Die Juden als Verbrecher - Eine Beleuchtung antisemitischer Beweisführung

Sammlung gesellschaftswissenschaftlicher Aufsätze, herausgegeben von Eduard Fuchs
Autor: Lux, Heinrich Dr. (1863-1944) Experte für Lichttechnik, Jurist, Sozialist und Publizist, Erscheinungsjahr: 1893
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Deutschland, Kriminalstatistik, Antisemiten, Gesellschaftsleben, Sozialgeschichte, Moral, Moralanschauung, Tatsachen, Hetzreden,
            Einführung
Diejenigen Antisemiten, welche ihrer Judenhetze ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängen, behandeln die Judenfrage mit Vorliebe als Rassenfrage und bekämpfen dann die Juden als eine den Germanen gegenüber niedere Rasse, welche durch ihre innige Berührung mit dem deutschen Volke das sittliche Niveau desselben herabdrückt.

Will man bei der Debatte hierüber den festen Boden der Tatsachen nicht unter den Füßen verlieren, so darf man natürlich nur diejenigen Erscheinungen des Gesellschaftslebens in Betracht ziehen, die sich konkret greifen lassen. Nichts aber ist schwankender als der Begriff des sittlichen Niveaus und der Begriff der Moral überhaupt; das fühlen auch die Antisemiten und sie spielen deshalb die ganze Frage darauf hinaus, in welchem Gegensatze die Juden zu den kodifizierten Moralanschauungen des Volkes, zu den Strafgesetzen stehen, und die Frage lautet dann so:

„Sind die Juden eine kriminellere Rasse als die Germanen?“
„Die Juden als Verbrecher“ — das ist das Schlagwort einer ganzen Reihe von Zeitungsartikeln in der antisemitischen Presse, von Hetzreden und Broschüren. Das antisemitische ABC-Buch, aus welchem die Antisemiten ihr geistiges Rüstzeug holen, legt auf diese Frage ihr Schwergewicht und erst kürzlich ist im Verlage von Fr. W. Grunow in Leipzig eine Broschüre erschienen*), welche sich ausgesprochenermaßen die Aufgabe stellt, die Verschiedenheit oder vielmehr die niedere Artung des jüdischen Volkscharakters gegenüber dem germanischen aus der Kriminalstatistik abzuleiten.

*) W. Giese, die Juden und die deutsche Kriminalstatistik; Leipzig, Fr. W. Grunow, 1893.
Wir wollen den Pfaden dieser Untersuchung hier nachgehen, aber wir müssen dazu, um unseren Standpunkt zu präzisieren, eine allgemeine Bemerkung vorausschicken:

Die Zeit ist noch nicht ganz vorüber, wo man in den Mittelpunkt der Geschichtsbetrachtung die einzelne Person stellte, wo man in den persönlichen Eigenschaften des Menschen den Schlüssel für die geschichtlichen Ereignisse suchte.

Die materialistische Geschichtsauffassung, die immer mehr alle Gebiete wissenschaftlicher Forschung revolutioniert, hat diese alte, legendäre Anschauung in ihren geraden Gegensatz umgekehrt. Und uns erscheint nicht mehr die einzelne Person als die Angel, um welche sich der Gang der Ereignisse dreht; der Mensch erscheint uns vielmehr als das Produkt seines Milieus, der ganzen Summe von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zuständen, die ihn umgeben. Von diesem Standpunkte aus stellt sich die menschliche Willensbetätigung nur als das Resultat der Vorgänge in der Außenwelt dar, das sich mit Notwendigkeit ändern muss, wenn das Milieu eine andere Gestalt annimmt.

Unter diesem Gesichtswinkel sind alle menschlichen Erscheinungen zu betrachten, wenn wir uns nicht in dem Irrgarten doktrinärer Spekulation verlaufen wollen; und von diesem Gesichtspunkte aus lüftet sich auch sofort der metaphysische Schleier, der von den Juristen aller Schulen über das Wesen des Verbrechens gebreitet worden ist. Das Verbrechen erscheint im Sichte der materialistischen Geschichtsauffassung nicht mehr als der Ausfluss individueller Eigenschaften des Verbrechers, sondern als die Resultante aus diesen individuellen Eigenschaften und dem sozialen Milieu, in welchem sich der Verbrecher befindet. Das Verbrechen ist nicht eine individuelle, sondern eine soziale Erscheinung — oder wie Frz. v. Liszt in prägnanter Weise sich ausdrückt: „Die Mikrobe des Verbrechens gedeiht nur in der Nährflüssigkeit der Gesellschaft“ Und so lange die im Gesellschaftsleben wirksamen fräste dieselben bleiben, werben auch Zahl und Art der Verbrechen sich im wesentlichen nicht ändern.

In einer auf dem Privateigentum basierten Gesellschaft wird natürlich als Verbrechen par excellence jeder Eingriff in das Privateigentum angesehen werden müssen und in zweiter Linie jeder Angriff auf diejenigen Institutionen, welche zum Schule des Privateigentums sich heranbildeten. Wird das als richtig zugegeben — und ernstliche Einwände können dagegen nicht erhoben werben so kann es nicht überraschen, dass überall in der modernen Gesellschaft die kriminellste Klasse das Proletariat ist. Der ganze Entwicklungsvorgang ist sehr einfach. Das Proletariat rückt immer weiter aus dem Kreise heraus, der durch die spontan entstandene und bewusst ausgebaute Rechtsordnung für die Besitzenden eingehegt ist, die Tatsache der Besitzlosigkeit und relativen Rechtlosigkeit genügt, die Besitzlosen zu einem stetem Ansturm gegen das einzig die kraft ihres Bestes Stärkeren schälende Recht zu veranlassen; — und dieser Ansturm ist eben das, was die im Besitze der Macht Befindlichen. Diejenigen, die zur Sicherung der Macht das Recht dekretieren, als eine Rechtsverletzung, als ein Verbrechen bezeichnen. Das sind die einfachsten Beziehungen zwischen Gesellschaftsform und Verbrechen, die sich aber immer mehr komplizieren, je stärker die Besitzlosen, die Entrechteten selbst werden. —

Es ist klar, dass in diesem System für das, was die Kriminalisten der älteren Schule „verbrecherischen Sinn“ nennen, abgesehen von pathologischen Fällen, kein Raum ist. Sehr wohl aber können besondere Charaktereigenschaften, Rasseneigentümlichkeiten, gesellschaftliche Gewohnheiten der einen oder anderen Gesellschaftsklasse eine Änderung in der Art der Verbrechen ausüben. Von diesem Gesichtspunkte aus soll die Kriminalität der jüdischen Rasse untersucht werden.

T001 Ein jüdischer Makler. Englische Karikatur von Thomas Rowlandson. 1801

T001 Ein jüdischer Makler. Englische Karikatur von Thomas Rowlandson. 1801

023. Der Jurist, der Jude und die Frau machen die ganze Welt irr. Spottbild von Hans Wandereisen. Nürnberg 1520

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