Neuntes Kapitel. Reisen, das beste Heilmittel. — Es gibt Leiden, die den Menschen abstumpfen. — Meine Reise in die Schweiz. — Die Regierung beschließt eine Landung in England.

Ich werde zum Regiment gerufen. — Haß der Nationen gegen Frankreich. — Entwicklung der Ursachen. — Ich schmeichle keiner Nation und verachte keine. — Diese Schrift wird immer interessanter und gehaltvoller werden. — Ich ersuche den Leser um etwas Geduld. — Ich schmeichle mir, nicht ganz Gewöhnliches zu schreiben. — Aus welchem Gesichtspunkt man dieses Werk betrachten muß. — Fernere Ursachen des Hasses von Europa gegen Frankreich. — England steht an der Spitze unserer Feinde, — Ein Advokat L . . . aus der Provinz sucht mich auf. — Seine Rolle in der Revolution. — Er ersucht mich um einen Dienst. — Leistet mir selbst einen. — Die Königin gestattet mir eine Audienz. — Bitte um ein Empfehlungsschreiben. — Herrn L . . . s Verwunderung über die Zugänglichkeit der Königin. — Unrichtige Begriffe vom Hofe in den Provinzen. — Herrn L . . . s Auftritt mit dem Grafen von Chabannes im Theater. — Ich beruhige ihn. — Einfache und neue Definition des Adels. — Die Gräfin von Tavannes. — Anekdote. — Herrn L . . .s Einführung bei dem Minister. — Seine Verlegenheit. — Ich komme ihm zu Hilfe. — Er erhält die Stelle. — Ueberall Schwierigkeiten und Mißbräuche. — Meine Ankunft in Bretagne bei der Armee. — Vergebliche Landungsübungen. — Armseliges Quartier im Dorfe Chateauneuf. — Traurige Gegend. — Ich leide am Fieber und an der Auszehrung. — Ich verliere mein Geld an einen Unbekannten. — Verdiente Strafe. — Mein Streit mit Herrn de la Tour Maubourg. — Der Vicomte von Noailles. — Reise nach der Normandie. — Ich verscherze durch Leichtsinn eine vorteilhafte Verbindung. — Paris. — Unser Zuvorkommen gegen Ausländer bleibt unerwidert. — Unsere Anglomanie. — Keine Gallomanie in England. — Nachtrag. Der Vicomte von Noailles.

Delenda est Carthago!


Ich berufe mich auf alle, welche in ihrem Leben mit großen Leiden zu kämpfen gehabt haben. Sie werden mit mir übereinstimmen, daß Reisen den Schmerz lindern, wenn nicht gar ihn heilen. Das Unterwegssein neutralisiert den Kummer, indem es ihn von einer Stelle an die andere versetzt. Ein weiter Horizont erfrischt das Gemüt, und gießt uns unbewußt den Tau des Trostes in die Seele. Die immerwährende Folge neuer Gegenstände und Bilder legt sich auf unsere Wunden, schließt sie halb, vernarbt sie wohl ganz. Im Frieden der Fluren schläft das Leiden ein. Der Unglückliche, der in den Ringmauern der Städte nicht weinen konnte, vergießt auf dem Lande süße Tränen, seine Brust wird entlastet, er findet sich mehr gesammelt, mehr allein in freier Luft, blickt er zum Himmel hinauf, der sich über ihn wölbt, so glaubt er dort eine Zuflucht gegen das Schicksal oder gegen die Menschen zu finden; er erhebt seine Gedanken zu dem, ohne dessen Zustimmung nichts geschieht, und von dem er die innere Zusicherung erhalten, daß auf die unruhigen Träume seiner flüchtigen Lebenszeit ein stilles, heiteres Erwachen folgen wird. Er betrachtet die Stellen, die Bäume, die er einen nach dem andern hinter sich wie Schatten zurückläßt, vergleicht sie mit allem, was sich ohne Zusammenhang aneinander reiht; und das Ziel seiner Reise ist für ihn ein Sinnbild des Zieles seiner Reise durch das Leben, nämlich eine ewige Glückseligkeit.

Es gibt aber Schmerzen – und wer weiß es besser als ich – welche aller Kunst der Trostgründe widerstehen, die man nicht anders beschwichtigen kann, als wenn man beständig daran denkt, und die sich nur durch Tränen erleichtern lassen. Schmerzen dieser Art nimmt man mit sich ins Grab. Man hat die Gewißheit, daß sich nichts gegen sie ausrichten läßt; sie sind unsre Hausfeinde, man kann ... man will sie vielleicht nicht entfernen, weil sie zu etwas gut sind; denn eben sie sind es, die unsre Empfindlichkeit über andre Gegenstände vermindern, die uns selbst gegen die Verleumdung gleichgültig machen, die uns gegen die Grausamkeiten der Zivilisation abstumpfen. Sie sind ein Gift, das zugleich als Gegengift wirkt. Aber ich weiß auch, daß Schmerzen und Leiden dieser Art das Los weniger Menschen sind, daß bei weitem nicht allen von der Natur der Grad von Gefühl zuteil geworden, der dazu gehört, wenn sie die ganze Tiefe unseres Herzens erreichen sollen, daß diese Schmerzen das ganze Leben umfassen, das ganze Leben ausmachen, daß sie es verschlingen, daß sie uns nur mit dem letzten Atemzuge verlassen, uns überleben und uns dorthin folgen werden, wohin wir das Andenken an unser hiesiges Dasein mit uns nehmen.

Andere haben vor mir das glückliche Helvetien beschrieben, das vorübergehend in seinen Grundfesten erschüttert bald sein früheres Gleichgewicht wieder erhalten hat. Selbst wenn ich es besser kennen gelernt hätte, würde ich es nicht schildern, weil dies schon mehr als zu oft geschehen ist; ich habe es aber zu oberflächlich und zu schnell durchreist, um mit gehöriger Sachkenntnis darüber sprechen zu können. Denn kaum hatte ich wenige Wochen in Lausanne zugebracht, als ich schon Befehl erhielt, mich zum Regiment zu verfügen, das damals in der Bretagne stand, und wie es hieß, bestimmt war, sich an das Armeekorps anzuschließen, das England mit einer Landung bedrohen sollte.

Landungsversuche in England sind von jeher Lieblingsprojekte unserer Regierung gewesen, Projekte, die man oft entworfen, oft liegen gelassen, oft wieder vorgenommen hat, Projekte, die ich keineswegs für unausführbar, für Hirngespinste halte, und die nur dann unmöglich sind, wenn eine Regierung schwach und unbeholfen ist, wenn Minister durch ihre Unfähigkeit und Nichtigkeit es – wie bei uns sechzig Jahre lang – dahin gebracht haben, daß Frankreich seine Vorteile, seine Uebermacht, seine Ueberlegenheit zur See verlieren mußte. (Geschrieben, als Bonaparte seinen Landungsversuch vorbereitete.)

Wollte Frankreich darauf bedacht sein, empfangene Beleidigungen zu vergelten, und Rache zu üben wegen des Hasses, den man gegen das Land und seine Einwohner hegt, so würde es sehr viel zu tun bekommen! Es würde einen allgemeinen ewigen Krieg mit ganz Europa führen müssen. Europa schließt keine einzige Nation innerhalb seiner Grenzen ein, die nicht die Rivalin Frankreichs – selbst ohne hinreichenden Grund – und eine Feindin des französischen Namens wäre. Und doch sind unsre Künste, unsre Literatur, unsre Höflichkeit, unser Hof, unser Luxus und Modegeschmack, der militärische Geist unsrer Nation, unser Theater, unsre Sprache, selbst unsre Laster, kurz alles, von dem übrigen Europa in Kontribution gesetzt und der allgemeinen Nationalerziehung zum Grund gelegt worden, so daß man glauben sollte, alle Völker müßten sich für verpflichtet halten, Frankreichs Schuldforderung an sie zu entrichten. Allein, wie haben sie sie entrichtet? Mit Haß und Neid!

Im Verlaufe dieses Werkes werde ich Gelegenheit finden, diese Idee, den Grund und die Folgerungen daraus zu entwickeln. Ich werde es dann als freier Mann tun, als Philosoph, der weder ein Schmeichler noch ein Verächter der Mächte ist; ich werde es als Weltbürger tun – aber noch bin ich mit meiner Geschichte nicht so weit vorgerückt.

Dieser erste Teil derselben ist vielleicht für viele nicht gehaltvoll genug; er wird vielleicht einigen meiner Leser sogar leer und unbedeutend erscheinen; aber ich werde meinen Gang fortgehen, ich werde in meiner Lebensbahn auf reichhaltigere Zeiten, auf solidere Gegenstände stoßen. Es wird mir vielleicht an Talent fehlen, sie zu erzählen, doch hoffe ich, daß Wille und Energie diesen Mangel ersetzen sollen.

Ich bitte alle ernsten und denkenden Köpfe, die an den Verirrungen, an den Duellen, an den nächtlichen Abenteuern und Liebeshändeln in diesem ersten Teil Anstoß nehmen möchten – ich bitte ferner die lebhafte, neugierige Jugend um ein wenig Geduld, und verspreche, daß meine Memoiren einen gesetzteren, einen gewichtigeren, und ich darf auch sagen, einen lehrreicheren Charakter annehmen werden.

Ein stürmisches Leben, der eigene Anblick eines großen Teils von Europa und Amerika, Begebenheiten, die von den gewöhnlichen durchaus abweichen, große Unglücksfälle, bisweilen Glück und Lebensglanz, die erlangte, durch Erfahrung geläuterte Kenntnis aller Gesellschaften und aller Stände, mehr als zwölfjährige Reisen – würden vielleicht dazu hinreichen, einen Alltagsmenschen aus seiner Sphäre in eine höhere zu erheben, und ihm das Recht geben, eine Meinung aufzustellen, und zu derselben diejenigen zu bekehren, für die er sich die Mühe gab, die Welt zu bereisen, die Elemente und das Glück zu bekämpfen, überall selbst zu sehen, zu beobachten, zu denken.

Aber ich habe nicht die eitle Anmaßung, mir einzubilden, daß ich in einem Jahrhundert, wo jedermann Bildung und Verstand genug zu haben glaubt, um diese Eigenschaften bei anderen zu verachten und zu verleumden – auch nur einen finden werde, den ich belehren und aufklären könnte. Ich schreibe für mich und für die kleine Zahl derjenigen, die der Meinung sind, daß sich aus einem mittelmäßigen Buche etwas lernen, und manches darin finden lasse, woraus man etwas Gutes machen könne. Ich schreibe, um eingewurzelte Irrtümer zu berichtigen, um verleumdete Namen zu Ehren zu bringen, um verunstaltete Tatsachen zu korrigieren, und solche vorzubringen, von denen ich mit Gewißheit behaupten kann: ich wisse sie, und von denen Männer gesprochen haben, die nichts davon wußten. Ich schreibe endlich für diejenigen, für welche das Schauspiel der Leidenschaften und die Entwicklung des menschlichen Herzens Lehren voll des höchsten Interesses enthält.

Doch ich komme wieder auf das Obengesagte zurück.

Ich sagte nämlich, daß trotz der Verbindlichkeiten, welche Europa während dreier Jahrhunderte Frankreich schuldig ist, wir den Haß Europas auf uns geladen haben; ich fügte hinzu: der Augenblick, diese Frage sowohl als viele andere, die mit derselben in Verbindung stehen, zu erörtern, sei für mich noch nicht gekommen; ich wollte nur mit wenigen Worten nicht sowohl den Ursprung jenes Neides auseinandersetzen, da dieser in die Augen fällt, als die Quelle jenes Hasses angeben, da diese weniger bekannt ist.

Ich könnte mich vielleicht darauf beschränken, zu zeigen, daß, wenn wir als die Lehrmeister Europas angesehen werden können, wir ebenso oft als die Zuchtmeister, Zuchtruten und Ruhestörer Europas anzusehen sind. Dieser Grund dürfte zum Hasse hinreichend scheinen; ich finde aber deren noch mehrere. Wir haben nie unsere Vorzüge mit Mäßigung benutzt; wir sind fast immer verleitet worden, Eitelkeit und Geräusch an die Stelle des einfachen Sinnes, der ruhigen Bescheidenheit zu setzen. Unser lebhafter Charakter, unser Eigendünkel hat uns vorzüglich im Norden verhaßt gemacht, wo die Natur den Menschen mehr mit dem Verstande der Vernunft als mit dem Verstande des Geistes begabt hat, wo der Mensch mehr Ordnung in den Ideen als Reichtum an Ideen besitzt, wo er mehr Kraft als Grazie, mehr Ueberlegung als Einfälle und Witz, mehr Mut als Ausbrüche der Leidenschaft, mehr Sinn und Mutterwitz als Phantasie, mehr Ernst als Liebenswürdigkeit, mehr Phlegma als Munterkeit und leichte Laune zeigt.

Es gibt aber eine Nation, die uns mehr als alle ändern und ganz vorzüglich verabscheut, deren Haß kein bloßer Hofhaß, kein Haß der gesellschaftlichen Kreise, kein Haß auf der großen Heerstraße ist; – es gibt eine Nation, die sich nicht mit einer trockenen, unfruchtbaren, unwirksamen Antipathie, mit einem Widerwillen begnügt, der sich in Worten, in Umgangsdeklamationen, Sticheleien und Intrigen ausläßt – es gibt eine Nation, die gegen alles Französische überhaupt einen Widerwillen hat, den sie mit der Muttermilch eingesogen, die uns instinktmäßig, und dabei zugleich mit abgewogener, tief berechneter Absicht, (par calcul.) mit Ueberlegung, aus Ueberzeugung, ja selbst aus Air verabscheut, die es für guten Ton und Nationalgeist hält, diesen Haß wo möglich noch zu steigern, die uns alles Verdienst abspricht, selbst in Dingen, wo sie uns nichts entgegenstellen kann, die keinen feurigeren Wunsch hat, als uns von der Erde vertilgt zu sehen, die, wider Willen und im Herzen unsere Ueberlegenheit in unendlich vielen Stücken und unsere Gleichheit in allen übrigen anerkennend, sich aus diesem Grunde den Schein gibt, andere Nationen zu achten und zu preisen, welche keineswegs mit ihr in die Schranken treten können – es gibt endlich eine Nation, die beständig darauf sinnt, ihren Haß gegen Frankreich der übrigen Welt mitzuteilen, und die zwar manchen großen Mann hervorbrachte, der in Reden und Schriften Frankreich bewundert, aber keinen einzigen, der Frankreich geliebt hat.

Das ist die Nation, die uns vernichten will, oder von uns vertilgt werden muß. (Geschrieben im Jahre 1804. Uebers) Bedarf es noch unter diesem Gemälde des Namens: England??

Freund Leser! Halte mir meine Abschweifungen zu Gute; ich würde lieber dem Schreiben entsagen, als ihnen.



Ich verließ Lausanne mit der doppelten Aussicht, entweder im Meere mein Grab zu finden, oder den Boden der drei Reiche zu betreten (was mir bei weitem angenehmer gewesen wäre). Ich eilte in dieser Alternative nach der Bretagne; keines von beiden wurde mir zuteil, wohl aber – und ich bitte den Leser um Verzeihung, wenn ich dessen Zartsinn physisch verletzte – Fieber und Krätze. Doch ich will mir und der Geschichte nicht vorgreifen.



In Zeit von zwei Jahren hatte ich ungefähr vierzigtausend Franken Schulden gemacht, und war überdies im Augenblicke, wo die See-Expedition vor sich gehen sollte, von Geld entblößt. In dieser Verlegenheit kam ich nach Paris und klopfte an einige Türen christlicher Wucherer, die in der Gewißheit, daß bei mir nichts zu verlieren sei, mir mit froher Bereitwilligkeit zu hundert Prozent Geld anboten.

Es war keine Zeit zu verlieren. Am dritten Tage nach meiner Ankunft saß ich auf meinem Zimmer, und erwartete einen dieser ehrlichen Männer, als man mir Herrn L..., einen Advokaten aus der Provinz, anmeldete. Er war mir nicht persönlich bekannt; seinen Vater hatte ich bei einem meiner Anverwandten gesehen, dessen Geschäfte er besorgte.

Herr L..., der später einen sehr tätigen Anteil an der Revolution genommen, und wenn er zur Zeit seiner Macht bei mir vorgesprochen hätte, nach dem, was die Journale von ihm berichtet, mir keinen geringen Schrecken eingejagt haben würde, war ein junger Mann von konzentriertem Ungestüm, dem Ansehen nach schüchtern, von interessantem Aeußeren, von anscheinend sanftem Gemüt, solange es nicht aufgeregt und gereizt wurde, von einfacher Höflichkeit und gebildetem Geiste. So kam er mir wenigstens an jenem Tage vor, als er zu mir ins Zimmer trat, mich zu besuchen.

Hat er den Keim zum Hasse gegen den Hof erst bei dieser Gelegenheit in sich aufgenommen, wo ich ihn, wie ich gleich weitläufiger erzählen werde, nach Versailles zu kommen veranlaßte – so bin ich fast gezwungen, ihm diesen Haß zu verzeihen. Er kam, wie gesagt, zu mir, erinnerte mich an die Ansprüche, wie gering sie auch seien, die er auf meine Gefälligkeit habe, welche er Protektion zu nennen beliebte, und sagte: da er wisse, wieviel ich bei Hofe gelte, so ersuche er mich, sein Glück zu machen, da dies nur von mir und meinem Kredit abhinge. Ich sah noch nicht ein, was er in Versailles zu suchen hatte, was ich dazu tun und helfen könnte, und ließ ihn daher weiterreden.

Die Stelle eines Direktors des Buchhandels (so wenigstens nannte er, wie mich dünkt, den Posten) in der Stadt Alençon war erledigt. Sie brachte zweitausend Taler jährlich ein, und gab Gelegenheit, ab und zu einige Leute zu verpflichten und anderen wehe zu tun. So etwas kommt schon in der Provinz in Betracht, und ich kenne viele, die auch in der Hauptstadt keinen geringen Wert darauf legen würden. Er hatte (wie er mir sagte) gleich nach dem Abgang des vorigen Direktors Postpferde genommen, und war vor allen seinen Mitbewerbern eingetroffen; ich sei die erste Person, zu der er geeilt, weil ich ihm durch meine Verbindungen in Versailles die Stelle verschaffen könne. Das war lustig genug; noch lustiger war es, daß ich ihm wirklich dazu verhalf. Doch ich erzähle der Reihenfolge nach.

Nachdem er mir dies alles auseinandergesetzt, hielt er inne, und sah nun aus wie ein Mensch, der sich in Verlegenheit befindet ... dem noch etwas auf dem Herzen liegt, das nicht heraus will, weil es gerade das Schwerste ist. Zwei- bis dreimal setzte er an und ab, stockte, schwieg. Endlich preßte er die Worte einzeln heraus: „Wollten der Herr Graf mir erlauben ... zu bemerken ... daß ich mit Vergnügen ... drei ... dreihundert Lou ... Louis ... für die allerdings unvermeidlichen ... Kosten ... und Schritte ... deponieren würde?“

Ich beeilte mich, um mir die Mühe, mich zu ärgern, zu ersparen, ihm, ohne es mir merken zu lassen, daß ich ihn verstanden, zu antworten: Die Kosten, von denen er spräche, und denen er sich unterziehen wolle, wären unnötig; der einzige Weg, den ich einschlagen könne, ihm zu dienen, sei von der Art, daß keine Maßregel dieser Art nötig sei, ihn zu ebnen; daß ich mich aber zufällig in dem Fall befände, Paris in wenig Tagen verlassen zu müssen, daß ich Geld brauche, noch nicht volljährig sei, den Wucherern in die Klauen fallen würde, und daher, wenn ich das Geschäft übernähme und sein Ansuchen gelingen sollte, auf sein Anerbieten einginge, doch unter der alleinigen Bedingung, ihm eine gerichtliche Obligation auszustellen, die ihm die Rückzahlung des Kapitals nach achtzehn Monaten nebst den Interessen zusichere. Er verbeugte sich tief und lieh mir die Summe, die ihm noch vor Ablauf eines Jahres durch meinen damaligen Geschäftsmann, Herrn Bérus, wieder zugestellt wurde, weil ich ein Landgut einem Oheim überließ, der es um der Lage und Wohlfeilheit willen noch während meiner Minderjährigkeit kaufte.

Diese Details gehen ins Kleinliche ... Sie sind eine der unangenehmen und unausbleiblichen Folgen der Gattung von Schriften, die unter dem Namen der Memoiren bekannt sind.*)

Herr L... schied überaus zufrieden von mir, nachdem ich ihn zum folgenden Tage Schlag zwölf Uhr in die Galerie von Versailles bestellt hatte, wo ich die Nacht zubrachte.**)

Am folgenden Morgen fand ich ihn daselbst und ließ ihn dort warten. Er klagte sehr über Langeweile, fand alles, was er sah, neu und außerordentlich und wünschte nur zweierlei: die Stelle zu erhalten und sogleich wieder abreisen zu können. Ich versprach ihm das letztere, für die Stelle könne ich ihm nicht stehen. Und in der Tat, ich zweifelte sehr, daß er sie bekommen würde.

Ich nahm für meine Person in der Galerie den der Türe, welche zu den Zimmern der Königin führte, zunächstliegenden Platz ein, um den Augenblick nicht zu verfehlen, wo sich Ihre Majestät in die Messe begeben würde. Sie bemerkte mich, erzeigte mir die Ehre, mich zu grüßen, mich, während sie vorüberging, anzureden, was für mich eine Aufmunterung war, ihr folgen zu dürfen. Nach verschiedenen Fragen, und nachdem sie unter andern den Herrn von Poix erwähnt hatte, der zum Regiment abgegangen war, folgte eine kleine Pause. Ich benutzte sie, und nahm mir die Freiheit, der Königin zu sagen, wie sehr ich wünschte, mich ihr zu Füßen zu legen und Ihre Majestät um eine Minute Audienz zu ersuchen. „Finden Sie sich vor fünf Uhr bei mir ein,“ war die Antwort.

Jetzt konnte ich Herrn L... von seinem Posten ablösen. Ich beschied ***) ihn um halb fünf Uhr in den Gardesaal der Königin. Er ging, und trieb sich bis dahin herum, wo und wie er Lust hatte; ich tat dasselbe.

Er fand sich pünktlich ein und erwartete mich auf seinem Posten, müde, mit bestaubten Füßen. Er hatte alle Bosketts der Gärten durchkrochen, bei einem Schweizer schlecht zu Mittag gespeist, und bemühte sich vergebens, mir die böse Laune zu verbergen, die sich seiner in nicht geringem Grade bemächtigt hatte. Ich ermahnte ihn zur Geduld: „er möchte nur noch ein klein wenig warten!“ Mit diesen Worten verließ ich ihn und trat ins Speisezimmer. Ein Kammerhuissier sagte mir, die Königin sei noch nicht zurück, sie würde aber jeden Augenblick erwartet; und in der Tat waren keine fünf Minuten verflossen, als sie eintrat.

„Bonjour,“ redete sie mich an, „wo haben Sie gespeist?“ – „Ihre Majestät, bei Frau von Beauvilliers.“ – „Bei der meinigen?“ – „Nein, Ihre Majestät, bei der (Einige Spaßmacher der schlechten Sorte nannten diese Herzogin die weiße Stute.) Madame Adelaïde.“ – „Hält sie Tafel?“ – „Ja, Ihre Majestät; wenigstens hat sie mich empfangen, da sie mich von Kindheit an kennt, und sich mit mir nicht zu genieren braucht.“ – „Wäre Herr von Champcenetz in Versailles gewesen, so hätten Sie gewiß bei ihm gespeist. ... Das nenne ich einen guten Gesellschafter!“ – „Es fehlt ihm nicht an Witz, und besonders nicht an Munterkeit und Laune.“ – „O gewiß. Mit diesen Eigenschaften wird er es noch weit bringen! (Unglückliche! Du hast dasselbe Ziel erreicht wie er! Verf.) Nun, Graf, was führt Sie zu mir? Treten Sie ein.“ – „Ich ersuche Ihre Majestät, mir Geduld und Nachsicht zu schenken, weil ich vielleicht etwas länger sein werde, als ich sollte.“ – „Nun ja, ich werde Sie ruhig anhören.“ – „Königin, es ist hier jemand angekommen, eine Art von Magistratsperson, dem meine Familie wohlwill, und ich ebenfalls; er wünschte sehr eine Stelle in Alençon zu erhalten, eine erledigte Stelle ... ich habe sie aufgeschrieben ... (hier reichte ich ihr ein Blatt Papier hin) ... sie hängt vom Herrn von Miromesnil****) ab; mein Klient ist ein sehr zu empfehlender Mann; es würde mich unendlich glücklich machen, wenn er die Stelle erhielte: ein Wort der Königin an den Herrn Groß-Siegelbewahrer würde hinreichen ... es ist sonnenklar ...“ – „Nun, sonnenklar? Was ist sonnenklar? ...“ – „Daß der Siegelbewahrer Ihrer Majestät es nicht verweigern würde ...“ – „Ist das alles?“ – „Ja, Königin.“ – „Ich will schreiben. Geben Sie mir das Papier.“ – „Majestät, es ist ganz zerknittert.“ – „Geben Sie mir das Papier; kommen Sie morgen um halb vier Uhr wieder, Sie sollen den Brief fertig finden. Adieu.“ – „Ich weiß nicht, wie ich Ihre Majestät meine ganze Erkenntlichkeit ausdrücken soll.“ – „Durch Ihre gute Aufführung.“

Als ich wieder zu meinem Schützling kam, sagte ich ihm: „Man darf hier in der Hofluft nur dann auf etwas rechnen, wenn es geschehen ist; allein Ihre Sache nimmt eine gute Wendung. Sie haben sich von meinem Kredit mehr versprochen als ich selbst, und es sollte mir leid tun, wenn Sie sich geirrt hätten.“ – „Wie, Herr Graf, Sie haben die ganze Zeit über mit der Königin gesprochen?“ – „Ja, mein Herr.“ – „Und in der Provinz hat man uns versichert, der König und die Königin sprächen so wenig, daß es fast ebenso wäre, als wenn sie gar nicht sprächen.“ – „Hat man Ihnen nicht auch weisgemacht, daß sie stumm sind?“ – „Das eben nicht, aber es heißt allgemein, daß sich bei Hofe beinahe niemand finde, mit dem sie sprächen; die Etikette verlange, daß sie bei jeder Audienz von ihrem ganzen Hofstaat umgeben seien.“ – „Auch bei einer geheimen Audienz? Nicht wahr, Herr L...? Oh, man wird Ihnen wohl noch ganz andere Dinge von ihnen gesagt haben, und ebenso wahre, als diese!“ – „Herr Graf, ich habe gelesen ...“ – „Ja doch, gedruckt gelesen, ich zweifle nicht; Tatsachen von einer Gründlichkeit, von einer Wahrheit ... Herr L. ..., zur Vergeltung für den geringen Dienst, den ich Ihnen leiste, verlange ich weiter nichts, als daß Sie den Ungereimtheiten, die Sie Über diesen Hof (ce pays-ci) hören oder lesen werden, nicht blindlings Glauben beimessen. Diejenigen, welche mit voller Sachkenntnis darüber schreiben könnten, schreiben nicht. Diejenigen aber, welche über diesen Gegenstand ganze Ries Papier verschmieren, sind Schlucker, die von ihrer Dachkammer herab die öffentliche Meinung irreführen; Nichtswürdige, die keinen Begriff, keine Ansicht von Menschen und Dingen haben, Elende, die mit schneidendem, dogmatischem Ton über alles absprechen, und weitläufig über Sachen räsonnieren, von denen sie nicht die entfernteste Kenntnis haben. Ihre grobe Unwissenheit, ihre ungeregelte Einbildungskraft möchte gern die Schwachen überreden, daß ihnen Türen und Tore der Paläste und Kabinette, und alle Zugänge zu Königen und Fürsten offen sind; sie unterstehen sich, eine Welt zu zeichnen, die sie nicht gesehen haben und die sich nicht von ihnen erraten läßt, und, was das schlimmste ist, sie finden Leute, welche ebenso wie sie, mit der Zeit und der Bildung im Rückstand sind, und immer bereit sind, sie anzuhören und ihnen aufs Wort zu glauben. Unter diesen Leuten, die sich die gröbsten Unwahrheiten aufbürden lassen, befinden sich, leider! nicht wenige Männer von Verstand, die aber, dem allgemeinen Strome nachgebend, dem natürlichen Hang zum Erdichteten und Lügenhaften folgen,5) und besonders der verführerischen Neigung Gehör geben, alles, was hoch steht, herabzusetzen und zu entwürdigen. Auf diese Weise finden jene Libellisten leichtgläubige Seelen, welche der Lüge und Verleumdung Gewicht geben, weil sie von ihrem Standpunkt aus das Lächerliche vom Reellen, das Falsche vom Wahren nicht unterscheiden können. Ich verlasse Sie jetzt, Herr L..., und rate Ihnen, sich diesen Abend im Stadt-Theater zu zerstreuen. Morgen treffen wir um drei Uhr hier wieder zusammen. Wollen Sie mich noch in den Morgenstunden sprechen, so finden Sie mich im Gasthof Le Juste; ich gehe nicht vor halb zwölf Uhr aus. Guten Tag!“

Am folgenden Morgen kam er zu mir; er war wütend. Er war meinem Rat gefolgt und hatte das Schauspiel besucht. Aber in welchem Anzuge? Mit langen, fliegenden Haaren, in schwarzem Rock, schwarzem Mantel. Zwei junge Etourdis hatten sich über ihn lustig gemacht. Beim Herausgehen wurde er von einem dritten gestoßen, der einer sehr hübschen Dame den Arm gab. Er beschwerte sich ziemlich laut. Jener fragte ihn, was er wolle, und wer er sei. Er war so einfältig, seine sämtlichen Titel und Qualitäten anzugeben. „Sie tun sehr wohl daran, das alles zu sein,“ erwiderte hierauf die Person, die ihn gestoßen hatte, „ich bin der Graf Chabannes und habe viel Eile“, lachte ihm hierauf ins Gesicht und stieg in den Wagen.

„Das ist also,“ sagte mir Herr L..., „der schändliche Unterschied, den Hoffart und abgeschmacktes Vorurteil zwischen Mensch und Mensch macht! Mich zu stoßen, mich zu verhören, mich auszulachen! – Und ich darf nicht Rache nehmen!!“ – „Wer wehrte es Ihnen, Herr L..., ihn wieder zu stoßen? Wer hieß Sie, seine Fragen beantworten? Wer hinderte Sie, ihm wieder ins Gesicht zu lachen? Wer steht Ihnen dafür, daß er das versagen würde, was Sie unter Rache nehmen verstehen?“ – „Ich zweifle sehr, Herr Graf, ob der Graf von Chabanon ...“ – „Es gibt keinen Grafen von Chabanon; ich kenne nur einen homme de lettres dieses Namens, einen geistvollen, liebenswürdigen Mann, der wie ein Engel die Violine spielt, der nächstens eine Stelle in der Akademie erhalten wird, der aber niemanden stößt, weil er nie Eile hat. Mit diesem haben Sie es nicht zu tun gehabt, sondern mit Herrn Chabannes. Er hat Sie, wie ich fest überzeugt bin, unwillkürlich angestoßen, ist ein angenehmer junger Mann, von ausgezeichneter Geburt, stammt von Ahnen ab, die sich dem Vaterlande durch die wichtigsten Dienste empfohlen haben. Finden Sie es nicht natürlich, sogar billig und gerecht, daß ein Teil ihres Glanzes auf ihn übergehe? – ein Glanz, der ihm wie eine Fackel voranleuchtet und dazu dienen wird, die Flecken in seinem Leben, wenn es deren gibt, sichtbarer zu machen.“ – „Aber er soll mich nicht umrennen!“ – „Nein, gewiß, das soll er nicht!“

Das war der Anfang – sozusagen der erste Stoß – der Herrn L... in die Revolution drängte. Am folgenden Tage vollendete Herr von Miromesnil das Werk.

Ich begab mich zur vorgeschriebenen Stunde zur Königin, und fand den Befehl vor, mich bei der Palastdame, Gräfin von Tavannes, einzufinden. Es ist dieselbe, von der sich ihr Gemahl, Ehrenkavalier der Königin und nachheriger Herzog, mit den paar Worten getrennt hat: „Sie hätten wenigstens die Tür abschließen sollen, Madame!“ Er hatte sie nämlich mit dem Herrn von Montmorency, man weiß nicht womit, beschäftigt gefunden. Das nenne ich ruhige Kälte! Das nenne ich Lebensart! Der Herzog war ein kleiner Mann mit schneeweißem Haar, ziemlich lebhaft, der aber äußerst wenig sprach. Damals galt die Bartholomäusnacht für das höchste Verbrechen, für den größten Schandfleck unserer Geschichte; ich konnte nicht ohne Abscheu an sie zurückdenken, daher sah ich den Herzog von Tavannes nie, ohne zugleich an einen der wütendsten Teilnehmer der Bluthandlung, den damaligen Marschall von Tavannes, zu denken. Er war Page beim Könige Karl IX. gewesen, wurde später sein Günstling, und wer kann es vergessen, daß er durch die Straßen von Paris rannte, und aus vollem Halse rief: „Laßt zur Ader! Laßt zur Ader! Im August ist ebenso gut Aderlassen, wie im Mai!“

Doch muß man bemerken, daß Männer wie er wenigstens nicht aus Spekulationsgeist mordeten, daß sie kein persönliches Interesse hatten, ihre Schlachtopfer zu würgen. Ihr Eifer war ein Höllen-Feuereifer, ein Kannibalen-Fanatismus; die meisten unter ihnen bildeten sich ein, die göttliche Religion, das Christentum könne Greueltaten befehlen und heiligen!!

Haben aber Ehrgeiz, Hoffart, Eitelkeit, Rache, persönliches Interesse, Streben nach Höhe nicht ebenfalls ihren Fanatismus? O beweinenswerte Menschheit!

Frau von Tavannes hatte noch Spuren von Schönheit, viel Embonpoint und eine frische Farbe. Sie stellte mir ein Schreiben der Königin für den Groß-Siegelbewahrer zu. Nach den gewöhnlichen Gemeinplätzen fragte sie mich: Ob sie den Inhalt des Briefes wohl erfahren könne? – „Madame,“ gab ich zur Antwort, „ich zweifle nicht, daß die Königin Sie damit bekannt machen werde; Sie besitzen das ganze Zutrauen Ihrer Majestät; die hohe Gunst, in welcher Sie bei ihr stehen, beweist es.“ – Die Königin liebte sie nicht sonderlich; das wußte ich sehr wohl, so daß ihr meine Antwort für ein beißendes Epigramm gelten konnte. Natürlich wurde die Unterhaltung von nun an schleppend; ich machte ihr ein Ende und empfahl mich.

Von ihr ging ich zu Herrn L... „Kommen Sie,“ sagte ich, „zum Groß-Siegelbewahrer. Ich habe Ihre Stelle in der Tasche.“ – Wir gehen zusammen, wir werden gemeldet, vorgelassen, und finden das Haupt der Justiz, von einer Wolke von Zivilbeamten aus allen Klassen und Provinzen umgeben, und – eine Tasse Kaffee schlürfend.

Des Herrn von Miromesnil großes Talent, die Valets de comédie zu spielen, erinnerte mich in diesem Augenblicke an einen Molièreschen Bedienten, der, als Richter oder Polizeikommissar verkleidet, im Begriff steht, einen Vormund oder seinen Herrn zu prellen.

Wie dem auch sei, Herr von Miromesnil, den ich oft Gelegenheit gehabt hatte, beim Herzog d’ Havré zu sehen, und der übrigens nichts weniger als auf den Kopf gefallen war, empfing mich mit außerordentlicher Artigkeit, benahm sich auch höflich gegen Herrn L..., als ich diesen vorstellte. Kaum aber hatte ich die Absicht erwähnt, die ihn nach Versailles führte, als sich alle Züge des Ministers und seine ganze Haltung veränderten. „Tudieu“, rief er aus, indem er sich plötzlich zu ihm wandte, „junger Tollkopf, rappelt’s bei Ihnen? Was! Sie melden sich zu einer Stelle, die nur die Belohnung langer und wichtigster Dienste sein soll; zu einer Stelle, die einen Grad von Geschicklichkeit erfordert, von der Sie noch keinen Beweis abgelegt haben? Sie haben die Gutmütigkeit des Herrn Grafen von Tilly überrascht (hier wendete er sich zu mir mit einem hämischen Blick und bitterem Lächeln); Sie haben seinen guten Glauben gemißbraucht, indem Sie ihn zu diesem unschicklichen Schritt verleitet haben ...“ – „Gnädigster Herr ...“ stammelte der arme L... – „Still, Herr!“ – Und, als wollte er den Teil des Ausfalls wieder gutmachen, den er sich gegen mich erlaubt hatte, redete er mich mit den Worten an: „Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“ – „Ich danke, Monsieur“, erwiderte ich; „hier ist aber ein Schreiben der Königin, welches ich Ihnen überreichen soll.“ – „Der Königin?“ – „Ja, der Königin.“

Sein Gesicht wurde strahlend; er eilte, das Siegel zu erbrechen: Aber während er las, wie verfinsterten sich seine Züge! „Herr Graf,“ sagte er endlich, „ich bin überzeugt, daß Ihre Majestät nicht gewußt hat, wie schwierig ... wie, ich möchte fast sagen, wie unmöglich es ist ... aber doch ... ich sehe mein ganzes Glück darin, den Befehlen der Königin zu gehorchen ... nur muß ich dabei gestehen ... es ist hart, grausam, eingegangene Verbindlichkeiten nicht zu erfüllen ... und ... vor allem wünschte ich zu wissen, welchen so lebhaften Anteil Sie an dem jungen Mann nehmen ... Sie, junger Mann, sollen die Stelle erhalten; allein ich will schon dafür sorgen, daß es kein leerer Titel, keine Sinekur für Sie sein soll, und daß man Sie zur Arbeit anhalten wird.“ – „Gnädigster Herr, ich besitze zu viel Ehrgefühl, um meine Schuldigkeit nur halb zu tun.“ – „Parbleu, das versteht sich; wir wollen sehen! Wir wollen sehen!“

„Ich habe die Ehre (nahm ich jetzt das Wort), dem Herrn Groß-Siegelbewahrer meinen ehrfurchtsvollen Dank auszudrücken, und ersuche ihn, sich von der Größe meiner Erkenntlichkeit zu überzeugen, die die huldreiche Art, mit welcher er sich mir gefällig gezeigt, mit unauslöschlichen Zügen in mein Herz graben wird.“ – Er wollte den Persifleur begleiten; der Persifleur war schon zur Türe hinaus.

„Ach, Herr Graf, wie sehr habe ich an mich halten müssen! Wie nahe war ich dabei, mich unglücklich zu machen!“ (So sprach mit einem Seufzer, womit er sich Luft machte, mein Advokat aus der Provinz.) „Wie regte sich in mir die Lust, dem alten Affen zu antworten! Verzeihung! Ich weiß, daß ich von einem Mitgliede der höchsten Behörde nicht so sprechen sollte; ist es aber nicht entsetzlich für einen, der auf dem Boden liegt, in den Boden getreten zu werden, ohne sich aufrichten zu dürfen?“ – „Seien Sie ruhig, mein lieber Herr L...; fassen Sie sich; es war ein Sturm, auf welchen ein schöner heiterer Tag folgt. Sie haben ihre Anstellung; war es nicht das, was Sie wünschten?“ –

Er erhielt sie wirklich einige Tage darauf, sagte mir aber, es habe ihn noch fünf und zwanzig Louis gekostet, die er einem expedierenden Sekretär habe geben müssen, um die Angelegenheit zu beschleunigen. Ich wünschte ihm Glück, so wohlfeilen Kaufs mit den Herren Subalternen6) abgekommen zu sein. Er verließ bald darauf Paris, und ist, wie ich glaube, nicht eher wieder dahin gekommen, als um denen, die ihm wehe getan, doppelt wehe zu tun!!

In welcher Ordnung der Dinge, in welchem Werke menschlicher Hände und menschlichen Verstandes gibt es nicht Mißbräuche, Anstöße, Verdruß und Mißvergnügen? In welchem Lande, unter welcher Regierungsform, macht Größe und Macht nicht schwindelig? Wo fühlt man nicht die Härte bei der Zurückweisung, die Gleichgültigkeit und Kälte bei der Gewährung? In welchem System sind die Oberen stets darauf bedacht, die Formen ihres Ansehens den Untergebenen angenehmer, die Hand leichter zu machen, welche die Zügel der Gewalt lenkt, und nach Gefallen Strenge ausübt oder Wohltaten spendet? Die beste Staatsverwaltung – zur Unvollkommenheit sind wir einmal verdammt – ist diejenige, auf welcher die wenigsten Fehler haften; die väterliche Regierung ist diejenige, welche sich bemüht, alles so nahe als möglich zu betrachten und zu untersuchen, obschon es unmöglich ist, alle Gegenstände zugleich zu umfassen; welche sich bestrebt, das Böse am tätigsten zu hintertreiben, und das Gute auf die beste Weise zu befördern; welche sonst keine Ungerechtigkeiten begeht, als solche, deren sie sich nicht bewußt ist, oder solche, die eine unvermeidliche Folge einer zu ausgedehnten und zu verwickelten Organisation sind, folglich nicht in allen ihren Zweigen übersehen werden können. Die beste Staatsverwaltung ist diejenige, die alles Böse verhindert, was sich durch ihren festen Gang abwenden läßt; die alles Gute tut, was in ihren Gedanken und in ihren Kräften steht, und die mit Beständigkeit einem großen Ziele entgegenstrebt, nur daß sie es nie ganz erreichen kann, weil sie die Unermeßlichkeit der Gottheit nicht besitzt, welche allein alle Teile ihrer unzähligen Werke umfaßt.

*) Einen neuen Beweis dieser Wahrheit liefern die bändereichen Memoiren der Madame la Comtesse de Genlis. Uebers.

**) Wo? Es wird Leser geben, die dieses Wo und diesen Satz überhaupt nicht recht deutlich konstruiert finden werden. Sie werden fragen, ob ich in Versailles oder in der Galerie geschlafen? Ich halte es nicht der Mühe wert, ihnen zu antworten. Verf

***) Der Verfasser sagt appointer; es schien ihm spaßhaft, einen Advokaten zu bescheiden, zu appointieren. Uebers.

****) Hue de Miromesnil, erster Präsident des Parlaments von Rouen, erhielt kurz nach Ludwigs XVI. Thronbesteigung die Siegel aus den Händen des Königs, verlor sie 1788 und hatte Herrn von Lamoignon zum Nachfolger. Uebers.

5) Wir haben in dieser Gattung ein dickes Buch, das einen gewissen Herrn oder Abbé Soulavie zum Verfasser hat. Es ist um so widerlicher, da es einige scheinbar verbürgte Stellen enthält und sich bisweilen das Ansehen der Wahrheit gibt. Verf.

6) Es würde höchst ungerecht sein, den Chef der Behörden, die nicht alles mit eigenen Augen übersehen können, die Nachlässigkeit zuzuschreiben, mit welcher ihre Befehle vollzogen werden. Ich habe irgendwo gelesen – und halte es für Wahrheit – daß einst der Kardinal Richelieu, als er sich über die Rhone setzen ließ, seinen Leuten befahl, dem Schiffsvolk fünfzig Louis zu geben. – „Fünfundzwanzig, Monseigneur,“ rief einer von ihnen, „geruhen aber Ew. Eminenz, sie uns selbst zu geben!“ – Wie fein!! Verf.



Nachdem ich noch einmal der Königin meine Ehrerbietung dargebracht, eilte ich nach der Bretagne, zum Heere, welches unter den Befehlen der Herren De Vaux und Langeron stand. Die Stadt Saint-Malo hatte das Ansehen eines Feldlagers; die Einwohner waren stolz über das kriegerische Geräusch; Offiziere aller Gattungen galoppierten in den Straßen, uneingedenk der Gefahr, Frauen und Kinder umzureiten; auch sah man eine Anzahl feiler Dirnen von Paris, aus den unteren Klassen, die sich aber das Ansehen gaben, wie vornehme Damen spazieren zu fahren. Die Herzoge von Lauzun und de la Feuillade, und der Fürst von Nassau hatten sie hinbestellt und ihnen Hoffnung zu einer reichen Ernte gemacht, die aber ausblieb. Sie hatten Mühe, Paris wieder zu erreichen und die Postpferde zu bezahlen.

Was mich betrifft, so hatte ich das Vergnügen, mehr als einmal bei den Landungsversuchen, worin wir uns üben mußten, mir aus der See nasse Füße zu holen. Die Truppen und ich fanden kein sonderliches Behagen an diesen Fußbädern. Mein Quartier war ein Dorf; es hieß, wenn ich nicht irre, Châteauneuf, und ein Herr de la Vieuville, ehemaliger Garde-Kapitän, hatte ein Landgut in der Nähe. Meine einzige Zerstreuung bestand darin, kleine Abstecher nach St. Malo zu machen und mein Geld im Spiele zu verlieren, wie ich es gleich zu Nutz und Frommen der jungen Leute erzählen werde, die sich leichtsinnigerweise mit dem ersten, dem besten unbekannten Spieler einlassen. Des Morgens reiten, nachmittags fechten: das war mein einziger Zeitvertreib in einem Dorf, wo das schöne Geschlecht nicht schön, die Landschaft weder reizend noch malerisch war. Demoustier würde hier gewiß nicht die Begeisterung gefunden haben, welche ihm die allerliebsten und rührenden Verse auf den Tod eines jungen Landmädchens eingab:

Grâce, fraîcheur, fleur printanière,
La mort devrait vous respecter.
Ah, pourquoi cesser d’exister,
Quand on n’a pas cessé de plaire?

Après avoir dit quelque temps:
„Elle était jeune, elle était belle“
On l’oubliera; l’herbe nouvelle
Couvrira sa tombe au printemps.
Là, fixant sa course légère,
Le jeune chasseur, vers le soir,
Qu’il foule aux pieds une bergère.

In Châteauneuf gab es einen Kirchhof wie in der Provinz Maine; es gab alte Bäuerinnen, vielleicht auch junge Landmädchen; aber ich sah mich vergebens nach Schäferinnen um. Dagegen holte ich mir aus diesem Orte das häßliche Uebel, das ich schon früher erwähnt habe; (Die Krätze) es kam ganz von selbst, ich weiß nicht wie? In der Bretagne ist es etwas Gewöhnliches, worauf man fast gar nicht achtet; mehrere Offiziere unseres Regiments teilten die Bescherung mit mir, die ich von ganzem Herzen zum T..l wünschte. Glücklicherweise wurde ich sie nach acht bis zehn Tagen los.

In den acht Wochen, die ich hier in der Hoffnung zubrachte, einst Marschall von Frankreich zu werden und der erste zu sein, der den Fuß auf englischen Boden setzen würde, hätte ich volle Muße, mich zu überzeugen, daß die ganze Expedition nur ein Theaterfeldzug, eine Expedition ad honores, eine große Parade sei, und daß wir ebenso zurückkommen würden, wie wir hingegangen waren. Was meinem Glücke vollends die Krone aufsetzte, war ein schleichendes Fieber, ein, wie ich erfuhr, endemischer Zoll, den jeder Ankömmling der Gegend zu entrichten hat. Ich wurde quittengelb, mager, glich mehr einem Gespenst als einem Lebenden. Dabei zehrte eine unüberwindliche Traurigkeit an meinem Herzen. Gott weiß es, ich fürchtete mich nicht vor den Engländern, aber eine unerklärliche Ahnung regte sich in mir; meine Einbildungskraft zeigte mir mein Grab in dieser abgelegenen Einöde. Mein Uebel bot allen Aerzten, allem Chinapulver Trotz. Von Tag zu Tag erlosch mein Geist in Trübsinn, und mein Körper schwand vor der Zeit in Abgelebtheit und Altersschwäche hin.

Eines Tages ging ich nach Saint-Malo, um mir die finsteren Gedanken einigermaßen zu vertreiben. Ich meldete mich zu Mittag bei Herrn von Rulecourt, der die ...sche Legion als Oberst kommandierte und späterhin, als Abenteurer, aber auch bald als Held, in den Straßen von Jersey, wo er mit einer Handvoll Leute eine Landung versucht hatte, unter Haufen aufgetürmter Leichen seinen Tod fand. Man sagte mir beim Eintreten, er sei nach Saint-Servan geritten. Schwerlich konnte ich nun in Saint-Malo mit ihm speisen. Ich war schon im Begriff, umzukehren, als ein Herr, der sich mir als Baron ... vorstellte, mich aufhielt. Er versicherte mir, Herr von Rulecourt werde zur Essenszeit zurück sein; und da es mir vorkam, als ob die Dienerschaft ihm wie einer Person begegnete, die nicht ohne Einfluß im Hause sei, so gab ich nach, um so mehr, da es ganz das Ansehen hatte, als mache er den Wirt und die Honneurs. Wir traten in den Saal; er sprach ein Weilchen von Krieg und Politik; dann ging er auf einen anderen Gegenstand über – auf das Spiel; bot mir eine Partie an, mir die Zeit zu vertreiben; wartete kaum meine Antwort ab, ließ Karten bringen, und in weniger als einer Stunde hatte er mir im Trente und Quarante einhundertundfünfzig Louis abgenommen. Mein guter Geist nahm sich in diesem unangenehmen Augenblick meiner an und flüsterte mir zu: Daß man mit einem Fremden nur so viel verspielen müsse, als man bar bezahlen könne. Ich legte die Karten nieder und ließ mich nicht von den schönen Worten des Herrn Barons, von seinen glatten Beteuerungen, von seinem Leidwesen über meinen Verlust, am wenigsten von seinem Wunsche, mir Revanche zu geben, betören und überreden. Er gebrauchte die äußerst kluge Vorsicht, sich von mir einen Schein über die Kleinigkeit, die ich verloren, ausstellen zu lassen. Ich löste das Papier am folgenden Tage ein, um das Recht zu erlangen, in Zukunft ihn weder zu grüßen noch ein Wort mit ihm zu sprechen.

Dieses kleine Erlebnis, das in der Gemütslage, in der ich mich befand, nicht eben geeignet war, mich aufzuheitern, gab dem Widerwillen, den ich gegen mein Vegetieren, gegen mein abgestumpftes Nichtsein empfand, den letzten Stoß. Ich sah das elende Dorf nur mit Ekel an. Das Fieber verzehrte mich und nahm von Tag zu Tag einen bedenklicheren Charakter an. Reiten und Fechten waren meine einzige Erholung, mein höchstes Vergnügen. Das Fechten wäre mir aber fast verbittert worden. Um ein Haar hätte ein ernsthafter Kampf daraus entstehen können, – ein Kampf mit dem Marquis de La Tour Maubourg, der sich durch sein entschiedenes Eintreten für die Revolution und durch große Unglücksfälle berühmt gemacht hat.

Damals war er nur durch einen ausgezeichneten Namen bekannt, durch ein großes Vermögen, durch die Gunst der Königin, die ihm vor der Zeit zu einer Oberstleutnantsstelle verhalf, – durch einen hohen Grad von Edelmut, von Großmut, von Tapferkeit, von Rechtlichkeit, Ehre und Geradheit, – Eigenschaften, welche ihn zum Schiedsrichter in unserem Regiment machten. Nie gab es einen Mann, der so allgemein geliebt worden wäre, und es in einem solchen Grade verdient hätte, wie er; nie gab es so viel Gefälligkeit und Einfachheit in Dienstleistungen gegen seine Waffenbrüder; nie so wenig Ansprüche und Anmaßungen, selbst gegen den letzten seiner Untergebenen, höchstens etwas Tadelsucht über die Höheren und einen Hang, sich zum Anwalt des Unrechts aufzuwerfen; dabei ein prächtiges, imposantes Aeußeres, und die anmutigsten Formen. Er war zugleich mit dem Vicomte de Noailles und Herrn de La Fayette in die militärische Laufbahn eingetreten; die Partei, welche sie ergriffen hatten, ergriff auch er; die Gefangenschaft des letzteren (welche wahrscheinlich auf die Wahl Einfluß hatte, die ihn traf, den König auf seiner Heimkehr von Varennes zu begleiten) ist ebenfalls später sein Los gewesen. Wenn die Seelenwanderung keine leere Hypothese wäre, wenn ich, unter einer anderen Gestalt, diesen Erdball ein zweites Mal besuchen sollte – so würde ich ( Maubourg, ich sage es Ihnen!) über niemanden ein Urteil fällen, bevor nicht eine ganze Revolution vor meinen Augen vorübergezogen wäre, und meine Meinung geklärt und gereift hätte.

Eines Abends übten wir uns miteinander im Fechten. Er erhitzte sich, weil er meinte, ich hätte einen Stoß empfangen, den ich ableugnen wolle. Ich beteuerte, nicht berührt worden zu sein, und mag vielleicht, da ich meiner Sache gewiß war, in meine Worte zu wenig Schonung gelegt haben. Wir fochten weiter. Nach einigen Gängen stieß er mir das Rappier mit solcher Kraft auf die Brust, daß es sich bog, und setzte hinzu: „Es bedürfe allem Anschein nach nicht weniger als eines solchen Stoßes, mich zu überführen ...“ Kaum hatte er ausgesprochen, als ich das Rappier mit dem Ausruf von mir schleudere: „Wir wollen sehen, ob Sie mit dem Degen ebenso glücklich sein werden!“ Er läßt sich’s nicht zweimal sagen. Mit einem Satz springt er auf seine Kleider zu; in einem Nu ist er hineingefahren. Er ergreift meine Hand mit krampfhaftem Druck und ruft: „Fort, fort! Die Säbel geholt! Du sollst sehen!“ ... – „Nein, du sollst sehen,“ erwiderte ich; aber ich bin kein Tor, mich mit jemandem zu hauen, der viel größer und stärker ist als ich; überdies verstehe ich mich nicht auf den Säbelhieb; schlagen wir uns auf den Degen!“ – „Ich bin’s zufrieden.“ – Wir machen uns auf den Weg. Wir erreichen die Stelle. Wir ziehen. Zwei Offiziere, von denen, die man damals Officiers de fortune zu nennen pflegte, weil sie nicht von Adel waren – holen uns ein, fordern uns in des Königs Namen auf, die Degen einzustecken, tun ihr mögliches, die Sache beizulegen. Maubourg erbot sich mit vielem Anstand zur Aussöhnung; es kam mir nicht zu, Schwierigkeiten zu machen, da jener älter an Jahren, länger im Dienste war und von der Ehre und ihren Gesetzen die vollkommenste Kenntnis besaß. Er drückte mich an seine Brust, vergoß dabei einige Tränen, die ich gerührt erwiderte; wir wurden wieder die besten Freunde, und ich mußte bei ihm zu Abend speisen.

Das war für mich die letzte Waffentat dieses Feldzuges; denn ich erhielt gleich nachher von einem Anverwandten ein Schreiben, der mir eine vornehme und vorteilhafte Heirat vorschlug, und mich zugleich einlud, vor meiner Reise nach Paris ihn auf seinem Landgut zu besuchen. Die vorgeschlagene Partie war so annehmbar, daß nur ein Tor, wie ich damals war, sie ausschlagen konnte. Wäre ich dem Rate meines Blutsfreundes gefolgt, oh, wie vielem Kummer und Unglück würde ich aus dem Wege gegangen sein! Wieviel trübe Tage würde ich mir erspart haben! Wer kann aber seinem Schicksal entgehen? Die Dame, die er mir antrug, und die ich unfehlbar bekommen haben würde, hat sich später mit Herrn de M.... Mestre de Camp im Kavallerie-Regiment von L..... vermählt, und ihm sechzigtausend Franken jährlicher Renten zugebracht. Dieser Umstand, und mehr noch meine zerrüttete Gesundheit bewog mich, bei dem Prinzen von Poix um die Erlaubnis einzukommen, mich von den Fahnen entfernen zu dürfen. Zugleich machte ich mich auf meine Ehre anheischig, mich wieder einzufinden, sobald man unsere Banner auf englischem Grund und Boden aufpflanzen würde. Doch das hielt niemand für möglich. Ich reiste ab, kam in Paris an, schickte zu meinem Arzt, der mich in kurzer Zeit wieder herstellte und mir die Kraft eines neuen Lebens gab.

Die See-Expedition war verfehlt, alle Landungsentwürfe waren aufgegeben; alles trat den Rückmarsch nach Hause an. Wären mir die Gründe bekannt geworden, die bald nachher den Frieden (1783) herbeiführten, und die Bedingungen, die ihn befestigten, so würde ich sie hier mitteilen. Aber ich muß gestehen, daß ich nicht die geringsten Aufschlüsse über diese Operation der Regierung besitze, und daß in der Entfernung, in der ich mich gegenwärtig befinde, in dem Zeitpunkt und an dem Orte, (Berlin) wo ich dieses schreibe, ich es bei der Unmöglichkeit, allen diesen Mängeln abzuhelfen, und die Lücken auszufüllen, für kürzer und bequemer halte, ganz darüber zu schweigen. Nur so viel weiß ich: Kurz darauf wurde Paris von Engländern überschwemmt, die nach gewöhnlicher Sitte, bei Hofe und in der Stadt, mit Auszeichnungen, Artigkeiten und Gefälligkeiten aller Art überhäuft wurden; denn von jeher haben wir für eine großmütige, aber charakterlose Nation gegolten; von jeher sind wir mit der Fremdensucht behaftet gewesen, sind den Fremden zuvorkommend begegnet, die, weit entfernt, unsere törichte Vorliebe zu erwidern, es sich zum Gesetz gemacht haben, in Frankreich alles zu suchen, was nicht in Frankreich ist, alles hoch zu preisen, was uns fehlt und – um den Gegensatz zwischen uns und anderen Nationen vollständig zu machen – alles zu verachten, was wir besitzen.

Die neue Ordnung der Dinge hat einen kräftigeren Nationalcharakter zur Folge gehabt, hat einen grandiosen Stolz an die Stelle einer kleinlichen Eitelkeit gesetzt. Wird nur der heutige Charakter der Franzosen in verständigen Schranken gehalten, so wird unstreitig der französische Ruhm alles dabei gewinnen, was er in anderen Beziehungen verlieren würde, wenn dieses stolze Gefühl seines Wertes schrankenlos bliebe. Lassen wir anderen Nationen Gerechtigkeit widerfahren; seien wir gerecht gegen uns selbst, und vor allem (ich wende mich hier an alle Stände, an alle Klassen der Gesellschaft, an alle Erinnerungen der Vergangenheit, an alle Vorurteile) vor allem lassen wir ab von der Anglomanie; denn noch nie ist mir ein englischer Gallomane aufgestoßen, nicht einmal einer aus dieser Nation, der, nachdem er auf dem Festlande mit einem Franzosen intim verkehrt, ihn in London gut empfangen und gern gesehen hätte.



Nachtrag zum neunten Kapitel.

Da ich am Schlusse dieses Kapitels des Herrn de la Tour Maubourg und meiner Beziehungen zu ihm so weitläufig erwähnt, und dabei auch seiner Verbindung mit dem Vicomte de Noailles und Herrn de la Fayette gedacht, so erlaube ich mir, über den ersteren, den ich genau gekannt und geliebt habe, etwas Näheres nachzutragen.

Der Vicomte de Noailles ist, was seine Gaben und Fähigkeiten betrifft, unterschätzt worden. Ich behaupte, daß er kein Mann von gemeinem Charakter war, kein Mann, wie man sie so oft im gewöhnlichen Leben antrifft. Er hat Ruhe, Ehre, Leben, kurz alles dem unauslöschlichen Durst geopfert, von sich in der Welt reden zu machen und seinen Schwager (Lafayette) zu verdunkeln, für dessen Rival er sich zu eigenem Verderben frühzeitig erklärt hatte. Dieser Schwager besaß mehr Klugheit, vielleicht auch mehr Moralität als er, aber bei weitem keinen so stark organisierten Kopf und keine so kräftige Energie. Der Vicomte de Noailles hat in der Revolution eine unscheinbare Rolle (un rôle pâle) gespielt, weil alle Parteien derselben kein rechtes Zutrauen zu ihm hatten (wie er es mir selbst gestanden hat), weil ihm nie große Aufträge und wichtige Interessen übertragen wurden, und weil er die Gabe der Beredsamkeit in öffentlichen Versammlungen nicht besaß, obschon er in Privatzirkeln gut und leicht sprach.

Ueberdies waren seine politischen Meinungen nur geborgt und von Umständen abhängig; (et de commande sie standen im Gegensatz zu seiner Erziehung und dem Rate seiner ehrwürdigen Anverwandten, die der Denkungsart des vorigen Jahrhunderts noch immer anhingen; sie stimmten nicht einmal zu den Neigungen seines Herzens, zu den Vorschriften seiner Vernunft, zu den Eingebungen seines Gemüts. Ich weiß das alles genau aus meinen vielen Unterhaltungen mit ihm. Wie oft habe ich ihn sagen hören, und das zu einer Zeit, wo er keinen Vorteil dabei fand, wo kein Interesse ihm zur Verstellung bewegen konnte, wo ihn nichts hinderte, ein freies, aufrichtiges Bekenntnis abzulegen: „Ich sah die Revolution als unvermeidlich an. Ich war aber auch der Ansicht, daß wir sie würden leiten können; später weiter fortgerissen, als ich es vorausgesehen, habe ich es vorgezogen, dem Strome zu folgen, als mich von ihm gegen die Klippen schleudern zu lassen.“ Im Grunde war ihm aber nur daran gelegen, viel Aufsehen zu machen; und das beste Mittel in seinen Augen, Staunen zu erregen, wo noch etwas diese Wirkung hervorbringen konnte, war, sich demokratisch zu gebärden faire de la démocratie., er, der dazu geboren und berufen war, eine der Grundsäulen des Thrones zu sein.

Eben diese falsche Stellung, die er einnahm, ist schuld, daß er kein ehrenvolles Andenken, keinen ausgezeichneten Ruf in unseren bürgerlichen Fehden erwarb. Er fühlte das so tief, daß er die Armee, bei welcher er angestellt war, nur deswegen verließ, und sich nach den Vereinigten Staaten von Amerika begab, weil diese Armee, in ihrer ersten Zusammensetzung aus ungleichen disharmonischen Elementen bestand, ohne Disziplin und Gewandtheit war, und es ihm unmöglich machte, seinen Tod auf eine ruhmvolle Weise zu finden; denn damals war ein ruhmvoller Tod sein einziger Wunsch. Hätte er sich nur geduldet; die Gelegenheiten, seine Talente zu zeigen, würden nicht lange ausgeblieben sein; und ich zweifle keineswegs daran, daß er als würdiger Rival in die Fußstapfen der großen Generale getreten wäre, welche die Armee aufs neue bildeten und den Sieg unter Frankreichs Fahnen zurückriefen, als sie den französischen Grund und Boden verteidigten.

Seit der Revolution reiste er nie aus Frankreich oder einem anderen Lande ab, ohne Tag und Stunde seiner Abreise in die öffentlichen Blätter einrücken zu lassen: Das nannte er: ??Seine Rechnungen in jeder Hinsicht abschließen.“

Mir sind wenige Männer bekannt, die in höherem Grad als er, die Gabe besessen hätten, kräftige Ideen aufzufassen, sie festzuhalten, und sie mit mehr Wahrheit, Nachdruck und Geist zu verfolgen und in die Wirklichkeit überzuführen; wenige Männer, deren Freundschaft mehr Hilfsquellen angeboten, mehr Zutrauen eingeflößt hätte, und deren Festigkeit im entgegengesetzten Fall mehr zu fürchten gewesen wäre. Ich rede hier von seinem Privatleben.

Uebrigens ist er gestorben, wie es ihm vom Schicksal angewiesen war, mit den Waffen in der Hand. Das war seine Bestimmung, sein Beruf, sein Stern. Schon einmal hatte sich der Fall ereignet, wo das Leben keinen Wert für ihn hatte; er gewann es später wieder lieb. Zum zweiten Male aber nahm ihn der Tod beim Worte, als er sich von neuem für lebenssatt erklärte. Er war ein Mann von ausgezeichnetem Mute (ich sage es noch einmal), und von einem Charakter, der auch in Frankreich selten aufzufinden ist.

Ich erinnere mich eines Zuges, der schon aus dem Grunde der Aufbewahrung wert ist, weil er dazu beiträgt, einen Begriff von dem Aufschwung seiner Seele, und von der großen Liberalität seiner Gesinnungen zu geben. Während des amerikanischen Krieges war er Oberstleutnant des Regiments Soissonois gewesen. In diesem Kriege traf einen Kapitän des Regiments eine Kugel, die einen Grenadier, der vor ihm stand, getötet hatte, in die Brust. Die Wunde war von der Art, daß der Kapitän nie völlig genesen konnte. Er kam lange Zeit darauf nach Paris, und meldete sich zum Ludwigskreuze. Der Mann war mit Wunden bedeckt und von edlem Ansehen. Schon hatte er sich einige Monate in den Bureaus umhergetrieben, ohne sonst etwas als leere Versprechungen zu erhalten. Eines Tages bemerkte ihn der Vicomte de Noailles im Vauxhall, als er eben im Gespräch mit mir begriffen war. Er verläßt mich, eilt auf ihn zu, umarmt seinen alten Waffenbruder (damals kommandierte er schon das Regiment des Königs), drückt ihn an sein Herz und fragt ihn: Was ihn nach Paris bringe? – „Ich habe,“ versetzt jener, „die Ehre gehabt, Herr Vicomte, mich mehreremal in Ihrem Hotel einzufinden, um Ihnen meine Aufwartung zu machen, bin aber bis jetzt nicht so glücklich gewesen, Sie zu treffen. Ich leide sehr an meinen Wunden, besonders an der Brust, und halte um das Kreuz an.“ – „Mein Herr,“ erwiderte der Vicomte de Noailles, „ich bin untröstlich, Sie nicht eher gesehen zu haben; ich komme selten nach Versailles, wenig zu den Ministern; jedoch hoffe ich noch Einfluß genug zu haben, um Ihnen Gerechtigkeit verschaffen zu können. Ich lasse sie mir selbst widerfahren (mit diesen Worten zog er das Ludwigsband aus dem Knopfloch und steckte es in die Tasche), ich lasse Recht über mich ergehen, und will dieses Kreuz nicht eher wieder anstecken, bis auch Sie es erhalten haben werden.“ – Es wurde ihm wenige Tage nachher zugeschickt.

Ich füge am Schlüsse noch eine Anekdote hinzu, weil sie mir pikant scheint, und zum Beweise dienen kann, wie sehr er für alles war, was ihn als Sonderling charakterisieren konnte. Er wußte, wie sehr ich mich über die Marschälle von Ségur und von Stainville in einer Sache zu beschweren hatte, die vor das Marschallsgericht gehörte, und verlangte daher in den ersten Zeiten der konstituierenden Versammlung von mir, ich sollte eine Schrift gegen die Gerichtsbarkeit dieses Tribunals, das er geradezu eine Inquisition nannte, aufsetzen und einreichen. Ich schlug alte Scharteken nach, schrieb einige Bogen über die Eingriffe und Gewaltmißbräuche dieser militärischen Kronbeamten zusammen, und übergab sie ihm. Damals hatte jeder seine Revolutionsgrillen im Kopfe; das war die meinige. Ist es aber nicht einzig in seiner Art, daß der Sohn, Enkel und Urneffe von vier französischen Marschällen gegen diesen Stand eingenommen war und mich, zu einer solchen Zeit, und vor dem ersten Prinzen des Geblüts, zu einem solchen Schritt aufforderte!

Ich habe, wie man finden wird, unparteiisch über ihn geschrieben. Ebenso urteile ich noch in diesem Augenblick über ihn. Er hat bei mir ein wohlwollendes und liebevolles Andenken hinterlassen, obschon spätere Unfälle, die mich betroffen haben, aber jetzt aus meinem Gemüt verwischt sind, mich wohl berechtigen könnten, ihn als den Urheber derselben anzuklagen, obschon mir über die Freundschaft, die er mir geschworen, die er aber verraten hat, die Augen geöffnet worden sind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Memoiren des Grafen von Tilly. Erster Band