Die Geschichte vom Meister des Gebets

Es lebte einst ein Mann, welcher der Meister des Gebetes geheißen wurde. Er diente Gott alle Tage seines Lebens mit Lobpreisung und Gesängen und besaß in diesem Tun eine Kraft und Vollkommenheit, wie sie nie noch auf Erden in der Seele eines Erschaffenen erstanden war. Fern von den Wohnungen der Menschen hatte er seinen Ort erwählt an einem stillen, rings umschatteten See. Zuweilen geschah es, dass er sich aufmachte, die Stätte seiner Sammlung verließ und die Welt der irdischen Geschlechter heimsuchte. Da schloss er sich an diesen und jenen, der ihm von ungefähr begegnete, begann zu ihm zu reden, erhob, von Gesprächen über die Dinge der Erde mit dem zutraulich werdenden Gefährten emporsteigend, dessen Seele und führte sie allgemach dem letzten Sinne alles Seins zu. Und manches Mal ereignete es sich, dass Ohr und Herz des andern sich ihm auftaten und seine Rede eingehen ließen, und dieser Mensch tat eilig alle Bande und alle Lust des Lebens von sich ab gleich einem hemmenden Gewande und folgte ihm. So wuchs eine Siedlung an den Ufern des Sees und festigte sich. Der Meister aber verstand in seinem wissenden Herzen gar wohl, was einem jeden aus seiner Gefolgschaft Not tat, um ihm zum heiligen Fluge den Trieb zu geben, und so ließ er den Reichen dürftig und entbehrend leben, dass der schlichte Sinn in ihm wach sei, dem aber, der ein Bettler gewesen war, warf er goldgestickte Kleider über zur Feier seiner Seele. Indessen schwoll in den Gebieten der Menschen die Klage um die Verschwundenen, und bald wurde dem fremden Manne auf allen Wegen nachgestellt. Aber niemals vermochte ihn einer zu erreichen, denn ihm war die Gabe eigen, sich in jede menschliche Erscheinung zu wandeln, die er erdenken konnte. Unberührt wirkte er mit seinem Worte und führte, die sein geworden waren, hinweg.

Zu der gleichen Zeit gab es in dem Bereiche der Welt ein Land, das wurde nach der Art seiner Bewohner das Land des Reichtums geheißen. Die suchten und sahen das Ziel ihres Lebens einzig im Gelde und wollten kein anderes Verdienst und keine andere Vollkommenheit anerkennen, als den Besitz. So waren alle Würden und Stufen bei ihnen nach dieser Geltung angeordnet. Es bedurfte eines bestimmten Maßes an Eigentum, um einfach ein bloßer Mensch zu sein; wer nicht so viel besaß, stand tiefer und war in ihrer Schätzung dem Rang nach ein menschenähnliches Tier oder ein kahles Vogelwesen und so, Tier oder Vogel, wurde er gerufen. Wem mehr als jenes Mindestmaß zu eigen geworden war, wurde in der Würde erhoben, und ein sehr Reicher stand den Sternen nah, denn er habe, so meinten sie, die Gewalt der Sterne, die das Gold im Schoß der Erde wachsen lassen. Die Allerreichsten aber, die das Ihre nimmer umfassen oder auch nur überschauen konnten, die erhoben sie zu Göttern über sich und dienten ihnen im Staube. Es war geboten, dass jeder alljährlich seinen Besitz nachweise, auf dass er sich in seiner Würde erhalte oder steige oder falle, und da konnte denn zuweilen aus einem Menschen ein Tier werden und aus einem Tiere ein Mensch. Weil sie nun dergestalt Ordnung, Gesetz und Herrschaft nach dem Willen ihres Glaubens bestimmt hatten und in diesem den einzigen Sinn und das wahre Wesen des Daseins gefunden zu haben wähnten, wuchs und schwoll ihr Stolz ins Ungemessene, und endlich fanden sie, dass es ihrer Erhabenheit gar nimmer gezieme, innerhalb der Grenzen der Welt, unter den gewöhnlichen Menschen zu weilen, und sie zogen allesamt in ein Gebirge an dem Rande der Erde, denn sie vermeinten, dass es ihnen auch äußerlich anstehe, höher zu wohnen als die übrigen Erdenvölker und auf sie hinabzusehen. So bevölkerten sie in einzelnen Scharen die Höhen des Gebirges, verschütteten die Wege, die von ihnen in die Welt hineinführten, und ließen jedem Berge nur einen heimlichen Zugang. Diese verborgenen Pfade besetzten sie mit Wächtern, die sie unter den Ärmsten und Besitzlosen wählten, denn diese vergaben ihrer Würde nicht allzu viel, wenn sie sich auf dem Wege zu dem verachteten Weltbezirke verweilen mussten. Im Lande jedoch ging es immer wilder und wüster zu. Raub und Mord herrschte überall als das große Mittel zur Vollkommenheit; Barmherzigkeit aber und hilfreiche Darbietung wurde für schändlichen Wahnsinn erachtet. Man brachte den Reichsten, die als Götter galten, Menschentiere zum Opfer, und mancher zögerte nicht, jenen selbeigen sein Leben zu opfern, denn hierdurch hoffte er bei der nächsten Wiederkehr ins Dasein gleichfalls als Reicher und Gott zu erscheinen.


Es fügte sich aber, dass dem Meister des Gebetes Kunde ward von diesem Lande, und sogleich überkam ihn ein abgründiges Mitleid mit den armen Toren, und er beschloß aus all seiner Kraft, sie zurecht zu führen. So machte er sich auf und suchte die Wächter auf und redete ihnen zu, so recht aus dem Quell seines gütigen Herzens, von der Eitelkeit des Geldes und dem wahren Sinn der Welt. Aber sie achteten seiner nicht, denn waren sie gleich bitter arm und würdelos und standen nur auf dem Wege, der zu den gewöhnlichen Menschen führte, so war ihnen die Lehre von der Göttlichkeit des Goldes doch tief und sehnsüchtig im Herzen heimisch. So ließ der Meister sie denn und wandelte seine Erscheinung und gelangte heimlich in das Land. Da versuchte er alsbald wieder in die erstarrten Seelen der Leute zu dringen, aber all seine innerliche Gewalt war ohnmächtig, und er musste ohne Werk von hinnen gehen, gedachte aber bald zu neuem Streiten wiederzukehren.

In jenen Tagen weilte auf Erden ein gewaltiger Held, seine Tat war die Eroberung, und er begehrte, alle Länder sich zu unterwerfen. Viele Reiche waren ihm schon Untertan und ihre Bewohner lebten friedlich unter seiner schutzreichen Hand. Wer sich ihm ergab, erlitt nicht Schaden an Besitz und Leben, aber er vernichtete jeden, der ihm zu widerstehen wage. Er pflegte in jedes Land, dem er auf seinem Zuge sich nahte, Boten zu senden und Unterwerfung zu heischen, und erst wenn sie ihm verweigert wurde, kam er mit seinen Waffen über das Volk und machte es sich Untertan.

Nun geschah es, dass die Leute im Lande des Reichtums durch Kaufleute, die von ihnen ausgezogen waren in die verachteten übrigen Gebiete der Welt, um dort für ihre Großen neue Schätze zu sammeln, vernahmen, dass jener große Eroberer sich auf dem Wege zu ihrem Reiche befinde und es zu bezwingen gedenke. Eine ungeheuerliche Angst überkam sie. Nicht die neue Herrschaft fürchteten sie dermaßen. Aber sie hatten erfahren, dass der Held das Gold gering schätze, ja missachte, und nicht dulde, dass man seinen Besitz ehre. Und so war es ihr Glaube und ihre Lebensordnung, die sich des Angriffes zu erwehren hatten. Daher hielt das Volk einen großen Rat; und wieder waren es die Kaufleute, die Umschau in allen Breiten der Erde getan hatten und von einem Lande wussten, dessen Reichtum den des ihren, ja jede Menschenvorstellung weit übertreffe, also dass alle seine Bewohner Götter an Macht durch ihren Besitz seien. Diese, vermeinten sie nun, hielten sicherlich die Hilfe in ihren goldstrotzenden Händen,

Während aber der Rat tagte, hatte der Meister des Gebetes wiederum einen Gang in dieses seltsame Land getan. Wie das erste Mal, begann er mit den Wächtern zu reden, und sie erzählten ihm, wie ein unbesiegbarer Held ihr Gebiet bedrohe und wie ihre Großen gedächten, in das Land der Götter um Hilfe gegen den Heranziehenden zu senden. Da brach er in ein Gelächter aus und verwies ihnen solche Narretei und sprach ihnen von Gott, dem Quell und Stromziel alles inneren Lebens. Und diesmal folgten die Wächter mit halbem Ohr seiner Rede und zum Ende sagte einer: „Und was soll ich da tun, bin ich doch ein Einzelner und ein Machtloser!“ Da schien es dem Meister, als habe sich schon ein Großes ereignet mit dieser Antwort, und er ging weiter in die Stadt, wo er überall von dem Kriegsmann reden hörte und von der drohenden Not um den Glauben. Er mischte sich unter allerlei Leute, lauschte ihnen und versuchte, ihnen die Nichtigkeit ihres Sinnes zu erweisen. Während sie ihm aber von dem Helden und seinen Taten berichteten, sagte er einmal zu sich selbst: „Sollte er dies sein ?“ — und es war, als ob er jenen kenne. Das hatten einige bemerkt, die schon über ihn erbost waren, weil er ihr Gesetz verspottete; die nahmen ihn auf der Stelle fest und brachten ihn vor die Ältesten, auf dass sie ihn richten sollten als einen Lästerer des Glaubens und als einen, der mit ihrem Widersacher im Bunde sei. Die Richter begehrten nun von ihm zu wissen, ob er jenen Eroberer kenne. Der Meister antwortete: „Ich diente vor Zeiten einem Könige. An seinem Hofe lebte ein Held. Ist es dieser, wie ich glaube, der euer Land bedroht, dann kenne ich ihn. Weiter aber sollt ihr wissen, dass dieses Götterland, von dem ihr Hilfe erwartet, euer Verderben birgt.“ Da hielten sie ihn für einen Narren. Aber gleichwohl fragten sie ihn: „Woher nur stammt dir solche Wissenschaft?“ Worauf er anhub und erzählte:

„Der König, von dem ich euch sprach, besaß ein wunderbares Gebilde, das lieh seine Form von einer Hand mit all ihren Falten und Furchen. Dieses war die Landkarte aller Welten zu allen Zeiten, und was irgend je geschah und geschehen wird, steht auf ihr verzeichnet zu lesen, die Schicksale der Länder und Städte und Menschen und alle Wege auf dieser Welt und die verborgenen Wege zu fernen Welten in fernen Zeiten. Und die Wege aus dem Irdischen zum Himmel: da ist der Weg Henochs und der Weg Mosches und der Weg Elijahus, auf denen sie zum Himmel aufgestiegen sind. Da steht jegliches Ding, wie es gewesen ist zur Stunde, da die Welt erschaffen ward, wie es heute ist und wie es dereinst sein wird. So ist da Sodom aufgezeichnet in seinem Stolze vor der Vernichtung, und da ist Sodom, wie es heute ist, vom Finger des Herrn berührt. Aber nur der König allein vermag in der Hand zu lesen. Und er auch hat mir darauf das Land gewiesen, das ihr das Reich der Götter nennet, und ich habe erkannt, wie es sich verzehren wird in seinen Eitelkeiten und mit sich reißen wird alle, die ihm nahen.“

So sprach der Meister, und alle horchten auf, und der Klang der Wahrheit, der in seiner Rede tönte, pochte an ihre Herzen. So fragten sie weiter: „Nun sage uns, wo ist dein König?“ Einige aber wurden sogleich von ihrer alten Sucht nach dem Golde ergriffen und forschten gierig: „Siehe, wenn er im Besitze solcher Weisheit ist, möchte es wohl sein, dass er uns Wege zeigen kann, die in den Erdenschoß zum Orte des Goldes führen?“ Da ward jener zornig und rief: „Denket ihr noch immer an das Erraffen? Davon redet mir nimmer!“ „Ei,“ antworteten sie, „sag uns immerhin, wo dein König sich verweilen mag.“ Er sagte: „Heute weiß auch ich nicht zu sagen, wo er ist. Aber ich will euch erzählen, was sich zugetragen hat.“ Und er sprach:

„Es waren ein König und eine Königin, die hatten eine einzige Tochter.

An dem Hofe des Königs waren Meister mancher Künste und Kräfte. Und der König, welcher der Herr der Hand, der Landkarte aller Welten und Zeiten, war, wusste den Ort jeder Kunst und Kraft, wo sie ihren Urquell hat, der aus den Tiefen der Ewigkeit fließt; und er wusste die Wege zu den Orten. Und fühlte einmal ein Meister, wie die Gnade in ihm ermattete und die Dinge sich seinem Gebot nicht mehr fügten, dann sandte ihn der König an seinen Ort, seine Macht zu erneuern. So war da ein Sänger, der hatte die Gabe, bezaubernde Töne und Worte zu finden und mit ihnen allen Sinn zu ergreifen und alles Herz zu bewegen. Dem wies der König den Ort des unerschöpflichen Liedes, das aus sich selbst in sich zurück klingt und in dem das Blut aller Wesen rauscht. Und da war ein Weiser, den führte der König zum Orte des Lichtes, wo sich die letzten Gründe auftun und keine Schicht dem Auge widerstehen kann. Mir wies er den Ort der Seele, wo der Born des Feuers mir entgegen schlug und die Gewalt meines Gebetes sich in seiner Flut verjüngte. Und gleichermaßen verdankt jener Eroberer, vor dem ihr bangt, dem Könige die Vollendung seiner Unbezwingbarkeit. Denn ihn leitete er den Pfad zu der Stätte, wo das Schwert des Sieges in der Erde stand, dessen Anblick alles Lebendige niederwirft, das ihm den Weg versperrt. Und der König gab ihm das Schwert. Aber von einer Zeit zur andern musste er an seinen Ort zurückkehren und das Schwert in die Erde pflanzen, die es zu neuen Kriegen nährte und weihte.

Da aber die Königstochter heranwuchs, berief ihr Vater alle die Seinen, auf dass sie Rat hielten, wer ihr Gatte werden sollte. Und mein Rat war der, man solle sie dem Helden geben. Und so geschah es, und der Held und die Prinzessin hielten Hochzeit. Über eine Weile gebar die Königstochter ein Kind, das war ein lichtes Wunder der Schönheit, und ein Strahlen ging von ihm aus.. Es kam mit vollendetem Wissen zur Welt, und nur die Sprache ermangelte ihm noch. Aber aus seinen Mienen war zu lesen, dass es jeglicher Rede inneren Sinn verstand, und auch die stummen Dinge blickte es an, als erzählten sie ihm etwas, und lachte sie an, nicht dem Augenblick erliegend, sondern wie aus großer und heimlicher Kunde.

Da begab es sich aber einmal, dass alle Leute des Königs zugleich gegangen waren, jeder nach seinem Orte, um seine Gabe zu erneuern. Um jene Zeit kam ein großer Sturmwind über die Welt und vermengte in seinem Toben die Elemente miteinander, machte das Meer zum Festlande und das Festland zum Meere und fruchtbare Menschenstätten zur ödesten Wüstenei. Brausend kehrte er auch in den Königspalast ein, hob das wunderschöne Kind der Königstochter auf seine Flügel und trug es in wirbelnder Eile von hinnen. Der König, die Königin, die Königstochter, alle eilten wehklagend ihm nach, aber in der Ungeheuern Umwälzung der Elemente fand keiner den Weg, den das Kind hinweggeführt worden war, und so zerstreuten sie sich ziellos und irregeführt in alle Winde. Indessen kehrte jeder von uns von seinem Orte zum Hause des Königs heim, einer nach dem anderen, und jeder fand es verlassen und jeder machte sich in seinem Schmerze auf, die Verlorenen zu suchen, und wartete nicht auf die Genossen. So sind wir alle voneinander gekommen und suchen einander in allen Weiten.“

Dieses sprach der Meister des Gebetes und die Leute hörten seine Worte mit unendlicher Verwunderung. Sie berieten sich untereinander und beschlossen, ihn nicht aus der Stadt zu lassen, damit er, wenn jener Held sich wahrhaftig als sein Freund erweise, bei ihm Fürsprache für sie tue. Denn schon waren dessen Boten ins Land gekommen und begehrten Unterwerfung. Indessen war auch der große Held selbst mit seinen Scharen dem Lande des Reichtums näher und näher gezogen, und während seine Boten noch mit den Mächtigsten des Reiches Zwiesprache hielten, lag er schon mit den Seinen vor den Mauern und harrte des Entschlusses. Als sich nun die Reichen an den Meister um Schutz wandten, sprach er, er wolle in das Lager des Helden gehen, ob er in ihm seinen einstigen Freund erkenne. Und also tat er und traf auf einen der Kriegsleute und begann ein Gespräch. Er fragte: „Welches sind eure Gepflogenheiten und wie ging es zu, dass ihr euch diesem Manne Untertan gemacht habet?“ Da hob der Soldat eine Erzählung an und berichtete, wie das große Ereignis jenes Sturmwindes über die Kinder der Welt hereingebrochen war.

„Als die Gewalt des Unholdes sich gesänftigt hatte,“ sprach er, „und die Menschen ihren gewohnten Heimstätten entfremdet und zerstreut hilflos dastanden, bedachten sie, dass sie eines Lenkers bedürften, und sannen, wen sie zu ihrem Könige erheben möchten. Und alle wurden sie einig, dass der, der dem Zwecke des Lebens am nächsten stünde, ihrer aller Herr sein solle. Was aber der wahre Zweck des Lebens sei, darüber waren der Meinungen viele und unterschiedene. Und sie konnten zu keinem Frieden und zu keinem Beschlusse kommen. Die einen meinten, in der Weisheit das Ziel zu finden; denn was können einem, so sagten sie, alle Dinge Besseres geben, als von ihm erkannt zu werden? Andere aber warfen dagegen auf, die Weisheit sei eitles Spiel ohne das Wort und verzehre sich in ihren eigenen Kreisen, wenn sich zu ihr die Rede nicht geselle, die sie in das Reich des Wirkens und Geschehens führe; das Wort sei des Lebens Sinn. Da gab es nun wieder eine Schar, die erklärte, alles Wissen und Sagen komme vom Anderen oder gehe zum Anderen; aber ganz im Eigenen, von keinem Fremden berührt, walte nur die Schönheit, die ewig in sich selber ruhe; sie allein sei zu suchen, ihr allein zu dienen, der allezeit sich erneuernden Blüte der Welt Aber andere riefen dazwischen, die Schönheit sei gar nicht wirklich da, ohne einen, der sich ihrer freue; und sie sei ganz und gar nichts als ein Ding und Gebilde der Freude, geheimnisvoll aus Freude geboren, wundersam Freude zeugend allerorten, von Freude umschlossen; Freude sei die Sonne, in deren warmem Licht sich das Leben vollende. Doch waren da wieder einige, die hörten dem verächtlich und mit gepressten Lippen zu; und alsbald ließen sie sich vernehmen, es sei töricht, solchen flüchtigen und bestandlosen Eitelkeiten zuzustreben; das wahre Ziel des Lebens sei der Tod, und in seiner Luft zu atmen alle Erdentage die einzige Würdigkeit des Daseins. Ihnen jedoch erwiderten welche, der Tod setze nur dem Tatenlosen die Schranke seiner Bahn; wer aber sein Werk schaffe und Ehre gewinne, der könne nicht vernichtet werden, denn er stelle sich fernen Geschlechtern als Bild in die reinsten Stunden ihres Lebens ein und mache sich zum nie verlöschenden Stern urkünftiger Menschenzeiten; Ehre sei der Zweck des Seins, weil sie es mit der Ewigkeit binde. Solchermaßen stritten sie alle um das Ziel, sieben Tage und sieben Nächte lang, bis es ihnen offenbar wurde, dass da kein Band und keine Brücke war von den einen zu den anderen. Und jede Schar machte sich auf, eine nach der anderen, und jede zog ihres Weges, sich ein Land und einen Fürsten nach ihrem Sinn zu erwählen.“

„Ich aber,“ so sprach der Kriegsmann zum Meister des Gebetes, „und meine Gefährten, eine große Schar, wir waren starke Männer, aber des Redens ungeübt, und wir hatten nicht teil an dem Streite. Doch konnten wir uns an keines der Völker schließen, denn wir fühlten es in unserem Blute und im Schlag unserer Herzen, wie ohne die Kraft das Leben des Sinnes ermangeln würde, wie sie allein es uns wert macht, da zu sein, und über sie hinaus war für uns nichts zu sehen, als sie zu üben und in ihr zu wirken und sie zur Herrin über die Erde zu erheben. Und als die anderen aufbrachen, da machten auch wir uns auf und zogen dahin, und jede lebendige Kreatur trat zur Seite und verbarg sich, wenn wir kamen. Eines Tages aber trat uns ein junger Held entgegen und forderte in ruhevollen Worten Unterwerfung. Und da wir uns weigerten, erhob er ein ungeheures Schwert und hielt es uns entgegen, und der Anblick allein beugte uns insgesamt zur Erde. Wir gelobten ihm Treue, und er trat die Herrschaft über uns an, und seitdem ziehen wir ihm siegend nach von Land zu Land. Aber seltsam, unser Herr sagt, nicht Kraft und Eroberung bedeute ihm den Zweck der Welt; der sei ein anderer, und sein Weg leite zu einem andern Ziel. Uns jedoch ist seine Meinung und sein Wille dunkel, wiewohl in dieser Zeit eine Liebe zu unserem Herrn unsere Herzen berührt und sehend gemacht hat, also dass wir in manches blicken, was uns ehedem verschlossen war, und die Welt uns weiter und heller erscheint.“

Als der Meister alles vernommen hatte, begehrte er, vor den Helden geführt zu werden, und so geschah es, und sie erkannten einer den andern und umfassten einander. Aber der Schmerz um die Verlorenen war über ihnen. Der Held begann von seinem Schicksal zu reden und sprach:

„Als ich damals, nachdem der Sturm die Welt verwüstet hatte, von meinem Zuge zurückkehrte, fand ich mein Haus verwaist und alle meine Nahen waren mir verschollen. Da gebot ich meinen Schritten nicht mehr den Weg, sondern irrte im Zufall umher. Und wie ich so schweifte, kam ich an einen Ort, da wurde meinem Herzen aus sich selbst die Gewissheit, hier müsse der König weilen, und ich suchte, aber ich konnte ihn nicht finden. Da zog ich weiter. Und ein andermal fühlte ich die Nähe der Königin. Und so habe ich auf meinen Wegen die Stätten aller Teuren betreten, ohne einen zu finden. Deinen Ort aber habe ich nicht gesehen, und meine Schritte haben die deinen nicht gekreuzt.“

Der Meister antwortete: „Auch ich bin über all die Orte gegangen, an denen die Unseren sich verweilt hatten, um zu klagen, und an jedem Ort war die Klage in das Gezweige der Bäume und in die Kehlen der Vögel eingezogen, und so rauschte und sang sie zu mir hernieder. Und auch über deinen Ort bin ich gegangen.

Denn auf einem Hügel lag ein goldener Glanz gebreitet und wich auch in der Dämmerung nicht, und der Glanz malte auf die steinige Hügelspitze die Gestalt einer Krone. Da wusste ich, hier hat der König gewohnt, und hier lag seine Krone neben ihm, die 'an keinem Orte weilen kann, ohne ihm ihr Bild zu lassen. Und von ringsumher kam aus der Luft die hohe Klage zu mir, mächtig und einsam wie das Tönen einer erzenen Glocke. Aber des Königs Spur konnte ich nicht finden.

Und weiter ging ich über eine weite Sandlände, da gewahrte ich am Boden große blutige Tropfen, die standen auf dem Boden und versickerten nicht und trockneten nicht, und in ihnen war es wie der Blick zweier Augen, der drang zu mir empor. Und ich wusste, dass dies die Tränen der Königin sind, die sie aus ihrem Blute geweint hat. Und durch den Sand wisperte die Klage, leise und gebrochen. Aber die Königin war nirgends in der weiten, offenen Fläche zu erschauen.

Ich ging von hinnen, und an einem Morgen traf ich auf einen Bach, über dem floss ein dünner milchiger Streifen, der sich mit dem Wasser nicht vermischte. Und aus dem Bache summte es hervor, still und zärtlich voll, ein weiches, klagendes Wiegenlied, das niemals endete, und scheinbar ohne Wandel in gleichem Maße dahinfliegend, doch immer neue Klänge aus sich gebar. Und ich wusste, die Milch war der Brust der Königstochter entsprungen, als sie dastand und sich um ihr Kind härmte. Aber sie selbst war nicht da.

Und später kam ich in einer Heide an einen riesigen Stein. Ich ließ mich neben ihm nieder und gewahrte, dass er mit Zeichen bedeckt war, und erkannte Linien und Wege, ähnlich jenen, die in der geheimnisvollen Hand des Königs eingeritzt waren. Hier war der Weise des Königs gewesen und hatte versucht, die Tafel der Welten nachzubilden. Und auch aus dem stummen Stein sprach die Klage mit gewaltiger tonloser Stimme, aus allen Furchen wehevoll hervorbrechend.

Ein andermal gelangte ich auf steilem Grat zu einem Ort, wo der Abgrund sich blicklos in das Dunkel hin auftat. Aber das Dunkel war nicht leer, sondern ein Klingen schwebte darin wie von einer Harfe, schwang dahin in den Raum, verfing sich im Schrankenlosen, kehrte wieder, und war wie eines Herzens Pochen und wiederkehrender Schlag, ein großes Saitenspiel im Dunkel, ein Gesang der Klage. Hier hatte der Sänger des Königs gestanden, und sein Lied hatte den Abgrund gefüllt.

Dann kam ich an eine Wiese, in der ein einziger weitgedehnter Baum stand. Darunter war die Erde aufgewühlt, wie von dem Stoß eines Ungeheuern Schwertes. Und aus der Öffnung stieg ein fernes Raunen der Klage. Da erkannte ich deine Gegenwart.

Aber an einem anderen Tage führten mich meine Schritte in ein Waldtal. Da sah ich auf grauem Moose ein Löckchen sonnenblonder Haare liegen, und es war ein Licht an ihnen, als hätten sie die Sonne in sich getrunken. Und rings um mich zwischen den Büschen war ein sanftes Wandeln von nackten Kinderfüßen, und das Gras neigte sich zu beiden Seiten des Wandeins. Aber es war keine Gestalt dazwischen. Und in den Büschen war eine Rede, nicht wie Klage, sondern wie das klare und friedliche Sagen eines Kindes, das aller Zukunft sicher ist. Aber die Rede kam von keinem Munde, sondern hing und flatterte über den Büschen wie Sommerfäden.“

Der Held erwiderte: „Über all diese Orte bin auch ich gegangen, aber bei den goldenen Haaren meines Kindes habe ich geweilt und habe geweint, und sieben von ihnen habe ich mit mir genommen. Sie leuchten in den sieben Farben des Regenbogens und sind mein Trost auf allen meinen Wegen.

Als ich mich erhob und weiter zog, traf ich auf eine Schar starker Leute, die habe ich bezwungen und mich an ihre Spitze gestellt, um die Welt für meinen König zu erobern.“

Da entsann sich der Meister der Leute im Lande des Reichtums, und er erzählte dem Helden von dem Wahn, der sie befallen habe, und wie tief sie von ihrer Sucht besessen seien. Er klagte ihm, es dünke ihn ein schier unmögliches Beginnen, ihren Sinn zu wenden. „Denn,“ so sagte er, „wo immer der Mensch sich daran hängt, etwas zu sein oder etwas zu wirken, da bleibt seine Wurzel im Menschlichen, und aus seiner Wurzel kann er heil werden, und worin immer er sich bindet, im Wissen oder im Worte, in Schönheit oder in Freude, in Tod oder in ewiger Ehre, er vermag durch sich selbst gelöst zu werden und sein Leben zu gründen; wo aber der Mensch sich an den Trug hängt, etwas zu haben, da reißt er seine Wurzel aus dem Menschlichen, und sie saugt ihm kein Heil mehr aus der Menschenerde, und ich weiß ihm keine Hilfe.“

Der Held sprach: „Ich habe einstens von unserem Könige gehört, dass es möglich sei, Menschen aus allen Irrungen zu befreien, nur aus der Irrung des Goldes nicht. Für die, so dieser verfallen sind, gebe es nur ein Heil: sie müssen den Weg des Ortes geführt werden, von dem das Zauberschwert seine Kräfte leiht.“

Da mussten sie beide wieder denken, wie mit dem König und den Seinen auch die Hand verschollen sei, die Tafel der Welten und Zeiten, und wie der Sturmwind die Wege zu den Orten verschüttet habe, an denen die Kräfte sich erneuern, und die Hand ist nicht da, und der König ist nicht da, die neuen Wege zu verkünden. Und der Schmerz überkam sie mächtiger als je vordem.

Dann bat der Meister um Frist und Aufschub für das belagerte Land, dessen sein Herz sich erbarmt hatte, und der Held gewährte sie. Die beiden vereinbarten noch Zeichen, mit denen sie einander Kunde geben wollten, wenn etwas geschähe, was der eine den andern möchte wissen lassen. Sodann schieden sie, und der Meister zog seines Weges. 117

Indessen hatten die Leute im Lande des Reichtums, um die Gefahr zu wenden, mehrere von denen, die nicht so viel besaßen, dass sie in ihren Augen die Würde eines Menschen erreicht hätten, ergriffen und sie den Reichen, die ihnen Götter dünkten, als blutiges Opfer geschlachtet. Als sich aber auch dieses Tun als fruchtlos erwies und sie nach wie vor Morgen für Morgen am Fuße ihrer Befestigungen die Schar des Helden in gewaltiger Ruhe gelagert erblickten, beschlossen sie, die gewährte Frist auszunützen und nunmehr Boten in jenes Land zu entsenden, dessen Reichtum so unendlich war, dass seine Bewohner für sie allesamt als Götter galten.

Die Boten zogen aus, wichen aber versehentlich vom rechten Wege ab und verirrten sich. Indem sie suchend in der Welt umherstreiften, begegneten sie eines Tages einem Menschen, der trug in seinen Händen einen goldenen Stab, über und über bedeckt mit funkelnden Steinen, von denen ein Strahlen ausging wie von einem der großen Sternbilder. Sein Hut war mit Perlenschnüren umwunden, die die Schätze aller Meere in sich zu sammeln schienen. Alle Reichtümer ihrer Götter zusammengenommen waren wie ein Kinderspiel gegen den unermesslichen Wert der Kleinodien, die der Fremde an sich trug. Bei seinem Anblick sanken sie mit den Gesichtern in den Staub und stammelten Worte der Anbetung, denn was konnte ihnen die Erscheinung anderes bedeuten als den Gott über alle Götter. In Wahrheit aber war es der Schatzmeister des Königs, der damals, als der Sturmwind das Angesicht der Erde verwandelte, die Schätze seines Herrn geborgen und sie seither bewacht hatte. Er ließ sie aufstehen und als sie ihn angstvoll fragten, wer er sei, gab er ihnen Bescheid. Da flehten sie ihn an, er möge ihnen den Königsschatz zeigen. Er führte sie in die Berghöhle, wo die Schätze unübersehbar aneinandergereiht lagen. Da redeten die Boten zueinander: „Wozu sollen wir noch zu jenen Göttern gehen? Lasset uns diesen bitten, dass er mit uns ziehe, denn sicherlich ist er mächtiger als alle Götter, die wir kennen.“ Als sie solche Bitte vor ihn brachten, war er bereit, mit ihnen zu gehen und befahl ihnen, die Schätze zu nehmen und auf ihre Gefährte zu laden; „aber achtet wohl darauf,“ rief er ihnen zu, „dieser Dinge, die der Schmuck der Erde und ein zartes Gewand des Lebens sind, nicht nach Geldesart zu begehren, denn wo einer nach ihrem Besitze verlangt und das edle Gut, das geschaffen ist, Schönheit zu sein und Freude zu wirken, zu eitlem Haben missbrauchen will, zerfallen sie zu Staub vor den gierigen Augen.“ Das vernahmen die Boten mit unendlichem Staunen, und es währte lange, bis sie den Sinn der Worte erfasst hatten ; dann nahmen sie die Schätze auf und traten mit jenem den Helmweg an. Auf der ganzen Fahrt betrachteten sie die auf den Wagen ausgebreiteten Reichtümer nur verstohlen, mit scheuem und angstvollem Blick, und wenn eines der Juwele sich verschob, wagten sie kaum, es zurecht zu legen. Im Lande des Reichtums wurden sie mit rauschender Freude empfangen, denn nun wähnten dessen Insassen, vor dem Helden geborgen und sicher zu sein, da sie den Gott aller Götter in ihren Mauern bargen. Der Schatzmeister aber, der das Irren des Landes erkannt hatte, erließ Gesetze, um ihm zu steuern, und verbot den Götterdienst und die Opfer und die Erniederung der Besitzlosen; aber was er auch unternahm und wie er die Leute beredete, es gelang ihm nicht. Da sie ihm aber unablässig von dem Helden sprachen und baten, er möge sie von der Gefahr befreien, ging er in das Lager hinaus und ließ sich vor den Feldherrn führen. Alsbald erkannten sie einander in großer Freude. Nach einer stillen Weile begann der Held zu reden und erzählte ihm von allen Dingen, die geschehen waren, und auch von dem Meister des Gebetes erzählte er ihm. Dann sprachen sie von dem Lande des Reichtums, und der Held tat seinem Freunde jene einzige Befreiung kund. Da bat der Schatzmeister ihn um neuen Aufschub, und er gewährte ihn. Auch sie setzten noch Zeichen der Botschaft fest, dann trennten sie sich. Der Schatzmeister aber kehrte in das Land des Reichtums zurück und sprach zum Volke: „Nehmet von mir den Rat, wie ihr vor dem Helden bestehen könnet! Fern über Fernen, hinter weiten verschollenen Wegen liegt in dämmerndem Zauber der Ort, von dem das Schwert des Helden seine Kraft und sein Geheimnis nimmt. Diesen Ort müssen wir suchen, und ihr sollet an ihm frei werden in großer Macht und ewige Gewalt empfangen, in der alle Wehr und aller Sieg beschlossen ist.“ Des waren die Leute wohl zufrieden, und sie erbaten von ihren vielgelobten Göttern, den Reichsten des Landes, dass sie selbst den Schatzmeister begleiten sollten. Der aber ließ den Helden seinen Willen und seine Absicht wissen, und im Grauen des nächsten Morgens kam der Held verkleidet zu ihm und schloss sich ihm an. Und auch dem Meister des Gebetes entboten sie Kunde, und auch er kam, um mit ihnen zu gehen, und umfasste den Genossen in lichter Freude, und nun zogen sie mit den Boten des törichten Landes dahin. Da aber von der Zeit des Sturmwindes her die Erde mit all ihren Wegen verwandelt war, beschlossen sie, so lange von Reich zu Reich zu gehen, bis sie an den rechten Ort kämen. Nach manchem Wandertage sahen sie die weithingestreckte Mauer eines Landes vor sich. Sie hielten einen Mann an und fragten ihn, welches Land dies sei.

Der Mann erzählte: ?Als das große Wetter die Erde heimgesucht und ihre Essenzen vermischt hatte, veruneinigten sich die Scharen der Menschen und kamen in Streit miteinander um den Sinn des Lebens, Und jede Schar ging ihres Weges, ein Volk zu sein für sich und sich einen König nach ihrer Meinung zu erwählen. Und auch wir, die wir erkannt hatten, dass einzig die Weisheit Ziel und Grund alles Bestandes ist, taten also und zogen über die Fläche der Erde, um den Weisen und Wissenden zu suchen, der unser Herr sein sollte. So trafen wir auf einen, der saß da mit zurückgeworfenem Haupte und schaute zu den Sternen. Da fragten wir ihn: „Bist du der Weise, der die Welt weiß, also dass seinem Auge kein dunkler Rest standhält, vor seinem Forschen keine Bahn sich verliert, seinem Gedanken die Elemente zulaufen wie die Schafe dem Rufe des Hirten?“ Er antwortete: „Ich weiß um das Leben der Sterne. So weiß ich die Welt.“ Aber wir sprachen weiter: „Und wenn das Beben über die Sterne kommt am Tage der Erneuerung und sie in Stücke schlägt, was weißt du dann?“ Da schwieg er und gab uns keine Antwort. Und weiter trafen wir auf einen, der lag am Strande und schaute in das Meer, und wir taten unsere Frage. Er sagte: „Ich weiß um das Leben des Meeres. So weiß ich die Welt.“ Da fragten wir ihn: „Und wenn die Sonne das Meer trinkt am Tage der Wende, was weißt du dann?“ Darauf schwieg auch er, und wir zogen weiter. So trafen wir manchen Weisen in seinem Schauen, und eines jeden Weisheit zerschellte an unserer Frage. Einmal aber erblickten wir auf unserem Wege einen alten Mann, der saß auf einem Stein, und seine Augen waren weit und schauend offen, aber auf kein Ding oder Wesen im Räume vor ihm gerichtet, sondern es war ein Schauen, das in sich selbst beschlossen und umfriedet war. Ihn fragten wir: „Bist du der Weise, der die Welt weiß?“ Da sah er auf zu uns und sprach: „Ich weiß um meine Seele. Und sie ist das Firmament, das niemand zerbrechen kann. Und sie ist die See, die niemand verschlingen kann.“ So neigten wir uns vor ihm. und baten ihn, unser Fürst zu sein. Da sah er uns wieder an, und dann ging er mit uns, und wir nahmen uns dieses Land zu eigen.“

Da wussten der Meister und seine Leute, dass jener Weise der verlorene Ratgeber des Königs sein müsse. Sie ließen sich ihm melden, und er kam ihnen entgegen und begrüßte sie in Freuden. Und sie besprachen sich mit ihm über alle Dinge, die geschehen waren und geschehen sollten. Als sie ihm von dem Lande des Reichtums erzählten, sagte er zum Meister: „Es ist wahr, dass die vom Golde Betörten durch den Weg zu heilen sind, der zum Orte des Schwertes führt. Aber du musst sie über diesen Ort hinausführen, bis du an einen hohen dunkeln Berg gerätst. Wenn du ihn mit wachsamen Augen umschreitest, wirst du eine schmale Spalte gewahren, eben so weit, dass ein Mensch durch sie Eingang finden kann. Über dieser Tür wirst du riesenhafte Vögel in den Lüften ruhen oder sich bewegen sehen, und daran magst du die rechte Stätte erkennen. Die Tür führt zu einer Höhle. In dieser Höhle ist eine Küche, darin in erzenen Kesseln seit Urbeginn die wahre Speise des Menschengeschlechtes bereitet wird. Feuer wirst du nicht gewahren : es strömt aus den Feuerbergen der Erde in tiefen, unsichtbaren Gängen dem Orte zu; die Vögel in den Lüften fachen es mit ihren Schwingen an oder sänftigen es, je nachdem es Not tut. Die Speise, die das Feuer kocht, ist es, die den Wahn löst. Doch wisse: nur wer aus eigenem Willen den Ort betritt, wird an ihm heil.“ Das Wort war dem Meister schwer, und er und der Weise sprachen zu den Reichen, um den Willen in ihnen zu wecken; und der Weise sprach in großer Klarheit von der Nichtigkeit des Geldes, das nur ein leeres Gebilde des Tausches zwischen Menschen sei und in sich keinen Wert und keine Würde habe, sondern Wert und Würde nur von den schönen und erfreulichen Dingen empfange, die es zusammenbringe oder voneinander trage; und der Meister sprach in heiliger Kraft und Glut, wie alles Eigentum an Dingen eitel und bestandlos sei und allein die Seele, die alles Haben von sich abtue, das wirkliche Leben besitze. Diesen Worten lauschten sie achtsamer als in früherer Zeit, aber wie einer Botschaft in einer fremden Sprache, aus deren Dunkel nur hier und da ein verständliches Wort hervorklingt, und sie waren zum Willen nicht zu bewegen. Da war der Meister tief betrübt, und es war ihm nahe, umzukehren. Aber der Weise sagte: „Lass es dich nicht verdrießen. Ich weiß, der Morgen ist nicht fern, da der Wahn der Erde von ihr gehoben wird wie ein Alptraum der Dämmerung. Wenn uns auch der Weg nicht bekannt ist und wir ihn kaum also in den Weiten suchen können, wie ein Blinder sich seinen ertastet, lass es dich dennoch nicht verdrießen, weiter zu gehen, und der Weg wird dir gegeben werden. Und auch mich lass mit euch gehen. Wisse aber, dass ich die Hand, die Tafel der Welten, aus dem Sturm gerettet habe, und ich habe sie verhüllt, und nie begehrte ich sie anzusehen, denn dies ziemt allein dem Könige, dem allein die Kraft gegeben ist, in ihr zu lesen. Auch sie will ich mit mir nehmen, dass sie in meinem Schutze bleibe.“ So zogen sie denn alle vereint von dannen.

Nach einer Zeit kamen sie wieder an ein Land, und wieder befragten sie einen Mann, dem sie an der Mauer begegneten. Er erzählte: „Als das Wirrsal um den Sinn des Lebens die Menschen auseinander trieb, waren ich und mein Volk die, denen das Wort über alles teuer und bedeutend erschien. Und wir zogen von Stätte zu Stätte, um den Herrn des Wortes zu suchen, der unser König sein sollte. So kamen wir an einen Markt, da stand auf der Rednerbühne ein Mann, der redete zur Menge, und sein Wort schien auf den bloßen Herzen zu liegen wie die Berührung einer Hand. Und wir sprachen zueinander: „Nun werden sie hingehen wie eine große Welle und nach seinem Willen tun!“ Aber als er vollendet hatte, verließen ihn die Leute gemächlich und gingen ihren Geschäften nach wie vordem, und sein Wort schwebte kaum noch über ihrer Haut. Ein andermal kamen wir an einen Garten, da saßen viele Jünglinge um einen Mann im Kreise, und er lehrte sie und erklärte ihnen die Dinge des Himmels und der Erde, und sein Wort war wie ein Feuerstrom. Und wir sprachen zueinander: „Nun wird sein Wort in sie dringen und Wogen brennender Wahrheit zeugen.“ Aber als er geendet hatte, legte einer dem anderen Fragen vor, und der gab Antwort nach der Antwort des Meisters, denn das Wort war in ihren Sinnen starr und lahm geworden und lag wie schwere Schlacken da. Und so geschah es uns noch manches Mal. Aber an einem Morgen kamen wir an eine Waldlichtung, da lehnte an einem Baum ein Mann und sang vor sich hin, in einer sonderlichen Weise; denn er sang und sang, und dann schwieg er, da rauschten die Bäume ihm ein Schwesterlied, und als es erlosch, kamen große, Stimmen von den Felsen her, und wieder begann er, und da schwiegen die Dinge und lauschten, aber wie er innehielt, wurde ein Vogel gehört und bald ein Chor von Vögeln, und ihrem Verstummen antwortete der Bach und sang. So war des Maimes Lied um ihn und lebte allerorten und war doch stets anders und neu, denn jedes der Dinge hatte seine eigene gute Art. Und die Dinge und Wesen gaben den Sang weiter, und die Luft selbst wurde zu einem singenden Munde und trug das Lied in die Welten. Und auch uns erfaßte Lust es zu singen, und es kam auf unsere Lippen, und unser Herz war voll davon. Und es war noch in uns, als wir uns vor ihm neigten und ihn baten, als unser Fürst mit uns zu kommen.“

Da wussten der Meister des Gebetes und die Seinen, dies konnte kein anderer sein als der Sänger des Königs, und sie ließen sich zu ihm führen. Und sie begrüßten einander in Freuden. Als er die Absicht ihres Weges erfahren hatte, zog auch er mit ihnen.

Mitsammen kamen sie nach langer Fahrt wieder an die Grenze eines Landes, und wieder befragten sie einen seiner Bewohner. Er sprach: „Wir sind die, denen in jenen Tagen des Widerstreites offenbarer als je ward, dass nichts der Schönheit gleicht, die in den Wirbeln beharrt und allen Ansturm wandellos überwindet. So beschlossen wir, die Erde zu durchziehen und ein Wesen der Schönheit zu suchen, um in seine Hände die Herrschaft über uns zu legen. Aber die Zeiten gingen dahin, und noch irrten wir herrenlos umher. Denn allüberall war der Friede der Stirnen versengt von der Gier und der Wohlklang der Hände zerstört durch den Kampf, und die Angst der Seele hatte die Haltung zerrissen, und die Augen waren trübe von sinnlosen Bildern. So waren wir schon nahe daran, an unserem Ziel zu verzweifeln, als wir in einer menschenleeren Wildnis auf eine seltsame Frau stießen. Sie saß in silbergrauem Gewande allein in der Wildnis, und ihr Angesicht war weiß und regungslos. Nie hatten wir eine solche Schönheit geschaut und nie einen solchen Schmerz, wie er über ihr war, also dass sie ganz und gar ein Ding des Schmerzes schien. Aber er rührte nicht an ihre Schönheit, die aufrecht und unbewegt weiterblühte. Wir knieten vor der Frau nieder und sprachen unsere Bitte aus, sie möge unser Herr und König werden. Dreimal mussten wir unsere Bitte sprechen, ehe sie uns hörte. Beim dritten Male neigte sie ihr Haupt, mehr ihrem Schmerz gehörend als irgend einem Ding der Welt. Und so ist sie seither geblieben, huldvoll uns gebietend, huldvoll Rat gewährend, verharrend in unbezwingbarer Ferne.“

So wurde die Königstochter gefunden, und wie einen wundersamen Trost empfing sie den Gruß der Getreuen. Und auch sie zog mit den Leuten ihres Vaters dahin, denn über aller Absicht des Weges ward in ihr wie in ihnen das Gefühl der Bestimmung ihrer Schritte und der Wiederbringung alles Verlorenen mächtig.

Es währte eine Zeit, da kamen sie an ein Land, das lag in Schweigen, und nur mit Mühe konnten sie von einem der Insassen Bescheid erlangen. Er sprach: „Dieses hier ist das Land des Todes, und wir, die wir hier leben, leben unter den Flügeln des Todes. Denn als die anderen Menschen die Gewalt des Endes nicht erkennen wollten, sagten wir uns von ihnen los und zogen aus, den Gesalbten des Todes zu suchen. Aber es war uns lange nicht gewährt, ihn zu finden. Denn wie von uns selbst, ob wir uns auch schon seit Jahren geweiht und bereitet hatten, keiner so vollkommen war, dass er nicht in dieser oder jener Weile einen Augenblick lang den Arm des Lebens um seinen Nacken fühlte, so war überall in der Welt nicht einer, der ganz in den Händen des stummen Herrn gestanden hätte. Die er erfasst hatte, wehrten sich wie Ertrinkende, und die sich selbst ihm hingaben, waren wie arme betäubte Motten vor dem Lichte; keiner aber wusste mit aller Seele in seinem Dienst zu leben und allen Sinn des Lebendigseins von ihm zu empfangen. Doch einmal trafen wir am Rand einer Felsenhöhle ein Weib in weißem Haar, das stand starr und ragend, und wir sahen, dass es in den Händen des Todes stand. Auch schien es nicht zu atmen, und so erscheint, wer die Luft des Todes atmet. Und von seinen Augen fielen blutige Tränen auf das Gras vor der Höhle, die töteten alle Halme und drangen in das Herz der in der Erde umhertastenden Keime und töteten sie, und alles Lebendige vor den Füßen des Weibes war verzehrt. So nahmen wir es auf unseren Königswagen und brachten es hierher und gründeten unser Land.“

Der Meister und die Seinen ließen sich vor die Königin führen und neigten sich über ihre Hände, und die Königstochter legte ihre Arme um ihren Hals. Doch sie erwachte aus ihrer Starrheit nicht. Aber als der Meister von dem Wege sprach, den sie gingen, und wie das Ziel ihnen heller werde von Pfad zu Pfad, erhob sie sich, um mit ihnen zu gehen.

Mitsammen kamen sie wieder an ein Land, da erzählte ihnen einer, an den sie sich mit ihrer Frage wandten: „Wir sind die Diener der Ehre. Als wir uns von der übrigen Welt getrennt hatten, wollten wir einen Sohn und Erwählten der Ehre zu unserem Könige machen. Und wir forschten, wer so rein und gerade auf seinem Rechte throne und sein Haus errichtet habe auf dem Sinne künftiger Zeiten, dass er würdig wäre, unser Herr und der Priester unseres Gottes zu sein. Aber da war niemand, dem solches zukam in unseren Augen, denn jedes Pfeils Scheibe und jedes Pflugmessers Acker war die grelle, klirrende Gegenwart. Bis die Sterne uns zu unserem Könige führten. Er saß auf einem Hügel und seine Krone lag neben ihm, aber sein Haupt leuchtete im Glänze einer größeren und unsichtbaren Krone. Sein Blick war hoch über den Dingten und tauchte in die künftige Zeit. Und die Dinge huldigten ihm ringsum in ihrem Schweigen. Der Wind ehrte die grauen Strähne seines Bartes und das Geröll die Fläche seiner Sohlen. Und in seinen Augen spiegelten sich die Augen der Herrin Ehre, und auf seiner Stirn war der Kuss ihres Mundes. So ehrten wir zur Erde gebeugt den Staub zu seinen Füßen und erhoben ihn zu unserem Fürsten.“

An der Schwelle des Palastes trat der König den Seinen entgegen, und vor seinem Gruße schmolz alle Starrheit, in aller Herzen entbrannte die Gnade des Augenblicks. Aber auch jetzt verließ sie das Bild des verlorenen Kindes nicht, und über der Flamme der Gnade schwebte die Wolke der Trauer. Da sprach der König: „Die Zeiten sind erfüllt und die Wege erschlossen, das Irren vollendet sich zum Wissen und der Mangel zur Fülle. So lasst uns nach dem Lande des Kindes ziehen.“ Und sie zogen mit dem König dahin, festen Fußes und geraden Blickes, und kamen auf dem Wege, den er ihnen wies, in ein Land, das war das Land der Freude. Und sie wurden von dem Volke des Landes in Freuden empfangen. Dieses war das Volk, das in den Tagen des Widerstreites sich der Freude angelobt hatte und in die Welt gegangen war, sich den Frohen der Frohen zum König zu erwählen. Doch da war nirgends ein Lachen, auf dem eine Seele einher fuhr, denn jedes war brüchig und der Bitterkeit offen. Und so suchten sie eine lange Zeit. Aber an einem Morgen kam ihnen auf der Landstraße ein Kind entgegen gelaufen, das lief allein und lachend, mit strahlenden Locken, und breitete die festen, kleinen Arme im Morgenwind. Und es blickte all die stummen Dinge auf der Landstraße an, die Bäume und die Kieselsteine, als erzählten sie ihm etwas, und lachte sie an, nicht dem Augenblick erliegend, sondern wie aus großer und heimlicher Kunde. Da sprachen die wandernden Leute zueinander: „Wo ist auf Erden eine Freude wie diese? Alle Menschen lachen über irgend ein Geschehen, und ihr Lachen zerschellt an irgend einem anderen Geschehen. Aber dieses Kind lacht seinem Leben zu, als trüge es in sicherem Sinn alles was geschehen wird, und seine Freude nährt sich vom Glanz der künftigen Dinge.“ Und sie erkoren das Kind zu ihrem Herrn.

Das erzählten sie nun dem König und den Seinen. Und während sie noch sprachen, kam das Kind selbst einhergelaufen, lachend, mit strahlenden Locken, und breitete seine Arme dem König entgegen.

Dieses war die Stunde der Freude. Die närrischen Götter aus dem Lande des Reichtums standen da und gafften und konnten ganz und gar nicht verstehen, welches Glück ihre Begleiter überkam, da sie doch nirgends Gold oder Goldeswert empfangen hatten.

Doch auch ihrer wurde gedacht. Der Weg zum Orte der Höhle, in der die heilende Speise bereitet wird, war nun erschlossen, denn die Hand, die Tafel der Welten, war enthüllt, und der König las in ihr wieder wie vordem. Aber der König bestätigte das Wort des Weisen, nur wer aus eigenem Willen den Ort betrete, werde an ihm heil. Und so redeten all die seligen Genossen zu den Männern aus dem Lande des Reichtums, um den Willen in ihnen zu wecken. Jedoch keines ihrer Worte vermochte in den starren Herzen Wurzel zu fassen. Da geschah es aber, dass von den Reichen einer etliche der Goldmünzen, die er bei sich trug, zu Boden fallen ließ. Und das Kind richtete seine Augen darauf, und die glitzernden Scheiben gefielen ihm, und es nahm sie auf und warf sie in die Luft und lachte. Da fiel der Same des Lachens in die starren Herzen und keimte in ihnen auf. Und die Männer sprachen zueinander: „Wie geht das zu, dass unsere Seele auf diese blanken Dinger gestellt ist?“ Und sie entsetzten sich, und eine Angst vor dem Innern ihres Lebens beschlich sie, und es erschien ihnen toll und ohne Sinn. Aber sie konnten sich nicht losmachen. Und sie riefen zum Meister des Gebetes mit lauter und flehender Stimme: „Bringe uns hinaus!“ So nahm der Meister die Leute aus dem besessenen Lande mit sich und beschritt mit ihnen den Weg und führte sie in die Höhle und gab ihnen von der Speise zu essen. Da erst wurde die ganze Scham des Geldes in ihnen wach, und sie warfen alles Gold, das sie bei sich trugen, wie etwas unsäglich Schmachvolles von sich, und so groß war ihre Scham, dass sie sich auf der Stelle, wo sie standen, mit ihren Händen in die Erde wühlen wollten, um sich zu bergen. Aber der Meister richtete sie durch seinen Zuspruch auf und hieß sie von der Speise nehmen und in ihr Land bringen, dass alle davon kosteten und geheilt würden. Und so geschah es, und die Scham entbrannte im Lande des Reichtums. Und auch die kleinen Leute, die Tiere und Vögel geheißen hatten, schämten sich dessen, dass sie bisher in den eigenen Augen so klein gewesen waren, weil sie kein Geld hatten.

Da aber die Wege erschlossen waren, ging jeder von den Leuten des Königs an seinen Ort, seine Kraft zu erneuern. Und da dies geschehen war und sie wieder Macht hatten über die Seelen des Menschengeschlechtes, sandte sie der König in alle Länder aus, allen Wahn zu heilen, alles Irren zu klären und alle Verwirrung zu lösen. Und die Völker wurden geläutert, und alle wendeten sich dem wahren Sinn des Lebens zu und gaben sich Gott zu eigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Geschichten des Rabbi Nachman