Kapitel 31 - Cook kommt nach Helena.

31. Cook kommt nach Helena.

Der Tag dämmerte – die Dunkelheit der Nacht wich unbestimmten grauen Schatten, die, Grabesschleiern gleich, das ganze düstere, noch immer von dichtem schwadigen Nebel erfüllte Land wie den leise gurgelnden Strom überhingen. Die Massen aber, die bis dahin mit der Nacht verschmolzen gewesen, schienen sich jetzt erst wieder zu einem festeren, compacteren Ganzen auszuscheiden. Es sah fast so aus, als ob sie den Feind ahnten, der sich im Osten gegen sie rüste, denn immer drängten sie ineinander und bildeten bald einen förmlichen Schutz und Wall gegen den gefürchteten Gegner. Wolke thürmte sich über Wolke, und links und rechts klammerte sich der wilde Nebelkreis mit den milchweißen Armen kräftig ein in Busch und Baum des waldigen Ufers; links und rechts stemmte er sich gegen die Landspitze, ja gegen jeden in den Strom hinausragenden Baum, als ob er selbst durch die kleinste Hülfe und Stütze auch neue Kraft und Festigkeit gewinnen könnte. So matt und entkräftet aber auch gestern die Sonne, als sie der Uebermacht weichen mußte, in ihr stilles Lager gestiegen war, so kampfesmuthig und frisch erstand sie heute Morgen wieder, und schon der kühle Luftzug, den sie voraussandte, trieb die Plänkler des Feindes zu Paaren, und warf sie auf die Hauptmacht zurück. Das waren aber auch eben nur Plänkler, kleine naseweise Wölkchen, die in tollem Muthwillen hoch oben in freier Luft spielten, und die ersten sein wollten, die dem Vater Nebel das Nahen des Feindes verkündeten. Schon sein Anblick jagte sie wie Spreu vor sich her, und hoch erröthend, von seinem rosigen Licht übergossen, flüchteten sie schnell in die Arme des Vaters, der sie sich rasch in den Busen schob und nun dem anrückenden Kämpfer die Stirn bot.


Von Westen aus hatte gestern der Sonnengott umsonst gesucht, mit seinen Pfeilen den Schuppenpanzer des Alten zu durchbohren, heute griff er die Sache vom andern Ende an. Der scharfe Nord lieh ihm dazu die Hülfstruppen – pausbäckige Gesellen, die sich rücksichtslos auf den Feind warfen; rohes Volk freilich, aber zu solchem Kampfe ganz geeignet. Die griffen denn auch ohne Zögern von allen Seiten zugleich an, und als sich der Kern der Bestürmten mehr und mehr in sich selbst zusammenzog, da demaskirte plötzlich Gott Phöbus seine gewaltigen Batterien. – Hellleuchtende Strahlen schoß er mitten hinein in die scheu Zurückweichenden – wie glühende Keile trieb er die Licht- und Sonnenboten selbst in das Herz der nach allen Himmelsgegenden hin geformten Carrés, von oben herab kamen seine Streiche, das Haupt trafen sie, trotz Schild und Wehr, und zurückgeworfen von der fürchterlichen, unwiderstehlichen Gewalt, wichen die Massen und geriethen in Schwanken.

Das aber hatten die leichten Bataillone der derben Nordwinde kaum bemerkt, als sie sich mit erneuter Kraft auf den einmal in Unordnung gebrachten Feind stürzten. Hier und da sonderten sie einzelne schwache Schwärme von dem Hauptcorps ab und trieben sie rasch hinaus in alle Weite – mehr und mehr drangen sie nach dem Centrum vor, wo noch der trotzige Alte in voller Stärke die weiße wehende Fahne schwang, immer näher rückten sie dem Panier, immer näher und näher, und jetzt – jetzt hatten sie es erreicht, jetzt trieben sie die um dieses geschaarten Kerntruppen erst langsam und schwerfällig, dann immer rascher vor sich hin, und nun, – einmal zum Weichen gebracht, zeigte das ganze Gefilde bald nichts als flüchtige Massen, die sich links und rechts in wilder, unordentlicher Eile durch die wehenden Wipfel des Urwalds jagten. Hinterdrein aber, daß die alten Bäume gar bedenklich dazu mit den wehenden Zweigen schüttelten, die jungen schlanken Weiden aber den Flüchtigen sehnend die Arme nachbreiteten, stürmten die kecken Nordbrisen immer toller, immer muthwilliger, und drangen durch den rauschenden Hain und sprangen über die leichtgekräuselte Fluth. Droben am Himmel indeß, in all' ihrer siegreichen Herrlichkeit, stieg die glühende, funkelnde Sonnenscheibe empor, zu stolz, den Feind zu verfolgen, den sie geschlagen, zu rein aber auch, um sich ihr helles Himmelslicht durch seinen giftigen Hauch verhüllen zu lassen.

Adele stand in Hedwig's Zimmer an dem Eckfenster und blickte sinnend nach dem aufsteigenden Tagesgestirn hinüber, dessen Strahlen eben die Nebel theilten und ihr holdes Antlitz mit zartem rosigen Hauch übergossen.

„Sieh, Hedwig,“ sagte sie jetzt plötzlich und wandte sich nach der Freundin um – „sieh nur, wie die Sonne jetzt auch den letzten Zwang abzuwerfen scheint und frei und rein aus den häßlichen Schatten heraustritt; man sieht fast, wie sie hoch aufathmet und ordentlich froh ist, all' den Zwang und Dunst überwunden zu haben. – Ach, ist mir's doch gerade so, wenn ich aus der Stadt komme und den Fuß in den freien, herrlichen Wald mit seinen Blüthen und Blumen setze.“

Mrs. Dayton war neben sie getreten und schlug das große treue Auge zu dem reinen, von keinem Wölkchen getrübten Firmament empor. Zwei klare Thränen hingen aber an ihren Wimpern, und sie wandte sich ab, sie zu verbergen.

„Hedwig,“ sagte Adele leise und ergriff die Hand der Freundin – „was fehlt Dir? Du bist seit gestern Abend so ernst geworden – hat Dich Mariens Zustand –?“

Mrs. Dayton schüttelte leicht mit dem Kopf und sagte seufzend:

„Weiß ich's denn selbst, was mich drückt? Seit gestern, ja seit wir von Livelys zurückritten, ist mir das Herz so beklemmt, daß ich in einem fort weinen möchte und doch nicht sagen kann warum.“

„Jener Vorfall dort hat Dich so angegriffen,“ beruhigte sie die Freundin, „liegt mir's doch selber seit der Zeit ordentlich in den Gliedern. Es war recht häßlich, daß wir auch gerade draußen sein mußten.“

„Ach nein – das ist es nicht allein,“ erwiderte Mrs. Dayton unruhig – „auch hier – das ganze Verhältniß in Helena wird mir von Tag zu Tag drückender. Dayton lebt jetzt mehr außer dem Hause als bei uns, und ist seit kurzer Zeit total verändert.“

„Ja, das sei Gott geklagt,“ betheuerte Adele, „sonst war er froh und heiter, oft sogar selbst ausgelassen lustig – weißt Du noch, wie Du über mich lachtest, als ich mich deshalb vor ihm gefürchtet hatte – und jetzt ist er ernst wie ein Methodist, spricht wenig, raucht viel, und fährt vom Stuhl auf, wenn nur irgend Jemand unten vorbeigeht.“

„Er hat davon gesprochen, daß wir Helena verlassen wollen,“ sagte Mrs. Dayton – „wollte Gott, das könnte heute geschehen. – Helena wird mir mit jedem Tag verhaßter, je mehr die Einwohner wilder und roher zu werden scheinen.“

„Das sind die Einwohner nicht,“ entgegnete Adele, „die verhalten sich ziemlich ruhig, nur die vielen fremden Bootsleute, welche hier fortwährend kommen und gehen, werden die Ursache des ewigen Haders und Unfriedens; ach, ich wollte ja auch froh sein, wenn ich Helena verlassen könnte. Ist denn Mr. Dayton die Nacht noch nach Hause gekommen? Ich hörte die Thür öffnen.“

„Ja, er kehrte etwas nach zwei Uhr und todtmatt zurück – das ewige Reiten, und noch dazu in Nacht und Nebel und in der feuchten Sumpfluft, muß ihn ja endlich aufreiben. – Aber es wird bald Zeit, daß ich ihn wecken lasse, er wollte um acht Uhr aufstehen.“

„Wer war denn der fremde Neger, dem ich heute Morgen hier unten im Hause begegnete?“ frug jetzt Adele – „er schaute ganz entsetzlich wild und verstört drein – ich erschrak ordentlich, als er mich ansah.“

„Den hat Dayton, wie er mir nur flüchtig sagte, gestern von durchziehenden Auswanderern billig gekauft – er ist wohl unterwegs krank geworden. Morgen oder übermorgen will er ihn auf eine Plantage nach Mississippi hinüberschicken. Aber wie geht es denn Marie?“

„Hoffentlich besser – ich sah heute Morgen einen Augenblick in ihre Kammer hinein, und sie schlief sanft und süß; Nancy soll mich rufen, wenn sie er wacht. Vorher werde ich auch noch auf einen Augenblick nach Mrs. Smart hinübergehen müssen; sie hat mich darum gebeten, ihr Nachricht von dem Befinden der Kranken zu geben.“

„Dann leg' Dich aber auch nachher selbst ein wenig nieder,“ sagte Mrs. Dayton, „Ruhe wird Dir gut thun, Du hast ja fast die ganze Nacht kein Auge geschlossen.“

„Ich bin nicht ermüdet,“ entgegnete Adele wehmüthig – „ach wie gern wollte ich Nacht für Nacht an der Unglücklichen Bett sitzen, wenn ich nur dadurch ihren Zustand um das Mindeste lindern könnte. Wo aber Mr. Hawes sein mag? Wie Mrs. Lively Cäsar draußen gesagt hat, ist er schon gestern Nachmittag hierherzu aufgebrochen. Es ist doch kaum wahrscheinlich, daß er gleich übergefahren wäre, ohne noch einmal hier erst vorzusprechen.“

„Sollte er vielleicht von dem Zustand seiner Frau Kunde erlangt haben und, ihren Aufenthalt nicht kennend, nach Hause gesprengt sein? – Aber wahrhaftig – da kommt er die Straße herab und zwar im vollen Carrière gerade auf unser Haus zu. – Der arme – arme Mann!“

„Das ist Mr. Hawes nicht!“ rief Adele, die sich rasch nach ihm umwandte und den Blick hinabwarf, „das ist der Mann, dessen Kleider er gestern trug – Mr. Cook – was mag der wollen?“

Der Reiter zügelte in diesem Moment, und zwar dicht vor ihrem eigenen Hause, sein schnaubendes Pferd scharf ein, sprang aus dem Sattel und gab sich nicht einmal die Mühe, das schäumende Thier anzuhängen. Ruhig ließ er ihm den Zügel auf dem Sattelknopf liegen und trat rasch in die Thür, während sein Pony erst den schlanken, schöngeformten Hals schüttelte und den Kopf auf- und niederhob, daß der weiße Schaum rings um es her flog, und dann mit dem rechten Vorderhuf den Grund vor sich zerscharrte und stampfte, als ob es nur ungeduldig hier des Herrn warte und die Hetze so schnell als möglich fortzusetzen wünsche.

Im nächsten Augenblick wurde Cook's rascher Schritt auf der Treppe gehört und seine Stimme frug nach Squire Dayton. Mrs. Dayton übernahm aber hierauf die Antwort; sie öffnete die Thür und bat den jungen Farmer einzutreten. Dieser leistete allerdings der Einladung augenblicklich Folge, entschuldigte sich aber auch zugleich mit der dringenden Nothwendigkeit der Sache, daß er so ungebeten und in so wildem Aufzug vor ihnen erschiene.

„Ich muß den Squire sprechen, Ladies, und möchte Sie bitten, mich sobald als möglich zu ihm zu führen. – Es betrifft Sachen von dringendster Wichtigkeit,“ sagte er heftig.

„Ich will ihn gleich rufen, Sir,“ erwiderte Mrs. Dayton, „er schläft noch, müde und matt von gestriger, vielleicht zu großer Anstrengung –“

„Dann thut es mir leid, ihn gleich wieder so in Anspruch nehmen zu müssen,“ sagte Cook, „aber die Sache, wegen der ich hier bin, betrifft Leben und Eigenthum von vielleicht Tausenden und wird, wie ich fast fürchte, unserer ganzen Energie, unseres stärksten Zusammenwirkens bedürfen, ihr mit Erfolg zu begegnen. Doch Mr. Hawes hat dem Squire wahrscheinlich gestern schon einen ungefähren Ueberblick über das, was wir entdeckten, gegeben.“

„Mr. Hawes?“ riefen beide Frauen erstaunt und zu gleicher Zeit aus, und Mrs. Dayton, die schon die Thürklinke in der Hand hatte, blieb stehen.

„Mr. Hawes war nicht hier – wir haben ihn jede Stunde, ja jeden Augenblick erwartet,“ versicherte Adele – „der Neger brachte den Brief an ihn wieder zurück.“

„Ja – allerdings, aber – wie ist mir denn?“ sagte Cook verwundert, „er kann sich doch wahrlich auf der ebenen, breit ausgehauenen Straße nicht verirrt haben, und sprengte doch gestern Nachmittag nicht allein nach Helena, um selber Squire Dayton aufzusuchen, sondern sogar mit in unserm Auftrag, um ihm vorläufig eine Meldung zu machen, damit er die nöthigen Schritte thun könne.“

„Er war nicht hier.“

Cook blickte sinnend vor sich nieder und stampfte endlich, ziemlich in Gedanken, ungeduldig und fest den schweren Hacken so stark auf den Teppich, daß die Gläser auf dem Tische aneinander stießen. Er schrak zusammen und erröthete; andere Gedanken verdrängten aber bald diese Kleinigkeit. – Er strich sich, wie im Nachdenken über etwas, das er nicht recht begreifen könne, langsam mit der Linken über die Stirn und flüsterte dann noch einmal, aber mehr mit sich selber redend, wie als Frage:

„Also Mr. Hawes war nicht hier?“

„Nein, mit keinem Schritt!“

„Ach, bitte, Mrs. Dayton – rufen Sie den Squire,“ sagte der junge Farmer jetzt plötzlich – „ich muß ihn wahrhaftig sprechen, denn ich fürchte fast –“

„Was fürchten Sie?“ rief die Frau besorgt – „ist denn etwas so Erschreckliches vorgefallen – betrifft es meinen Mann selber?“

„Nein, nein,“ beruhigte sie Cook, „ganz und gar nicht, ich verlange auch nicht Mister Dayton, sondern den Squire in ihm zu sehen. – Ich habe überhaupt noch gar nicht einmal das Vergnügen, ihn persönlich zu kennen.“

„So will ich ihn rufen; bitte, bleiben Sie einen Augenblick hier bei Adelen, ich bin gleich wieder zurück.“

Sie verließ rasch das Zimmer, und Cook, die junge Dame fast gar nicht beachtend, ging rasch und mit untergeschlagenen Armen auf und ab in dem kleinen Raume.

„Sie finden Mrs. Hawes' Betragen sonderbar?“ sagte Adele endlich, „Sie scheinen sogar unruhig darüber.“

Cook blieb vor ihr stehen und sah ihr einige Secunden, noch ganz in seine Gedanken vertieft, in's Auge.

„Ja, Miß,“ sagte er dann und nickte leise mit dem Kopfe – „ja, räthselhaft und – verdächtig; verdächtig von vornherein. Doch das sind Sachen, wegen deren ich lieber mit dem Squire sprechen will, und ich hoffe, wir werden schon Alles zu gutem Ende führen.“

„Wie befindet sich denn der Verwundete?“ frug jetzt Adele. – „Haben Mr. Hawes' Mittel ihm genützt?“

„Mr. Hawes' Mittel? Hawes ist doch kein Doctor!“

„Allerdings – wenigstens sagte er uns, daß er deswegen zurückbleiben müsse.“

„Hm – also nur deshalb – doch es mag sein. – Ja, der Verwundete befindet sich besser – seine kräftige Natur läßt ihn vielleicht sich wieder erholen. Also Mr. Hawes wollte ihn curiren? – Und gerade er war es doch, der ihn, ohne der Uebrigen Dazwischenkunft, getödtet hätte. – Ich will verdammt – ah – bitte um Verzeihung, Miß, aber – ha, ich glaube, der Richter kommt – ich höre Schritte.“

Squire Dayton war es wirklich, der seine Kleider, als ihn Mrs. Dayton von dem Besuch benachrichtigte, rasch übergeworfen hatte und eben jetzt in's Zimmer trat. Er ging auf den jungen Farmer zu und sagte, ihm die Hand entgegenstreckend:

„Herzlich willkommen, Sir, in Helena und in meinem Hause. – Das müssen wichtige Dinge sein, denen ich Ihren angenehmen Besuch so früh zu verdanken habe.“

Er sah blaß und angegriffen aus; die Haare hingen ihm noch wirr um die marmorbleiche Stirn, und die Augen lagen tief in ihren dunkeln Höhlen. Es war fast, als ob Krankheit ihren Schreckensarm nach der sonst so kräftigen Gestalt des starken Mannes ausgestreckt und seine Sehnen erschlafft habe.

„Squire Dayton,“ erwiderte Cook, und hielt dabei den Blick fest und erstaunt auf den Richter geheftet, als ob er hier Jemandem gegenüberstehe, den er schon früher einmal gesehen habe, und sich nun gar nicht erinnern könne, wo und wann das gewesen, „Squire Dayton – ich weiß nicht – alle Wetter, ich muß – ich muß Sie doch schon irgendwo einmal – ha – Mr. Wharton – am Fourche la fave. – Waren Sie nicht, vor vierzehn Tagen etwa, bei dem Regulatorengericht am Fourche la fave?“

„Ich? Nein, in der That nicht,“ lächelte der Squire und sah dem jungen Mann unbefangen in's Auge. – „Ein Regulatorengericht würde zu meiner Stellung als Friedensrichter auch gerade nicht besonders passen. Wie kommen Sie darauf?“

„Dann haben Sie eine merkwürdige Aehnlichkeit mit irgend einem andern Mann, der sich – am Fourche la fave wenigstens – für einen Mr. Wharton von Little Rock ausgegeben hat,“ sagte Cook, sah aber noch immer dabei dem Squire fest und wie es schien ungläubig in's Auge. – „Eine solche Aehnlichkeit in den Gesichtszügen wäre noch gar nicht dagewesen.“

„Wharton – Wharton,“ wiederholte sinnend der Richter – „den Namen habe ich erst kürzlich gehört – Wharton, Wharton – wer erzählte mir doch von einem Wharton – Advocaten, ganz recht. Nun es wird mir schon wieder einfallen. Trösten Sie sich übrigens, ich bin schon mehrere Male für einen Andern angesehen worden. – Mein Gesicht muß doch so ziemlich alltäglich sein, daß es einer Menge anderer gleicht.“

„Das wüßt' ich gerade nicht,“ erwiderte, immer noch fest das Auge auf ihn geheftet, Cook – „Squire – mich soll der Teufel holen, wenn ich nicht glaube – nein, wenn ich es nicht fast gewiß weiß, daß Sie jener Wharton sind. – Ich habe mir die Züge des Advocaten damals zu deutlich eingeprägt.“

„Mr. Cook,“ sagte der Richter jetzt lachend, „ich habe das Vergnügen, Ihnen hier Mrs. Dayton, meine Frau, vorzustellen. Der werden Sie doch wenigstens glauben, daß ich nicht der Advocat Wharton, sondern George Dayton, Friedensrichter hier in Helena und dem County bin.“

Cook machte eine etwas verlegene Verbeugung gegen die ebenfalls lächelnde Dame und sagte dann, jedoch immer noch wie halb zweifelnd:

„Eine wunderbare, merkwürdige Aehnlichkeit bleibt es dann aber – eine Aehnlichkeit, wie sie mir noch gar nicht vorgekommen ist. Selbst die kleine Narbe da auf der Stirn hatte jener Wharton.“

„Und was war es, was mir die Ehre Ihres Besuches heute verschaffte?“

„Kann ich ein paar Worte mit Ihnen allein reden?“ sagte Cook – „durch solch' directe Frage rasch auf die Ursache seines Kommens zurückgeführt. Es ist etwas von höchster Wichtigkeit, und betrifft nicht allein die Sicherheit Helenas, sondern die des ganzen Staates, des ganzen Mississippi.“

Dayton wandte sich, als ob er mit dem Gaste das Zimmer verlassen wollte, nach der Thür, in welcher zu gleicher Zeit Nancy erschien, und Mrs. Dayton sagte rasch:

„Wir wollen gehen, Adele; Marie wird erwacht sein – nicht wahr, Mr. Cook, Sie bleiben doch zu Mittag bei uns?“

„Ich weiß wahrhaftig nicht, Madame, ob ich Ihre freundliche Einladung werde annehmen können,“ erwiderte der Farmer – „es hängt wohl ganz davon ab, wie sich hier unsere Maßregeln gestalten.“

„Nun gut, Sie sollen sich nicht binden; sind Sie zu der Zeit noch in Helena, so finden Sie sich hübsch ordentlich ein – um ein Uhr wird gegessen;“ und ohne weiter ein Antwort abzuwarten, verließ sie, von Adele gefolgt, rasch das Zimmer.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi