a. Geistige oder persönliche Capitalien. Wissenschaftliches und moralisches Capital: 66–74.

067
In letzterer Beziehung wird namentlich der Werth populärer Schriften noch immer nicht genügend erkannt, hauptsächlich wohl darum, weil die meisten unserer sogenannten populären Schriften Machwerke von Stümpern sind, die, selbst unvollständig wissenschaftlich ausgebildet, auch ihren Mitbürgern nur unvollständige und unrichtige Lehren ertheilen können. Wahrhaft populäre Schriften dagegen können vorzugsweise und von solchen geschrieben werden, welche die darin vorzutragenden wissenschaftlichen Lehren sich so zu eigen gemacht habend daß sie dieselben auch einem weniger unterrichteten, aber sonst bildungsfähigen Menschen ganz deutlich und verständlich zu machen vermögen. Diese Art populärer Schriften dürfte sogar als das höchste Ziel der Wissenschaft anzusehen seyn, da es viel leichter ist, über wissenschaftliche Gegenstände in sogenannter gelehrter, d. h. bloß den sehr Unterrichteten verständlichen Form und Ausdrücken zu schreiben. Möge vorliegende Schrift sich einen Platz unter den wahrhaft populären Schriften zu verschaffen wissen!


068
An die Frage, wie am zweckmäßigsten gelehrt werde, schließt sich die zweite an, was zu lehren sey? Ohne in eine nähere Prüfung dieses vielbesprochenen Themas einzugehen, kann nur wiederholt werden, daß es am vernunftmäßigsten sey:
„die Jugend zu lehren, was der Mann braucht.“


069
Nächst den Kenntnissen machen die praktischen Fertigkeiten einen wesentlichen Bestandtheil der immateriellen oder persönlichen Capitalien eines Menschen oder eines ganzen Volks aus. Wie Mancher trägt seinen ganzen Reichthum in seiner Hand, in seinem Auge, in seiner Kehle! Welche Kosten, welches Lehrgeld werden oft verwandt, um sich ein solches Capital an Geschicklichkeit anzueignen! Man kann solche Fertigkeiten sogar oft in Gelde abschätzen: man weiß, was einem Sänger jährlich seine Stimme, einer Tänzerin ihre Gelenkigkeit, einem Handwerker seine Kunstfertigkeit einbringt. Dieß sind daher sehr reelle Capitalien, ungeachtet sie mehr oder weniger unkörperlich sind. Auf die Verschiedenheit in der Arbeitsamkeit ganzer Nationen haben wir schon früher aufmerksam gemacht (§. 47.); daß eine arbeitsamere, geschicktere Nation daher immer reicher sey, als eine ungeschicktere, an Faulheit gewöhnte, zeigt die Erfahrung aller Länder und aller Zeiten.
Die Beantwortung der Frage, wie die Kunstfertigkeit der Einzelnen sowohl, als ganzer Nationen, möglichst zu fördern sey, müssen wir als unserm Zweck zu entfernt liegend übergehen, um so mehr, als einzelne Andeutungen und Lehren darüber sich im Verlauf dieser Schrift an meheren Stellen von selbst ergeben werden. Eben so wenig können wir uns auf eine Untersuchung einlassen, wie weit die Ausbildung des Menschen in den Fertigkeiten und Künsten wohl getrieben werden könne und dereinst wohl noch gehen werde. Gewiß ist es aber, daß eine Nation der andern in dieser Hinsicht oft weit voraus ist, der Engländer dem Irländer, der Florentiner dem Piemonteser, der Elsasser dem Vendeer, der Rheinländer dem Oberschlesier. Noch größer ist aber der Unterschied der in künstlerischer Beziehung sowohl, als in wissenschaftlicher, in den einzelnen Klassen der Gesellschaft statt findet. Warum sollte aber diese Bildung nicht einmal die niedrigen Klassen durchdringen können, und der Bauer künftig seinen Schiller mit aufs Feld nehmen, ein Maurer zugleich ein guter Zeichner seyn, der Krämer die volkswirtschaftlichen Schriften studiren? Es kann kein Zweifel obwalten, daß dieß einst möglich seyn werde, betrachtet man die Veränderungen, welche in dieser Beziehung bei uns schon in den letzten 50 Jahren oder gar seit 300 Jahren statt gefunden haben.


070
Ein dritter, wesentlicher, ja der wesentlichste Bestandteil des geistigen Capitals der Völker ist das moralische Capital derselben: denn so darf man es wohl nennen, da es unläugbar ist, daß sowohl in den Familien als bei ganzen Nationen die moralischen Eigenschaften der Väter ein Stamm-Capital bilden, welches die nachfolgenden Generationen entweder durch höhere sittliche Bildung vermehren, oder durch Ausartung vermindern.
Ohne hier die Ursachen näher zu erforschen, die auf diese Steigerung und dieses Zunehmen der moralischen Eigenschaften oder deren Sinken, in den Familien und Nationen Einfluß haben, kann hier nur der Erfahrungssatz daß dieser Unterschied wirklich bestehe, – von dem Schachergeist der Juden, bis zur unverbrüchlichen Ehrlichkeit der Quäker; von der Faulheit der Lazaroni’s, bis zum Fleiß der deutschen Bauern: von der Indolenz des schlesischen Webers, bis zum unermüdlichen Unternehmungsgeist der Nordamerikaner – aufgestellt, und als zweiter Erfahrungssatz die Bemerkung hinzugefügt werden, welche sich überall bei vorurteilsfreier Beobachtung ergibt: daß nemlich der zunehmende Wohlstand bei ganzen Nationen sowohl, als in einzelnen Familien, immer mit einer, auf zunehmende Redlichkeit begründeten Vermehrung des wechselseitigen Vertrauens oder Credits begleitet ist. In Nordamerika namentlich, wo wir alle Stufen der Wohlhabendheit und des Aufblühens der Industrie finden, ist es eine entschiedene Erfahrung, daß die Redlichkeit im Verkehr in ärmern, sich erst entwickelnden Landstrichen am geringsten, in den Centralpuncten des Handels und der Industrie aber am größten sey. Eine ähnliche Bemerkung läßt sich unverkennbar bei uns in den verschiedenen Provinzen und den verschiedenen Städten machen. Namentlich ist es eine allgemeine Erfahrung, daß man in den kleinen Städten immer am meisten betrogen werde.


071
Die Erklärung dieser Erscheinung ist übrigens nicht schwierig. Die Entwickelung der Industrie lehrt uns zwar neue Bedürfnisse kennen, steigert das Bestreben, sie zu besitzen, und ist vorzugsweise auf das eigene Interesse begründet; aber sie lehrt uns auch sehr bald, und die vorliegende Schrift dient auf jeder Seite, dieses zu beweisen, daß dieser Zweck nur durch rechtmäßige Mittel erreicht werden kann. Je besser man die Bedürfnisse und Hilfs-Quellen der Gesellschaft kennen lernt, je mehr sieht man ein, daß das Bestehen derselben nur auf Tugend und Rechtlichkeit, nicht aber auf Raub und Betrug begründet werden kann. Dazu kommt, daß die Entwicklung der Industrie und des Wohlstandes, wie wir dieß zum Theil schon gesehen haben und später noch sehen werden, nicht ohne Fleiß und Arbeit möglich ist; und damit ist nothwendig mehr oder weniger eine Entwicklung und Veredlung: unserer geistigen Fähigkeiten, namentlich auch der moralischen verbunden. „Müßiggang ist aller Laster Anfang!“ Dann erst, wenn der Mensch gelernt hat, seine Fähigkeiten aller Art nützlich zu verwenden und sich nützlich zu beschäftigen, erhebt er sich aus dem Stande der thierischen Rohheit, die ihn treibt, seine Wünsche und Leidenschaften durch Gewalt und Raub zu befriedigen, und fügt sich der gesetzlichen und geselligen Ordnung. Hierin besteht der Unterschied zwischen den Wilden und den civilisierten Nationen.


072
Von diesem Gesichtspunkte aus angesehen, erscheint der vielverschrieene Unternehmungs- und Speeclationsgeist (vorausgesetzt, daß er in seiner höchsten veredelten Ausbildung das strengste Sittengesetz zu seiner Richtschnur nimmt,) als einer der größten Wohlthäter des Menschengeschlechts, indem er einerseits allen Bedürfnissen desselben entgegenkommt, ihm alle nur denkbaren und möglichen Annehmlichkeiten des Lebens gewährt, und nach Befriedigung des rohen thierischen, körperlichen und materiellen Bedürfnisses auch für die Befriedigung der edelsten Triebe sorgt; – andererseits, sich von der niedern Stufe des eigenen Interesses auf die höhere Staffel des Ehrgeitzes erhebend, den Naturforscher treibt, der Glut der Linie und dem Eise des Poles zu trotzen, den Luftschiffer über Meer und Land jagt, den Seefahrer Stürmen, Klippen und Eisfeldern Trotz zu bieten, den Baumeister himmelaufstrebende Cathedrale aufzuthürmen, Brücken über Abgründe zu schwingen, Tunnels unter Strömen durchzuführen, und so den Menschen, im Kampf mit den Elementen eine goldene Krone gewinnen lehrt, welche die frühere Barbarei nur im blutigen Streit mit seinen Brüdern, auf zertretenen Fluren, beim Schein brennender Dörfer und Städte zu gewinnen wußte!


073
Zu den immateriellen Capitalien ist vorzugsweise noch die Kundschaft zu rechnen, oder das durch eine langjährige Redlichkeit erlangte Vertrauen vieler Kunden Es ist gleichsam das Resultat eines langsamen, vieljährigen Sammelns; jedes Jahr mehr der im Verkehr bewährten Redlichkeit vermehrt die Zahl der Kunden oder sichert noch mehr den Zuspruch der bisherigen; eine einzige Verletzung dieses in einer langen Reihe von Jahren mühsam erworbenen Vertrauens ist im Stande, den Credit des Hauses zu vernichten. Dieß Capital, obgleich ganz unörperlich, wird dennoch oft mit großen Summen bei Abtretung alter Firmen bezahlt. Im Allgemeinen wird der Werth dieses Capitals, namentlich von der großen Masse der Gewerbe treibenden, viel zu wenig gewürdigt. Wie viele, namentlich weniger bemittelte Gewerbtreibende und Handelsleute, sehen wir nicht den augenblicklichen Gewinn einem geringern, aber für längere Zeit gesicherten, vorziehen. Daher das unverhältnißmäßige Vorschlagen; daher das Bestreben, die Käufer mit ihren Waaren zu täuschen; daher der Widerwille gegen feste Preise! Sie bedenken nicht, daß diese Mittel auf die Dauer niemals ausreichen, und daß jeder ordentliche Käufer lieber eine Kleinigkeit mehr bezahlt, wenn er nur gewiß ist, preiswürdige Waare zu erlangen und nicht betrogen zu werden. (Vergl. auch §. 520.)

Nahe verwandt mit der Kundschaft ist der höhere Werth, den gewisse günstig gelegene Grundstücke in Folge der zunehmenden Bevölkerung und des zunehmenden Verkehrs in vielen Städten von selbst erlangen. Jeder Einwohner mehr, den die Stadt zählt, liefert dann einen, wenn auch noch so unbedeutenden Beitrag, den ein solches günstig gelegenes Grundstück seinem Besitzer mehr abzuwerfen vermag, und so erlangen wüste und oft ganz werthlose Grundstücke, ohne alles Zuthun der Besitzer, bloß durch die Zeit, oft einen viel höhern, ja unverhältnißmäßigen Werth. Eine Menge Grundstücke in Berlin und in andern großen Städten liefern einen Beweis hiervon. Wir werden später bei Gelegenheit der Grundrente noch einmal auf diesen Gegenstand zurück kommen. (Vergl. § 354. 390.)


074
Das Vorstehende zeigt zur Genüge, wie auch ganz immaterielle, unkörperliche Capitalien einen großen Tausch- oder Geldwerth erlangen können. Zuletzt bezahlt man bei den materiellen Capitalien ja auch nicht die Materie, aus der sie bestehen, sondern nur den Nutzen, den sie bringen. Unter diesen Umständen machen diese geistigen Capitalien einen wesentlichen Gegenstand der Volkswirtschaft und der Kunst, reich zu werden, aus, und deßwegen müssen sie wohl beachtet werden, bei jeder Betrachtung und Untersuchung des Vermögens einer Nation, (wovon bald die Rede seyn wird) (§. 94.). Eine Nation, in welcher sich viele talentvolle und unterrichtete Individuen finden, ist offenbar reicher, als eine andere, wo dieß nicht der Fall ist; ja sie zieht unstreitig von diesen geistigen Capitalien alljährlich einen bestimmten, nicht unbedeutenden Geldgewinn (Rente). In ähnlicher Art sammelt jeder Arbeiter in jedem seiner Kinder, das er erzieht, ein Capital, welches ihm und den Seinigen später Nutzen bringt; und eine je bessere Erziehung und Unterricht er ihnen verschaffen kann und je mehr und besser ihnen dadurch die Möglichkeit gegeben ist, sich ihr Brodt zu verdienen, je größer ist das Capital, welches er durch die auf die Erziehung der Kinder verwandten Auslagen angesammelt hat. Ja! Jemand schon, der sich bloß Talente der Unterhaltung erwirbt, indem er z. B. singen oder ein musikalisches Instrument spielen lernt, sammelt ein Capital, dessen Ertrag oder Rente in dem Vergnügen besteht, das er selbst aus diesem Talente zieht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Kunst reich zu werden