, der nicht viel gelernt hat; folglich ist ein Gentilhomme à simple tonsure ein bloßer Herr von. Uebers.

***) Der erst vor kurzem (1778) gestorben war, folglich noch das Monsieur der lebenden Schriftsteller erhielt. Uebers.



Um diese Zeit, wie ich glaube (denn man verlange nicht von mir ein immer genau angegebenes Datum), sah ich zum ersten Male die Gräfin von Polignac, welche in der Folge durch die Gunst der Königin und späterhin durch den Haß der Nation so berühmt geworden, und vom Schicksal bestimmt war, ein frühzeitiges, unglückliches Ende zu nehmen. Der Graf Jules, nachheriger Herzog von Polignac, ihr Gemahl, teilte das glänzende Glück seiner Gattin, ohne es geahnt, noch gesucht zu haben. Daraus darf man aber nicht folgern, daß er dieses Glückes unwert gewesen sei; dies würde heißen, meinen Worten einen falschen Sinn unterlegen. Er war ein rechtlicher, einfacher Ehrenmann, der durch Namen und Familienverhältnisse zu allem gelangen konnte, den aber persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten – vielleicht auch Geschmack und Neigung – zu einem stillen, einförmigen Leben beriefen. Sein Vermögen war bescheiden, seine Aussichten beschränkt. Mehr Freund als Liebhaber seiner Gattin, begnügte er sich beständig mit diesem Titel, und ertrug ohne Laune, wie wohl kein anderer, daß er den zweiten nicht führte. Unter den Zügen und in der Gestalt des Fräuleins Polastron, Gabriele Yolande Martine, geboren 1750, gestorben zu Wien 1793, seiner Gemahlin, machte ihn Fortuna zu ihrem Günstling; er hatte sich nicht zu dieser Göttin gedrängt, stieß sie aber, und mit Recht, nicht von sich, und ließ sich von ihr mit allen ihren Gaben überschütten, ohne sie je, wie es wohl geheißen hat, für seine Person zu mißbrauchen. Nur seine Schwester, die Gräfin Diane von Polignac, und seine Umgebungen, der Abbé de la Balivière usw., waren schuld, daß sich über ihn und seine Gemahlin (welche jedoch nicht so genügsam war als er selbst) , der Strom des Neides, des Unmuts, der Erbitterung ergoß, der schon vor der Revolution unwillig und dumpf hinter den bald nachher zu durchbrechenden Dämmen rauschte, und beide als seine ersten Opfer mit sich fortzureißen drohte.

Herr und Frau von Polignac (denn ich beschränke mich auf sie allein) verdienten nicht eben den öffentlichen Haß, der sie verfolgte. Sie liehen zwar der Schmeichelei, der Zudringlichkeit ihrer Klienten, der Stimme verderblicher Ratgeber ihr Ohr, ließen sich vom falschen Glänze des Glückes blenden, fielen in Irrtümer, gerieten auf Abwege; dürfte es aber wohl an irgendeinem Hofe, zu irgendeiner Zeit, viele Hofleute geben, welche, in eine ähnliche Lage versetzt, weniger Habgier weniger Stolz gezeigt, weniger Fehler begangen haben würden?

Es ist damit nicht gesagt, daß der, welcher den Richterstuhl einnimmt, den menschlichen Schwachheiten ihr Maß und Ziel setzte, und alles, was darüber ist, verdamme; er muß noch überdies die Stellung, die Lage berechnen, in welcher sich der Angeklagte befand, er muß mit Uneigennützigkeit die Täuschungen abwägen, die dessen Fehler veranlaßten, und Breite und Tiefe des Stromes messen, der ihn fortriß.

Die der alten Regierung gemachten übertriebenen Vorwürfe und Anschuldigungen von Mißbrauch der Macht, von Bedrückungen, von geheimen Verhaftsbriefen, von gewaltsamen Handlungen des Despotismus, rührten gar oft von Leuten her, welche nie darunter gelitten hatten, oder, wenn sie damit bestraft worden, der Gerechtigkeit hätten Dank wissen sollen, die sich für sie in Gnade verwandelte. – Ungerechtigkeiten, wie sie das Ministerium des Herzogs de la Brilliere gebrandmarkt, und Männer und Frauen, die ihn beherrschten, mit Schande bedeckt haben, – solche Ungerechtigkeiten verdienen den gerechten Haß und die schwersten Vorwürfe der Nation. Aber nichts von der Art, nichts, was ihnen nur am allerentferntesten gliche, kann der während beinahe fünfzehn Jahren allmächtigen Familie der Polignacs Schuld gegeben werden.

Worin bestehen ihre Verbrechen? Dienstleistungen für ihre Freunde; ein herzoglicher Titel und hohe Hofwürden für sich selbst (zuletzt wurde die Herzogin zur Gouvernante der königlichen Kinder erhoben); Gold – (Gold nehmen die Menschen immer, wo es zu finden ist; obschon es edler sein würde, es zu verschmähen); – die ihren Mitwerbern und Feinden entzogene Hofgunst: Hierin bestand, wenn das Schlimmste zum Schlimmen kommt, die Ausübung und der Mißbrauch einer Gewalt, welche sie, in den Abzweigungen und Unterabteilungen derselben, so viele Jahre zu unumschränkten Herren der Monarchie machte.

Als die Gräfin Jules von Polignac zuerst vorgestellt wurde, zog sie aller Augen auf sich, nicht sowohl durch ihre Gestalt, als durch eine Grazie, welche mehr anspricht, als die regelmäßigste Schönheit, und durch einen verführerischen Reiz, der um so mehr bei ihr eine reine Naturgabe war, da auch nicht das Geringste von der Kunst erborgt zu sein schien.

Die zärtliche Freundschaft, welche die Königin bis dahin für die Prinzessin von Lamballe*) gehegt, – und ihr auch in den letzten Zeiten und bis zum kläglichen Ende der Prinzessin wiedergeschenkt und erhalten, – hatte damals angefangen, etwas von ihrer Wärme und Lebhaftigkeit zu verlieren. Die Erscheinung der Gräfin von Polignac konnte in keinen günstigeren Zeitpunkt fallen. Das Herz der Königin suchte, sozusagen, das Herz einer Freundin. So geschah es denn, daß sie im ersten Augenblick jene Sympathie für sie fühlte, welche in der Liebe wie in der Freundschaft der Vorbote der dauerndsten Zuneigung ist. Die Königin wünschte die Gräfin immer um sich zu haben, und bot ihr deshalb, erst die Stelle einer Palastdame, dann einer Dame d’atours an. Etwas Bequemlichkeit von seiten der Gräfin, vielleicht auch der Rat ihrer Freunde, und ein wenig Politik, bestimmten sie, die Gnade abzulehnen. Von nun an konnte sie aber in keiner anderen Eigenschaft, als in der einer Freundin, bei der Königin eintreten. Die Stelle war von neuer Art; eine Freundin, die in keiner Abhängigkeit von der Majestät lebt, eine Freundin, welche nichts von der Majestät verlangt, konnte darauf rechnen, es lange zu bleiben. Ihr Gemahl hingegen durfte, ohne Nachteil und Anstoß, mit einer Hofwürde auftreten, und erhielt demzufolge die Anwartschaft auf des Grafen von Tesse Oberst-Stallmeisterstelle bei der Königin. Diese Verfügung, von welcher dieser nicht einmal vorläufig unterrichtet wurde, war ein Dolchstich für ihn, obschon er keinen Sohn hatte, der einst sein Nachfolger hätte sein können. Die Wunde war um so empfindlicher, da alles darauf abgesehen war, seinem Stellvertreter Ehre zu erzeigen, ihn selbst aber Demütigungen und Herabsetzungen fühlen zu lassen. Man hoffte, ihn dadurch zu bewegen, seine Entlassung zu nehmen; er war aber stark oder schwach genug, allen Stürmen die Stirn zu bieten und im Dienste zu bleiben. Wahrlich ein bitterer Lohn für einen der rechtschaffensten Männer in Frankreich, für einen Granden von Spanien, einen Generalleutnant, einen Ritter der großen Orden, für den Enkel eines französischen Marschalls, und für den letzten Sprossen einer Familie, in welcher diese Stelle von Vater auf Sohn bisher erblich gewesen war!

Aber junge Königinnen nehmen es mit alten Hofleuten nicht so genau.

Die Gräfin Tesse, eine Tochter des Marschalls von Noailles, konnte ihrerseits und durch den Einfluß ihrer Familie einen Schlag nicht abwenden, der sie um so tiefer kränken mußte, da man ihr die Absicht zuschrieb, dem Vicomte de Noailles, ihrem Vetter, die Anwartschaft auf die Stelle zu verschaffen. Letzterer hat mir jedoch das Gegenteil feierlich versichert. Die Gräfin rächte sich wenigstens für den Vorfall dadurch, daß sie laut von der Sache sprach und ihre Meinung offen äußerte, daß sie selten an den Hof kam, und so oft sie erschien, sich mit einer Würde zeigte, welche einer edlen Rache nicht unähnlich sah. Dabei hätte sie es aber bewenden lassen, keinen Schritt weitergehen, und, mit einem so vorzüglichen Verstande begabt, als der ihrige war, den Geist der bevorstehenden Revolution erraten sollen, welcher es sich zum Gesetz machte, diejenigen zu bestrafen, die sich ihrer bedienten, um Rache an ihren Feinden zu nehmen; sie hätte vor allen Dingen bedenken sollen, daß die höheren Klassen, wenn sie sich zu philanthropischer Sentimentalität herablassen, immer dafür gezüchtigt werden; sie hätte sich hüten sollen, dem Volksrepräsentanten Barnave den Spottnamen Neronet zu geben, weil dieser sich einmal einen Ausdruck erlaubt hatte, der sein ganzes Andenken entehrt, und den er sich selbst oft vorgeworfen hat. (Barnave hatte nämlich bei Gelegenheit der Ermordung Berthiers und Foulons gefragt: Ce sang qui coule, est-il donc si pur?)

Auf Veranlassung dieser Anwartschaft und der Ernennung des Herzogs von Polignac zum Oberst-Stallmeister mußten wir, sämtliche Pagen der Königin, ihm und seiner Gemahlin unsere Aufwartung machen und unsern Glückwunsch abstatten. Beide befanden sich damals noch in ziemlich beschränkten Vermögensumständen, und wohnten im Hôtel de Fortisson, rue des bons enfants, zu Versailles. Welch ein gewaltiger Abstand von dem Glänze, der ihrer wartete, als sie im Schlosse von Versailles wohnten, und täglich die Ehre hatten, die Königin, den Grafen von Artois und selbst den König bei sich zu bewirten!

Ich würde es vergebens versuchen, den Eindruck zu schildern, welchen der erste Anblick der Gräfin Jules auf mich, damaligen Jüngling machte; sie war eben aufgestanden, im weißen Morgenkleide, eine Rose in den Haaren, (Dans le simple appareil D’une beauté qu’on vient d’arracher au sommeil. (Britannicus.) und stand vor einem Spiegel, der ihre Züge zurückgab, und ihre Gestalt, sozusagen, verdoppelte. Ich erinnere mich noch jetzt deutlich, daß, was mich am meisten frappierte, die Idee war, ich sähe eine Prinzessin vor mir stehen, welche sich anschicke, auf einem Liebhabertheater die Rolle einer Schäferin zu spielen, und zwar sie in der höchsten Vollkommenheit zu spielen. Zugleich sagte ich zu mir selbst: „Hinkte sie nur ein wenig, so würde sie, – obschon nicht so schmachtend, und viel hübscher als die Herzogin de la Vallière,**) – viel Aehnlichkeit mit ihr haben.“

Es ist sonderbar, daß der erste lebhafte Eindruck, welchen damals die Gräfin von Polignac auf mich machte, von keinem Bestand gewesen ist; ich habe sie in der Folge gesehen, ohne von ihrer Schönheit gerührt zu werden: Desto mehr wurde ich es aber von ihrer Haltung, ihrem Gange, von den zauberischen Stellungen und Wendungen ihrer Person, welche das Gepräge einer leichten Nachlässigkeit trugen, die von dem Treiben der Höfe, der Geschäftigkeit des Ehrgeizes, dem Rausche des Einflusses und der Macht so auffallend abstach. Auch ihrem Gemahl war ein äußerer Gleichmut, der in höheren Kreisen so selten, und in allen Lagen so empfehlenswert ist, in hohem Grade zuteil geworden. Beide besaßen die Eigenschaft der Gelassenheit. Ihre Feinde waren nicht so kaltblütig, nicht so ruhig. Selbst der Graf von Vaudreuil, der die Gräfin beherrschte, konnte sich nicht immer beherrschen. Er besaß viel Geist und Grazie, einen edlen Anstand; er war glücklich in seinen Ausdrücken und Wendungen; er hatte ganz das Wesen eines großen Herrn, und etwas Anziehendes; nur ließ er sich in der Hitze zu weit gehen, und gab dem Hange nach, dessen man ihn beschuldigte, zu oft und zu gern von sich zu sprechen. Diese Schwäche mußte man ihm aber um so mehr zugute halten, da es wenige Männer gab, die es mehr verdient hätten, als er, der Gegenstand einer interessanten Unterhaltung zu sein. Nach dem, was ich von ihm weiß und von anderen erfahren habe, möchte ich mich ungern auf die Frage einlassen: Wieweit sich sein Einfluß über die Herzogin erstreckt habe? Inwiefern er die Vorwürfe verdient, die ihm gemacht worden? Desto leichter und lieber ist es mir, von ihm zu sagen: Daß es kaum in der Wirklichkeit einen ritterlicheren Charakter gegeben habe; daß wenige so viel Liberalität, so viel Unbefangenheit, so viel Eigenschaften, welche eine schöne Seele verraten, gezeigt haben, als er, selbst wenn man auch zugeben muß, daß ihm die Mittel, diese Neigungen zu entwickeln, mehr zu Gebote standen, als anderen. Man fand in ihm den aufgeklärten Freund und Gönner der Kunst und Literatur; immer gefällig gegen Gelehrte und Künstler, suchte er ihnen mit einer Grazie zu begegnen und mit einem zuvorkommenden Eifer zu dienen, welche zugleich den Wert des Dienstes, des Mäzenaten und des Klienten erhöhten. Mit so viel schönen Eigenschaften, denen freilich das Gegengewicht menschlicher Schwächen nicht fehlte, hat er es gleichwohl nie dahin bringen können, sich bei der Königin beliebt zu machen.

Was soll ich hier tun? Mich entsetzen oder lachen über Gerüchte, welche in den entferntesten Provinzen von Frankreich, und besonders im Auslande, eine Art von Glaubwürdigkeit erhalten haben? Soll ich hier wiederholen, daß es Leute gegeben, die sich die Ueberzeugung eines Vertrauten Umgangs ... nicht haben ausreden lassen wollen? – Doch ich will dem Andenken einer durch Eigenschaften und Unfälle gleich erhabenen, erlauchten Person nicht die Schmach antun, sie gegen so niedrige Verleumdungen in Schutz zu nehmen. – Die Königin ließ Herrn von Vaudreuil nicht einmal Gerechtigkeit widerfahren; sie fühlte, wie ich es als gewiß behaupten darf, eine Art von Entfremdung (um mich des stärkeren Ausdrucks „Abneigung“ nicht zu bedienen) gegen ihn; sie war nahe daran, mehr zu tun, als ihn – nicht zu lieben, und das gerade aus dem Grunde, weil sie ihm mit Recht eine große Gewalt über die Gräfin von Polignac zuschrieb, und weil der Abbé de Viermont, der ihn aus allen Kräften haßte, ihr beständig in den Ohren lag, daß jener ihr das Herz der Gräfin entziehe. Vermonts Haß war begründet, denn in der Tat hatte Herr von Vaudreuil den Abbé auf eine Weise behandelt, woran dieser nicht gewöhnt war.

Die Favoritin hatte einen Bruder, welcher, wie der Frau von Maintenon Bruder, zu keinen großen Hoffnungen berechtigte. Er machte auch keine andere Karriere, als die, für welche er zufällig bestimmt war; spielte die Violine, und war ein wenig der untertänige Mann seiner Frau. Diese, eine geborene D’Espagnac, war keine vollkommene Schönheit, aber ganz dazu gemacht, zu gefallen und zu fesseln; sie hat es auch durch die vieljährige Leidenschaft bewiesen, die sie eingeflößt, und durch die Tränen, welche um sie vergossen worden sind. Sie hatte im eigentlichen Sinne, was man sonst im Figürlichen un air penché zu nennen pflegt; sie neigte den Kopf etwas nach der Schulter hin; – das war eine schmachtende, nachlässige Attitüde, wenn ich sie so nennen darf, die nicht ohne Grazie war.

Die Freundschaft der Königin***) für die Herzogin erhielt sich zwar nicht immer auf derselben Höhe, glich aber einem schönen Tage, der, obschon nicht ganz wolkenfrei und ohne Abwechslung, mit einem schönen Abend endigt.

Die Herzogin von Fitz-James, die Prinzessin von Tarent sind eine Zeitlang Favoritinnen der Königin gewesen; es hat sogar Zeiten gegeben, wo sie besser behandelt wurden als die Herzogin selbst; man hätte daraus schließen sollen, daß die Zuneigung der Königin für diese nicht mehr so feurig war; allein das Band war zu sehr zur Gewohnheit geworden, hatte beide Herzen zu eng und zu fest umschlungen, als daß es durch kleine Störungen hätte lockerer werden, oder gar nach längeren Unterbrechungen, den Feinden der Polignacs zum Triumph, hätte zerreißen können. Der König selbst, welcher so gern seine Neigungen mit denen der Königin teilte, hat sich beständig gegen die Favoritin mit sorgfältiger Beobachtung des äußeren Wohlwollens benommen; ja, was von Seiten eines Königs noch mehr ist, der den Namen eines honnête homme mit so vollem Rechte führte, Ludwig XVI. hat der Herzogin bei mehreren Gelegenheiten Zeichen seiner Achtung gegeben. Diese Beharrlichkeit gereicht beiden, der Königin sowohl als ihrer Freundin, zur Ehre.

Als der Name Polignac wie ein Todesurteil klang, verließ die Herzogin Frankreich und entging den Gefahren, die sie umgaben, doch nur, um der Vorsehung zu ihren geheimen Absichten eine neue Veranlassung zu geben. Es war nämlich beschlossen und im Buche des Schicksals niedergeschrieben, daß die Herzogin wegen der von ihr begangenen Fehler (wer begeht deren keine?) und selbst wegen der ihr zur Last gelegten, durch die lange Agonie der Gefangenschaft und den blutigen Tod ihrer Gebieterin, ihrer Freundin, bestraft werden sollte. Die Nachricht brach ihr das Herz; es verschloß sich dem Troste; der Kummer und dessen Begleiter, Körper- und Seelenleiden, nagten daran; sie fand das Ende ihres Elends im Grabe; dieses Grab ist in Wien, wo man sie bedauert, sie beweint hat. ... Ihre Tochter, die unglückliche Herzogin von Guiche, folgte ihr nach. Sie war beinahe ebenso reizend wie ihre Mutter; viele fanden sie sogar schöner; mir ist sie nicht so vorgekommen; dabei war in ihr mehr Gesuchtes, weniger natürliche Grazie. Das Unglück hat diesen schönen Blumen Säfte und Farben geraubt; – des Todes Flügel die Blätter gestreift, den Stengel zerknickt – ein Grabstein ihre Wurzeln bedeckt!!

Ich hätte diesen Abschnitt noch verlängern und mit vielen Anekdoten würzen können; aber alles sagen, heißt mehr noch etwas Ueberflüssiges als etwas Langweiliges tun. Unser Lob erreicht den Staub im Grabe nicht; und doppelt nichtswürdig und gehässig ist es, Totenurnen zerschlagen, und die leblose Asche, welche sie enthalten, unter die Füße treten. Schmeichelei und Erbitterung stehen weder meinem Herzen noch meiner Feder zu Gebot. Ich glaube genug gesagt zu haben, um eine Gunst, welche in übertriebenen oder ungetreuen Schilderungen so arg verleumdet worden, in ihr wahres Licht zu stellen, und einer Familie, welche von Menschen und Schicksalen so schonungslos verfolgt worden ist, zu ihrem Rechte zu verhelfen. Wir teilen hier aus den Memoiren der Gräfin von Genlis die Beschreibung mit, welche sie von der Herzogin von Polignac machte. „Ihre Taille, obschon gerade, war schlecht gebaut, klein, unzart, ohne Eleganz. Ihr Gesicht hatte nur einen Fehler: die große, eckig geformte und im Verhältnis zur Gesichtsfarbe zu braune Stirn. Der Fehler verschwand, als es Mode ward, die Haare fast bis über die Augenbrauen zu tragen; jetzt war ihr Kopf vollkommen schön. Aus ihren Zügen las man Offenheit und Feinheit; Blick und Lächeln waren himmlisch. Keines ihrer Gemälde ist ähnlich. Sie war sanft, wohlwollend, von einfachem Wesen, und um desto liebenswürdiger. Ihre Gunst bei der Königin hat ihr Aeußeres unverändert gelassen. Man hat ihr einen gewissen Grad von Verstand absprechen wollen; für meinen Teil habe ich sie in Gesellschaften nicht beschränkt, ja nicht einmal uninteressant gefunden. – Das schönste Lob ist ihr von der Königin selbst erteilt worden: „Allein mit ihr, bis ich nicht mehr Königin, bin nur ich.“ Uebers.

Doch ich komme wieder auf Frau von ... und auf ihre Rivalin zurück, welche ihren Platz eingenommen und sie aus meinem Herzen verdrängt hatte.

Interessante Sophie! Ehe es mir gelang, einen Brief an dich zustande zu bringen, hatte ich fünf oder sechs zerrissen, weil sie mir alle so kalt, nüchtern und nichtssagend schienen. Meine brennende Liebe, von der sie nur ein matter Widerschein waren, verwarf sie. Endlich entschloß ich mich, den siebenten abgehen zu lassen. Morand besorgte ihn; er wurde zwar angenommen, aber man machte viel Umstände, und erklärte zuletzt bestimmt, daß keine Antwort erfolgen werde.

Dieser Entschluß brachte mich fast zum Wahnsinn. In meiner Verzweiflung, und mit dem Vorsatz, alles zu wagen, allem zu trotzen, machte ich mich auf den Weg nach dem Hotel der Frau von ... Ich hatte eine Zeit gewählt, wo ich wußte, daß sie nicht zu Hause und bei Mesdames (Des Königs Tanten. Uebers) war. Ich fand leicht Zutritt bei Fräulein von Lorville. Ich beschwor sie mit dem Ausdruck des lebhaftesten Schmerzes, die erste wahre Liebe, die ich empfunden, mit mir zu teilen; oder, wenn sie unerbittlich bliebe, mir ohne Umschweife ein Unglück zu verkünden, dessen Folgen ich nicht voraussehen könne, nicht berechnen dürfe.

Um mir jetzt, wo ich dieses schreibe, die Herrschaft erklären zu können, welche meine damalige Leidenschaft über mich ausübte, muß ich den Grund derselben in einer geheimen Sympathie aufsuchen, die beim ersten Anblick des geliebten Gegenstandes unser Herz, besonders wenn dieses Herz noch neu und erst in die Welt eingetreten ist, überwältigt. Alsdann sind unsere Eindrücke tief, unsre Bewegungen und Triebe rastlos; alsdann ist die Liebe ein hitziges Fieber; sie hat nichts als den Namen mit jenen überlegten Verbindungen gemein, deren Grund, Gang und Wirkungen man kalt und ruhig berechnet, wenn das verschrumpfte Herz verlernt hat, sich glücklichen Täuschungen und Träumen zu überlassen.

Ich hatte zwei Aufgaben zu lösen. Ich mußte Sophien den ganzen Umfang meiner Leidenschaft zeigen, ich mußte diese Leidenschaft vor allen Augen verbergen, und vollends vor den Augen der Frau von ... Noch mehr: ich mußte diese bei der Ueberzeugung lassen, daß meine Liebe zu ihr – die bisherige, die gewesene – nicht abgenommen habe; ich mußte ihr die Gewißheit geben – und das in einem Moment, wo mein ganzes Wesen einer andern gehörte – daß ich noch immer der Ihrige sei; ich mußte mich In einem Verhältnis, welches mir das schwerste Joch der Sklaverei auferlegte, glücklich und entzückt stellen, und Fesseln zu küssen scheinen, die ich abzustreifen, deren Spuren ich zu vertilgen strebte.

Von jeher – und selbst in späteren Jahren – ist es mir unmöglich gewesen, die Verstellung bis auf diesen Punkt zu treiben. Ich habe zwar mehr als einmal Zärtlichkeit gelogen, wo ich nur Sehnsucht und Begierden fühlte. Ich habe oft die Sprache (Le jargon) der Empfindung geführt, oft die Züge ‘der Schwermut geborgt, wenn ich meine heimlichen Zwecke zu bemänteln, und den Genüssen der Libertinage einen ehrbaren Anstrich zu geben suchte; – aber einer Frau, die man hochschätzt, eine Liebe schwören, die man für eine andre im Herzen trägt, ein Entzücken, das man für eine andre fühlt, in ihre Arme übertragen, sich selbst zu einem moralischen und physischen Lügner stempeln: – das heißt der Person spotten, welche man zum Gegenstand seiner Scheinhuldigung, zum Opfer und Spielwerk des Betruges macht; zugleich heißt es aber auch, sich selbst die Qual bereiten, die ein Mezenz für andere erfand. (Mortua ... jungebat corpora vivis, Componens manibusque manus, atque oribus ora, (Tormenti genus) et sanie taboque fluentes Complexu „in misero longa sie morte necabat. Virgil. Aen. VIII. 485–8.)

Selbst ja gestorbene Leiber mit lebenden fügt’ er zusammen,
Händ’ auf Hände gelegt, und Antlitz auf Antlitz,
(Ha, der Peiniger!) daß sie, in Jauch’ und Verwesung zerfließend,
Langsamen Tod hinstarben in jammervoller Umarmung.
J. H. Voß.

Auf der ändern Seite ängstigte mich der Kummer, den ich der Frau von ... machen würde, wenn sie meine neue Liebe erführe. Sie hatte schon ein geheimes Vorgefühl davon; schon führte sie Klage über meine Gleichgültigkeit, über eine Veränderung in meinem Wesen: so wenig war ich Meister in der Verstellung. Ich versuchte zwar, sie zu beruhigen, doch es gelang mir nur zur Hälfte. Ich schob die Schuld auf meine Gesundheit. Sie tat, als glaube sie es. Aber es ist schwer, eine Liebende zu betrügen, die zwar leichtgläubig, aber auch zugleich hellsehend ist, die sich zwar gern von ihrem Geliebten täuschen ließe, sich selbst aber nicht zu täuschen vermag.

Sophien hatte mein rascher Ueberfall außer sich gebracht. Ich hatte ihr meine Gefühle mitgeteilt; meine Rührung hatte sie gerührt. Ich war von ihr mit der heiligen Versicherung entlassen worden: sie wolle schreiben. Mit zitternder Stimme hatte sie hinzugesetzt: sie wolle auch suchen, mich gelegentlich zu sprechen. Ich bat sie um eine Zusammenkunft bei Morand; sie dürfe nur ihre Leidenschaft für die Malerei vorschützen. Ich beschwor sie, mich nicht sterben zu lassen: ohne ihre Liebe könne ich nicht leben (sie glaubte es, ich glaubte es ebenfalls; mein Tod war in unseren Augen so möglich, so wahrscheinlich, so unvermeidlich!). Kurz, ich verließ sie verliebter als je, weil ich selbst sie leidenschaftlicher als je verließ.

Von nun an war Morands Haus für mich ein Tempel, der alle meine Wünsche wie in einen Mittelpunkt in sich schloß. Sophie kam mehrere Male dahin. Mir war es genug, sie zu sehen, sie zu hören, von ihren Lippen die Bestätigung zu erhalten, sie teile meine Gefühle. Ich war glücklich. Noch hatte ich durch keine leise Aeußerung den Anstand verletzt, von ihrer Zärtlichkeit das letzte Opfer nicht erfleht. Ich war glücklich. – Wo ist aber ein Glück, das nicht ermüdet, solange sich’s nach einem höhern streben läßt! Ich ging weiter. Ich wagte es, in sie zu dringen; ich beschwor sie, mir ihre ganze Liebe auf Kosten ihrer ganzen Unschuld zu schenken. Sie widerstand der Heftigkeit meiner Bestürmung, den Gefahren meiner Künste, meinen zärtlichsten Bitten, meinen ungestümsten Verfolgungen. Zwei Schutzengel bewachten sie: ihre Tugend, und noch mehr ein geheimer Instinkt von Scham und Furcht.

Sechs Wochen waren in diesem Kampfe verflossen. Schon fing mein Mut an zu sinken und meine Hoffnung zu schwinden. Kummer nagte an meinem Herzen. Mein Aeußeres war bis zur Unkenntlichkeit verändert. Sophien kam ihr Sieg noch teurer zu stehen. Ihr niedliches Gesicht war noch eingefallener als meins, und das will bei der Frau mehr als bei dem Manne bedeuten.

Ich sollte in einigen Wochen die Pagenanstalt verlassen. Unsre Lage war dringend. Nachdem ich alle Vorstellungen, alle Ueberredungen erschöpft, schlug ich Sophien die Ehe vor, und setzte mit einer Schwärmerei, in der etwas Finsteres und Melancholisches lag, Hinzu: „Wenn du diesen letzten Beweis meiner Anbetung und abgöttischen Liebe verwirfst, so schwindet alles aus meinem Leben, Ehre, Glück, Beförderung, kurz alles, was für mich Zweck des Lebens sein kann; so entsage ich von nun an jeder Hoffnung in einer Welt, die mich vor der Zeit auf das Bitterste betrogen hat.“ – Mit einem feierlichen Tone, den ich „nie vergessen werde, gab sie zur Antwort: „Ich bin bereit, mit meinem Glücke das Glück zu erkaufen und zu besiegeln, welches Sie in einer Welt erwartet, für die Sie gemacht sind, in welche Sie im Begriff sind einzutreten, und in welche meine zärtlichsten Wünsche Sie noch dann begleiten werden, wenn Sie mich vielleicht längst vergessen haben. Keine Eidschwüre! (setzte sie hinzu, als sie merkte, daß ich sie unterbrechen wollte.) Wären Sie in diesem Augenblick nicht aufrichtig, so würden Sie bald aufhören, gefährlich für mich zu sein. Die Gegenwart ist es nicht, vor der ich zittre! Auch nehme ich das Anerbieten Ihrer Hand nicht an: unsre Ehe würde vor dem Richterstuhl der Vernunft, der Ehre und des Gesetzes ungültig sein. Fern sei es von mir, durch einen Schritt dieser Art Ihre Laufbahn in dem Moment, da sie sich vor Ihnen öffnet, auf immer zu schließen. Das Schicksal hat mir das Glück nicht zugedacht, Ihre Gattin zu werden; es hat mich auch nicht bestimmt; Ihre Mätresse zu sein; aber die Liebe veredelt alles, selbst ein erniedrigendes Verhältnis. Ja, das Andenken an diese Liebe wird mein Leben beseligen; wird in der Folge mein Trost werden, wenn Sie je so ungerecht sein könnten, mich zu vergessen, und ich so unglücklich, von Ihnen vergessen zu werden. Von nun an sollen Sie ebenso wenig jetzt einen Laut der Weigerung, als einst der Reue hören.“

O Macht der Tugend, du bist kein Hirngespinst! – Sie schwieg, und zugleich verstummten die empörten Triebe und Begierden meines Herzens, die noch vor wenig Minuten so heftig in mir getobt und mein Blut entzündet hatten. In meinem Busen ward alles still, wie auf den Schlag eines Zauberstabs, wie auf das Geheiß einer höheren Macht. In diesem Moment war Fräulein von Lorville für mich eine unverletzliche Gottheit, ein heiliger Gegenstand meiner Verehrung und Anbetung. Aus meinem Wesen war die Möglichkeit verschwunden, sie zu kränken; ich hatte nur ein Gefühl, die tiefste Ehrerbietung. Die Schwäche des Weibes siegte über die Stärke des Mannes.

Zu ihren Füßen liegend, überließ ich mich dem süßen Schmerze einer Wollust, die ihrer und meiner würdig war, und dem Stolze, mich beherrscht, sie nicht beleidigt zu haben. Wie beredt dankte mir ihr Schweigen! Wie sprechend und belohnend war ihr Blick! Wieviel zärtlicher liebte sie mich! Wieviel teurer wurde sie mir! Oh, welch himmlisches Gefühl wäre die Liebe, wenn sie sich auf diesen unaussprechlichen Rausch der Seele beschränkte! Wie veredelt durch den Wechseltausch, durch das Zusammenströmen der Herzen! Wie engelrein, wenn sie nicht zugäbe, die Unschuld zu morden, wenn sie auf der letzten Stufe des Glücks nicht einen Selbstmord an sich beginge! – Aber ein feindlicher Genius spottet unser, führt uns vom Pfade der edelsten Gefühle ab, stürzt unsre löblichsten Vorsätze um, stellt uns selbst feindlich uns gegenüber, bekriegt unser Ich durch unser Ich, teilt uns in zwei widerstrebende Hälften, schwächt und überwältigt uns endlich durch diese Teilung. Ja, es scheint, als werde dem Menschen das Gute nur in der Absicht gezeigt, damit er von dem steilen Wege, der dahin führt, desto leichter herabgleite, und auf dem Abhänge des Lasters und seiner schwächeren Natur dem Verderben entgegenrolle!

*) Die Prinzessin war außerordentlich hübsch; nur hatte ihre Taille keine Eleganz, und ihre Hände waren abscheulich dick, ohne alles Verhältnis mit der Zartheit ihres Übrigen Körpers. Die Gesichtszüge, obschon nicht regelmäßig, waren einnehmend und lieblich; ihr Charakter sanft, gefällig, immer heiter und fröhlich. Es fehlte ihr aber durchaus an Verstand. Ihre gute Laune, ihr kindliches Wesen, ihre Lustigkeit verbargen jedoch zum Teil diesen Fehler und machten sie liebenswürdig. In Gesellschaften richtete sie sich nach der Person, die den größten Verstand hatte, gab acht auf das, was diese sprach, stellte sich dann, als habe sie nicht aufgemerkt und fing von neuem an von der Sache zu reden und das eben Gesagte für ihre Meinung auszugeben. Erinnerte man sie daran, so schützte sie eine Zerstreuung vor und versicherte, nichts gehört zu haben. Dabei hatte sie ein schwaches Nervensystem, oder vielmehr, sie affektierte es. Beim Geruch eines Veilchenstraußes, beim Anblick eines Krebses, – selbst eines gemalten, fiel sie in Ohnmacht. Dies widerfuhr ihr unter anderm einmal in Amsterdam, als sie die Bildergalerie des Bankiers Hope besah und auf eine Fischhändlerin stieß, welche einen großen Hummer vor sich liegen hatte. Ein andermal erschrak sie über das laute Gähnen eines Bedienten in einem Nebenzimmer dergestalt, daß sie zwei Stunden lang die Besinnung verlor und nicht eher erwachte, bis (zum Schein) alle Anstalten getroffen waren, ihr eine Ader zu öffnen und die Lanzette angesetzt werden sollte. Zuletzt steigerten sich die Ohnmachten zur förmlichen Schlafsucht. – Die Königin entzog der Fürstin ihr Vertrauen, weil diese nicht imstande war, ihr einen guten Rat zu geben, ja nicht einmal ein ernsthaftes Gespräch durchzuführen. (Memoires de la C. de Genlis.)

**) Ich bin überzeugt, daß ich Mademoiselle de la Vallière, die ich, wie man weiß, im Leben nicht gesehen habe, Zug für Zug kenne. Es sind überhaupt zwei Frauen, in welche ich von früher Jugend an verliebt gewesen, deren Bildnisse ich in meinem Herzen und in meinem Taschenbuche mit mir getragen, und die ich unendlich besser als die meisten derer, mit welchen ich wirklich umgegangen bin, zu kennen glaubte. Die eine ist die Herzogin de la Vallière. Ich kenne sie sozusagen auswendig, so vollständig haben sie mir Petitot, Frau von Sévigné und die Memoiren ihrer Zeit geschildert; die andere ist Rousseaus Julie, die ich aber zu lieben aufgehört, als sie Frau von Volmar geworden war. Von der letzteren, da sie nicht existiert hat, konnte ich mir noch leichter ein Phantasiebild entwerfen. Ich ließ sie, nach meiner Angabe, von Campana malen, und das Bild hatte die treffendste Aehnlichkeit mit meiner Idee. Ich behielt es lange und opferte es endlich den Launen einer zweiten (Madame De Merteuil Aus den Liaisons dangereuses von C. de Laclos bekannt. Uebers.) auf, welche mir gegenüber behauptete: „ich sei zu vernünftig, um so närrisch lieben zu können; es habe nie eine Julie gegeben; mein Bild von ihr sei das Porträt einer wirklichen Person, die ich früher geliebt hätte; kurz, sie wolle und müsse es haben und vernichten.“ Ich war so schwach, es ihr zu geben und habe es seitdem nicht wieder ersetzen können. Was Madame de Tourvel (Ebenfalls eine weibliche Hauptperson in den Liaisons dangereuses, Uebers.) anbelangt, so habe ich diese in der Wirklichkeit gekannt und werde mehr davon sagen, wenn ich in der Folge dieser Memoiren auf mein Zusammentreffen mit Herrn de La Clos komme.

***) Die Fürstin, welche mehr als irgend eine ihrer Vorgängerinnen auf dem französischen Throne die Süßigkeiten der Freundschaft und die Reize des Privatlebens schmecken und genießen wollte (was – im Vorbeigehen gesagt – sich weder für Könige noch für Königinnen schickt), hat sich vielleicht in dieser Rücksicht nur einen einzigen Flecken vorzuwerfen gehabt: der ihrer schönen Seele nicht zur Ehre gereicht, nämlich: die grausame Kälte, mit welcher sie die Prinzessin von Guémené, Gouvernante der königlichen Kinder, nach dem unglücklichen Bankerott und Fall des Prinzen behandelt hat. Man kann es nicht leugnen: der Prinz von Guémené hatte sich ein unverantwortliches Verhalten zuschulden kommen lassen; aber diese Schuld war nicht ohne alle Entschuldigung. Hatte die Königin selbst an der Zerrüttung dieses Hauses keinen Anteil gehabt? War sie ganz ohne Verantwortlichkeit? Hatte sie nicht durch ihre Gegenwart das unglückliche Paar zu den ungeheueren Verschwendungen verleitet, die es zugrunde richten mußten? Hatte sie nicht den Festen beigewohnt und dadurch immer neue Feste veranlaßt? Vielleicht fürchtete sie sich, wenn sie den Gefallenen zu viel Güte und Teilnahme schenkte, es möchte die Stimme des öffentlichen Tadels die Stufen des Thrones hinanmurren, es möchte das Geschrei so vieler durch den schändlichsten Betrug zur Verzweiflung gebrachten Familien in den innersten Gemächern des Schlosses widerhallen: – doch selbst dieses konnte dem Mangel an Interesse nicht zur Rechtfertigung dienen, welches sie einer Person hätte zu erkennen geben sollen, die sie zwar nie sonderlich geliebt, aber doch so nahe in ihrer Umgebung gehabt hatte.



Nach diesem rührenden Auftritt empfand mein Herz das Bedürfnis, sich in seine Glückseligkeit zurückzuziehen, in einem Nachgeschmack derselben zu schwelgen, dann aber auch sich Luft zu machen, seine Gefühle mitzuteilen, sie, ohne sich zu verraten, in ein zweites Herz auszuschütten. Ich wählte Sophien, und schrieb an sie einen Brief, den mein Gedächtnis aufbewahrt hat, den ich selbst in diesem Augenblick zwar etwas sehr romanhaft finde, der aber eben deswegen charakteristisch ist, weil er meine damalige Lage lebhaft schildert. Hier ist er.

„Trostbringender Engel! Du waltest hinfort über mein Leben; Du legst ihm einen bisher unbekannten Wert bei. Um Deiner würdig zu sein, müßte ich Dir entsagen – und sterben! Doch ein Entschluß wie dieser übersteigt meine Kräfte; ich vermag nur, das Geschenk Deiner Liebe anzunehmen und es durch meine unversiegbare Anbetung zu erwidern! Du hast Dich mir nicht wie eine andere gegeben; darum will ich Dich auch nicht wie eine andere besitzen. Ich will kein gewöhnlicher Liebhaber sein. O meine Sophie, meine ewig geliebte Freundin! Montag bin ich frei und mein eigener Herr. ... Von diesem Tage geht mir eine neue Sonne auf. Willst Du mir diesen Tag zur Morgenröte meines Glücks machen? Willst Du meine ganze Zukunft mit dem Vorgeschmack der höchsten Wonne beseligen? In den Zauberkreis Deiner Liebe gestellt, umgeben von dem magischen Gürtel derselben, trete ich dann ins Leben mit einem Vertrauen, welches mich über mich selbst erheben wird. O sprich es aus, das Wort, nach welchem mein Herz sich sehnt! Sprich, Du wolltest alles, was ich wünsche, Du wünschest alles, was ich wolle!! Ich führe Dich in ein Gotteshaus; dort, in Gegenwart dessen, der alles sieht, der das erlaubt, was er billigt – dort, am Fuße seines Altars, bedürfen wir nicht der Zwischenkunft seiner Diener, um ihn zum Zeugen unseres unverständlichen Willens anzurufen, unseres Willens und Entschlusses, zusammen und vereint auf einer Welt zu leben und zu wallen, wo er uns gewiß einige glückliche Momente nicht versagen wird. Du und das Glück seid ja eins! ... Teure, einzige Sophie; ich hoffe, Du wirst in diesen Zeilen nichts Ueberspanntes gefunden haben! ... Ich hoffe, die ganze Heftigkeit meiner Leidenschaft wird sich Deinem Herzen mitteilen, es entzünden. ... Du wirst fühlen, und mit innigster Ueberzeugung Dir sagen: es sei Torheit, uns nicht zu lieben, es sei Meineid und Verbrechen, einander zu entsagen!“

Ich erwarte mit brennender Ungeduld die Antwort. Sie erschien. Kaum atmend las ich sie; kaum atmend hatte Sophie sie geschrieben. Sie enthielt nur ein einziges Wort; und dieses Wort war: Ja!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Memoiren des Grafen von Tilly. Erster Band