Die Geschichte von dem Königssohn und dem Sohn der Magd

Es war vor vielen Hundert Jahren, da herrschte weit von hier ein großer König, der regierte gar gütig über ein weites und fruchtbares Land. In seinem Palaste war eine Magd, die tat der Königin treue Dienste, und deren Herz war ihr hold und geneigt. Es war der Königin Gürtelmagd, sie hatte nur leichte Verrichtung und diente ihrer Frau im Hause des Königs.

Da kam der Tag, da die Königin einen Sohn gebären sollte, und zur selben Stunde sollte solches auch der Magd widerfahren. Die Diener holten eine weise Frau herbei, die genoss um ihrer Klugheit und geheimer Künste willen ein großes Ansehen rings im Land. Sie hob den Sohn des Königs ans goldene Sonnenlicht und hob auch den Sohn der Magd. Dann hüllte sie das Königskind in grobes Linnen und legte es neben die schlafende Magd, das Kind aber, das die Magd geboren als eines Knechtes Sohn, wickelte sie in weiche Seide und bettete es auf das Lager der Königin. Als die Mütter erwachten, herzte jede das Kind in ihrem Arm.


Die Knaben wuchsen schön und kraftvoll heran. Der Sohn des Knechtes wurde im Palaste geehrt und erhoben über alle Söhne des Landes. Er war der nächste unter dem Könige und saß auf silbernem Sessel neben dem Throne. Er wurde unterwiesen in allem, worin die Weisen des Landes und die Räte des Königs kundig waren. Der Sohn des Königs aber blühte unter dem niederen Dache eines Knechtes auf, und der Grund seines Herzens und sein helles Auge waren die einzigen Quellen seiner Weisheit. Wiewohl er einen niederen Mann Vater nannte, erfand man an ihm stolze Art und ein freies Wesen. Über alles liebte er die einsamen Pfade des Gebirges und mied es, der Lärmenden Genosse zu sein. Dem aber, der im Palaste weilte, war fremd und kalt zumute in dem blanken Schimmer der Königshalle, und er blickte oft hinaus, wo zwei Säulen sich öffnen und des Himmels Farbe hineinscheint, und sein Herz zog ihn zu dem Ackersmann, der mit dem Pfluge die schwarze Erde durchschneidet.

Die weise Frau aber hauste draußen vor der Stadt, wo der Wald anhebt, in einem Hüttlein. Sie war gar grau und trug die Last vieler Jahrzehnte und fühlte ihren Tod nahen. Da bedrückte sie das Geheimnis sehr, dass sie des Königs Sohn vertauscht hatte mit dem Sohne der Magd. Und ob sie gleich weise war und verborgener Kräfte kundig, verursachte es ihr doch nach der Weiber Art Pein, ihr Geheimnis in ewige Weile zu verschweigen. Da trat sie an das Fenster ihrer Hütte und redete es behutsam vor sich hin, dass es keiner vernehme als nur der Wind, der die Blätter der Birke regt. Der Wind jedoch trug es eilends den Weibern und Kindern zu, die im Walde Schatten und süße Beeren suchten. Die Frauen erzählten es daheim ihren Männern, und jeder Mann vertraute es beim Abendtrunk seinem liebsten Freund. Die Männer der Stadt aber redeten so untereinander: „Lasset uns das Geheimnis wohl vor dem König bewahren, auf dass Unheil und Zweifel seine alten Tage nicht heimsuchen! Denn was sich ereignet hat, ist nicht zu bessern. Sollen wir den Jüngling, der in niederem Hause großwuchs, dereinst als König über uns setzen? Und kann nicht auch alles Lüge sein und eine müßige Mär?“

Dennoch war einer in ihrer Mitte, der ging hin und verriet es dem falschen Königssohn und sprach: „Wisse, dass viele im Volke sind, die dich als den Sohn der Magd erachten, und gar leicht, denk ich, möchte einst die Zeit kommen, da sich das Land wider dich empört und jenen an deine Stelle hebt, trägst du nicht beizeiten Sorge, dass er verderbe.“ Als der falsche Königssohn dies vernahm, ging er in die dunkelste Kammer seines Schlosses und sann Böses. Von Stund an verließ ihn der Unmut nimmer. Er ritt im Morgengrauen mit seinen Genossen aus und zertrat die Saat auf den Feldern des Mannes, der in Wahrheit sein Vater war. Und fortan tat er ihm Schaden an, wo er konnte.

Es kam die Zeit, da der König alt ward und starb, und der falsche Königssohn bestieg den Thron und regierte das Land. Nun bedrückte er den Knecht immer grausamer. Der aber verstand gar wohl, warum ihm so geschah; und er sprach zu seinem Pflegling, der in Wahrheit der Königssohn war, und erzählte ihm, was die Leute von ihm redeten, und wie der König einen Hass auf ihn geworfen habe. Und er sprach: ,,Siehe, ich habe ein großes Erbarmen über dich. Bist du mein Sohn, wie sollte ich nicht trauern, da jener dich vernichten will? Bist du aber der Königssohn, wie sie sagen, dann gebührt dir ein solches Schicksal fürwahr nicht. Darum fliehe aus dem Lande.“ Da versank der Jüngling in Schwermut und fand keinen Rat bei sich. Der König aber verfolgte ihn mit Unbill aller Art, und sein Hass wuchs mit jeder Morgenröte. Endlich wurde jener willens zu fliehen. Sein Pflegevater gab ihm, was er an Gold besaß, und ließ ihm reiche Gewänder anfertigen. Und der Jüngling zog traurig aus dem Lande.

In der Fremde verbrachte er seine Tage müßig, vertrank seine Goldstücke des Abends mit den jungen Leuten in den Schenken und warf sie den gleißenden Tänzerinnen zu. Aber sein Herz blieb schwer.

Der falsche König regierte indessen sein Land hart und ohne Gnade. Wenn er mit düsterem Angesicht durch die Straßen seiner Stadt hinging und alle sich vor ihm neigten, glaubte er allemal ein Flüstern aus der Menge zu vernehmen, das ihn Sohn des Knechtes schalt. Und er wandte sich finster ab und verhängte neue Pein über sein Volk.

Eines Tages zog er mit seinem Gefolge auf die Jagd, und sie kamen an einen Ort, wo es den König lieblich dünkte zu weilen. Er legte sich unter einem Baum zur Ruhe. Der Baum stand in Blüte und neigte seine Zweige über ein helles Wasser. Da kam es den König an, dass er ein Unrecht verübt und einen Unschuldigen vertrieben habe. Dies legte sich schwer auf seinen Sinn und nahm alle Lust von ihm, also dass er seine Leute umkehren hieß. Als er aber im Palaste weilte, wich die Sorge von ihm, und er tat wie vordem.

In derselben Zeit hatte der wahre Königssohn eines Nachts einen wunderlichen Traum. Er sah einen Markt vor sich, und es wurde ihm im Schlafe befohlen, auf diesen Markt zu gehen, dort würde einer auf ihn zukommen und ihm Arbeit weisen, die solle er auf sich nehmen, auch wenn sie ihm beschwerlich und niedrig schiene. Er erwachte, und der Traum war ihm in die Seele gedrungen. Dennoch schlug er sich ihn aus den Gedanken und lebte bei Spiel und Gelage wie zuvor. Aber der Traum überkam ihn zum andern Mal, und er kam wieder und immer wieder und lastete schwer auf seinem Gemüte. In einer Nacht hatte er den Traum abermals, und er hörte die Stimme sagen: „Willst du dich deiner erbarmen, so versäume dich nicht und tue alsbald, wie dir befohlen ist.“ Da erhob er sich beim Tagesgrauen vom Lager, hüllte sich in das schlichte Gewand eines Dieners, verschenkte, was er noch an Gold und kostbaren Kleidern besaß, an die Leute in der Herberge und zog zur Stadt hinaus, den Weg, den ihm die Stimme gewiesen hatte. Nachdem er eine gute Weile unterwegs war, sah er in der Ferne einen Markt und erkannte den Ort wieder, den er im Traum gesehen hatte. Gleich zu Beginn des Marktes trat ihm ein Kaufmann entgegen und sprach ihn also an : „Begehrst du Arbeit, so verdinge dich bei mir als Viehtreiber, ich brauche noch einen.“ Dem Jüngling schien es hart, aber der Traum beherrschte ihn, und er willigte ein. Der Kaufmann hieß ihn nun hierhin und dorthin und gebot ihm nach der Art eines rauen Herrn. Und es erschien ihm ein böses Ding, dienen und mit den anderen Hirten neben dem Vieh einherlaufen zu müssen. Der Kaufmann ritt neben den Herden und strafte die unachtsamen Treiber mit grausamen Stockschlägen. So zogen sie durch einen dichten, dunkeln Wald. Da wichen zwei Tiere von der Herde des Jünglings vom Wege ab und verschwanden zwischen den Bäumen, die so eng nebeneinander standen, dass es schien, als ob sie ihr Geäst zu einer einzigen großen Krone verflochten hätten. Der Kaufmann fuhr auf ihn los und drohte ihn zu töten. Der Jüngling eilte den Tieren nach, und da sie sich im Dickicht stets von neuem seinen Blicken zeigten und verschwanden, geriet er immer tiefer in den Wald. Als er endlich erschöpft innehielt, gewahrte er, dass die Nacht im Walde eingekehrt war. Das Grausen der großen und fremden Wildnis überfiel ihn; schauervoll drang das Brüllen des Getiers zu ihm. Er stieg auf einen Baum und verbrachte die Nacht in dem starken und dichten Gezweige.

Als er am Morgen um sich blickte, standen seine beiden Tiere friedlich unter dem Baum. Er stieg hinab, um sie zu greifen, aber da er Hand an sie legen wollte, flohen sie wieder, und wieder jagte er ihnen nach.

Zuweilen blieben sie in einer Lichtung stehen, um etwas Gras zu fressen; kam er aber heran, so lockten sie ihn wieder tiefer in den Wald. Er folgte ihnen bis in die dichteste Mitte des Waldes, wo die wilden Tiere hausen, die die Furcht nicht kennen, weil sie fern von den Wohnstätten der Menschen sind. Wieder brach die Nacht an, und der Schrei der Wildnis drang grässlich an sein Ohr. Er bestieg einen sehr hohen Baum, und siehe, da lag ein Mensch. Er erschrak; aber da er gewahrte, dass es ein Wesen war wie er, machte es ihn froh, nicht mehr allein zu sein, und er fragte den anderen: „Wer bist du, Mensch?“ Und der andere fragte ihn zurück: „Wer bist d u , Mensch, und woher bist du gekommen?“ Der Jüngling gab ihm Bescheid: „Zwei Tiere, die sich von der Herde entfernten, haben mich hierher verlockt; aber sage mir, wie bist du hierher gekommen?“ Da antwortete ihm jener: „Mich hat mein Pferd an diesen Ort gebracht: ich stieg ab, um zu ruhen, da entlief das Tier, ich jagte ihm nach und vermochte nicht es einzuholen und kam endlich hierher.“ Da besprachen sie sich und kamen überein, dass sie zueinander halten wollten für alle Zeiten, auch wenn sie in das Reich der Menschen zurückkämen.

Als aber die Nacht der Dämmerung zu weichen begann, erscholl die Stimme eines gewaltigen Lachens dröhnend über den Wald hin und machte ihn erzittern, und wie der Sturmwind ergriff sie den Baum, auf dem die beiden lagen, bog ihn zur Erde nieder und schnellte ihn wieder in die Luft, also dass den Jüngling das Grauen überkam. Da sprach sein Genosse zu ihm: „Ich habe jetzt keine Furcht mehr, denn ich bin schon mehrere Tage und Nächte an diesem Ort, und jedesmal, wenn die Finsternis zu schwinden beginnt, braust dieses Lachen über den Wald.“

Der Jüngling antwortete ihm: „Offenbar ist dieses ein Ort der Geister, denn nie, solange die Welt besteht, ist im Reiche der Menschen eine Stimme gehört worden wie diese.“ Bald darauf wurde es lichter Tag, und siehe, da standen die Tiere des Jünglings unter dem Baum, und auch das Pferd seines Gefährten hatte sich eingefunden. Sie stiegen zu Boden, die Tiere entwichen wieder, jeder folgte den seinen in den Wald hinein, und so entfernten sie sich voneinander. Wie der Jüngling dahinlief, sah er plötzlich etwas zu seinen Füßen liegen, und da er sich niederbeugte, war es ein Sack, mit schönem frischen Brote gefüllt. Da stillte er seinen Hunger und war voller Freude, denn was hätte er Besseres finden können in der Wildnis? Als er sich gesättigt hatte, nahm er den Sack auf seine Schultern und folgte den Tieren weiter.

Aber wo der Wald ins tiefste Dunkel mündet und unentwirrbar wird, trat ihm auf seinem Weg ein Mann entgegen, fast nach Menschenart, jedoch so seltsam, wie er noch nie ein Wesen gesehen hatte. Wirre braunrote Haare wehten wie Flammen um sein erdgraues Gesicht, in dem tief eingebettet zwei grüne Augen wie große Malachitkugeln lagen. Sein Gewand schien aus der Haut von tausend Eidechsen gefertigt zu sein. Er blitzte den Jüngling mit den Augen so durchdringend an, dass der gebannt nicht von der Stelle weichen konnte. Das Waldwesen aber sprach ihn also an: „Wie bist du hierher gekommen?“ „Und wie bist du hierher gekommen?“ fragte der Jüngling zurück. Da antwortete es: „Ich bin hier von Uranbeginn, — aber du, wie kommst du hierher? Denn niemals noch gelangte einer aus dem Reiche der Menschen an diese Stätte.“ Da merkte der Jüngling, dass sein Begleiter kein Mensch war. Der Waldgeist aber tat ihm nichts Böses an und fragte noch einmal: „Was suchst du hier?“ Darauf erwiderte jener: „Ich jage zwei Tieren nach, die sich von meiner Herde entfernt haben.“ Da sprach der Waldgeist: „Genug: nun komm mit mir.“ Der Jüngling ging hinter ihm her und wagte nicht ihn anzusprechen. Unterwegs traf er auf seinen Genossen der Nacht, und er gab ihm ein Zeichen, dass er mitkommen möge. Da bemerkte der den Sack mit Brot auf seinen Schultern und begann ihn anzuflehen: „Mein Bruder, ich habe so viele Tage nicht gegessen, gib mir Brot.“ Er antwortete: „Wie kann ich dir mein Brot geben? Bedenk, womit werde ich mein eigenes Leben fristen in dieser Wildnis?“ Der andere aber bat und drängte weiter und sprach: „Ich will dir mich selbst völlig zu eigen geben als deinen Knecht, wenn du mir von dem Brote gibst.“ Da nahm ihn der Jüngling an als seinen ewigen Knecht, und jener schwur mit Eiden, dass er ihn nie verlassen wolle; und der Jüngling teilte ihm von dem Brote mit, soviel er essen mochte.

Sie folgten nun gemeinsam dem Waldgeist. Und endlich kamen sie aus dem Walde in ein düsteres Tal. Der Boden war von Schlangen und Salamandern bedeckt, die ihre feuchten glatten Leiber übereinander wälzten. Der Jüngling fragte den Waldgeist: „Wie werden wir hier durchkommen?“ Der antwortete: „Scheint dir dieses schon wunderbar, um wie viel wunderbarer wird es dich bedünken, dass du in mein Haus kommen wirst?“ Und er zeigte ihnen sein Haus, das hoch über ihren Köpfen in der Luft stand. Sodann ergriff er sie bei den Händen, hob sich mit ihnen in die Luft und brachte sie unangefochten in sein Haus. Dieses war angefüllt mit absonderlichen Geräten, deren Bedeutung der Jüngling nicht kannte; aber es fand sich auch alles darin, was ein menschliches Wesen zu seinem Unterhalt gebraucht. Der Waldgeist stellte ihnen gute Dinge zum Essen und zum Trinken im Überfluss auf den Tisch und verließ das Haus, wie er gekommen war. Jene aber blieben und sättigten sich. Da verdross es den Knecht sehr, dass er sich verkauft hatte um einer Stunde willen, denn nun hatte er ja Speise in Fülle. Er seufzte und stöhnte laut: „Wie komme ich zu einem solchen Leben? Wie komme ich dazu, Knecht zu sein?“ Da fragte ihn der Jüngling: „Von was für einer Größe kommst du denn her, dass es dich dergestalt verdrießt, zu dienen?“ Darauf antwortete ihm jener und erzählte ihm, wie er ein mächtiger König gewesen sei im Reiche der Menschen, und wie sie im Volke geraunt hätten, dass der wahre König als Kind nach der Geburt entfernt worden sei und im Hause eines Knechtes als dessen Sohn lebe, indessen er, des Knechtes Sohn, auf dem Throne sitze; und wie er jenem seither des Bösen viel angetan habe, bis dass er das Land verließ. Und weiter erzählte er, eines Nachts sei ein Traum über ihn gekommen und die Stimme des Traums habe ihm befohlen: „Wirf dein Königtum von dir und gehe hin, wohin deine Augen dich führen, denn du musst deine Schuld sühnen“; und er habe des Traums nicht geachtet; der aber sei immer wiedergekehrt, und keine Nacht habe er Ruhe gefunden, bis er endlich tat, wie ihm geheißen war, und das Königtum von sich warf und dahinging; und nun ist er ein Knecht geworden. Alles dies vernahm der Jüngling und schwieg; und er verstand, wer sein Genosse war. In der Abenddämmerung aber kam der Waldgeist und reichte ihnen Speise und Trank und bereitete ihnen ein Lager. Gegen Morgen erscholl wieder die Stimme des gewaltigen Lachens über den Wald hin. Der Knecht redete dem Jüngling zu, den Waldgeist zu fragen, was das sei. Und er fragte ihn: „Was ist diese Stimme, die in der Morgenfrühe über den Wald braust?“ Der Geist sprach: „Das ist das Lachen, mit dem der Tag die Nacht auslacht, wenn sie beim Nahen der Dämmerung ihn fragt: „Warum habe ich keinen Namen mehr, wenn du kommst?“ und da bricht der Tag in ein Gelächter aus und nimmt Besitz von der Erde.“ Nachdem er dies gesagt hatte, verließ sie der Waldgeist wie vordem, und er kehrte erst am Abend zurück. In der Nacht aber hörten sie in einem mächtigen Anschwellen die Stimmen aller Waldtiere; und sie erkannten das Brüllen des Löwen und das schaurige Geheul des schweifenden Pardeltiers und das süße Gurren der Waldtaube und den Schrei des Hirsches, und immer neue Stimmen mengten sich darein. Und erst klang ihnen alles wie ein großes Gewirr; je mehr sie aber ihr Ohr hinneigten, empfanden sie, dass es die erhabene Weise eines wunderbaren Liedes war, also dass sie alles Glück der Erde eitel dünkte gegen die starke Wonne dieses Gesanges. Und es beredete der Knecht den Herrn, den Waldgeist zu fragen, was das sei, und er tat also. Da antwortete ihm der Geist: „Die Tiere des Waldes haben vernommen, dass die Sonne dem Mond ein neues Silbergewand beschert hat. Und da der Mond ihr großer Wohltäter ist und sein Licht über ihre nächtlichen Wege streut, denn die Tiere des Waldes bergen sich am Tag und wachen des Nachts, so haben sie beschlossen, ihn zu ehren mit einem neuen Liede und haben die Weise erdacht, die ihr gehört habt.“ Und da sie sich des verwunderten, fuhr er fort: „Erscheint euch dieses schon seltsam, um wie viel mehr werdet ihr erstaunt sein, wenn ihr meinen wundersamen Stab seht, in dem die Kraft lebt, dass jedes Tier, das man damit berührt, diese Weise singen muss!“

Am dritten Morgen aber führte sie der Waldgeist aus seinem Hause durch die Luft auf den Waldweg, wo er sie gefunden hatte, und er sprach zu ihnen: „Kehret nun in das Reich der Menschen zurück!“ Da erwiderte ihm der Jüngling: „Wohin sollen wir uns wenden?“ Der Waldgeist sagte: „Forschet nach dem Lande, das genannt wird das närrische Land mit dem weisen König!“ Und er wies ihnen die Richtung des Weges. Zum Abschied aber reichte er dem Jüngling den wunderbaren Stab, von dem er gesprochen hatte, als Gabe, hieß ihn guter Dinge sein und verschwand. So machten sie sich denn auf den Weg und kamen in den Bereich der Menschen und gingen weiter, bis sie zu dem Lande gelangten, das genannt wurde das närrische Land mit dem weisen König. Das Land war von einer Mauer umgeben, und sie mussten sie mehrere Meilen umgehen, bis sie an das Tor kamen. Als sie eintreten wollten, verweigerte ihnen der Torwart den Einlass. Da rief der Jüngling: „Das ist fürwahr ein närrisches Land, das keinen Wanderer einlässt!“ Der Mann am Tor erwiderte ihm: „Bislang nannte man unser Land das närrische Land mit dem weisen König, aber nun ist unser König gestorben, und er hat bei seinem Tode befohlen, dass man nach ihm das Land nenne das weise Land mit dem närrischen König, bis einer kommen würde, der es durch seine Weisheit unternähme, den ersten Namen wiederherzustellen, und der solle König werden an seiner Statt. Daher lassen wir keinen ein, er unterfange sich denn solcher Tat. Bist du dazu bereit, so tritt ein.“ Das wagte der Jüngling nicht und trat gesenkten Hauptes zurück. Der Knecht sprach ihm zu, sie sollten nach einem andern Lande ziehen, denn hier sei doch ihres Bleibens nicht. Er aber wollte es nicht, denn er gedachte der Worte des Waldgeistes. Inzwischen gesellte sich noch ein Mensch zu ihnen im schwarzen Kleide, der auf einem ganz schwarzen Pferde saß. Er ritt auf sie zu und blickte den Jüngling an, dem wunderlich zumute ward; und es war ihm, als sei er gezwungen, mit seinem Stabe das Pferd zu berühren. Er tat es, und das Pferd begann die Mondweise zu singen mit einer gar. köstlichen Stimme. Da lachte der schwarze Mann und sagte höhnisch: „Willst du in Ewigkeit nur Spiel und Schabernack treiben mit deinem Stabe? Und ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass er dir zu Besserem verliehen ist? Du Tor! Ist dir nicht offenbar worden, dass dies Gerät aus jedem Wesen die eigene Stimme seines Herzens lockt und dass du, solang du es besitzest, jedes Ding aus dem Herzen des Dinges verstehen kannst?“ Und nach diesen Worten wendete der Fremde sein Pferd und ritt davon.

Da verstand der Jüngling, warum ihn der Waldgeist hierher gewiesen hatte; er kehrte zum Tore zurück, begehrte Einlass und vermaß sich, die Tat zu vollbringen. Die Wache führte ihn zu der Versammlung der Fürsten. Die saßen im Königssaale rings im Kreis und waren in großen Nöten und wussten sich keinen Rat. Und die Fürsten sprachen zu ihm: „Wisse, dass auch wir keine Narren sind, aber der verstorbene König war ein großmächtiger Weiser, also dass wir alle gegen ihn nur als Narren geachtet sind; darum nannte man das Land das närrische Land mit dem weisen König. Und der König hinterließ einen Sohn; auch er ist weise, aber nur so viel, dass er gegen uns ein Narr ist; und deswegen hat der alte König sterbend befohlen, dass der Name des Landes umgekehrt werde, bis einer käme, der ihm an Weisheit gleich wäre und den ersten Namen wiederherstellte. Dem, der das vermag, solle sein Sohn die Herrschaft übergeben. Wisse also, Jüngling, wessen du dich unterfängst, und dass die Prüfung schwer ist. In unserer Stadt ist ein wundersamer und furchtbarer Garten, der in uralter Zeit von einem Riesengeschlechte gepflanzt wurde. Darin wachsen gewaltige Waffen von Stahl und silbernes Kriegsgerät und goldenes Kriegsgerät auf weitem Feld wie Bäume aus der schwarzen Erde hervor. Betritt jedoch ein Mensch den Garten, dann erheben sich die Geister des vergangenen Riesengeschlechtes, das ihn gepflanzt hat, und verfolgen ihn, und er wird von unsichtbaren Mächten gejagt, bis er aus dem Garten flieht. Nun wollen wir sehen, ob du ein Weiser bist und die Geister zu bezwingen vermagst.“ Der Jüngling ließ sich den Weg zum Garten zeigen. Ringsum war eine Mauer gezogen, ein verrostetes Tor hing offen in den Angeln, kein Wächter war zu sehen, und im weiten Umkreis gewahrte er nichts Lebendiges. In einer Vertiefung der Mauer neben dem Tor stand hinter silbernem Gitter die Bildsäule eines Menschen mit goldener Krone und goldenem Königsmantel, aber das Antlitz und die Hände waren aus Elfenbein. Über dem Bilde war eine alabasterne Tafel in die Mauer eingelassen, darauf standen in leuchtenden Zeichen die Worte: „Der hier steht, war ein König dieses Landes in alter Zeit, und vor ihm und nach ihm war ewiger Krieg, aber zu seinen Tagen war Friede.“ Der Jüngling berührte das Gitter, und alsbald sprang es auf. Da verstand er, dass ihm geboten war, durch diesen König die Geister zu bannen und den Garten zu erlösen. Und er ergriff die Bildsäule und betrat mit ihr den Garten und stellte sie in der Mitte des Gartens auf. Nichts regte sich, und er kam in Frieden heraus. Da ging er hin und sagte es den Fürsten an, und sie kamen herbei, und er führte sie in den Garten in Frieden.

Dann sprachen die Fürsten zu ihm: „Wiewohl wir dies gesehen haben, können wir dir doch das Königreich um der einen Tat willen noch nicht geben. Du musst eine zweite Prüfung bestehen. Von alter Zeit her ist in unserm Lande ein hoher geschnitzter Thronsessel in einer marmornen Säulenhalle auf einem Hügel in der Mitte des Reichs errichtet. Der Stuhl ist aus dem Holze eines heiligen Baumes geschnitzt und wunderbar verziert mit den Gestalten aller Tiere und Gewächse, die es im Lande gibt. Vor ihm steht ein Tisch, und auf dem Tische steht ein Leuchter mit sieben Armen. Und ehedem war es so, dass jeder, der auf dem Thronsessel saß, das ganze Land überschaute, und es blieb ihm keine Tat geheim, die darin geschah. Und wer die sieben Arme des Leuchters entzündete, erkannte alle Gedanken, die rings im Lande gedacht Würden. Aber seit dem Tode des alten Königs trüben sich dem auf dem Stuhle die Augen, und er sieht nicht mehr, was ihn umgibt; und der Leuchter brennt nicht mehr, wenn man ihn entzünden will. Vom Thronsessel aus aber gehen viele Wege, gleich den Strahlen eines Sternes, nach allen Richtungen durchs ganze Land. Und inmitten jedes Wegs steht ein geflügeltes, goldenes Tier. Und ehedem sangen alle Tiere um Mitternacht eine wunderbare Weise. Aber seit dem Tode des alten Königs verharren sie in Schweigen, und wenn ein Mensch ihnen naht, reißen sie den Rachen auf und verschlingen ihn. Und das ganze Volk lebt in Angst und Bestürzung, und niemand ist, der verstünde, wie all dies gekommen sei. Nun wollen wir sehen, ob du ein Weiser seiest und es wiederherzustellen imstande wärest, wie es gewesen ist.“ Und sie führten ihn in die Halle zu dem Stuhle. Und als er ihn ansah, wusste er, dass er aus demselben Holze geschnitzt war, wie der wunderbare Stab, den ihm der Waldgeist geschenkt hatte. Und er ging hinzu und betrachtete ihn genau, um zu sehen, was damit geschehen sei, dass er seine Kraft verloren habe. Da bemerkte er, dass an der Spitze des Sessels ein winziges geschnitztes Röslein fehlte. Er ging umher und suchte und fand es verborgen unter einem Steine der Halle und fügte es dem Throne ein. Dann betrachtete er den Leuchter und fand, dass er von der Mitte des Tisches um ein weniges abgerückt war, und er brachte ihn an seine rechte Stelle. Hierauf bestieg er den Stuhl und entzündete den Leuchter. Und er überschaute das ganze Land und alle Gedanken und Taten, die vergangenen und die gegenwärtigen. Und er begriff, dass der alte König vor seinem Tode alles mit Absicht so verwirrt hatte, auf dass der Weise gefunden werde, der es wiederherstellen und jedes Ding an seinen rechten Ort bringen könnte. Und er sah die Tiere auf den Wegen stehen und bemerkte, dass auch sie um ein weniges von ihrer Stelle gerückt waren. Und er ließ alle Tiere an ihren alten Ort rücken, und die Tiere ließen die Menschen an sich herankommen. Und als das letzte Tier an seine Stelle kam, da war es Mitternacht, und alle stimmten die wunderbare Weise an.

Da gaben sie dem Jüngling das Königtum. Und er sprach zu seinem Knechte: „Nun verstehe ich, dass ich in Wahrheit der Königssohn bin und du in Wahrheit der Sohn der Magd.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Geschichten des Rabbi Nachman