Kapitel 32 - Die Aufforderung. – Der entdeckte Mord.

32. Die Aufforderung. – Der entdeckte Mord.

„Squire Dayton,“ sagte Cook, als sich die Thür hinter den Frauen schloß – „Mr. Hawes verließ gestern Nachmittag unsere Farm, und zwar einzig und allein in der Absicht, ja sogar mit dem ganz besondern Auftrag, Sie zu sprechen und Ihnen wichtige Mittheilungen zu machen. Wie ich aber eben höre, so hat er sich hier in Helena nicht einmal sehen lassen. Mrs. Dayton –“


„Sie irren sich,“ entgegnete ihm ruhig der Squire – „er war hier, und wenn Sie in derselben Absicht hierher kommen, wie er selbst, so sehe ich allerdings Ihre Eile und Aufregung gerechtfertigt.“

„Er war hier?“ frug Cook erstaunt – „Mrs. Dayton sagte aber doch –“

„Ich traf ihn unten in der Stadt,“ fiel ihm der Squire in's Wort, „und weil mir die Sache zu wichtig schien, auch nur eine Secunde zu verzögern, so sandte ich ihn, damit er nicht durch einen bloßen Höflichkeitsbesuch die kostbare Zeit vergeuden sollte, augenblicklich nach Sinkville, während ich selbst das zu besorgen übernahm, was hier zu thun blieb. Wie er mir sagte, wollten Sie im Lande oben an Männern aufbieten, was Sie in der Eile zusammen bekommen könnten, damit wir, sobald er zurückkehrte, den entscheidenden Streich führen könnten. Ist das geschehen?“

„Ich sollte es meinen,“ rief Cook schnell – „der Alte und Bill, mit noch ein paar von Drapers sind mit einer tüchtigen Schaar im Anzuge.“

„Gut, dann wollen wir uns wenigstens jetzt so lange ruhig verhalten, bis wir von Sinkville Nachricht bekommen. Mr. Hawes hatte ganz Recht, daß er mir besonders an's Herz legte, die Verbrecher nicht vor dem entscheidenden Schlage gegen das aufsteigende Unwetter zu warnen. Auf jeden Fall möchte es gerathen sein, die Farmer nicht früher nach Helena selbst herein zu lassen, bis wir nicht auch ungesäumt gegen den Feind aufbrechen können.“

„Mr. Hawes mochte damals Recht haben,“ fiel ihm hier Cook in die Rede – „die Sache hat sich jetzt aber geändert. Allerdings waren wir ebenfalls der Meinung, nicht Alle auf einmal in die Stadt zu rücken, denn jene Bande hat ganz gewiß ihre Spione in Helena. James und ich ritten deshalb sogar voraus, und die Uebrigen lagern etwa eine Meile von hier in der ›Scalpprairie,‹ Ihr kennt ja wohl den Platz, Squire, wo vor zwei Jahren die beiden Männer beraubt und scalpirt wurden. Der entscheidende Streich wird auch verschoben werden müssen, bis wir die hinreichende Macht zusammen haben; andere Vorbereitungen sind aber indessen, und zwar hier in der Stadt selbst, nöthig geworden.“

„Hier in Helena?“

„Ja – Hawes wird Ihnen gesagt haben, daß Cotton entflohen ist.“

Der Squire nickte einfach mit dem Kopfe.

„Gut,“ fuhr Cook fort – „im Anfange glaubten wir, er würde entweder suchen in die Sümpfe, oder über den Mississippi hinüber zu entkommen. Dem ist aber nicht so – er muß hier nach Helena zu geflüchtet sein, mein Schwiegervater und Drosly haben seine Spur verfolgt, und so ritten wir Beiden denn, James und ich, gestern Abend noch von zu Hause fort, um heute Morgen gleich von Tag an unsere Forschungen beginnen zu können. Unterwegs wollten wir nun ein paar Stunden lagern und die Pferde rasten lassen, überlegten uns aber die Sache, daß wir nicht wissen könnten, ob wir die Thiere vielleicht in nächster Zeit sehr anstrengen müßten, deshalb beschlossen wir, scharf zuzureiten und im Union-Hotel den Nigger herauszuklopfen. So kam es denn auch, daß wir etwas vor Tagesgrauen den obern Theil der Stadt und zwar, wie James sagte, das Wirthshaus ›zum grauen Bären‹ erreichten, wo noch Licht und Lärm genug war. James verspürte hier merkwürdige Lust nach einer Tasse heißen Kaffee, und da ich ebenfalls nichts dagegen hatte, klopften wir an. Wäre das einfache Klopfen ein Donnerschlag gewesen, der das kleine Nest bis in die Wurzel hinein getroffen, so hätte die Wirkung nicht zauberhafter sein können. Der ganze Lärm verstummte im Nu, und James, der noch ein paar Schritte hinter mir war und die erleuchteten Seitenfenster übersehen konnte, meinte, sie seien dunkel geworden, ehe er hätte Jack Robinson sagen können.“

„Und antwortete Niemand dem Klopfen?“ frug der Richter gespannt.

„Ei, allerdings,“ fuhr Cook fort, „ganz Opossum konnten sie doch nicht gut spielen1), und ein alter Bursche kam endlich heraus und frug, was wir wollten. James, der indessen neben mich trat, brachte jetzt unser Anliegen vor, der Alte aber ließ ihn nicht einmal ausreden, versicherte, keinen Mais und keinen Kaffee zu haben, wünschte uns einen guten Morgen und schlug uns die Thür vor der Nase zu.“

„Nun – und das Verdächtige?“ frug der Richter.

„Ei, ich sollte denken, das wäre verdächtig genug gewesen,“ meinte Cook, „doch hatten wir noch immer kein Arg, gingen wieder zu unseren Pferden zurück, die indessen auf der Straße angebunden standen und ritten eine kurze Strecke nach Helena zu. Da – gerade als wir den offenen Fleck erreichten, wo der einzelne rebenumhangene Gum neben dem Papaodickicht steht – sahen wir von über dem Flusse drüben ein paar Raketen aufsteigen, die nach gar nicht langer Zeit vom ›grauen Bären‹ aus erwidert wurden. Natürlich blieben wir jetzt, wo wir uns gerade befanden, halten, um das, was hier vorging, abzuwarten, und hörten auch in kaum einer halben Stunde die regelmäßigen Ruderschläge eines Bootes, das vom andern Ufer drüben herüberkam. Es konnte etwa von derselben Stelle ausgefahren sein, wo die Raketen aufgeblitzt waren.“

„Und es landete am ›grauen Bären‹?“

„Allerdings that es das,“ erwiderte ihm Cook, „wenigstens an dem Flatboot, welches unter dem Haus am Ufer liegt. Weiter konnten wir freilich für den Augenblick nichts erkennen.“

Der Squire blickte lange Zeit nachdenkend vor sich nieder, endlich wandte er sich rasch gegen den Farmer um und frug ihn: „Wie viel Raketen waren es – und was für Licht hatten sie?“

„Was für Licht?“ frug verwundert der Farmer, der wohl schon Raketen gesehen und davon gehört hatte, eine Lichtunterscheidung aber nicht kannte – „wie viel? – Kennen Sie etwa das Zeichen?“

„Ich? Nein,“ lächelte der Richter – „ich meine nur, wenn es vielleicht blos eine, irgend eine gewöhnliche Rakete war, so konnte die auch zufällig geworfen sein. Flatboote machen sich oft den Spaß oder geben sich auch manchmal Zeichen, wenn zum Beispiel Arbeiter von ihrem Boot vorausgerudert sind und am Ufer warten, ihnen das Fahrzeug anzudeuten, zu dem sie gehören.“

„Ja ja, das weiß ich wohl,“ sagte Cook – „dasselbe würden wir auch gedacht haben – wozu aber dann das augenscheinliche Verborgenhalten Derer im Haus? Weshalb ließen sie uns nicht ein, und öffneten den Anderen, die später kamen, die Thür?“

„Ich weiß nicht,“ meinte Squire Dayton – „Sie können sich doch wohl irren.“

„Ja, Squire,“ sagte der Farmer, etwas eifriger werdend, „wir können uns irren, jetzt aber ist nicht die Zeit, solche Sachen auf die leichte Schulter zu nehmen. Daß eine gefährliche Bande auf jener Insel im Mississippi existirt, wissen wir, und es ist mehr als Wahrscheinlichkeit vorhanden, auch in Helena ein Absteige- und Hehlquartier dieser Schurken zu vermuthen. Jener ›graue Bär‹ soll noch dazu, wie mir James versichert, schon seit lange einen fast mehr als zweideutigen Ruf haben, und andere Verbrechen sind ebenfalls in unserer Nähe, und zwar auf dem festen Lande verübt, von denen der Verdacht noch stärker auf Helena fällt. Der Farmer Howitt, der am Mittwoch Abend hier von Helena fortritt, ist gestern im Walde, gar nicht weit von uns entfernt, erschlagen gefunden, und einen andern armen Teufel haben sie hinter Strong's Postoffice kalt gemacht und beraubt. Cotton ist ebenfalls nach Helena her geflohen, und wir müssen jetzt ernsthafte Maßregeln ergreifen, dem ein Ziel zu setzen.“

?Aber wo ist denn jetzt James Lively?“ frug der Richter und blickte sinnend vor sich nieder – „ist er mit nach Helena gekommen?“

Die Thür öffnete sich und Adele schaute herein.

„Ist es erlaubt, mir nur mein Bonnet zu holen?“ frug das junge Mädchen lächelnd – „ich möchte einen Sprung zu Mrs. Smart gehen und habe es hier liegen lassen – oder sind es Geheimnisse, in denen ich störe? Ich gehe gleich wieder fort.“

Der Richter sah zerstreut zu ihr auf, Cook aber erwiderte:

„Oh bewahre, Miß, nicht für Sie, wenn auch vielleicht für andere Leute. – James Lively, Sir?“ wandte er sich dann wieder, die Frage beantwortend, an den Squire, während Adele, die schon das Bonnet ergriffen hatte und eben wieder hinaus wollte, fast unmerklich zusammenfuhr und ordentlich fühlte, wie sie roth wurde. Das durfte sie die Männer doch nicht merken lassen, und verließ sie jetzt das Zimmer, so mußte sie gerade an ihnen vorbei. Sie trat schnell an den Nähtisch, wo sie den Beiden den Rücken zukehren durfte, und zog ihn auf, als ob sie darinnen etwas suche. Cook fuhr fort:

„James Lively, als wir Zeugen des Vorherbeschriebenen gewesen waren, traute dem Frieden nicht recht und meinte, dem geheimnißvollen Wesen läge wohl noch mehr zu Grunde. Er bat mich also, hierher zu reiten und Sie von dem Vorgegangenen in Kenntniß zu setzen, während er selbst sein Pferd in dem Papaodickicht, neben dem wir hielten, befestigte, und dann zurück zum Hause schleichen wollte. Von Nebel und Dunkelheit begünstigt, hoffte er, heraus zu bekommen, was dort getrieben würde, und er flüsterte mir nur, als ich ihn verließ, noch zu, wir sollten ihn, falls wir selber herauskämen oder nach ihm schickten, in dem Kieferndickicht gleich über dem ›grauen Bären‹ droben finden.“

Adele hatte indessen ihr Sonnenbonnet aufgesetzt, zog es sich fast ganz in die Stirn hinein und schlüpfte gleich darauf mit einem kaum halblaut geflüsterten „Guten Morgen, Gentlemen,“ rasch aus der Thür.

„Mein Rath ist jetzt,“ sprach Cook weiter, ohne den Gruß zu erwidern, ja wahrscheinlich ohne ihn zu hören, „daß wir vor allen Dingen die Spelunke da oben umzingeln, den Insassen derselben die Flucht zu Wasser und zu Lande abschneiden, und dann einmal sehen, was für ein Kern in der Schale sitzt. Wer weiß, ob wir da nicht die Wurzel des ganzen Uebels fassen und vernichten können, so daß wir nachher mit den Uebrigen leichtes Spiel haben.“

„Lieber Mr. Cook,“ sagte der Squire ernst – „auf einen bloßen Verdacht hin kann ich in das Privateigenthum eines Bürgers der Vereinigten Staaten nicht gut eindringen. Ja, wenn Sie nur für irgend etwas eine Art Beweis hätten –“

„Ei zum Henker mit Ihren Beweisen, Sir,“ rief der Hinterwäldler trotzig aus – „wenn ich die hätte, brauchten wir Sie und alle Umstände nicht; Beweise sind es ja gerade, zu denen uns das Gesetz verhelfen soll; finden wir die, nachher werden wir auch wissen, wie wir zu handeln haben.“

„Mein guter Sir,“ erwiderte der Richter achselzuckend – „Sie scheinen zu glauben, daß Sie noch am Fourche la fave sind und nur einen Aufruf ergehen zu lassen brauchen, um die ganze Nachbarschaft zur Ausübung des Lynchgesetzes bereit zu finden. Nicht wahr, Sie gehörten mit zu den Regulatoren?“

„Allerdings,“ sagte finster der junge Mann.

„Nun sehen Sie wohl – Sie werden sich getäuscht finden. Wir leben hier in einer civilisirten Stadt, und so sehr ich auch selbst geneigt bin, jeden Verbrecher seiner gerechten Strafe überliefert zu sehen, so werde ich mich doch andererseits sicherlich jedem willkürlichen Gerichtsverfahren widersetzen.“

„Also haben wir auf Ihre Hülfe nicht zu rechnen?“ frug Cook scharf.

„Allerdings haben Sie das,“ entgegnete der Richter, „ich halte es sogar für meine Pflicht, Ihnen in jeder gerechten Sache Vorschub zu leisten, ebenso aber auch jede ungerechte zu unterdrücken. Uebrigens glaub' ich wirklich,“ brach er plötzlich lächelnd ab, „daß Sie diese Sache mit zu schwarzen Farben sehen. Ich habe jenes Haus schon seit längerer Zeit selber im Verdacht, bin aber ziemlich fest überzeugt, daß es nichts Schlimmeres, wenn das wirklich, als eine Spielhölle ist, die allerdings auch ungesetzlich wäre und deshalb nächstens einmal aufgehoben werden soll. Nur fehlen mir erst noch die Beweise; hab' ich die erst, so sollen auch die Gesetze in aller Strenge ihre Ausübung finden.“

„Ja, das haben wir in Vicksburg gesehen,“ sagte Cook unwillig, „was hat der Magistrat dort ausrichten können? – Nichts! Die Bürger mußten sich erst selbst ihre Hülfe verschaffen, und hätten sie nicht damals die Verbrecher ohne weitere Umstände gehangen, so liefen sie jetzt noch zum Skandal der Menschheit und zur Schande der Stadt herum. Doch wir vertrödeln hier die schöne kostbare Zeit, Squire Dayton, deshalb jetzt direct zu meinem Auftrag. Ich fordere Sie, vermöge der mir verliehenen Vollmacht, hiermit im Namen meiner Nachbarn nochmals auf, uns vor allen Dingen und ohne weiteren Aufschub Ihre Hülfe zu leihen, jene Kneipe, ›zum grauen Bären‹ genannt, zu umstellen und durchsuchen zu lassen. Ich verspreche Ihnen auch noch, daß wir Farmer uns bei der ganzen Sache gar nicht wirklich thätlich betheiligen, sondern nur Ihre Schutzwache bilden wollen. Das Uebrige mag sich später nach dem bestimmen, was wir dort finden.“

„Sir,“ entgegnete ernst der Richter, „bedenken Sie, was Sie thun; Sie wollen gesetzlose Menschen bestrafen, und stellen sich zu gleicher Zeit auf dieselbe Stufe mit ihnen. – Sie wollen –“

Er hielt plötzlich inne und horchte hoch auf, und auch Cook bog sich, aufmerksam lauschend, dem Fenster zu. Ein wunderlicher Laut tönte von dort herauf. Fast wie das schäumende Gebraus der See vor Ausbruch eines Sturmes murmelte es in dumpfen, drohenden Tönen, und nur dann und wann scholl der einzelne gellende Schrei einer zürnenden Menschenstimme hervor aus dem Chaos von immer wachsendem Lärm und Aufruhr. Aus dem Fenster, an dem sie standen, konnten sie die in die Stadt hineinführende Straße übersehen, und von dorther wälzte sich jetzt ein wildverworrener Menschenknäuel gerade auf des Squire Haus zu und verlangte, den Constabler an der Spitze, nach dem Friedensrichter.

„Hallo, da gährt's schon!“ rief jetzt Cook freudig, „nun, Sir, wollen wir doch einmal sehen, ob die Männer von Helena aus anderem Teig geknetet sind, als die vom Fourche la fave.“

Er riß schnell das Fenster auf und rief mit lauter, fröhlicher Stimme auf die Straße hinunter:

„Was giebt's, meine wackeren Burschen? Wo hat's eingeschlagen? Wo brennt's?“

Ein tolles, entsetzliches Geschrei, aus dem nur manchmal die einzelnen Worte „Breidelford – Mörder – Räuber“ hervorschallten, war die Antwort, und Cook, der sich rasch gegen den Richter wandte, sah, daß dieser leichenblaß wurde und vom Fenster zurücktrat.

„Alle Wetter, Sir,“ rief der Farmer und blickte ihn erstaunt an – „Sie werden ja käseweiß – sind Sie krank?“

„Krank? – Ich? Nein – wahrhaftig nicht,“ sagte Squire Dayton schnell – „aber die Nachricht überraschte mich. – Ich weiß kaum, ob ich recht gehört habe – es wäre fürchterlich!“

„Was ich aus dem Gebrüll heraushören kann,“ sagte Cook und griff rasch nach seinem Hute, „ist, daß sie einen gewissen Breidelford ermordet haben – kenne den Menschen nicht.“ Und mit flüchtigen Sätzen sprang er die Treppe hinab, riß beinahe den Constabler um, dem Cäsar eben die Thür geöffnet hatte, und sprang mitten zwischen das Volk hinein.

„Hallo, Boys!“ rief er, als er hier mehrere Bekannte aus der Nachbarschaft erblickte, „seid Ihr gekommen, die Gerichte zu holen, oder was giebt's sonst? Keine Spur von den Mördern gefunden?“

„Noch keine, Cook,“ sagte ein langer Virginier, der sich vorarbeitetete und dem Freunde die Hand bot; „ich denke aber, wir finden sie, haben auch noch gar nicht gesucht, denn die Burschen da wollten sich absolut erst den Richter holen, damit der Magistrat vor allen Dingen die Nase in die Geschichte stecke. Nun, mir kann's recht sein, Zeit wär's aber, daß auch in Helena ein bischen nachgespürt würde.“

„Schändlich ist's!“ rief ein Anderer aus der Schaar – „eine arme alleinstehende Frau zu überfallen. – Das Haus muß versiegelt werden, bis ihre Verwandten kommen – so eine gute, brave Seele, wie sie war.“

„Nun, ihre Güte ließ sich allenfalls noch tragen,“ murrte Einer von der entgegengesetzten Seite, „sie hat in letzter Zeit besonders viel mit verdächtigem Gesindel verkehrt. – Aber, Donnerwetter, wenn das hier dem Einen mitten in der Stadt passiren kann, so ist auch der Andere nicht besonders sicher, und da müssen wir doch sehen, ob wir den Mörder nicht herausbekommen können.“

„Heda, Richter!“ schrie jetzt ein Vierter aus der Menge, „macht, daß Ihr herunterkommt – die Zeit vergeht und die Schufte gewinnen mit jeder Minute nur noch größeren Vorsprung.“

„Gentlemen,“ sagte Squire Dayton, der neben dem Constabler in der Thür erschien, und die Versammelten aufmerksam und forschend zu prüfen schien, mit tiefer, fast tonloser Stimme, „es ist, wie ich eben höre, ein entsetzlicher Mord geschehen. Ohne Zögern sollen augenblicklich die nöthigen Vorkehrungen –“

„Ist schon sämmtlich in bester Ordnung besorgt,“ fiel ihm hier der Virginier ohne große Umstände in die Rede, „der Constabler hat gleich Alles gethan, was sich für den Augenblick nur thun ließ. Vor allen Dingen haben wir den Fluß besetzt, daß uns kein Kahn entrinnen kann. Es fehlt jetzt nur noch eine Untersuchung des Hauses selbst, ob wir dort vielleicht irgend eine Spur von den Mördern finden, und wir wollten Euch dazu abholen, Sir, damit die Sache doch auch ein bischen gesetzlich aussehe und wir später keine weiteren Umstände haben.“

Der Richter schaute wie in tiefen Gedanken die Straße hinunter und hinauf – sein Antlitz hatte eine unheimliche Blässe angenommen, und seine Augen blickten stier und glanzlos. Die Wege, die er übersehen konnte, waren menschenleer, Alles schien sich dem Schauplatze des Mordes zugedrängt zu haben. Da tönte das Geräusch knarrender Ruder an sein Ohr. – Sein Blick flog über den Strom hin und erkannte dort eins jener mächtigen Kielboote, die im Westen Amerikas gewöhnlich noch solche Flüsse befahren, auf denen Dampfer nicht gut angewandt werden konnten, wie sie auch manchmal auf dem Mississippi zu allerlei Zwecken benutzt und, mit Waaren beladen, stromab geführt werden. Es trieb augenscheinlich auf die Stadt zu, und vier Bootsleute arbeiteten langsam mit den schweren Finnen das breitbauchige Fahrzeug dem Land entgegen. Dayton's Lippen umzuckte aber ein triumphirendes Lächeln, denn auf der langen knarrenden Steuerfinne der sogenannten Arche2) flatterte ein roth und grünes Fähnchen.

„Habt Ihr die Geschworenen schon zusammengerufen, Constabler?“ frug er und wandte sich gegen diesen.

„Ja, Sir,“ sagte der Mann, „sie werden wohl schon oben sein.“

„So komm, Gentlemen,“ entgegnete der Squire und schritt, von den Wenigen gefolgt, die bis dahin noch zurückgeblieben waren, rasch dem Hause der Wittwe zu.

Cook war schon ein kleines Stück voraus, und der Virginier wollte ebenfalls gerade folgen, als er sich von der Hand eines jungen Burschen gehalten fühlte, der ihn wie schüchtern mit einem kaum hörbaren „Sir“ anredete.

Er ging in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler gekleidet aber Alles, was er trug, schien nicht für ihn gemacht, und viel zu weit und groß. Der blaue grobe Rock hing ihm förmlich auf den Schultern, und die Aermel bedeckten fast seine Hände. Besonders war ihm der alte schwarze Filz bis tief in die Augen hineingerutscht. Der Virginier lachte, als er ihn ansah.

„Sir,“ sagte der Kleine und wandte sich, um den Davoneilenden nachzusehen, halb von dem Mann, mit dem er sprach, ab – „war der Eine – ich meine den mit dem weißen Filzhut – wirklich der Richter hier aus Helena?“

„Ja wohl, mein Bursche,“ sagte der Lange – „weshalb?“

„Und er heißt – wie heißt er denn eigentlich?“

„Dayton – Squire Dayton nennen sie ihn gewöhnlich; – der Andere, der mit ihm geht, ist der Constabler.“

„Wohnt er hier in der Stadt?“

„Wer? – Der Constabler?“

„Nein, der Richter.“

„Das versteht sich doch wohl von selber, wo denn sonst? Aber ich muß fort. – Nun, was giebt's jetzt noch?“

„Kennt Ihr ihn sonst nicht – ist er vielleicht – wißt Ihr nicht, ob –“

„Nein – kenne ihn weiter gar nicht,“ rief der Virginier und machte sich von der Hand, die ihn hielt, frei, „habe auch jetzt keine Zeit, denn ich möchte nicht gern zu weit zurückbleiben. Wollt Ihr mehr über ihn wissen, so steht da oben am Fenster seine Frau, die wird Euch nähere Auskunft geben.“ – Und er eilte fort, blieb aber gleich darauf unwillkürlich wieder stehen und sah sich nach dem jungen Burschen um. Die Hand, die er eben in der seinigen gehalten, war so weich und warm gewesen – der Hutrand hatte ihn bis jetzt noch ganz daran verhindert gehabt, das Gesicht des Kleinen zu sehen. Dieser mußte sich indessen rasch von ihm abgewandt haben, denn er drehte ihm jetzt den Rücken zu und starrte nach dem geöffneten Fenster hinauf, aus welchem Mrs. Dayton ängstlich der davonstürmenden Volksmenge nachschaute.

„Hallo, Mills!“ rief da Cook dem Virginier zu, „kommt – wir dürfen nicht die Letzten drüben sein.“

„Ay, ay,“ lautete dessen Antwort, indem er dem Rufe rasch Folge leistete „bin gleich dort – merkwürdig zartes Bürschchen das,“ murmelte er dann vor sich selber hin, während er durch schnelleren Lauf das Versäumte wieder nachzuholen suchte, „die Hand fühlte sich an wie fliegendes Eichhornfell – muß mir ihn doch nachher einmal genauer betrachten.“

Der junge Bursche stand vor Squire Dayton's Thür allein, und sein Blick hing stier an dem lieblichen Frauenbild, das sich bleich und thränenden Auges aus dem Fenster bog.

Wenige Secunden schien er mit sich zu kämpfen, that ein paar schnelle Schritte nach dem Hause zu – blieb nochmals stehen, wandte sich, als ob er den Platz fliehen wollte, und trat dennoch plötzlich, wie von einem raschen Entschluß bestimmt, hinein. Gleich darauf schloß sich hinter ihm die Thür.




Im Hause der sonst so genauen und ordentlichen Mrs. Louise Breidelford sah es gar wild und schauerlich aus. – Die stets festverschlossen gehaltene Hausthür stand heute weit geöffnet, und aus und ein strömten Schaaren von Neugierigen, treppauf treppab in dem kleinen Gebäude. Freilich konnten sie nur ein einziges Zimmer betreten, die übrigen hatte der Constabler schon durch gewaltige Vorhängeschlösser verwahrt, und nur hier und da suchten die in reichlicher Anzahl versammelten Knaben und jungen Burschen durch Schlüssellöcher und Thürspalten, wenn auch meist erfolglos, einen Blick in die geheimnißvollen Räume zu gewinnen.

Oben in dem Zimmer aber, wo man die Leiche gefunden, standen in ernstem und feierlichem Schweigen die Leichenbeschauer – geschworene Bürger von Helena – und sahen auf das bleiche, krampfhaft verzerrte Antlitz der Erschlagenen nieder. Wunden hatten sich weiter nicht an ihr gefunden, als am Kopf. Dort war die Haut von dem gewaltigen Faustschlag versehrt, und einzelne Tropfen geronnenen Blutes zeigten die Stelle an, wo sie zum Tod getroffen worden. Der Richter, der zu den Geschworenen trat, hielt ein Paket Papiere in der Hand, das man, nebst einigen Schlüsseln und einem Geldtäschchen, bei ihr gefunden und ihm überliefert hatte.

Der Constabler gab jetzt Bericht, wie man heute Morgen dem Mord auf die Spur gekommen: Die Wachen wollten, ihrer Aussage nach, in der Nacht einen Schrei gehört haben, waren jedoch später durch den Anblick der jetzt Ermordeten selbst beruhigt worden, und achteten nicht weiter darauf, bis sie, und zwar erst mit grauendem Morgen, zwei Männer aus eben dieser Straße kommen und die Uferbank am Flusse hinaufgehen sahen. Wohl fiel ihnen jetzt der gehörte Schrei wieder ein, und sie schritten rasch hinter den Beiden her, verloren sie aber in Dunkelheit und Nebel bald wieder aus den Augen. Indessen war, aber doch erst mit Sonnenaufgang, das Mädchen zurückgekehrt, das Mrs. Breidelford am vorigen Abend zu ihren vor der Stadt wohnenden Eltern geschickt hatte, und fand zu ihrem Erstaunen die Hausthür nicht allein nur angelehnt, sondern auch noch unten im Hause Manches in höchst auffallender Unordnung. Rasch lief sie die Treppe hinauf, und ihr Hülfeschrei, als sie zurückschreckend die Leiche erkannte, rief bald nachher die Nachbarn zusammen. Dort konnte natürlich über den gewaltsam verübten Mord – den noch überdies die wild in den Zimmern umhergestreuten Sachen als Raubmord bestätigten – kein weiterer Zweifel bleiben. Der Ausspruch der Geschworenen lautete:

„Durch heftigen Schlag an den Kopf gewaltsam getödtet!“

Die Aufmerksamkeit der Männer richtete sich jetzt auf das Zimmer selbst, um hier vielleicht etwas zu entdecken, was auf die Spur der Mörder führen konnte. Besonders wichtig schienen hierbei einige Gegenstände, die man, neben einer geleerten Stew-Bowle und der niedergebrannten Lampe, auf dem Tische fand. Es waren dies eine kleine lederne Brieftasche, ein gewöhnliches, aber noch neues und erst wenig gebrauchtes Jagdmesser mit ordinärem Holzgriff, und zwei halbgerauchte und verlöschte Cigarren. Mrs. Breidelford, obgleich das sonst im Westen von Amerika nichts Ungewöhnliches gewesen wäre, hatte selber nie geraucht. Männer mußten sich also auf jeden Fall, und zwar eine ziemlich geraume Zeit, im Innern des Hauses, ja, wenn man das Zeugniß der Wache annahm, auch mit Bewilligung der Frau, aufgehalten haben. – Wer aber konnten diese gewesen sein?

Cook, dem es grauste, in all' dem wilden lauten Treiben der Gerichtsbeamten die Leiche der Frau mit dem blutigen Angesicht so kalt und starr daneben ausgestreckt zu sehen, war mit dem Virginier wieder unten vor die Thür getreten, während indessen oben die gefundenen Sachen von Hand zu Hand gingen und genau besehen und geprüft wurden.

Unter den Leuten, die sich jetzt herzudrängten, befand sich auch ein deutscher Krämer, der in Helena mit allerhand Sachen, sie mochten Namen und Werth haben wie sie wollten, handelte. Dieser aber hatte kaum das Messer gesehen, als er rasch danach griff, es von allen Seiten aufmerksam betrachtete und schnell hin- und herwandte. Die Augen der Umstehenden hafteten schon auf ihm, als wenn sie eine Erklärung erwarteten. Da sagte der kleine Mann, während er das Messer in die Höhe hob und die rechte Hand dabei auf's Herz legte:

„Soll mer Gott helfe – ich waiß, wem das Messerche ischt.“

„Und wem gehört es, Bamberger?“ rief der Constabler und faßte den kleinen Burschen an der Schulter – „heraus mit der Sprache, Mann. – Die Frau ist allerdings mit keinem Messer getödtet, aber der Mörder kann es hier vergessen haben.“

„En elender Mensch will ich sain,“ betheuerte Bamberger, indem er sich gegen den ihn scharf beobachtenden Richter wandte – „en erbärmlicher, elender Mensch, wenn's Messerche nich ä jungem Borschen vom Lande isch – Schämes Lively haißt er met Nomen. – Hot er mer doch erscht am vergangena Donnerschtog ä blanken baaren Silberdoller defir gegebe.“

„James Lively,“ brummte der Constabler, „nun, der hat die Frau nicht ermordet – weiß aber der Henker, wie sein Messer hier hereinkommt.“

„James Lively?“ wiederholte der Richter schnell – „das wäre wunderbar – wo ist Mr. Cook? Nach jenes Mannes Geständniß soll er selbst, gerade mit diesem James Lively heute Morgen, schon vor Tagesanbruch, in Helena gewesen sein. Watchman – Ihr saht heute Morgen zwei Männer rasch am Flußufer hinaufgehen?“

„Ja, allerdings,“ entgegnete der Angeredete – „aber ich kann natürlich nicht gewiß behaupten, daß es die Mörder waren.“

„Gentlemen,“ sagte der Richter ernst – „die Sache verdient mehr Erwägung, als Sie vielleicht jetzt glauben. – Dieser Cook ist ganz plötzlich, und zwar gleich nach jenem am Fourche la fave gehaltenen Regulatorengericht, von dort her hier eingetroffen.“

„Das spricht in der That nicht besonders für Cook,“ erwiderte der Constabler, „James Lively aber ist ein ehrlicher braver Mann, und als solcher auch hinlänglich bekannt.“

„Sein Messer ist hier gefunden worden,“ sagte ruhig der Richter.

„Ja – und zum Henker auch – wir wollen den Burschen doch erst einmal sprechen,“ fiel hier Einer der Beistehenden ein. „Auf jeden Fall sind die Beweise stark genug, einen Verdacht zu erwecken. Ueber dies möchte ich hier noch bemerken, daß vorgestern erst – kaum eine Meile von eben dieses Lively Haus entfernt – ein Mann erschlagen und beraubt gefunden worden ist. – Und wenn er auch des Constablers Freund wäre –“

„Halt da, Sir,“ fiel ihm der Constabler in's Wort, „es soll Niemand sagen, daß ich meine Freunde begünstigte. – Ich bin augenblicklich bereit, James Lively zu verhaften, desto schneller wird er seine Unschuld beweisen können.“

„Heda – wer sagt hier 'was gegen James Lively oder Bill Cook?“ rief in diesem Augenblick der Letztere, indem er rasch in die Thür sprang. Ein Freund von ihm hatte ihn schnell gerufen, damit er sich gegen die auftauchende Anklage vertheidigen könnte. „Hier kommt Cook, und Lively ist auch nicht weit – wer hat Muth oder Unverschämtheit genug, meiner Mutter Sohn einen Mord in's Gesicht zu werfen?“

„Halt, Sir,“ bedeutete ihn ernst der Squire – „nicht mit Prahlen kann solche Sache beseitigt werden. Hier – dieses Messer hat man auf dem Tische neben der Ermordeten gefunden.“

Cook drängte sich durch die ihm bereitwillig Raum gebenden Männer zum Richter hin, erblickte aber kaum das Messer, als er auch die geballte Faust auf den Tisch schlug und ausrief:

„Heilige Dreifaltigkeit! – Hat dieser neunhäutige Schurke auch hier wieder die Hand mit im Spiele? – Steckt denn die blutige Bestie überall? Aber wart', Du sollst uns nicht lange mehr äffen, einmal kommst Du uns doch in die Hände, und dann –“

„Sir?“ sagte der Richter ungeduldig.

„Dieses Messer,“ wandte sich jetzt Cook rasch gegen ihn, „kann kein Anderer als der berüchtigte Cotton hierhergebracht haben. – Der hat es vorgestern Abend, mit noch zwei Kugeltaschen, aus unserem Hause gestohlen. Jetzt dürfen wir aber auch keinen Augenblick mehr verlieren, wenn wir diesen niederträchtigen Schurken noch erreichen wollen. Kommt, Leute, hier gilt es den Staat von einer wahren Geißel zu befreien!“

Der Constabler vertrat ihm auf einen Wink des Richters den Weg, und dieser frug jetzt, ohne des jungen Mannes Entrüstung darüber weiter zu beachten:

„Wann sind Sie heute nach Helena gekommen, Sir?“

„Ich? Weshalb?“ rief Cook ärgerlich.

„Ich verlange meine Frage beantwortet,“ lautete die ernste Entgegnung.

„Nun gut denn, heute Morgen.“

„Und zu welcher Zeit?“

„Ei, zum Donnerwetter – ich führe keine Taschenuhr bei mir,“ sagte Cook unwillig – „'s war noch dunkel – das mag Euch genügen!“

„Und wo hält sich der junge Mann jetzt auf, der, wie Ihr sagt, mit Euch gekommen ist, und dem dieses Messer hier gehört?“

„Squire Dayton – ich habe darüber schon heute Morgen –“

„Ich muß Sie bitten, Sir, meine jetzigen Fragen einfach zu beantworten. Wo ist James Lively in diesem Augenblick?“

„Squire,“ sagte Cook und richtete seinen Blick fest und ernst auf den Richter – „es will mir fast so vorkommen, als ob hier eine Art Spiel mit mir getrieben werden sollte – Wetter noch einmal, ich bin kein Kind mehr! Was bedeuten diese Fragen?“

„Einer Frage gebührt auch eine Antwort,“ sagte in diesem Augenblick eine scharfe, schneidende Stimme, und ein langer, hagerer Mann, dem vier oder fünf Andere, ebenfalls Fremde, folgten, wandte sich freundlich gegen den jungen Farmer. Fast Aller Blicke hefteten sich verwundert auf die so plötzlich Eintretenden, der Richter aber fuhr mit einem freudig überraschten – „Ah!“ – empor, streckte dem Ersten die Hand entgegen und rief in frohem Erstaunen:

„Mr. Porrel, von Sinkville. – Sie kommen wie gerufen, um Theil an unseren Verhandlungen und Geschäften zu nehmen, die, wie ich fast zu fürchten anfange, gar ernster Art werden könnten.“

„Guten Morgen, Squire,“ sagte der eben Gekommene – „es ist, wie ich höre, ein Mord geschehen –“

„Lassen Sie sich die Geschichte ein anderes Mal mittheilen,“ rief Cook unwillig dazwischen und wandte sich der Thür zu – „wir haben jetzt keine Zeit weder für Erzählungen noch für leere Gerichtsformen, wenn wir nicht die Schuldigen indeß wollen entfliehen lassen. Hallo, meine Burschen, wer geht mit mir?“

„Ei, eine ganze Menge, denk' ich,“ sagte der Virginier und sah sich dabei im Kreise um – „vor allen Dingen müssen wir die Kneipe da oben aufheben.“

„Halt, Sir – Ihr seid mein Gefangener!“ rief in diesem Augenblick der Constabler und legte seine Hand auf die Schulter des Farmers – „im Namen des Gesetzes!“

„Das Gesetz soll zum Teufel gehen!“ schrie der Backwoodsman, der keineswegs gesonnen schien, sich solcher Willkür geduldig zu fügen. – „Zurück da, Mann – hierher, Virginny – hierher, meine Helena-Burschen! Das ist Gewalt!“

„Schützt das Gesetz!“ rief es aber von allen Seiten, und wenn der junge riesige Hinterwäldler auch den Constabler wie einen Federball zurückschleuderte und, von dem Virginier und zwei oder drei Anderen unterstützt, der Thür zukämpfte, so sahen sich diese doch bald von der Uebermacht bewältigt, die Cook endlich umschlangen und trotz seines wüthenden Sträubens mit schnell herbeigebrachten Stricken banden.

„Die Pest über Euch!“ schrie der Farmer und suchte, freilich vergebens, seine Arme frei zu bekommen – „nennt Ihr das Gesetz, ehrliche Männer festzuhalten, damit Eure Schurken frei ausgehen? Und Ihr da – vermaledeiter Dintenkleckser – Dayton oder Wharton, wie Ihr nun heißen mögt, Ihr sollt mir Rede stehen für dies – Hallo, Virginny – sind denn keine Männer mehr da?“

„Raum da!“ schrie in diesem Augenblick der baumlange Virginier und stürzte sich mit einigen rasch geworbenen Freunden auf's Neue zwischen die hinein, die Cook gefangen hielten.

„Schützt das Gesetz,“ tönte es ihm aber überall entgegen, und nur Widerstand fand er, wo er Hülfe erwartet. Es schien auch für kurze Zeit wirklich zu einem ernsten Kampfe zu kommen, die Mehrzahl befand sich jedoch zu stark auf Seiten der gesetzlichen Partei – die Uebrigen waren nicht im Stande, den Gefangenen zu befreien, und Dayton, der mit kaltem Lächeln dem tollen Wirniß zugeschaut hatte, gab jetzt ruhig den Befehl, den Gefangenen in die Jail hinüber zu schaffen.

„Virginny!“ rief Cook, als er unten in der Thür stand und den Virginier sah, der sich noch immer vergebens bemühte, bis zu ihm hinzudringen – „wollt Ihr mir einen Gefallen thun?“

„Ruhe da, Sir!“ rief der Constabler – „kein Wort weiter, oder –“

„Ay ay!“ rief der Lange hinüber.

„Keine Verabredungen, Sir, – duldet keine Verabredungen Constabler!“ schrie jener Mr. Porrel und eilte rasch herbei – „Leute – bringt die Beiden auseinander.“

„Warnt James Lively!“ schrie da der Farmer, so laut er schreien konnte, und sah sich im nächsten Augenblick von den Wächtern erfaßt und fortgerissen.

„Ja, aber – wo find' ich ihn?“ rief der Virginier zurück.

„Fort da – weg mit dem Burschen – habt Acht auf Euch – damn you – schlagt ihn zu Boden,“ tobte es indessen von allen Seiten, und während die Einen den Farmer mit sich auf die Straße zogen, verhinderten die Anderen den Virginier, ihm zu folgen, so daß, ehe er im Stande war, sich Bahn zu brechen, die Thür des County-Gefängnisses hinter dem jungen Mann in's Schloß fiel.

Der Virginier schritt, da er sah, daß jeder weitere Versuch vergebens sein würde, die Straße hinunter, während sich die Uebrigen theils um das Haus der Wittwe schaarten, das der Constabler eben verschloß, theils auf dem Platze selber zusammentraten und das Geschehene mit einander besprachen. – Mit seinem Auftrag war er aber gar nicht zufrieden. „Hm,“ brummte er vor sich hin und schob die Hände in die Taschen „jetzt soll ich Jimmy Lively warnen – da werd' ich nach Livelys hinauslaufen können. – Zum Henker auch – ob man denn hier nicht irgendwo ein Pferd kriegen könnte. – He, Bob!“ rief er dann einen Bekannten an, der auf der andern Seite der Straße dem eben beschriebenen Schauplatz gerade zueilte – „wer borgt Einem wohl in der Stadt ein Pferd, wenn man keins hat?“

„Smart,“ lautete die allerdings lakonische Antwort, und der Angeredete, der sich weiter gar nicht nach dem Frager umschaute, eilte rasch vorwärts.

„Smart? – so?“ murmelte der Virginier und sah dem Laufenden nach – „verdammte Eile – kommt auch noch zur rechten Zeit – Smart, muß einmal zu Smart gehen und hören, was er sagt. Daß der Henker übrigens das Reiten hole – bin noch in meinem Leben auf keinem so vierbeinigen Dinge gesessen, außer einmal, wo's mich aber schon abwarf, eh' ich nur recht aufgestiegen war.“

Und mit leise in den Bart gebrummten Flüchen schritt der Lange dem Union-Hotel zu, dort sein Glück zu versuchen.

Fußnoten

1 Das Opossum, die amerikanische Beutelratte, stellt sich, wenn angegriffen oder auch nur berührt, augenblicklich todt und läßt Alles über sich ergehen; es ist daher ein in den Backwoods sehr häufiges und allgemeines Sprüchwort für Jemanden, der sich verstellt, zu sagen: „Er spielt Opossum“.

2 Eine häufige Benennung dieser Fahrzeuge.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi