Der Meineid und verwandte Delikte

Bemerkt werden muss schließlich noch, dass an dem Meineid und den verwandten Delikten die Juden einen relativ größeren Anteil haben als die Christen. Die bezüglichen Zahlen sind hier: (siehe Tabelle 03)

Die Kriminalstatistik gibt keinen Aufschluss darüber, worin die höhere Kriminalitätsziffer der Juden bei diesen Delikten ihren Grund hat. Hier ist natürlich deshalb auch der Hypothese der weiteste Spielraum gelassen und die Antisemiten verfehlen auch nicht, sofort die jüdische Rasse für die höhere Kriminalität verantwortlich zu machen. Ehe man aber zu dieser Erklärung seine Zuflucht nimmt, kann man mit weit größerer Berechtigung die tatsächlichen Verhältnisse heranziehen.


Jeder erfahrene Jurist weiß aus seiner eigenen Praxis, dass in den meisten größeren Prozessen Meineide und Falscheide geschworen werden und zwar häufig genug von beiden Zeugenparteien, von denen aber nur ein Bruchteil zur strafrechtlichen Verfolgung kommt. Wir könnten nun sehr wohl den offen zu Tage liegenden anti-semitischen Zug in unserer Justizverwaltung zur Erklärung dafür heranziehen, dass die Juden relativ häufiger wegen Meineides verfolgt werden: dann wurden wir aber in genau denselben Fehler verfallen, wie die Herren Antisemiten, für die Erklärung reicht vielmehr schon die einzige Überlegung aus, dass diejenige Bevölkerungsklasse den größten Tribut zu den Meineidsdelikten stellen wird, die am meisten mit den Gerichten zu tun haben wird, das sind vor allem die Handel- und Gewerbetreibenden. Wir werden uns also in erster Linie auf die Betrachtung der wegen Meineides bestraften Kaufleute etc. zu beschränken haben. Wegen Meineides sind bestraft 1887—1889:

276 selbstständige Kaufleute und 99 kaufmännische Gehilfen. Da in Preußen der sechste Teil der selbstständigen Kaufleute, der achte Teil der Gehilfen Juden sind, so würden, unter Annahme derselben Verhältniszahlen für Deutschland auf die jüdischen Kaufleute kommen

58 Verurteilungen wegen Meineides, nämlich 276/6 verurteilte selbstständige jüdische Kaufleute und 99/8 verurteilte jüdische Gehilfen. Im ganzen blieben aber, wenn man die Zahl der verurteilten Kaufleute von der Gesamtzahl der wegen Meineides Verurteilten abzieht, übrig:

2.572 — 317 = 2.255 verurteilte Christen und
46 — 58 = —12 verurteilte Juden,

d. h. nach unserer schätzungsweisen Berechnung hätten 12 Juden mehr wegen Meineides bestraft werden müssen, als tatsächlich verurteilt worden sind. Sehr richtig ist deshalb die Behauptung, dass nicht der Jude, sondern der Kaufmann verhältnismäßig viele Meineid schwört.

Diese Behauptung wird auch von dem Geh. Rath v. Scheel bestätigt, der in dem allgemeinen statistischen Archiv schreibt:

,, ... Man muss doch erwägen, dass unter den Faktoren der Kriminalität hier (wie Betrug, Meineid, Urkundenfälschung, Bankrott etc.), der Beruf mit in Konkurrenz tritt, und dass die Handels- und Geldgeschäfte, welche die Juden vorwiegend treiben, zu den genannten Delikten besonders häufigen Anlass geben und man daher nicht die Kriminalität der Juden und Christen im Allgemeinen, sondern nur nach Berufsarten vergleichen dürfte — minutiöse und peinliche, schließlich doch zwecklose Untersuchung. So dürfte die Kriminalstatistik, welche sich auf Konfession und Religion erstreckt, eine überflüssige, zu Trugschlüssen und Gehässigkeit führende Arbeit sein und man wird deshalb auch die Frage nach der Religion der Verbrecher am besten unterlassen.“ (Seite 202.)

In der Tat überflüssige und zu Trugschlüssen führende Untersuchungen sind es, welche die Antisemiten leisten, wenn sie den Juden eine höhere Kriminalität nachrechnen.

Es lag nicht in meiner Absicht, den Juden auf Kosten der Christen rein zu waschen, meine Absicht war vielmehr nur, darzutun, dass aus der Kriminalstatistik mit Leichtigkeit auch das Gegenteil von dem bewiesen werden kann, was die Antisemiten beweisen. Die Kriminalstatistik ist eben an sich durchaus ungeeignet, Schlüsse von der Tragweite zu gestatten, wie sie Herr Giese und Kriminalstatistiker von gleichem Range ziehen. Aber bei den Antisemiten ist eben die Tendenz alles, die Wissenschaftliche Analyse nichts, wäre es anders, so könnten sie nicht versuchen, den Juden auch noch Ehebruch und Verführung als Specifica in die Schuhe zu schieben, wo sich bei diesen Delikten, weil sie nur auf Antrag zur strafrechtlichen Verfolgung gelangen, noch ein unkontrollierbares Moment mehr, als bei den übrigen Delikten hineinschiebt, welches die Schlussfolgerung aus die Motive der Straftat erschwert.

Auf welch' niedriger Stufe in wissenschaftlicher Hinsicht die Arbeiten der Antisemiten stehen, das zeigt am besten die folgende Bemerkung Gieses: „Wir stehen vor der bedauerlichen Tatsache, dass der Richter nach Lage der Gesetzgebung in sehr vielen Fällen freisprechen muss, die nach dem Empfinden des öffentlichen Gewissens, ja nach dem sittlichen Gefühl der Richter selbst durchaus verdammenswert sind und die härteste Strafe verdienten. ... Fürwahr eine seltsame Erscheinung, dass sich neben der Rechtsprechung, nach dem Strafgesetzbuch noch eine zweite nach sittlichen Grundsätzen herausbildet. ... .“

Eine noch seltsamere Erscheinung freilich ist es, wenn sich jemand unterfängt, über kriminalistische Probleme Broschüren zu schreiben, der von dem Werdeprozess des Rechtes auch nicht einen Hochschein besitzt. —