Die Geschichte von dem Stier und dem Widder

In fernem Lande und zu einer fernen Zeit regierte ein König, der gab eines Tages einen Erlass, dass alle Juden, die auf seines Reiches Erde und unter seines Schwertes Schutz lebten, die Taufe empfangen und seinem Bekenntnis sich bequemen müßten, und dass die, so sich weigern, von dannen zu ziehen und Heimat und Gut zu verlassen hätten. Viele waren, denen der Glaube einzig Vaterland und Besitz war: die flohen in alle Weiten. Andere wollten die Saat, die sie gesäet hatten, reifen sehen und mochten ihre Kleinode nicht im Gürtel bergen: die blieben und beugten sich zum Schein, und äußerlich übten sie eines fremden Glaubens verhasste Gepflogenheiten, hinter sicheren Mauern und festem Riegel aber hingen sie den Bräuchen ihrer alten Lehre an und blieben, wenn auch heimlich, Juden wie zuvor. Der König starb, und nach ihm trug sein Sohn die Krone. Dieser hielt seine Vasallen mit strenger Faust nieder und zwang fremde Reiche in den Bann seiner Waffen. Die Fürsten des Landes, auf denen seine Härte schwer lastete, empörten sich im geheimen wider ihn und beschlossen, ihn zu ermorden. Unter ihnen jedoch war einer von jenen Juden, die nur zum Scheine die Fessel eines fremden Glaubens trugen, der sagte sich: „Um meiner Güter willen, an denen mein Herz hängt, scheut mein Bekenntnis das Sonnenlicht. Was wird mit diesen Gütern geschehen, wenn kein König im Reiche ist, der Sitte und Gesetz aufrecht hält? Wie die wilden Tiere werden die Menschen übereinander herfallen, und der Gewaltige wird den Besitz des Zagen an sich reißen. Zu meinem eigenen Frommen ist es, dass ich hingehe und den König warne.“ Und er ging hin und tat so. Der König hörte ihn an und ließ alsdann die Wahrheit seiner Worte prüfen, und es zeigte sich, dass sie gerecht waren. Um die Zeit, da die Verschwörer sich einschleichen wollten, stürzten sich verborgene Häscher auf sie und brachten sie bezwungen und gefesselt vor den König. Der ließ jedem seinen Spruch nach dem Maße seiner Schuld zuteil werden. Seinen Retter aber sprach er also an : „Wie mag ich dir lohnen? Ein Fürstentum kann ich dir nicht bieten, denn du besitzest es bereits, und welches Kleinod überstrahlte die Fülle der deinen? Lass mich den Wunsch wissen, der in deinem Herzen zu tiefst ruht, und sei der Erfüllung gewiss.“ Da erwiderte der Fürst: „Lass mich Jude sein vor aller Welt und meine Gebräuche im Lichte üben. Gewähre mir, dass ich ohne Scheu Mantel und Riemen zum Gebete legen darf.“ Bei dieser Rede erstarb die Seele des Königs in Bitterkeit, denn er hasste den Glauben der Juden. Aber von seinem eigenen Worte, das er gegeben hatte, bezwungen, gestand er widerwillige Gewährung zu.

Der König verschied, und sein Sohn erbte das Reich. Aus dem Schicksal seines Vaters war ihm die Erkenntnis gestiegen, dass es gut sei, das Land in Milde zu führen, und so wurde er ein gütiger und sanftmütiger Herr. Zuweilen gedachte er der Gefahr, die seines Vaters Leben bedroht hatte, und dann erfüllte ihn tagelang Bangigkeit um die Dauer seines Stammes. In einer solchen Zeit ließ er die Sterndeuter rufen und befahl ihnen, in den schimmernden Himmelszeichen zu lesen, was seinem Geschlechte vorbestimmt sei und welche Fährnisse ihm drohten. Die Magier fanden nur zwei Zeichen übler Deutung, zwei Tiere, Stier und Widder: vor diesen möge er sich hüten, kein anderes Wesen könne ihm Verderben bringen. Der König ließ den Schicksalsspruch im Buche der Erinnerungen eintragen, ermahnte seinen Sohn, gleich ihm milde zu regieren, und starb bald darauf.


Der ihm auf dem Throne folgte, war wie seine Ahnen jäher und heftiger Gemütsart, gönnte den Waffen keine Ruhe und schlichtete Händel lieber mit Gewalt als mit Worten, Als er in der Chronik von den beiden Tieren las, die seinem Hause mit Verderben drohten, dünkte es ihn gar einfach, die Gefahr zu beseitigen: er verbot bei Todesgefahr, dass Stier oder Widder im Lande gehalten würden, und von nun an kannte er keine Furcht. Er unterdrückte seine Untertanen und lachte ihrer Zorn- und Rachegedanken, da er nun wusste, dass keine Verschwörung seinem Geschlecht etwas anhaben konnte. Er liebte es aber, in alten Zauberbüchern nachzulesen, um dort verborgene Weisheit zu finden, durch die er seine Macht befestigen und erweitern könnte. Da fand er eines Tages eine Stelle, in der geschrieben stand: „Sieben Wandelsterne bestrahlen die sieben Teile der Erde, und jeder Teil birgt sein besonderes Erz, das die Strahlen seines Sternes an sich zieht; wer da Boten hinsendet und aus den sieben Teilen der Erde die sieben Erze sich bringen lasst und einen erzenen Riesen aus ihnen bauen lässt und ihn auf einem hohen Berge aufstellt, so dass die sieben Wandelsterne ihr Licht auf ihn gießen, der kann durch dieses Bild die Weisheit der Gestirne, die über der Erde wandeln, an sich locken, nie erhörte Macht gewinnen und die Welt beherrschen; denn auf jede Frage, die er an den Riesen richtet, wird ihm die Antwort der Sterne durch das Leuchten der Erze in geheimen Zeichen kund.“ Der König ließ das Standbild auf einem hohen Berge errichten, und als das geschehen war, bestieg er heimlich in tiefer Nacht den Berg und richtete an den Riesen die Frage, wie er die größte Macht auf Erden gewinnen könnte. Da begannen die Erze geheimnisvoll zu schimmern, wunderbare Zeichen erschienen und er vermochte sie auf rätselhafte Weise zu entziffern. Der Sinn aber war dieser: er möge hingehen, die Hohen erniedrigen und die Niedrigen erheben, dann werde er alle Menschen beherrschen. Der König stieg zu Tal, suchte noch in der Morgenfrühe den weisesten Mann seines Landes auf, verriet ihm den Spruch der Sterne und bat ihn um Deutung, wie er ihn zur Tat werden lasse. Der Weise antwortete ihm: „Jenen deiner Untertanen, die ohne Verdienst Würden und Ämter, ohne Rechtlichkeit Besitz, ohne Edelsinn adelige Namen ihr Eigen nennen, nimm, was ihnen nicht zukommt und in ihren Händen zu Unheil gereicht, und gib es denen, die ohne Schuld Unbill erleiden und ungeachtet ihres Wertes im Dunkel leben. So gedenke auch der Juden, die durch deine Ahnen der Heimat beraubt wurden oder ihren Glauben verleugnen mussten; öffne ihnen dein Land und gewähre ihnen, frei ihre Lehre zu bekennen.“ Dem König gefiel der Rat wohl, die Reichen und Hohen, die Mächtigen seines Reiches, ihres Besitzes und ihrer Würde zu entkleiden, auch dünkte dies ihn wohl ein Weg zur Macht; befremdlich aber und gar töricht schien ihm die Weisung, den Unterdrückten Gut und Gewalt zu verleihen; wie leicht konnten ihm an ihnen heftige Widersacher erstehen, die alsdann, wenn sie stark geworden, vielleicht die Umstände günstig fanden, für das alte Unrecht an ihm Rache zu üben. So kehrte er zu seinem Palaste zurück, entschlossen, den Spruch nach seinem Sinne zu wenden. Er ließ sich die Bücher des Reiches aufschlagen und ersah, was an Lehen und Ehrenbezeigungen, an Rechten und Titeln seine Ahnen den vornehmen Geschlechtern gespendet hatten ; all das hieß er in der Krone Namen zurückziehen, und wo Widerstand sich regte, gebot er, mit Gewalt ihn zu brechen. Da wurde mancher Stolze arm und der Ehren verlustig. Unter den Namen aber, die in den Büchern aufgezeichnet standen, als die von Männern, die Vorzüge und Auszeichnungen genossen, fand sich auch der jenes Juden, der dem Großvater des Königs das Leben gerettet hatte. Der König vermochte sich nicht völlig klar zu werden, worin das Privileg dieses Mannes bestand, und so ließ er ihn kommen und fragte ihn danach. Der Alte sprach: „Mein Lohn ist, dass ich mich als Jude bekennen darf vor aller Welt.“ „So hast du des Lohnes bis heute reichlich genossen,“ rief der König, „ich entziehe ihn dir und du magst leben wie zuvor.“ Da wandte sich der Jude zum Gehen. Vor dem Palast aber hob er die Hand und sprach vor sich hin: „So wahr Gott sich erbarmen möge, dass ich von nun ab Mantel und Riemen wieder im Dunkel und hinter verschlossenen Türen tragen muss, sollst du mir, harter König, mit deinem Geschlecht verflucht sein.“ Nach einiger Zeit fügte es sich, dass eines Nachts ein schwerer Traum den König überkam. Er stand, so schien es ihm, auf einer weiten Ebene. Die Nacht barg alles Irdische in einer schwarzen sammetnen Luft. In unendlicher Höhe aber wölbte sich wie eine Glocke ein völlig lauterer Himmel, und darauf standen silberfunkelnd und Gestalten gleich alle zwölf Bilder des Tierkreises. Zwei von ihnen, Stier und Widder, dunklen ihn heller als die anderen, und blau blitzend schienen ihre Strahlen ihn zu treffen. Er sammelte seine Blicke auf sie, und siehe, da begannen sie lautlos zu lachen, dass ihm das Blut gefror. Und dieses stumme Lachen wurde zu einem grauenvollen Grinsen. Von Wahnwitz ergriffen, stürzte der König in sich zusammen. Da erwachte er. Die Furcht aber hielt mit eisernen Pranken sein Herz umklammert, und als er den Traum der Königin und seinen Kindern erzählte, erfasste sie alle das Grauen, und keiner war unter ihnen, der nicht der alten Warnung gedacht hätte, die in den Chroniken verzeichnet stand : dass das Geschlecht gegen alle Mächte des Verderbens gefeit sei und einzig von zwei Tieren, Stier und Widder, ihm Untergang drohe. Läufer wurden entsandt und brachten alle Traumdeuter des Reiches herbei. Aber keiner war unter ihnen, der den Sinn des Gesichtes erfaßte, und keines Rede ging in des Königs Ohr ein. Mit zorniger Gebärde wies er sie von hinnen und sandte nach dem alten Weisen, der ihm einst den Spruch des erzenen Riesen gedeutet hatte. Der König erzählte ihm den Traum und sprach: „Rette mich, denn die Pein der Furcht hat meine Seele ergriffen und droht sie zu ersticken.“ Der Weise sprach: „Ich will dich hinführen, wo alle Angst der Erde zunichte wird. Ich kenne aus alten Büchern den Ort, den einzig auf der Welt alle dreihundertfünfundsechzig Wandelfahrten der Sonne bestrahlen. Dort wächst aus dem Kern der Erde, von ewigem Lichte gezogen, ein eherner Stamm hervor, der alle Not der Oberfläche und des Dunkels bannt. Dorthin folge mir mit den Deinen.“ Der König willigte mit Freuden ein, und alsbald waren er und sein ganzes Haus zur Wanderschaft gerüstet.

Der Weise leitete sie des Weges, und weithin waren sie schon gezogen, da gelangten sie zu einem Ort, von dem viele Pfade ausgingen, und an der Wende stand die gewaltige Erscheinung eines Engels, der Wächter war über alle Engel des Zornes. Denn jeder irdische Zorn schafft nach dem Urwillen einen Verderber, einen Engel des Zornes, und er, der hier an der Wegscheide stand, war ihr Beherrscher. Er trug eine stählerne Rüstung, blaue Blitze entquollen seinen Augen, und eine mächtige Flamme war das Schwert in seiner Hand. Bebend unterwarfen sich die Wanderer seiner Weisung, wohin sie zu ziehen hätten. Mit einem Feuerzucken hob er sein Schwert über einen der Pfade hin, und diesen wandelten sie. Dem Weisen aber war es kund aus dem Buch seiner Ahnen, dass jedem der Wege Bedeutung verliehen war: der eine war gerade und wohltätig und führte zu dem Orte des ewigen Lichtes, der andere war schlüpfrig, von kriechendem Gewürm durchquert, und leitete zu einem ungründigen Schlamm, ein dritter mit schreckenvollen Gruben und Höhlen mündete in einen Abgrund, der letzte aber voll sengender Qualen war der Weg des Feuers. Dieser war der Weg, den sie auf das Geheiß des Engels gingen. Ahnende Bangnis überkam den Weisen, und er war nur eine kurze Strecke gegangen, da hielt er inne, denn schon wähnte er, dass glühende Lüfte seine Kehle ausdörrten, und er erinnerte sich, dass es einen Weg gibt, der in die raumlose Glut führt, und dass vier Meilen vor ihrem Anfang schon das Feuer den Wanderer versengt. Und als sie noch eine Weile gegangen waren, erblickte er in der Ferne ein rotes Meer, das züngelnd zum Himmel loderte, und eingeschlossen in seinem Flutenbrand wie in einem blutigen Kristall einen Zug von Königen in den Trachten ferner und nie gesehener Völker, und ihre Reihe wurde geleitet von uralten Juden, die in ihre Gebetmäntel gehüllt waren und Stirn und Arm mit den heiligen Riemen umschlungen hatten. Der Weise wandte sich voller Entsetzen und forderte den König und sein Geschlecht zur Umkehr auf. Der König aber erwehrte sich des Rates, denn in Verblendung gedachte er gleich jenen Gekrönten ungefährdet durch die Glut zu gelangen. Er war mit den Seinen nur ein weniges vorwärts gedrungen, da tat sich gierig der Flammenschoß auf und begrub sie alle in sich. Der Weise jedoch hatte an seinem Orte verharrt und sah sie untergehen. Dann kehrte er um und ging den Weg zurück, und der Engel hatte sein Schwert in die Erde gebohrt und ließ starr und schweigend ihn vorüberziehen.

Als der Weise in das Reich zurückkam, erzählte er allem Volk, das sich um ihn sammelte, welcher Untergang dem König und seinem Geschlecht beschieden war. Da wuchs ein großes Staunen in der Menge, denn alle kannten die alte Prophezeiung, nach der dem Königshause durch einen Stier und einen Widder die Vernichtung verheißen war, und keiner vermochte den Ausgang zu deuten. Da erhob sich der alte Jude, der in Heimlichkeit seinen Glauben hatte pflegen müssen, und er sprach: „Durch mich ist er vernichtet worden. Die Sternseher sahen und wussten nicht, was sie sahen. Ihr aber, wisset: aus dem Fell des Stieres werden die Gebetsriemen geschnitten, und aus der Wolle des Widders werden die Schaufäden gesponnen, die an dem Gebetsmantel hängen. Darum haben Stier und Widder unter den Sternen, von meinem Fluche angerufen, seines Verderbens gewiss, ihn verhöhnt. Jene Könige aber, die von den alten Juden unversehrt durch das Feuer geleitet wurden, waren solche, in deren Ländern Juden ohne Harm und Hader leben konnten und Gebetsmantel und Gebetsriemen in Freiheit tragen durften.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Geschichten des Rabbi Nachman