Kapitel 23 - Die unerwartete Verhaftung.

23. Die unerwartete Verhaftung.

Tom schritt ungeduldig in Frontstreet auf und ab. Dem Richter hatte er versprechen müssen, auf ihn zu warten, und der kam jetzt nicht zurück. Seine Jolle befand sich zur Abfahrt bereit, dicht neben dem dort noch immer vor Spring- und Sterntau liegenden Dampfboot Van Buren, das seine Schäden so weit ausgebessert hatte, um am nächsten Morgen elf Uhr wieder abfahren zu können, und zweimal schon war er die vom Fluß abführende Wallnutstreet in aller Ungeduld hinauf und herunter gelaufen, und immer noch wollte sich der Squire nicht sehen lassen. Der Abend brach dabei mehr und mehr herein, und Tom blieb plötzlich mitten in seinem Marsch stehen, stampfte ärgerlich mit dem Fuße und rief:


„Ei so hol' ihn der Henker, ich gehe wieder zum Fluß hinunter, und läßt er dann noch nichts von sich sehen, dann fahr' ich ohne seinen Wisch ab. Wetter noch einmal, der Constabler in Victoria muß mir überdies beistehen, wenn ich gerechte Sache habe, und wenn ich die nicht habe, kann mir auch die Empfehlung nichts helfen!“

Er schritt Wallnutstreet wieder hinab und bog eben scharf um Frontstreet-Ecke, als ihm auch ganz unerwartet ein Mann entgegenkam, der, den Fremden kaum bemerkend, sein Taschentuch schnell vor das Gesicht hielt, als ob er Zahnschmerzen habe, und dann rasch, aber den Kopf gesenkt, an ihm vorüberschritt.

Nebel und Abenddämmerung vergönnten dem scheidenden Tageslicht nur noch einen schwachen Strahl. Dennoch war er dem Scharfblick des jungen Mannes hinreichend, in dem schnell verhüllten Antlitz des Fremden die Züge eines Mannes zu entdecken, die sich, außer ihren ganzen Eigenthümlichkeiten, ihm auch noch mit einer Schärfe in Herz und Gedächtniß eingegraben hatten, um ein Vergessen unmöglich zu machen.

Es war Eduard Hawes – die blonden, flatternden Locken ließen ihm keinen Zweifel, wenn auch der grobe Farmersrock den für einen Moment erweckt haben mochte. – Es war der Mann, der ihn damals, als er in der Nähe der reizenden Marie Morris sein ganzes irdisches Glück zu finden glaubte und wirklich fand, aus all' seinen süßen, seligen Träumen riß und wieder in die kalte Welt hinausstieß. Ach, Marie hatte ja nicht einmal geahnt, mit welcher Gluth und Leidenschaft der rauhe Jäger an ihr hing! – Wie einen Bruder hatte sie ihn geliebt, und als Hawes, mit Reichthum, Schönheit und dem einfachen Kinde imponirenden Geist dazwischentrat, reichte sie ihm, des Schrittes kaum sich bewußt, den sie that, die Hand. Erst als Tom jetzt in Verzweiflung floh und sie beim Abschied seinen tiefen, kaum bezwungenen Schmerz erkannte, mochte ihr eine Ahnung seiner Gefühle dämmern. Da war es aber zu spät – schon am andern Tage legte der alte Friedensrichter Morris, der Onkel der Braut, der Tom Barnwell wie einen Sohn liebte und auf dessen Verbindung mit seiner Nichte schon als auf den Trost seines Alters gehofft hatte, die Hände der beiden Verlobten in einander und drückte dann die weinende zitternde Braut, selbst mit Thränen im Auge, an sein Herz.

Dieser Hawes, dessen Bild sich Tom Barnwell's Seele mit unauslöschlichen Zügen eingeprägt hatte, stand plötzlich vor ihm, und das ganze Wesen und Benehmen desselben mußte in Tom den fast unwillkürlichen Gedanken erwecken, Jener wolle nicht gesehen sein. Mit Blitzesschnelle stiegen da all' die wirren und fürchterlichen Vermuthungen wieder in ihm auf, die er, seit er Marie gefunden, oft hatte fast gewaltsam zurückdrängen müssen. Hawes hier, wo ein Brief an ihn auf das Land hinausgeschickt war, in einem ganz andern Theile der Stadt, als in dem sich Marie befand! – Wollte er wirklich unerkannt sein, oder war diese Bewegung nur Zufall? All' diese Gedanken zuckten pfeilschnell durch Tom Barnwell's Hirn, als er stehen blieb und der Gestalt des rasch Davoneilenden nachsah. Im Augenblick hatte er sich aber auch wieder insoweit gesammelt, einen festen Entschluß zu fassen; auf keinen Fall durfte er jenen Mann aus den Augen verlieren, denn wußte er wirklich noch nichts von seines Weibes Zustand, so war es nöthig, daß er es erfuhr, und wußte er es – ihm blieb keine Zeit zu längerem Ueberlegen, mit flüchtigen Schritten folgte er dem jungen Mann, der gerade um die nächste linke Ecke bog, und wollte ihm, dort angelangt, eben nachrufen. Da sah er ihn, keine zwei Häuser entfernt, vor einer Thür stehen, an die er augenscheinlich eben erst angeklopft haben mußte. – Daß ihm der, dem er begegnet, gefolgt war, hatte er nicht einmal bemerkt.

Die Straße bildete hier eine Art von freiem Platz, denn die linke Reihe der Häuser war, die zwei vordersten abgerechnet, weiter zurückgerückt und enthielt neben anderen Privatwohnungen auch das etwas allein stehende Gerichtshaus und die County Jail oder das Gefängniß. Schräg diesem gegenüber befand sich aber das Haus, vor welchem der vermeintliche Mr. Hawes jetzt stand, und Tom Barnwell schritt rasch und ohne Zögern auf ihn zu. Jener jedoch, viel zu sehr in sein Klopfen vertieft und vielleicht ungeduldig, daß ihm von innen nicht geöffnet wurde, mußte den sich nahenden Schritt des leichten, mit Moccasins bekleideten Fußes gar nicht gehört haben, denn er bog sich eben zum Schlüsselloch und rief ärgerlich hinein:

„Aber in's drei Teufels Namen, Mrs. Breidelford – ich bin es ja, Sander, und muß Euch wichtiger –“

Er schrak empor – dicht neben sich vernahm er in diesem Augenblick zum ersten Mal die Tritte des ihm Folgenden, und als er überrascht auffuhr, blickte er in das ernste, ruhige Antlitz Tom Barnwell's. Dieser stutzte allerdings über die eben gehörten Worte, war jedoch zu sehr mit dem Zustande Mariens beschäftigt, um ihnen auch nur mehr als flüchtiges Gehör zu schenken. Ueber den Mann selbst aber, der vor ihm stand, blieb ihm kein Zweifel mehr. – Es war Hawes, und Tom, da er das Zurückschrecken und den ängstlichen Blick seines einstigen Nebenbuhlers bemerkte, der scheu die Straße hinabsah, als ob er sich dem vermutheten Feind durch die Flucht entziehen wollte, sagte, ihn mißverstehend, ruhig:

„Fürchten Sie nichts, Sir – ich bin Ihnen nicht in feindlicher Absicht gefolgt und hege in der That keinen Groll gegen Sie. Wenn das aber auch wirklich der Fall wäre, so müßte er jetzt ganz anderen Gefühlen weichen. Wissen Sie, daß Mrs. Hawes hier in der Stadt ist?“

„Ich? – Ja – ich – ich weiß es – ich bin eben auf dem Wege dorthin!“ stotterte der sonst so kecke und zuversichtliche Verbrecher, der aber in diesem Augenblick ganz außer Fassung schien. Stieg ihm der Mann, den er da plötzlich vor sich sah, doch fast wie aus dem Boden herauf, und der Gefahr bewußt, in der er sich befand, vielleicht selbst durch den Platz beunruhigt, an dem er betroffen worden, konnte er sich kaum zu einer Antwort sammeln.

„Was? – Sie wissen es? – und sind auf dem Wege dorthin?“ frug Tom erstaunt – „Mr. Haves, ich begreife nicht – wer wohnt denn in diesem Hause?“

„Nun, Squire Dayton doch!“ rief Sander, der kaum wußte, was er sagte, und noch nicht einmal gesammelt genug, selbst nur dem fest auf ihm haftenden Blick des jungen Bootsmanns zu begegnen.

„Squire Dayton?“ wiederholte Tom langsam und zum ersten Mal mit wirklichem Mißtrauen – „Sie nannten eben einen andern Namen, Sie riefen eine Dame an, der Sie Wichtiges mitzutheilen hätten – nicht so?“

„Ich sage Ihnen, ich bin eben im Begriff, Squire Dayton's Haus aufzusuchen!“ rief da Sander, jetzt zum ersten Mal seine verlorene Fassung wieder gewinnend. – „Die Dame, die hier wohnt, wollte ich nur – sie sollte Krankenwärterin meiner Frau werden, aber sie – sie scheint nicht zu Hause zu sein.“

„Nein – so scheint es,“ erwiderte Tom kalt und war jetzt fest entschlossen, dem Manne nicht von der Seite zu weichen, bis ihm dessen sonderbares Benehmen erklärt sei – „wissen Sie Squire Dayton's Haus?“

„Ja – ja wohl – es liegt an der obern Grenze der Stadt – ich bitte Sie, mich dort anzumelden. – Ich werde gleich nachkommen, Mr. Barnwell, ich hoffe dort das Vergnügen zu haben –“

Er lüftete den Hut und wollte sich von dem jungen Mann abwenden.

„Halt, Sir!“ sagte dieser aber und ergriff seinen Arm – „ich kann Sie nicht so fortlassen – Marie – Mrs. Hawes liegt, ihrer Sinne nicht mächtig, nur wenige Straßen von hier entfernt – und Sie – wie ich jetzt kaum anders glauben kann, wissen darum und wandern in diesen Kleidern, offenbar nicht Ihren eigenen, in einem fremden Theil der Stadt umher.“

„Sie nennen Ursache und Wirkung in einem Athem, Sir –“ erwiderte Sander mit einiger Ungeduld und jetzt wieder vollkommen gefaßt. – „Ich kann Ihnen aber unmöglich hier auf der Straße erzählen, wie ich zu diesen Kleidern gekommen bin, oder was mich gezwungen hat sie anzulegen. – Sollte Sie das interessiren, so können Sie es morgen von Mr. Lively erfahren – jetzt aber bin ich eben, um diese Lumpen los zu werden, im Begriff, mir andere zu kaufen, damit ich mich vor den Ladies in Mr. Dayton's Hause anständiger Weise sehen lassen kann. Uebrigens fühle ich mich Ihnen für den Antheil, den Sie an Mrs. Hawes nehmen, sehr verpflichtet, möchte Ihnen aber zugleich bemerken, daß ich jetzt, da ich zurückgekehrt und selber im Stande bin, für meine Frau zu sorgen, Sie dieses Dienstes oder dieser Gefälligkeit, wie Sie es nun auch nennen wollen, vollkommen entbinde.“

Sander hatte sich nach und nach ganz wieder in seinen alten Trotz hineingearbeitet, und Tom würde auch wohl bei jeder andern Gelegenheit durch seine jetzige Ruhe und Sicherheit getäuscht worden sein. Seine erste augenscheinliche Verlegenheit aber – die groben Kleider des sonst in dieser Hinsicht förmlich stutzerhaften Gecken, ja sogar die Worte, die er von ihm, als Jener sich unbeobachtet glaubte, vernahm, das Alles hatte einen Verdacht in ihm erweckt, den einfache Unbefangenheit von Hawes' Seite nicht allein besiegen konnte. Nur den Arm des Mannes gab er frei, da aus einigen der nächsten Thüren die Köpfe Neugieriger hervorsahen, die Ursache des etwas lebhafter werdenden Gesprächs zu erfahren.

Auch in Mrs. Breidelford's Hause ließ sich oben mit äußerster Vorsicht die Spitze einer Haube blicken, der dann und wann – jedoch rasch niedertauchend, sobald sich einer der beiden Männer gegen ihr Haus wandte – eine rothglänzende Stirn und ein Paar große graue Augen folgten.

„Sie haben Recht, Sir,“ sagte Tom – „die Straße hier ist nicht der Platz zu langen Erzählungen. Ich begleite Sie aber jetzt zu Squire Dayton's Haus, und dort werden Sie hoffentlich den Damen – Ihrer Frau solche nicht verweigern. Folgen Sie mir –“

„Ich sehe nicht ein, Sir, welches Recht Sie haben, mich hier auf öffentlicher Straße anzugreifen,“ sagte jetzt Sander mit ärgerlicher, doch unterdrückter Stimme – „Ihre Gesellschaft ist mir überdies nicht angenehm genug, sie bis dorthin zu beanspruchen. Wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe, bin ich eben im Begriff, Toilette zu machen, und ehe das geschehen ist, bringen Sie mich nicht einmal in die Nähe jener Damen, viel weniger in ihre eigene Wohnung. Ich denke, Sie haben mich jetzt verstanden!“

„Vollkommen!“ sagte Tom; seine Züge nahmen aber einen ernsten, finstern Ausdruck an, und er flüsterte, während er sich zu dem halb von ihm abgewandten Mann niederbog – „Sie wollen nicht mit mir gehen, ich aber schwöre es hier bei meiner rechten Hand – und den Schwur brech' ich nicht, Sir – daß ich Sie zwingen will, mir zu folgen – ein Geheimniß liegt hier zu Grunde, und ich will es enthüllen.“

„Mein Herr!“

„Ha – dort kommt der Squire – so Sir; Widerstand wäre jetzt nutzlos. – Ihres eigenen Selbst wegen vermeiden Sie jedes Aufsehen und folgen Sie uns gutwillig.“

Sander war in peinlicher Verlegenheit. – Wie sollte er die Umstände jener Nacht erklären, die Marie doch jedenfalls schon entdeckt hatte? Sollte er suchen in den Wald zu entkommen? Kaum hundert Schritt von dort, wo sie standen, begannen die Büsche. Er war dabei schnellfüßig wie der Wind und fürchtete kaum, von seinem Feind eingeholt zu werden. Wenn es aber doch geschah – dann hatte er Alles auf eine Karte gesetzt – und verloren. Nein, noch blieb ihm ein anderer Ausweg, Flucht sollte das Letzte sein, denn er wußte recht gut, daß ihm der Kerker von Helena nicht hätte daran verhindern können, die Insel wieder zu erreichen.

„So kommen Sie, Sir,“ erwiderte er nach kaum secundenlangem Nachdenken, „kommen Sie, ich will jetzt Ihrem sonderbaren Willen Folge leisten, später aber werden auch Sie sich nicht weigern, mir für ein Betragen Rede zu stehen, das ich in diesem Augenblick nur in Ihrer ungeheuren Frechheit begründet sehen kann.“

„Genug der Worte,“ sagte Tom mürrisch, und wandte sich, an des jungen Verbrechers Seite, rasch zum Gehen – „es sind deren schon zu viel gewechselt. – Squire Dayton – ich habe das Vergnügen, Ihnen hier Mr. Hawes vorzustellen –“

„Oh, wahrhaftig, Sir – das ist ein glücklicher Zufall, daß Sie jetzt schon eintreffen – der Brief hat Sie wahrscheinlich unterwegs erreicht. – Aber, Mr. Barnwell, ich suchte Sie unten vergebens an Ihrem Boote, und wurde erst von ein paar Dampfbootleuten herauf gewiesen.“

„Ein glücklicher Zufall ließ mich Mr. Hawes treffen,“ sagte Tom hier, mit einem ernsten Blick auf diesen.

„Das Glückliche ist dann ganz auf Ihrer Seite gewesen, Sir,“ entgegnete mürrisch der so wider seinen Willen an's Licht Gezogene, „ich habe Ihre Gesellschaft wahrhaftig nicht gesucht –“

„Aber Gentlemen,“ sagte Dayton erstaunt – „ich begreife nicht –“

„Das ist er, Mr. Nickleton,“ rief da plötzlich eine fremde Stimme von der Mitte der Straße aus, und zwei Männer, die eben an ihnen hatten vorbeigehen wollen, wandten sich jetzt, des Richters Rede unterbrechend, scharf gegen diesen und seine beiden Begleiter um.

„Welcher? Der mit dem Wachstuchhut?“ frug der mit Nickleton Bezeichnete, der Constabler von Helena.

„Ja! bei Gott – das trifft sich prächtig!“ – jubelte der Andere, „packen Sie ihn, mein wackerer Haltefest – bringen Sie ihn auf Numero Sicher!“

„Sir – Ihr seid mein Gefangener,“ sagte der Constabler und legte seine Hand auf Tom's Schulter – „im Namen des Gesetzes!“

Tom blickte ihn erstaunt an, und wirklich kam das Ganze so schnell und unerwartet, und er selbst war mit dem aufgefundenen Gatten Mariens so ganz und gar beschäftigt gewesen, daß er die Gegenwart der Uebrigen erst bemerkte, als sie ihn anredeten. Jetzt aber, mit dem gefürchteten Bannspruch im Ohr, richtete er sich rasch auf und sagte lachend:

„Hallo, Sir! – der Waschbär wird auf dem andern Baume sitzen. – Diesmal habt Ihr Eure Zauberformel wohl an den Unrechten verschwendet, das muß ein Irrthum sein.“

„Seid Ihr nicht gestern den Fluß hinab und dann ganz plötzlich wieder mit einem Dampfschiff aufwärts gefahren?“ frug der Fremde.

„Allerdings bin ich das!“ erwiderte Tom, „und was weiter?“

„Ich wußte es – ich wußte es!“ rief Jener – „thut Eure Pflicht, Constabler, und laßt den Burschen nicht wieder entspringen.“

„Das muß auf jeden Fall ein Irrthum sein, Sir,“ unterbrach ihn hier der Richter und legte seine Hand auf den Arm des Constablers, der Tom noch immer an der Schulter hielt. – „Dieser Gentleman ist ein gewisser Mr. Barnwell von Indiana, mit meinem Hause befreundet, und gewiß nicht der –“

„Thut mir leid, Squire – hier hört die Freundschaft auf. Ihr habt mir übrigens selber den Verhaftsbefehl ausgestellt –“

„Ja, auf Den, der bei diesem Manne eingebrochen war und seinen Geldkasten gewaltsam aufgerissen hatte,“ sagte Dayton – „aber nicht auf –“

„Und das ist der hier!“ rief der Kläger und deutete mit grimmigem Blick auf Tom Barnwell – „das ist der niederträchtige Bursche, der sich heimlicher Weise vom Flußufer aus an einzeln gelegene Häuser anschleicht, und dort, wenn man draußen im Walde an der Arbeit ist, raubt und plündert. – Das ist die Canaille, und ich bin fest überzeugt, er wird schon gestehen, wohin er meine silberne Uhr gebracht hat, wenn er sie nicht etwa gar bei sich trägt.“

Der Abend hatte indessen mehr und mehr gedunkelt, dennoch versammelten sich, durch das laute Gespräch herbeigezogen, eine Menge neugieriger Menschen um Constabler und Richter, und umgaben so die kleine Gruppe. Sander, der es jetzt für das Beste hielt, sich leise zu entfernen, suchte unbemerkt hinter den Bootsmann zu treten, Tom aber ließ ihn, trotz dieser plötzlich gegen ihn auftauchenden Klage, keine Secunde aus den Augen, und Jener sah wohl, daß er, wenn er nicht ebenfalls Aufsehen erregen wollte, die Flucht auf gelegenere Zeit verschieben müsse. Tom Barnwell wandte sich jetzt im Bewußtsein seiner Unschuld ruhig an den Richter und sagte lächelnd:

„Dem Manne hier ist wahrscheinlich Etwas aus seiner Hütte entwendet worden, und er hat nun, Gott weiß aus welchem Irrthum, auf mich einen falschen Verdacht geworfen; ich kann mich auch deshalb nicht durch seine Reden beleidigt fühlen. So unangenehm mir das übrigens in diesem Augenblicke sein mag, so soll es und darf es doch auf keinen Fall die Aufklärung eines gräßlichen Geheimnisses hindern, die uns Mr. Hawes hier wahrscheinlich im Stande ist zu geben. Fürchten die Herren hier, daß ich ihnen entspringe, so mögen sie mit uns gehen – Ihre Gegenwart, Squire, wird hinlängliche Bürgschaft dabei sein. Meine Anklage kann sich nachher bald beseitigen lassen.“

„Was ist denn vorgefallen?“ frug der Constabler.

„Auf jeden Fall Etwas, das mich ganz und gar nichts angeht!“ rief der Kläger unwillig – „ich bin keineswegs gesonnen, mit dem Burschen hier in der Stadt herum zu laufen, bis er irgend Gelegenheit findet zu entspringen – Constabler, thut Eure Schuldigkeit – Richter Dayton, Ihr müßt mir in dieser Sache beistehen – wenn der Mann entkommt, halt' ich mich wegen Allem, was mir abhanden gekommen, an Euch.“

„Könnt Ihr denn aber beweisen, daß dieser Mann auch wirklich Der ist, für den Ihr ihn haltet?“ frug der Richter.

„Kommt nur mit zum Fluß hinunter,“ erwiderte Jener – „zwei von meinen Leuten haben ihn gesehen und wollen auf ihn schwören!“

Tom Barnwell, dem das, was er erst für ein tolles Mißverständniß gehalten, doch jetzt anfing zu ernst zu werden, noch dazu da es wirklich drohte ihn in seinen freien Bewegungen zu hindern, that jetzt ernsthaften Einspruch und rief den Richter zum Beistand an. Dieser aber zuckte mit den Schultern und erklärte, „nicht selber gegen das Gesetz handeln zu können,“ Mr. Nickleton wisse hier eben so gut wie er, was er zu thun habe, und eine Einrede von ihm würde nicht einmal von Nutzen sein. Tom sah bald, daß er sich den Umständen fügen müsse, denn ein dichter Menschenhaufe umstand schon die Redenden, aus dem ein Entrinnen zur Unmöglichkeit wurde. Nichtsdestoweniger ließ er Sander nicht aus den Augen, und bat nur den Richter, da er selber nicht im Stande sei, es zu thun, jenen Mr. Hawes mit sich nach Hause zu nehmen und dort Aufklärung über das Geschehene zu verlangen. Mr. Dayton versprach ihm das auch und schritt gleich darauf durch die ihm Bahn machende Menge, mit Sander an seiner Seite, in der Richtung dem eigenen Hause zu, während der Constabler, von einem großen Theil Müßiggänger gefolgt, den jungen Bootsmann in die County Jail brachte, und ihn dort seinen eigenen Betrachtungen überließ.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi