Die Geschichte von dem Klugen und dem Einfältigen

In einer Stadt im Osten lebten zwei reiche Männer, die besaßen vielerlei an Gütern, lange Häuserreihen, Felder so weit man sehen mochte, und blankes Geld in Fülle, und Kostbarkeiten, woran sich ihr Herz erfreuen konnte. Jeder von ihnen hatte einen Sohn, und die beiden Knaben waren einander gar gut, spielten von Kind auf einträchtig miteinander und hielten auch in der Schule zusammen. Der eine war sehr klug, sein Verstand war scharf und hell und kein Ding war so vielgestaltig, dass er es nicht erfasst hätte. Der andere aber war einfach von Art und Geist, er konnte begreifen was schlicht und gerade war, nicht mehr und nicht weniger. Als die beiden Knaben eben dem Lernen entwachsen waren, begab es sich, dass die Väter mit einem Mal verarmten, und es blieb jedem nichts als das Haus, in dem er wohnte. Da sprachen sie zu ihren Söhnen: „Sehet zu, wie ihr euch durch die Welt helft. Wir können euch nicht mehr beistehen, da nichts mehr unser eigen ist, als das Dach über unserem Haupte.“ Der Einfältige, den die Welt unüberwindlich dünkte, schickte sich an, bei einem armseligen Schuster das Handwerk zu erlernen. Der Kluge aber beschloß, sich die Welt zu erobern, kehrte der Heimat den Rücken und zog in die Fremde.

Wie er so auf der Landstraße dahinwanderte, begegnete er einem mächtigen Wagen, auf dem Ballen von Waren aufgetürmt waren und den vier Pferde eben noch mit Mühe zogen. Neben dem Wagen schritt der Kaufmann mit seinen Dienern einher. Als der Kluge ihrer ansichtig wurde, begrüßte er sie und gesellte sich zu ihnen. Sie kamen ins Reden und er erfuhr, dass der Kaufmann aus Warschau war und auf dem Wege nach Hause noch Geschäfte in Menge zu besorgen hatte. Und da er ihn fragte, ob er wohl noch eines anstelligen Dieners bedürfte, und sich ihm anbot, war der Kaufmann gleich willens, es mit ihm zu versuchen, denn er hatte schnell erkannt, dass er einen scharfsinnigen und gewandten Burschen vor sich hatte. Der Jüngling merkte wohl auf die Gepflogenheiten beim Handel und bald wusste er so flink Bescheid, wie nur irgendeiner. Als sie in Warschau ankamen, fragte er unter den Leuten der Stadt herum, welches Ansehen sein Kaufherr unter ihnen genösse. Er erfuhr, dass jener ein geachteter und rechtschaffener Mann sei, aber auch, dass sein Geschäft als schwer gelte, weil er viele Handelsreisen nach entlegenen Ländern unternehme. Als der Kluge so in der Stadt umherging, sah er die Diener in den Warengewölben, und ihre schmucke Tracht und ihr stattliches Aussehen stachen ihm sehr in die Augen. Da beschloß er seinen Dienst aufzugeben und verdingte sich einem Händler, der einen ansehnlichen Laden am Orte hielt. Und wie es der Brauch ist, musste er zuerst mühselige Arbeit um geringen Lohn verrichten. Aber das verdross ihn nicht, und bald gewann er das Vertrauen seines Herrn und hatte teil an der Führung des Geschäftes, bis er dessen völlig kundig war. Als er aber eines Tages merkte, dass hier für ihn nichts mehr zu lernen war, nahm er seinen Abschied und schloss sich einem Kaufmannszuge an, der nach London ging. Er hielt die Augen wacker offen und ließ sich nichts entgehen, was er allerorts an klugen und schicklichen Gebräuchen sah, und worin immer sich ein Land vor den anderen hervortat, das ließ er sich wohl gewiesen sein und nahm es auf. So bereiste er viele Reiche, England, Deutschland, Frankreich, Spanien, und zuletzt kam er nach Italien. Dort sah er gar feine und kunstreiche Geräte der Goldschmiedezunft, dergleichen er in keinem anderen Lande wahrgenommen hatte, und da Ort und Gelegenheit ihm günstig waren, setzte er Fertigkeit und Eifer darein, das Handwerk zu erlernen. Und es bedurfte nicht langer Weile, da brachte seiner Hände Arbeit so Zierliches zutage, dass die ältesten Meister der Stadt eingestehen mussten, ihr Lebtag sei ihnen solches nicht gelungen. Da er es nun so weit gebracht hatte, dass keiner im Land es ihm mehr zuvortat, beschloss er sich dieses Handwerks zu begeben und ein neues zu erlernen, das als ungemein schwierig galt und gleichfalls wohl angesehen war. Und er ging zu einem Meister hin, der bislang unübertroffen war in der Kunst, Menschenköpfe und Tiergestalten und allerlei schöne und erfreuliche Dinge in edle Steine zu schneiden. Bald hatte sein Wille auch diese Kunst bezwungen, und es war keiner unter seinen Genossen, der sich mit ihm hätte messen können. Doch bestand auch das neue Tun vor seinen Augen nicht, und da er seine Hand nun so zu jeder kunstvollen Verrichtung geschickt wusste, gedachte er seinen Geist zu üben und die Natur der Menschen und der Dinge zu ergründen. Er begab sich auf eine hohe Schule, wo ein berühmter Meister der Heilkunde Jünglinge, die aus allen Ländern ihm zuströmten, unterwies. Da erfaßte er die Weisheit seines Lehrers mit solcher Schärfe, dass er jegliches Ding in der Welt und in der Seele des Menschen von Grund aus durchschaute, so dass nichts vor ihm standhielt und alles gering in seinen Augen wurde. Am Ende trieb ihn ein heftiger Widerwille vor der Unvollkommenheit alles Lebens von Ort zu Ort, und er fand nirgends Ruhe. Da gedachte er seiner alten Heimat und beschloss sich ihr wieder zuzuwenden.


Indessen war der Einfältige bei dem Schuster in die Lehre gegangen und hatte sich jahrelang gemüht, nur eben schlecht und recht das Handwerk zu erlernen, aber es war ihm nicht so gar gelungen. Als er ein Paar grober Stiefel halbwegs zustande brachte, tat er eine eigene Werkstatt auf, nahm sich ein Weib und schusterte drauf los. Da er aber sein Handwerk schlecht verstand, kamen nur die ärmsten Leute zu ihm, die wenig bezahlen konnten, und da er überdies sehr lange brauchte, bis er ein Stück fertig bekam, musste er sich arg plagen, bis er das Wenige verdiente. Doch tat dies kärgliche und mühevolle Dasein seiner guten Laune keinen Eintrag, und obgleich er den ganzen Tag oft keinen freien Augenblick zum Essen fand, war er dennoch fröhlich und guter Dinge vom Morgen bis zum Abend. So geschah es zuweilen, dass er, während er den Faden durchs Pech zog, seiner Frau zurief: „Weib, stell mir sofort die Graupensuppe her!“ Da reichte sie ihm ein Stück trockenes Brot. Und indem er es munter verzehrte, sagte er: „Frau, so wie heute ist dir die Graupensuppe noch nie gelungen! So, nun gib mir ein schönes Stück vom Braten!“ Da reichte sie ihm abermals eine tüchtige Scheibe Brot. Als der Schuster auch diese aufgegessen hatte, rief er ganz entzückt: „Frau, dies ist der saftigste Braten, den ich mein Lebtag genossen habe. Jetzt gib mir noch den Nachtisch.“ Und wieder erhielt er ein Stück Brot und pries es als den köstlichsten Kuchen. So würzte er sich jeden Tag den kargen Bissen mit den lustigsten Einfällen, und während er aß, schmeckte er wirklich alle die auserlesenen Leckereien, von denen er sprach. War er aber durstig, so rief er: „Weib, bring mir ein Glas Wein, aber von unserm besten!“ Sie stellte ihm ein Glas Wasser hin und er hielt es gegen das Licht und sagte schmunzelnd: „Ich wette, klareren Wein trinkt auch der König nicht!“ Und es war ihm, als spürte er das allerbeste Getränk auf der Zunge. Und so erging es ihm auch mit seiner Kleidung. Der Schuster und sein Weib hatten zusammen einen ruppigen Schafspelz. War es kalt und er wollte über Land gehen, so redete er zur Frau: „Meine Liebe, leg mir den Pelz um!“ Und dann streichelte er ihn und sprach: „Ist es nicht ein feines Pelzchen? Und wie schön warm es hält!“ Musste er aber irgendwo in der Stadt vorsprechen, so meinte er: „Frau, tu mir den Tuchmantel her!“ Dann legte sie ihm wieder den Pelz um und er sagte lächelnd: „Glänzt das Tuch nicht wie Atlas? Es geht doch nichts über mein Mäntelchen!!“ Und so trug er den alten Pelz auch als Kaftan und als Joppe und war durchaus der Meinung, dass auf der ganzen Welt kein edleres Gewand sei. Hatte er aber mit vieler Mühe einen Schuh zustande gebracht — und sie gerieten ihm immer recht plump und ungeschlacht — , so rief er seine Frau herbei: „Sieh einmal, mein Herz, was für ein süßes und zierliches Schuhchen das ist! Hast du je ein hübscheres gesehen?“ „Na,“ sagte die Frau, „wenn deine Schuhe so vortrefflich geraten, warum nimmst du nur einen Taler für das Paar, während jeder andere Schuster hier am Ort das Doppelte verlangt?“ „Weib,“ lachte er da, „was willst du uns die Laune mit dem verderben, was andere tun? Denk lieber dran, was ich mit einem einzigen Paar Stiefel so von der einen Hand in die andere verdiene.“ Und er zählte auf, was Leder und Pech und Faden ihn koste, und fand, dass ihm bare fünf Groschen als reiner Verdienst blieben, und war der Meinung, dass kein anderes Los dem seinen vorzuziehen sei. Die Leute der Stadt aber kannten den Schuster und seine närrischen Gebräuche wohl und trieben ihren Spott mit ihm. Gar oft geschah es, dass einer bei ihm eintrat, nur um ihn zu necken, aber er merkte es bald und gab dann keine Antwort als die, dass er beharrlich erwiderte: „Nur ohne Spott!“ Fragte ihn einer rechtschaffen und ohne Arg, so gab er schlecht und recht Bescheid, wie er's wusste. Wollte ihn jedoch jemand mit scheinbarem Ernst überlisten, um ihn zu närrischen Reden zu bringen und sich über ihn lustig zu machen, so sagte er ganz fröhlich: „Ei, Freund, sieh doch nur zu, wie ich gar so einfältig bin! Du kannst ein gut Stück klüger sein als ich und bist noch immer ein rechter Narr.“

Eines Tages aber verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, dass der Kluge, der inzwischen in der Fremde ein unmäßig reicher und weiser Herr geworden sei, in seinen Heimatort einziehen werde. Als der Einfältige dies vernahm, schrie er eilend: „Weib, sofort gib mir das beste Festgewand her, damit ich meinem Jugendfreund entgegengehe und ihn begrüße.“ Die Frau tat ihm den zottigen Pelz um, und so lief er vor das Stadttor auf die Landstraße, als eben ein prächtiger Wagen dahergefahren kam, in dem der Kluge glanzreich und würdevoll saß. Der Einfältige hielt das Gefährt an und rief voller Freude: „Gesegnet sei Gott, der dich hierher geführt hat, mein Bruder!“ Und er sagte noch viele liebevolle und fröhliche Worte und gebärdete sich treuherzig und unbekümmert. Dem vielgelehrten Manne erschien dieses Gehaben recht töricht, doch gedachte er der einstigen Jugendfreundschaft, begrüßte den Schuster freundlich, nahm ihn in seinen Wagen auf und fuhr mit ihm in die Stadt. In der langen Zeit aber, die der Kluge fern von der Heimat verbracht hatte, war sein Vater gestorben, und das Haus, das er ihm hinterlassen hatte, war ungepflegt gänzlich, verfallen, so dass er keinen Ort darin fand, wo er hätte wohnen können. Er musste eine Herberge suchen, doch es fand sich in der ganzen Stadt keine, die zu seinem Ansehen und seinen Gewohnheiten gepasst hätte. Der Einfältige aber war nach dem Tode seines Vaters in dessen Haus gezogen, und als er nun die Bedrängnis seines vornehmen Freundes vernahm, suchte er ihn schleunig auf und sprach zu ihm: „Mein Bruder, erweise mir die Ehre und kehre bei mir ein. Du wirst in meinem Hause Raumes genug finden, denn mein Weib und ich bedürfen nur einer einzigen Stube.“ Der Kluge willigte ein, der Einfältige aber eilte heim, raffte den besten Hausrat zusammen, trug ihn in die Stuben, die sein Jugendfreund bewohnen sollte, und hieß seine Frau alles blank scheuern und aufs beste vorbereiten. So kam der Kluge in das Haus des Einfältigen.

Der hohe Ruhm seiner Weisheit und seiner ungezählten Fertigkeiten verbreitete sich alsbald im ganzen Land. Die Großen und Vornehmen des Reiches eilten herbei, um sich an den Proben seines Wissens und seiner Kunst zu ergötzen. So gab ihm ein mächtiger Fürst den Auftrag, ihm einen Ring anzufertigen, so kunstvoll und wunderbar, wie er ihn nur zu ersinnen vermöchte. Der Kluge machte einen Ring und ritzte in ihn das Bildnis eines Baumes mit tausendfältig verschlungenen Ästen und Zweigen, und das Werk geriet ihm so kühn und fein zugleich, dass er sicher war, selbst in Italien, wo man sich wie nirgends auf diese Kunst verstand, könnte nichts seiner Arbeit an die Seite gesetzt werden. Aber der Fürst war ein roher und unkundiger Mensch, der nur groben und schreienden Prunk zu würdigen wusste, und der herrliche Gegenstand fand vor seinen Augen keine Gnade. Den Weisen erfüllte der Unverstand seines Auftraggebers mit heftigem Verdruss. Ein anderes Mal kam wieder ein Vornehmer des Reiches zu ihm und brachte ihm einen Edelstein, darein ein Bildnis geschnitten war, und verlangte von ihm, er möge die Zeichnung auf einen anderen, in Form und Farbe völlig gleichen Stein übertragen. Er machte sich an die Arbeit und sie gelang ihm so sehr, dass nach ihrer Vollendung keiner das Urbild von der Nachahmung zu unterscheiden vermochte. Und alle waren des höchsten Lobes voll; nur sein eigenes Herz schwoll in tiefer Bitterkeit, denn er erkannte einen winzigen, schier nicht sichtbaren Mangel an einer Stelle, die ihm nicht völlig mit der Vorlage übereinstimmend geraten war. Und wiewohl keiner imstande war, ihm diesen Fehler nachzuweisen, nagte die einsame Erkenntnis wie ein Wurm an seiner Seele. Nicht minder unglückselige Erfahrungen trug ihm seine Heilkunst ein. Kranke strömten ihm in Scharen zu. Da kam es einmal vor, dass ein Schwerkranker zu ihm gebracht wurde, dessen Leiden kein Arzt des Landes Einhalt zu tun vermocht hatte. Nun besaß der Weise eine wunderbar wirksame Arznei, von der er sicher wusste, dass sie die Heilung bewirken würde. Aber die Angehörigen des Kranken wendeten das Mittel auf eine ganz verkehrte Weise an, so dass er daran verstarb. Darauf erhoben sie ein großes Geschrei und einen großen Widerwillen gegen den Arzt und warfen ihm vor, er hätte den Kranken getötet. In einem andern Falle tat das gleiche Mittel bei der gleichen Krankheit die erwünschte Wirkung, und siehe, da rühmte sich der Genesene, nicht der fremde Weise und seine Tränklein, sondern seine eigene feste Natur hätte ihn gerettet. Und so brachte dem Klugen seine Heilkunst nur eitel Mühsal und Ärger. Aber auch um sein tägliches Leben war es nicht besser bestellt. So schickte es sich eines Tages, dass er ein Gewand brauchte, und er ließ sich den besten Schneider des Ortes kommen, dem er bis aufs Kleinste auseinandersetzte, wie die Tracht beschaffen sein müsse. Der Meister gab sich viele Mühe, so dass der Anzug ihm wohl geriet und überaus prächtig ausfiel. Bloß der Aufschlag am Ärmel war nicht ganz so geworden, wie der Kluge dies für schicklich erachtet und gewünscht hatte, und dieser Umstand brachte den gelehrten Mann völlig außer sich, denn es machte ihm Sorge, dass man ihn in Spanien wegen dieser verkehrt aufgenähten Ärmelstulpe vielleicht ausgelacht hätte, wenn auch hierzulande die Leute von angemessener Kleidung gar wenig verstanden.

Der Einfältige aber war allzeit guter Dinge und lief mit Scherzen und Gelächter bei dem Klugen aus und ein, was den zuweilen grimmig verdross. Es blieb dem Schuster jedoch nicht lange verborgen, wie trübsinnig sein reicher Freund dahinlebte, und so sprach er eines Tages zu ihm: „Wie ist es nur möglich, dass du bei deiner Weisheit und deinem Reichtum immerzu mit Ungemach und Nöten im Streite liegst, während ich armer und einfältiger Mann friedsam und fröhlich meine Tage lebe? Vielleicht würdest du glücklicher sein, wenn du mit geringem Verstände und arglos wie ich in der Welt stündest.“ „Guter Freund,“ lachte da der Kluge, „das möchte mir immerhin etwa beschieden sein, dass mich eines Tages Krankheit befiele und meinen Verstand zerstörte, also dass ich würde wie du. Du aber kannst ohne Sorge sein, dass dich jemals meine Weisheit überkäme und du vielleicht gar leben müsstest wie ich; denn solches kann nun und niemals geschehen.“

Indessen war es in der ganzen Stadt üblich, den armen Schuster nicht anders als den Einfältigen, und seinen reichen Genossen nicht anders als den Klugen zu nennen, und mit diesen Beinamen standen sie auch in dem Buche eingetragen, in dem man sämtliche Insassen des Ortes nach Namen und Art verzeichnet hatte. Nun fügte es sich einmal, dass der König des Reiches in diesem Buche blätterte und so erfuhr, dass es in einer Stadt seines Landes zwei Männer gab, von denen der eine schlechtweg der Kluge und der andere schlechtweg der Einfältige geheißen wurde. Da erwachte in ihm die Lust, die beiden kennen zu lernen, und er äußerte vor seinem Gefolge den Wunsch, man möge diese Männer zu ihm einladen. Alsbald aber fragte er sich: „Werden die beiden nicht erschrecken, wenn sie plötzlich eine Botschaft ihres Königs trifft? Der Weise wird vor Ehrfurcht nicht wissen, was er zu antworten hat, und der Einfältige am Ende gar ganz zum Narren werden. Es wird deshalb wohlgetan sein, ich wähle zwei meiner Hofleute, einen Klugen zur Botschaft an den Klugen, und einen Einfältigen, dass er mit dem Einfältigen umzugehen verstehe, und sende sie zum Statthalter jener Provinz meines Reiches. Diesem lasse ich mein Vorhaben zu wissen tun, damit er die Boten auf angemessene Art zu den beiden weise. Dann möge man ihnen auch nicht sagen, der König befehle ihnen zu kommen, sondern sie würden ihn erfreuen, wenn sie es täten.“ Ein Kluger ward zu diesem Behufe leicht gefunden, aber schwer war's, einen Einfältigen herbeizuschaffen, denn wo in aller Welt würde solch einer in des Königs Nähe geduldet? Ja in der ganzen Königsstadt war kaum einer zu ermitteln. Dem Herrscher und seinen Beratern war das Nachforschen schon sauer geworden, als ihnen gerade noch beifiel, dass doch ein Einfältiger unter ihnen lebe, des Königs Schatzmeister nämlich, denn unter allen Ämtern am Hofe war seines das einzige, das einem Klugen nicht wohl hätte anvertraut werden mögen, da er ihm leichtlich mehr zu seinem eigenen Nutz und Frommen, als zu dem des Reiches hätte vorstehen können. So wurden also des Königs Schatzmeister und einer von seinen weisen Räten als Boten abgesandt.

Sie kamen zum Statthalter, ließen ihn des Königs Willen wissen und fragten nach den beiden Leuten. Der Statthalter verwunderte sich und sagte ihnen: „Ja, den sie den Klugen nennen, der ist in Wahrheit ein großmächtig weiser, reicher und erfahrener Mann, und der mit Namen der Einfältige heißt, ist der armseligste Tor, den es je gegeben hat.“ Zugleich kam ihm die Geschichte von dem Pelz in den Sinn, die jedermann kannte; er erzählte sie den Boten, damit sie ein Ansehen von dem geringen Verstände des Schusters bekämen. Dann ließ er ein festliches Gewand holen, um es dem Einfältigen zu überschicken, auf dass sein schlechtes Kleid des Königs Auge nicht verletze.

Der Schatzmeister fuhr zum Orte des Schuhmachers, suchte dessen Haus auf, trat ein und überreichte ihm den königlichen Brief. Der Einfältige aber gab ihm das Schreiben zurück und sagte: „Wisse, dass ich des Lesens nicht kundig bin. Du musst mir schon berichten, was hier geschrieben steht, wenn du willst, dass ich es erfahre.“ Da antwortete ihm der Schatzmeister: „Der Sinn der Schrift ist dieser, dass dich der König einlädt, zu ihm zu kommen, denn er hat von dir gehört und ist begierig, dich kennen zu lernen.“ Das dünkte den Schuster sehr verwunderlich und er war bange, es möchte ihn einer zum besten halten. Darum sagte er ganz treuherzig: „Nur ohne Spott!“ Der Bote versicherte ihm: „Wahrhaftig, ohne Spott!“ Da war die Freude des Einfältigen gewaltig. Er tanzte in der Stube herum und rief: „Weib, denke, welch ein Glück, der König ruft mich zu sich!“ Gar fröhlich bestieg er den Wagen. Als ihm jedoch die köstlichen Kleider gereicht wurden, wehrte er sich dagegen und ließ sie sich nicht antun, denn er wollte in seinem geliebten wunderschönen Pelz vor den König treten.

Während die beiden aber sich auf der Fahrt zur Residenz befanden, liefen beim König mannigfaltige Beschwerden über das Wesen und Treiben des Statthalters ein, der sein Amt missbraucht und durch allerlei Ränke und Hinterlist das Land schwer zu Schaden gebracht hatte. Da ergrimmte der Fürst gar sehr über den Übeltäter, und mehr noch über seine eigenen Berater, die ihm diesen Mann als ein Muster von Weisheit und umsichtiger Führung gepriesen hatten, und er rief: „Allzu klug seid ihr mir, und über die Maßen habt ihr mir mit eurer Klugheit Leid angetan.“ Und als die Räte murrten, erboste sich der König nur noch mehr und schrie: „Den einfältigsten Mann will ich zum Statthalter machen, denn seine Torheit kann nicht Schaden tun, wenn er nur redlich ist und einen geraden Sinn hat.“ Wie er so sprach, entsann er sich, dass jener Einfältige, den er zu sich beschieden hatte, schon auf dem Weg zu dem Orte, wo der Statthalter lebte, sein müsse, und er beschloß, gerade ihm diese Würde zu verleihen. Er sandte daher in jene Stadt und befahl, dass man den Einfältigen mit großen Ehren empfange, und dass die weisesten und angesehensten Bürger ihn als ihren Obersten begrüßen sollten. Als der Schuster mit seinem Begleiter des Weges gefahren kam, geschah es, wie der König befohlen hatte. Der Einfältige geriet ob all des Gepränges und der Festlichkeit, mit der man ihm begegnete, in großes Staunen und er rief wie gewöhnlich: „Nur ohne Spott!“ Aber bald überzeugte er sich, dass ihm die Würde wirklich zugedacht war, und er gab sich der Freude hin, dass ihm ein solches Glück beschieden sei. Und wie der Spruch sagt, dass Glück klug macht, so geschah es auch bei dem Schuster. Mit dem Amte ward ihm auch ein gut Teil Verstand, und je länger er sein Land verwaltete, desto mehr wuchs seine Weisheit. Dennoch aber hielt er sich einfach und redlich wie zur Zeit, als er ein armer Schuster gewesen war, und da er sein Leben selbst ohne Ränke verbracht hatte, wusste er Recht und Unrecht wohl zu durchschauen, und sein Richtspruch ward allenthalben geachtet. All sein Volk und seine Ratgeber gewannen Liebe zu ihm und sein Ruhm drang bald zum Könige, der nun nichts sehnlicher wünschte, als einen Mann von so strenger Tugend und schlichter Weisheit an seiner Seite zu haben. So kam es, dass er den Einfältigen zum obersten Minister ernannte und ihm unweit seiner Residenz einen köstlichen Palast erbauen ließ.

Als der andere Königsbote aber zum Klugen kam und seine Nachricht überbrachte, sprach der zu ihm: „Lass uns als vernünftige Leute nichts übereilen und bleibe daher diese Nacht bei mir, damit wir alles wohl überdenken und beratschlagen.“ Und sogleich befahl er, ein reiches Mahl zu rüsten. Während sie aßen, ließ er all seinen Witz glänzen. Nachdem er viele scharfsinnige Dinge vorgetragen hatte, kam er auf die Botschaft des Königs und sprach folgendermaßen: „Wer bin ich, dass ein mächtiger König meiner begehrt? Was gilt mein geringes Vermögen, was mein unbedeutender Verstand gegen die ungemessenen Reichtümer und die glorreiche Weisheit eines Herrschers? Hat er nicht genug der edlen Vasallen und der tiefsinnigen Berater an seinem Hofe, dass er mich kleinen und unwürdigen Mann zu sich bescheiden sollte?“ Nun sann er lange und in sich gekehrt über seine eigenen Worte nach und rief endlich: „Unmöglich ist es, lasse dir sagen, dass ein König dergleichen täte. Übelgesinnte Menschen haben dich betört, als sie dich mit dieser Botschaft zu mir gehen hießen. Die Wahrheit ist, dass es überhaupt keinen König gibt. Oder hast du etwa das Schreiben, das du mir brachtest, aus seiner Hand empfangen?“ Da sprach der Bote: „Nein, ich muss dir gestehen, dass ich es nicht vom Könige selbst, sondern von einem seiner Beamten erhalten habe.“ „Hast du den König denn je zu Gesicht bekommen?“ fragte der Kluge weiter. „Du scheinst mit den Sitten der Könige wenig vertraut zu sein,“ antwortete der Abgesandte, „sonst wüsstest du wohl, dass sie sich gar selten dem Volke zeigen, und wenn es geschieht, so sind sie von so zahlreichem Gefolge umgeben, dass es schwer ist, des Königs ansichtig zu werden.“ „Wenn du es recht bedenkst,“ sprach da der Kluge, „wirst du gewahr werden, wie deine eigenen Worte beweisen, dass ich im Rechte bin. Denn wenn du, der du am Hofe einem wichtigen Amte vorstehst, den König nicht gesehen hast, wer sollte es dann wohl?“ „Wer aber führt denn das Land?“ fragte jener. Darauf erwiderte der Kluge: „Merke wohl auf, was ich dir sage, denn ich bin vielgereist und wohlerfahren. Sieh, im Lande Italia regieren siebzig edle Männer das Reich, sie werden vom Volke erwählt und teilen sich in die Führung der Staatsgeschäfte. Allda kann jeder würdige und verdienstvolle Bürger zur Herrschaft gelangen. Hier aber regieren gewiss die hohen Beamten und Höflinge, sie machen die Gesetze und tun was ihnen beliebt. Fragt aber das Volk: Wer verlangt das von uns ? so antworten sie: Ei, euer König, und an euch ist es, ihm zu gehorchen. Siehe, so gebieten sie nach ihrem Willen, und der König ist nichts als ein leerer Name, den sie ersonnen haben, um das Volk zu schrecken und zu bändigen.“ Da begann die Rede in die Ohren des Boten einzugehen, und der Zweifel wurde stark in ihm. Sein gelehrter Wirt aber redete weiter: „Vieles der Art könnte ich noch vorbringen, aber warte bis morgen, dann hoffe ich dich zu überzeugen.“

Am nächsten Morgen erhoben sie sich zeitig und gingen gemeinsam auf den Marktplatz. Dort trafen sie auf einen Soldaten, und der Kluge redete ihn also an: „Mein lieber Freund, sage mir, wem dienest du?“ „Nun,“ antwortete der, „wem dient wohl ein Soldat? Dem Könige, sollte ich denken!“ „Dienest du schon lange?“ fragte der Weise. „Wohl,“ sprach der, „ich habe in mancher Schlacht treu für meinen Herrn gestanden und achte kein Handwerk höher denn das meine, des Königs Fahne hochzuhalten.“ „Da kennst du deinen König wohl gut,“ sagte der Kluge, „da du ihn also liebst?“ „Ich habe ihn nie gesehen,“ erwiderte jener traurig, „ob es gleich meines Lebens bester Wunsch war.“ Da sprach der Weise zu seinem Begleiter: „Gibt es eine größere Narrheit, als dass einer sein Blut lässt für einen, den es nicht gibt? Und glaube mir, in solchem Irrtum ist das ganze Volk befangen.“ Da ließ sich der Bote von seinem Genossen überzeugen, und als dieser ihm sagte: „So du willens bist, mit mir in die Welt zu ziehen, will ich dir der Menschen kurzen Sinn und verkehrte Meinung allerorten aufdecken,“ war er gleich bereit, und die beiden zogen von dannen.

Wohin sie kamen, vermochten sie nichts anderes zu sehen als Wahn, Verblendung und Irrtum. Die Entdeckung, dass es keinen König geben könne, war ihnen zum Sprichwort und Maßstab für jegliches Ding geworden, und sie pflegten zu sagen: „Dies ist ebenso wahr, wie dass es einen König gibt.“ Indem sie so aller Herren Länder durchzogen und für nichts einen Sinn hatten als für Fehl und Mangel des Menschengeistes, ließen sie ihre äußeren Glücksumstände so völlig außer acht, dass sie gar bald des Lebens Nöte bitterlich erfahren mussten, so dass sie ihre Pferde und was sie sonst an Habe mit sich führten, hingaben, um nur dürftigen Unterhalt zu gewinnen. So aller schicklichen Ausrüstung bar und jeder Unbill armer Wanderer ausgesetzt, zogen sie unverdrossen weiter umher, einen immer größeren Vorrat an trübseligen Erfahrungen sammelnd. Endlich aber beschlossen sie, in die Heimat zurückzukehren, um den gewonnenen Erkenntnisschatz zu verwerten und unter die Leute zu bringen.

So kamen sie in die Stadt, wo der arme Schuster nunmehr als oberster Minister residierte. Als sie durch die Gassen dahinzogen, gewahrten sie vor einem unscheinbaren Häuschen eine große Menschenmenge, die sich um eine Reihe von Wagen gesammelt hatte, fürstliche Karossen und elende Dorfkarren untereinander, und als sie näher hinzutraten, erblickten sie in jedem Gefährt einen Siechen oder Kranken, der begierig darauf harrte, durch die niedere Tür des Häuschens Eingang zu finden. Andere Menschen traten heraus mit strahlenden Mienen und fröhlichen Lobpreisungen für den hilfreichen Mann, der durch seinen lauteren Zuspruch und die gute Kraft seines gesegneten Wesens den Kranken wunderbare Erleichterung in ihren Leiden und manchem völlige Genesung brächte. Der Kluge meinte zuerst, hier wohne ein berühmter Arzt, erfuhr aber zu seiner Verwunderung, dass dieser heilende Mann weder gelehrt, noch der ärztlichen Wissenschaft kundig sei, vielmehr im Munde des Volkes den Ruf eines Wundertäters genieße. Da brach er in ein zorniges Gelächter aus und sprach zu seinem Begleiter: „Haben wir deshalb die ganze Welt durchzogen, um der Narrheiten allergrößte an der Schwelle der Heimat zu finden? Bruder, lasse dir sagen, dies ist ein arger Betrüger, der den unwissenden Leuten das Geld aus der Tasche zieht.“ Sie wandten sich ab und gingen weiter, und da sie seit langem nichts gegessen hatten und Hunger verspürten, suchten sie die letzten Groschen in ihren Taschen zusammen und traten in die nächste Garküche ein, um dort Mahlzeit zu halten. Während sie speisten, verhöhnten sie das Unterfangen des Wundertäters auf laute und unziemliche Weise, so dass der Wirt hinter dem Schanktisch auf sie aufmerksam wurde und verdrießlich ihren Reden lauschte. Da es um die Mittagsstunde war, füllte sich die Speisestube alsbald mit Gästen, die die Worte der beiden mit Unwillen vernahmen, und als noch der Sohn des Wundertäters eintrat und Zeuge ihrer Spottreden werden musste, ergrimmte der Wirt und warf die beiden vor die Türe, und die Leute fielen über sie her und prügelten sie weidlich durch. Die zwei Klugen flohen erbittert von hinnen und eilten zur Stadtwache, um dort Schutz und Recht zu suchen. Als der Hauptmann der Stadtwache vernommen hatte, aus welcher Ursache die beiden misshandelt worden waren, fuhr er auf sie los, überhäufte sie mit Schmähungen und stieß sie endlich hinaus. Denn auch er glaubte an den Wundertäter, der ihm sein schwerkrankes Kind gerettet hatte. Die beiden gingen nun von Gericht zu Gericht und hüben überall ihre Klage an, aber allerorten war der Wundertäter angesehen und verehrt, sie wurden einmal ums andere abgewiesen und bekamen nur bittere Worte und Püffe auf den Weg. Endlich kamen sie vor den Palast des Ministers und baten die Wachen, man möge sie vorlassen, denn ihnen sei groß Unrecht geschehen. Sie wurden vor das Angesicht des Ministers gebracht und dieser, der einstmals der Einfältige geheißen war, erkannte sogleich in dem armseligen und verhetzten Wanderer seinen Jugendgenossen. Der aber erkannte in dem Minister den dürftigen Schuster nicht wieder, denn er trug seine Würde gar stattlich und weise. Der einstige Freund gab sich ihm zu erkennen, begrüßte ihn mit herzlicher Miene und fragte ihn nach seinem Begehren. Da erzählte der Kluge, dass man ihn jämmerlich geschlagen habe, um solch eines Betrügers willen, wie dieser Wundertäter sei, der die ganze Stadt am Narrenseil führe. Der Minister lächelte, tröstete ihn und forderte ihn auf, zunächst mit seinem Begleiter in das Bad zu gehen, wo Diener ihrer harren und ihnen schickliche Gewänder reichen würden. Danach lud er sie ein, sich mit ihm zum Mahle zu setzen. Bei Tische frug der Kluge, der in großer Verwunderung ob des veränderten Wesens und der glänzenden Umstände seines Freundes war: „Sage mir, mein Lieber, wie kamst du nur zu dieser Würde?“ „Mein Herr, der König hat sie mir verliehen,“ erwiderte der Minister. „Wie,“ sagte der Kluge, „auch du bist von diesem Wahnsinn ergriffen und glaubst an einen König! Ich sage dir fürwahr, es gibt keinen König.“ „Wie magst du mir so Ungeheuerliches vorbringen?“ rief der Minister, „schaue ich doch täglich des Königs Angesicht.“ ,;Wer sagt dir,“ höhnte der Kluge, „dass der, mit dem du sprichst, in Wahrheit der König ist? Warst du von Kindheit an mit ihm vertraut? Hast du seinen Vater und Gro?vater gekannt, dass sie Könige waren? Menschen haben dir gesagt, dass dies der König sei. Sie haben dich genarrt.“ Da sprach der Minister zu ihm: „So lebst du denn immer noch in deiner Klügelei und siehst das Leben nicht und tötest jegliche Freude? Sieh, du sagtest einst, es würde dir eher möglich sein, zu meiner Einfalt zu kommen, als mir zu deiner Klugheit. Nun bin ich wohl zu Weisheit gekommen, nie aber wirst du bei der Einfalt einkehren und ihre Gaben empfangen.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Geschichten des Rabbi Nachman