Kapitel 24 - Die Schildkröte nähert sich der gefährlichen Insel. – Blackfoot's Plan.

24. Die Schildkröte nähert sich der gefährlichen Insel. – Blackfoot's Plan.

„Hebt die Finnen! – Munter, meine braven Burschen!“ rief der alte Edgeworth, während er inmitten auf dem gebogenen Deck seines breitspurigen Fahrzeugs stand und mit dem Blick die Entfernung maß, die sie wohl noch zwischen sich und den letzten, an der Landung liegenden Booten zu fürchten hatten – „greift aus, daß wir hinüber in die Strömung kommen – die Boote drüben gehen ja fast ganz am andern Ufer.“


„Das sieht nur in dem Nebel so aus; sie müssen, wie wir, im Fahrwasser bleiben,“ meinte Blackfoot, der sich neben ihn stellte, aber noch immer zurück an's Ufer blickte, wo die Gestalt der empörten Mrs. Breidelford auf- und abflog. Diese schien sich nämlich keineswegs in das Unabänderliche – die Flucht ihres Opfers – gefügt zu haben, sondern durch rachedrohende Gesticulationen irgend einen wohlthätigen Snag zu beschwören, seinen scharfen Zahn in dieses nichtswürdige Fahrzeug zu bohren und es mit Mann und Maus zu versenken.

Der Steuermann, der indessen stromauf zu mit den Augen die dunstige Atmosphäre zu durchdringen suchte, ob vielleicht den vorangegangenen Fahrzeugen noch andere folgten, schien jedoch mit dem Befehl des alten Mannes ganz zufrieden. Er gehorchte ihm wenigstens schnell und willig, und hielt den Bug gerad' über den Strom hinüber, während die Ruderleute mit vorgelegten Schultern gegen die langen, über das Verdeck ragenden Finnen preßten und jedesmal, ehe sie das unten angebrachte Schaufelbrett wieder aus der Fluth hoben, diesem noch mit einem Ruck den stärksten Nachdruck zu geben suchten. Dann drückten sie die Stange an Deck nieder, liefen rasch damit zu ihrem Ausgangspunkte zurück und begannen ihr mühseliges Geschäft von Neuem.

Das Flatboot, schon an und für sich ein unbehülflicher schwerer Kasten, ist auch eigentlich nur auf die Strömung angewiesen, und hat die Finnen einzig und allein dazu, um vorstehenden Landspitzen und drohenden Snags auszuweichen, oder vielleicht mit den Rudern einen nicht gerade durch bloßes Treiben zu gewinnenden Landungsplatz zu erreichen. Die auf solchen Fahrzeugen angestellten Ruderleute thun auch nichts so ungern als gerade rudern, obgleich das die einzige, von ihnen begehrte Arbeit sein mag. Es dauerte deshalb gar nicht lange, so murrten sie gegen das „Querüberschinden“, wie sie's nannten. Bill dagegen machte wenig Umstände, warf ihnen ein paar kräftige Flüche entgegen und nannte sie „faule Bestien“, die lieber ihre breiten Kehrseiten in der Sonne brieten, als ihre Pflicht thun wollten.

Bill war ein breitschultiger kräftiger Gesell, mit ein Paar Fäusten gleich Schmiedehämmern, es mochte auch deshalb nicht gern Einer mit ihm anbinden, noch dazu da sie im Unrecht waren. Edgeworth aber, der jetzt sah, daß sie mit den vorangegangenen Booten in einem Fahrwasser seien, sagte endlich:

„Nun, so laßt's gut sein – ich denke auch, wir sind weit genug hinüber – easy boys – easy – wir rennen sonst am Ende drüben auf die Sandbank, die hier im Navigator angegeben steht.“

„Hat keine Noth,“ brummte Bill – „die Sandbank ist schon theilweise weggewaschen, und überdies haben wir die lange passirt – und drüben liegt sie, wo die Nebel dicker und massenhafter herüberkommen. Bleibt nur noch eine Weile bei den Rudern, bis ich's Euch sage – nachher habt Ihr's leichter dafür.“

„Wie weit ist's noch bis zu der hier angegebenen Sandbank?“ frug Edgeworth jetzt und deutete auf das Buch, das er in der Hand hielt.

„Noch ein gut Stück,“ mischte sich Blackfoot da in das Gespräch; „wenn wir übrigens, wie der Steuermann ganz Recht hat, noch ein bischen in Zeiten überhalten, so bekommen wir gar nichts von ihr zu sehen. – Doch – Alligatoren und Moccasins! der Nebel wälzt sich immer derber herauf. – Nun weiter fehlte uns nichts, als eine recht ordentliche Mississippimütze, die sich uns über Augen und Ohren zöge, nachher könnten wir die Finnen wie Fühlhörner vorstrecken, und wüßten noch nicht einmal, ob wir rechts oder links abkämen.“

„Nun, so gefährlich sieht's doch nicht aus,“ meinte Edgeworth – „man kann ja noch den halben Fluß übersehen und die Bäume auf beiden Seiten des Ufers erkennen! – Es sind nur ganz dünne duftige Schatten, die ein richtiger Abendwind leicht vor sich herscheucht.“

„Ich will's wünschen,“ sagte der angebliche Handelsmann und schritt langsam zum Steuer zurück, an dem Bill jetzt, beide Hände in den Taschen, nachlässig mit dem Rücken lehnte und wie träumend vor sich niedersah.

„Das thut's,“ sagte Einer von den Ruderleuten, der beim Rückgehen die Finnenspitze führte, indem er das lange Ruder, durch Niederdrücken seines Theils, vollständig auf's Verdeck hob und niederlegte – die übrigen folgten darin augenblicklich seinem Beispiel.

„Hallo, was ist das?“ rief der Steuermann – „hab' ich Euch geheißen aufzuhören? Bob – Johnson – nehmt Eure Ruder wieder auf, wir müssen noch weiter hinüber.“

„Dem Capitain sind wir weit genug drüben,“ erwiderte trotzig der erste Sprecher – eine lange Hosiergestalt mit breiten, scharfen Achselknochen und sehnigen Fäusten – „wenn's dem nicht recht ist, wird er's sagen!“

„Die Pest über Dich, Canaille!“ rief Bill wüthend, ließ sein Steuer los und sprang auf den ruhig ihn erwartenden Bootsmann ein.

„Nun, Sir?“ lachte dieser, während er sich rasch in Boxerstellung gegen ihn drehte und die beiden Fäuste bis etwa in Schulterhöhe brachte, „bedient Euch – thut, als ob Ihr zu Hause wäret. – Langt einmal aus und seht dann, ob ich nicht klein Geld bei mir habe, Euch zu wechseln.“

„Halt da, Leute!“ sagte Blackfoot und trat zwischen sie – „halt – werdet doch auf einem und demselben Boote Frieden halten? – Schiffskameraden und wollen sich untereinander schlagen – pfui! – Geht an Eure Ruder, Leute, und thut Eure Pflicht – 's ist nicht mehr weit und Ihr habt das bischen Arbeit bald überstanden.“

„Ich will verdammt sein, wenn ich's thue,“ brummte der Hosier trotzig, „außer Capitain Edgeworth sagt's. – Dann meinetwegen, und wenn wir bis Victoria hinter den Quälhölzern liegen sollten – sonst aber keinen Schritt wieder auf Deck. Donnerwetter, ich habe das Wesen von dem Burschen da satt – warum hielt er denn das Maul, so lange Tom Barnwell noch an Bord war, der ihm die Spitze bot? – Er glaubt wohl, er kann über uns nur so weglaufen? – Steckt da in einem verwünschten Irrthum, den ich ihm gern noch nehmen möchte, ehe wir von Bord gehen.“

Bill heftete sein Auge mit wilder, tückischer Bosheit auf die unerschrockene Gestalt des Rudermannes, und schien nicht übel Lust zu haben, den Streit noch einmal zu beginnen. Blackfoot warf ihm aber einen schnellen, warnenden Blick zu, und trotzig kehrte er, mit leise gemurmeltem Fluch, zu seinem Platz zurück. Edgeworth hatte keine Silbe während der ganzen Zeit gesprochen, und nur, vielleicht der Worte Smart's eingedenk, die Streitenden beobachtet. Dadurch war ihm aber auch der zwischen seinem Abkäufer und Steuermann gewechselte Blick nicht entgangen, der ihm das jetzt fast zur Gewißheit machte, was er bis dahin schon gefürchtet – daß jene beiden Männer zusammen im Einverständniß waren. Natürlich bezog er das noch immer nur auf den Verkauf seiner Waaren und beschloß, ein besonders wachsames Auge nicht allein auf die Ablieferung der Güter, sondern auch auf das dafür zu empfangende Geld zu haben.

Das Boot trieb langsam mit der Strömung hinab, und die Leute waren in verschiedenen Gruppen oben an Deck, theils am Bug, teils in der Mitte des Fahrzeuges gelagert. Auf dem hintern Theile desselben, dem Quarterdeck, wie es scherzweise genannt wurde, standen nur Bill und Blackfoot zusammen, und dieser machte jetzt dem wilden Gesellen leise Vorwürfe über sein unbedachtes Handeln.

„Ei, zum Henker, Bill,“ sagte er und deutete dabei nach dem linken Ufer hinüber, als ob er mit ihm über Gegenstände am Lande spreche, „Du bist wohl toll, daß Du noch kurz vor Thorschluß Händel suchst – ich dächte doch, Du könntest Deinen Groll in gar kurzer Zeit vollständig genug auslassen, als daß er jetzt vor der Zeit übersprudeln und vielleicht Alles verderben sollte. – Weshalb hast Du Dich nicht mit den Leuten in besseres Einverständniß gebracht? Vielleicht hätten wir sogar Einige davon für unser Vorhaben gewinnen können.“

„Nicht von denen,“ erwiderte Bill trotzig, „nicht einen Einzigen – Dolch und Gift – die Brut haßt mich von oben bis unten. – Selbst der Hund knurrt, wenn ich ihm nur zu nahe komme, und hätte mich neulich, als ich ihn streicheln wollte, fast an der Kehle gepackt. Ich würde die Bestie lange einmal über Bord gestoßen und ersäuft haben – aber sie geht ihrem Herrn nicht von der Seite.“

„Also Hülfe haben wir von denen auf keinerlei Art zu erwarten?“ sagte Blackfoot sinnend.

„Nein – eher das Gegentheil, aber hol' sie der Teufel, das soll ihnen wenig frommen. – Sieh nur, daß Du Edgeworth's Büchse einmal auf eine oder die andere Art in die Hand bekommst – hier sind ein paar Stifte und treibe einen von ihnen in's Zündloch, nachher kann er schnappen. – Ich sehe nicht ein, weshalb man seine Haut nutzlos zu Markte tragen soll.“

„Gieb her, ich will's wenigstens probiren, glaube aber kaum, daß mich der alte Bursche das Schießeisen wird haben lassen. Nun, es kommt auf einen Versuch an –“

„Wie wär's denn, wenn Ihr mit den Büchsen tauschtet?“ sagte Teufelsbill – „die Deine ist reich mit Silber beschlagen und sieht prächtig aus – schießt auch famos – die seine ist alt und schlecht – er wird leicht dazu zu bringen sein – Du darfst aber dann in der Deinigen den Stift nicht vergessen!“

„Hm – das wäre ebenfalls etwas – die Burschen tauschen alle gern, und wenn ich ihm ein geringes Aufgeld abverlangte –“

„Nur nicht zu wenig, sonst würde er mißtrauisch –“

„Nein, nein, so klug bin ich auch. Wie haltet Ihr's denn diesmal mit dem Zeichen? Wieder das vorige, oder ist etwas Anderes bestimmt? – Ich mag das Schießen nicht leiden –“

„Und doch ist's das Beste,“ sagte Bill – „überdies ist nichts Anderes verabredet, und wir werden es beibehalten müssen. Was könnte man denn auch sonst in dem Nebel für ein Zeichen geben? – Denn Nebel, und recht richtigen handfesten Nebel bekommen wir noch in dieser Nacht, darauf kannst Du Dich verlassen.“

„Meinetwegen – ich hoffe nur, die Burschen sind gleich bei der Hand, ehe sie hier an Bord etwas merken.“

„Sie werden doch – wenn aber auch nicht, so haben wir Zeit genug. – Laufen wir in dem Nebel auf den Sand, so ist gar kein Gedanke daran, vor morgen früh davon abzukommen, und Edgeworth ist auch klug genug, den Versuch nicht einmal zu machen.“

„Getraust Du Dich denn die Insel wirklich zu finden, wenn es sich ganz umziehen sollte?“ frug Blackfoot jetzt besorgt und schaute ringsum auf die dünnen, milchigen Streifen, die mehr und mehr die Gestalt von kleinen rollenden Wolken annahmen. – „Hol' mich der Teufel, ich glaube wahrhaftig, es wäre besser, wir legten an, ehe wir am Ende vorbeitrieben.“

„Hab' keine Sorge,“ lachte Bill, – „als ich das letzte Mal herunterkam, – Ihr waret gerade in Vicksburg, – da konnte man den Nebel mit einem Messer schneiden, und ich fand den Platz, als ob es im hellsten Sonnenschein gewesen wäre. – Treff' ich die Sandbank wirklich nicht oben an der Insel, nun so nimmt mich die Strömung gerade auf die Zwischenhaut, und das wäre auch weiter kein Unglück, als daß wir nachher ein bischen Arbeit hätten, das Boot wieder flott und stromab zu bekommen. – Die Fracht können wir so nicht ganz gebrauchen.“

„Von wo fahren wir denn da ab?“ frug Blackfoot, – „denn einen Anhaltepunkt müssen wir doch auf jeden Fall haben.“

„Ei ja wohl – gerade etwa zwei Meilen unter der Weideninsel liegt das Treibholz, das Du kennen wirst. Wenn wir nicht im Stande sind, das zu sehen, hören wir sein Rauschen eine halbe Stunde weit, und von dort an kann man nur durch unausgesetztes Rudern Einundsechzig, oder vielmehr unsern künstlich aufgeworfenen Damm vermeiden. – Im neuen Navigator steht er sogar schon angegeben als eine erst kürzlich durch sich selbst entstandene Sandbank.“

„Gut – sonach kommen wir also etwa gleich nach Dunkelwerden an die Insel; desto besser, dann ist die Geschichte bald abgemacht, und wir können ordentlich ausschlafen. Aber höre, Bill, wird uns der Lasse, der vorausgerudert ist, nicht etwa Verdrießlichkeiten machen? Wenn der das Boot nicht findet, schlägt er auf jeden Fall Lärm.“

„Dafür ist gesorgt,“ lachte Bill, „ich habe schon meine Maßregeln danach getroffen. – Aber jetzt Ruhe – der Alte scheint aufmerksam auf uns zu werden. – Geh ein wenig nach vorn, und höre, was er so viel mit dem Weibe zu schwatzen hat – später wollen wir unsern Plan noch besser bereden. – Der Augenblick muß freilich zuletzt immer noch den Ausschlag geben.“

Und damit wandte er sich von ihm ab und arbeitete mit dem Steuer, den Bug ein klein wenig mehr gegen den Strom anzubringen.

Inmitten des Bootes, mehr jedoch nach vorn zu, standen die Effecten der jungen Frau, und diese saß, der letzten Scene noch immer mit unheimlicher Angst gedenkend, auf dem einen Koffer, während ihre Sachen, unordentlich, wie sie die Ruderleute an Bord geworfen, um sie her lagen. Seit dem letzten Streite der rohen Bootsmänner, der das Interesse Aller erregt zu haben schien, kümmerte sich auch Niemand weiter um sie. Nur Wolf, des alten Edgeworth treuer Schweißhund, hatte sich, mitten in das Gepäck hinein, neben Mrs. Everett, und zwar seinen Kopf so auf ihren Fuß gelegt, als ob sie ganz alte liebe Bekannte wären; diese ließ das auch gern geschehen, hatte doch selbst eines Hundes Annäherung unter all' den fremden wilden Männern etwas Wohlthuendes und Beruhigendes für sie.

Edgeworth schritt endlich auf sie zu, setzte sich auf die neben ihr stehende große Kiste und sagte freundlich:

„Aengstigen Sie sich nicht, Madame – Bootsleute sind fast stets roh und derb, und einige der unseren vorzüglich, Ihre Fahrt wird aber bald beendet sein. – Wenn dieser Nebel nicht gar so bösartig werden sollte, hoff' ich, Victoria bald nach Abend zu erreichen. Wird es dunkel, so laß ich Ihnen hier oben von meinen Decken ein kleines Zelt aufschlagen, und da können Sie dann ganz ungestört schlafen, bis wir an Ort und Stelle die Taue auswerfen.“

„Sind Sie in Victoria bekannt, Sir?“ frug Mrs. Everett jetzt, und heftete ihre großen thränenfeuchten Augen auf den alten Mann.

„Nein, Madame,“ sagte der Greis und streichelte den Kopf seines wackeren Hundes, der sich jetzt an ihm aufrichtete, – „ich war nie in Victoria, habe aber den Platz oft erwähnen hören.“

„So sind Sie ganz fremd in dieser Gegend?“ frug die Frau besorgt, – „mit dem Wasser und seinen tückischen Gefahren unbekannt, und fürchten nicht, in diesem Nebel an Sandbank oder Drift aufzulaufen?“

„Die Gefahr ist wohl nicht so groß, als Sie glauben,“ erwiderte Edgeworth. – „Wir haben einen sehr guten Steuermann, der den Fluß genau kennt, und nicht mehr weit zu fahren; der Mann, der meine Ladung gekauft hat, befindet sich ebenfalls an Bord und ist mit dem Strom vertraut, da glaub' ich wirklich nicht, daß viel zu fürchten ist.“

„Ach Gott, es verunglücken so viele Menschen auf diesem bösen Wasser!“ seufzte die arme Frau.

„Ja wohl, Madame, ja wohl,“ stimmte ihr mit wehmüthigem Kopfnicken der Alte bei, – „an diesem und den anderen westlichen Strömen Tausende – aber es giebt auch böse Menschen. Nicht der Strom allein reißt die zahlreichen Opfer in seine Tiefe.“

„So haben auch Sie schon von jenen Fürchterlichen gehört, die hier auf dem Mississippi ihr Wesen treiben sollen?“ flüsterte Mrs. Everett erschreckt und ängstlich – „vielleicht wissen Sie etwas Näheres über ihr Bestehen?“

„Ich verstehe nicht recht, wen Sie meinen, Madame,“ sagte Edgeworth.

„Sie haben in Helena gehört, daß mein Bräutigam vor kurzer Zeit im Fluß verunglückte?“ frug die Frau dagegen.

„Ja, – Mrs. Smart sprach davon.“

„Man sagt, das Boot sei auf einen Snag gerannt.“

„Das ist wenigstens das Wahrscheinlichste. – Du lieber Gott, so mancher arme Bootsmann hat ja schon auf solche Art seinen Tod gefunden.“

„Ich glaube es nicht,“ – flüsterte Mrs. Everett, – aber noch viel leiser als vorher.

„Was?“ frug Edgeworth erstaunt.

„Daß Holk's Boot auf natürliche Weise untergegangen sei,“ erwiderte die junge Frau, wie früher flüsternd, – „ich habe einen fürchterlichen Verdacht, und will eben nach Victoria ziehen, wo sich ein Bruder von mir, ein wackerer Advocat, niedergelassen hat. Der soll sehen, ob er die Thäter nicht aufspüren kann.“

„Wäre aber da nicht Holk's Sohn, der, wie ich höre, des Verstorbenen Land so schnell verauctioniren ließ, eine viel passendere Person gewesen?“ meinte der alte Mann; „ich weiß doch nicht, ob eine Frau im Stande sein sollte, gegen dieses Volk aufzutreten – wenn es nämlich wirklich existirte.“

„Holk hatte gar keinen Sohn,“ fuhr Mrs. Everett noch eben so leise als früher fort. – „Mein Leben setze ich zum Pfande, daß jener Mann, der sich für seinen Sohn ausgab, ein falsches Spiel spielte. Ich habe oft – oft mit dem armen Holk über seine Familie gesprochen, und er verbarg mir nichts. Ach, wie manchmal hat er mir versichert, er stehe ganz allein in der Welt, und habe nur mich, auf die er sein künftiges Lebensglück baue. Hätte er den Sohn verleugnen sollen? Nie!“

„Hm!“ murmelte Edgeworth und schaute eine ganze Weile sinnend vor sich nieder – er gedachte dessen, was ihm Smart noch vor seiner Abfahrt gesagt hatte. – Unwillkürlich schweifte dabei sein Blick nach den beiden Männern hinüber, die jetzt in sehr angelegentlichem Gespräch begriffen schienen, – „hm – ich wollte, Tom wäre hier. Weiß auch der Henker, weshalb ich den Jungen allein voranfahren ließ. Hör' einmal, Bob-Roy“ – und er wandte sich damit zu Einem der Bootsleute, der ihm am nächsten stand, und zwar an denselben, der schon früher den Streit mit dem Steuermann gehabt, – „was hältst Du von dem Nebel? Du bist doch auch nicht das erste Mal auf dem Mississippi.“

„Ich halte davon, daß wir sobald als möglich irgendwo an Land laufen oder den Nothanker über Bord lassen,“ sagte der Mann unwillig, – „hier so in den Nebel hineinzusegeln, ist wahre Tollkühnheit. – Wenn uns ein Dampfboot begegnet, sind wir verloren, und begegnet uns keins, so bleibt uns doch noch immer die ziemlich sichere Aussicht, irgendwo fest zu rennen. Wenn ich ein Boot zu befehligen hätte, so wüßte ich so viel, daß es bei solchem Nebel lieber Mississippisand als Mississippiwasser unter sich haben sollte – obgleich beides noch Manches zu wünschen übrig läßt.“

„Also Ihr meint, wenn der Nebel dichter würde, sollte ich beilegen?“

„Gewiß meine ich das, wenn Ihr mich denn einmal drum fragt,“ sagte der Rudermann, „'s ist mir ohnedies ein unheimliches Gefühl, so gar nicht zu sehen, wohin man fährt, und dann dem Burschen da –“ und er wies rückwärts über die Schulter mit dem Daumen nach Bill hin – „anvertraut zu sein.“

Edgeworth folgte der Bewegung mit den Augen, brach aber jetzt, als Blackfoot langsam auf ihn zuschritt und bald darauf neben ihm Platz nahm, das Gespräch mit dem Mann ab.

„Es wird trüb'!“ sagte der, während er dabei den Strom hinabdeutete, wo die Nebelmauer höher und höher zu steigen schien, – „es wird verdammt trüb'. – Wir können froh sein, daß wir einen so guten Lootsen an Bord haben.“

„Ja, ja,“ erwiderte Edgeworth und blickte unruhig umher, „es sieht bös dort unten aus – dauern diese Mississippi-Nebel lange?“

„Sehr verschieden, Sir, – sehr verschieden – manchmal treibt sie ein leichter Abendwind wie gar nichts vor sich hin, manchmal aber liegen sie so zäh auf dem Strom, als ob sie von Gummi elasticum wären und immer weiter und weiter sich ausbreiteten, je mehr der Wind daran zerrte und zöge. – Wahrscheinlich wird's aber, wenn der Mond aufgeht, besser; jedenfalls können wir noch ein oder zwei Stündchen ruhig fortfahren, bis wir einmal in die Nähe von Dreiundsechzig kommen. – Dort pflegen die Boote gewöhnlich beizulegen.“

„So? Also nachher rathet Ihr mir selbst, das Boot irgendwo zu befestigen? Ich hatte Lust, schon früher anzulegen.“

„Nein, ja nicht!“ rief Blackfoot – „wozu die schöne Zeit versäumen, wenn es nicht unumgänglich nöthig ist. Habt nur keine Angst, Sir, mir liegt, wie Ihr Euch denken könnt, die Wohlfahrt des Bootes jetzt ebenso am Herzen als Euch, und ich würde seine Sicherheit gewiß nicht unnütz oder leichtsinnig auf's Spiel setzen. – Ihr habt da eine stattliche Büchse – Kentucki-Fabrikat oder pennsylvanische?“

Edgeworth hatte seine Büchse noch zwischen zwei dort stehenden Fässern lehnen und griff jetzt hinüber, sie an sich zu nehmen – jeder Jäger hört es gern, wenn seine Waffe gelobt wird.

„Ja,“ sagte er, während er das gute Gewehr vor sich auf den Schoß legte, die Mündung jedoch vorsichtig dabei dem Wasser zu richtete – „es giebt wohl schwerlich ein besseres Stück Eisen in Onkel Sam's Staaten, als dieses alte, unansehnliche Ding hier. – Manchen Hirsch hab' ich damit umgelegt und manchen Bären dazu; auch gute Dienste gegen die Rothhäute hat sie schon geleistet und manchen heißen blutigen Tag gesehen.“

„Ihr möchtet sie wohl nicht gegen irgend ein anderes, wenigstens besser und zierlicher aussehendes Gewehr vertauschen?“ warf hier der Fremde ein und hielt dem Alten seine eigene Büchse hin, die er noch nicht aus der Hand gelegt hatte. Es war ein herrliches, reich mit gravirtem Silber verziertes und beschlagenes Gewehr, mit damascirtem Lauf und wunderlichem Sicherheitsschloß versehen, wie es dem alten Jäger noch gar nicht vorgekommen.

„Hm,“ sagte er und nahm die fremde Waffe fast unwillkürlich in Anschlag, – „das ist ein prachtvolles Stück Arbeit – liegt vortrefflich – ganz ausgezeichnet – gerade wie ich's gern habe – mit hellem Korn und nicht zu grobem Visir; muß viel Geld gekostet haben in den Staaten – sehr viel Geld. Schießt es gut?“

„Ich parire, auf sechzig Schritt aus freier Hand einen viertel Dollar achtmal, auch zehnmal zu treffen.“

„Ei nun, das wäre aller Ehren werth, – warum wollt Ihr's aber vertauschen?“

„Aufrichtig gesagt,“ – meinte der Andere und blickte sinnend dabei vor sich nieder – „thut mir's weh, von der Büchse zu scheiden, dann aber auch wieder hab' ich mich fest entschlossen. – Sie kommt aus lieber Hand und erweckt dadurch nur zu oft recht bittere und schmerzliche Erinnerungen. – Ich gebe sie auf jeden Fall weg, und – wenn sie doch einmal in eines Fremden Hand kommen soll, so wäret Ihr gerade der Mann, dem ich sie wünschen könnte. Kommt, Ihr findet mich gerade in der Stimmung und könnt einen guten Handel machen.“

„Ich wäre der Letzte, Vortheil aus der Stimmung eines Andern zu ziehen,“ sagte der alte Jäger; „das aber bei Seite, so scheinen wir auch in einer andern Sache sehr verschiedener Ansicht zu sein. – Was Euch durch schmerzliche Erinnerung peinigt, macht es mir theuer, und ich möchte mich nicht um vieles Geld von dieser alten lieben Waffe trennen. Ich hatte einst einen Sohn, der sie zuerst führte – ich brachte sie ihm aus Kentucky mit – und der arme Junge – doch einerlei das. – Dies ist das einzige Andenken, was ich noch von ihm habe, und es soll bei mir ausharren in Freud' und Leid.“

„Also Ihr habt keine Lust zum Tausch?“

„Nicht die mindeste, und wenn Euer Gewehr so von Gold strotzte, als es jetzt von Silber thut.“

„Ach, Mr. Edgeworth, das Silber ist das Wenigste an einem guten Gewehr,“ sagte der Händler, – „das wißt Ihr selber wohl besser, als ich es Euch sagen kann; der Werth liegt im Innern, und da habt Ihr denn wohl ganz Recht, wenn Euch das Eure, unscheinbare, genügt – das finde ich auch schon ohne irgend einen andern Grund, der es Euch noch werther machen könnte, natürlich. – Bitte, erlaubt mir einmal Euer Gewehr – – steht der Stempel des Fabrikanten nicht daran?“

„Ich weiß wirklich nicht,“ sagte Edgeworth, – „ich habe nie danach gesehen. – Es bleibt sich auch ziemlich gleich, ob der Mann John oder Harry geheißen hat, wenn seine Arbeit nur gut war.“

„Ja, allerdings – aber ich bin mit mehreren Büchsenschmieden in Kentucky befreundet, und es wäre mir interessant, einen bekannten Namen hier zu finden.“

Er nahm bei diesen Worten die Büchse in die Hand und drehte sie langsam nach allen Seiten hin, betrachtete besonders aufmerksam den Lauf, an dem noch einige, wenngleich undeutliche Zeichen sichtbar waren, und öffnete endlich auch die Pfanne.

„Gebt Acht – Ihr werdet mir das Pulver herunter schütten,“ rief Edgeworth.

„Es scheint ohnedies vom Nebel feucht geworden zu sein,“ erwiderte Blackfoot, „während er sein eigenes Pulverhorn hervorzog, – wir wollen anders darauf thun.“

Mit der linken Hand hielt er die Büchse, und die rechte, mit der er zugleich das Pulverhorn öffnete, bewahrte einen der kleinen, von Bill empfangenen Stifte. – Edgeworth wollte aber noch immer nicht den Blick von ihm wenden.

„Was habt Ihr für Pulver?“ frug er den Fremden.

„Dumont'sches – natürlich,“ – erwiderte Blackfoot, – „haltet einmal Eure Hand her – nun seht das Korn. – Ist das nicht herrliche Waare?“

Edgeworth prüfte das Pulver mit dem Finger, und in demselben Augenblick saß der Stift im Zündloch seiner eigenen Waffe – Blackfoot schüttelte gleich darauf frisches Pulver auf und schloß die Pfanne wieder.

„Ja, das Pulver ist gut,“ sagte der Alte, während er er es noch mit der Zunge kostete, „reinlich und von gutem Geschmack – man bekommt's selten von der Art in Indiana. – Ich will mir auch ein Fäßchen davon mit hinaufnehmen – es steht schon auf meinem Zettel,“ – und damit nahm er sein Gewehr wieder aus Blackfoot's Hand und stellte es neben sich. Mrs. Everett hatte dabei gesessen und nur manchmal und flüchtig den Blick zu den Männern erhoben.

„Hallo, Sir!“ rief da plötzlich der Händler und zeigte auf die junge Frau, – „was ist denn mit der Lady – die wird ja plötzlich leichenblaß.“

„Um Gott, Mrs. Everett,“ sagte Edgeworth aufspringend, – „fehlt Ihnen etwas? Sie sehen wahrlich ganz aschfarben aus.“

„Es wird schon vorübergehen,“ flüsterte die junge Frau leise und hielt sich einen Augenblick ihr Tuch fest gegen die Augen gedrückt – „es war nur so ein Anfall – die Aufregung in Helena – der schnelle Wechsel – vielleicht auch die feuchte Flußluft –“

„Ja, ja,“ sagte Edgeworth, – „die ist hauptsächlich daran schuld, ich hätte das schon früher bedenken sollen. Aber warten Sie nur, ich hole Ihnen gleich die Decken herauf, und dann wollen wir schon ein ordentliches Lager für Sie herrichten; es giebt nichts Besseres, feuchte Luft abzuhalten, als wollene Decken.“

Und der alte Mann ergriff sein Gewehr und schritt, ohne weiter auf die Einwendungen der Frau zu achten, vorn zum Bug und dort eine kleine Treppe hinunter in den untern Raum. Von dort kehrte er auch bald mit drei großen Makinawdecken zurück, und ging nun mit Blackfoot's Hülfe emsig daran, eine Art Zelt herzustellen, unter dem sich Mrs. Everett ungesehen und ungestört der Ruhe überlassen konnte. Es ist dies eine Art Galanterie und Aufmerksamkeit für das weibliche Geschlecht, wie sie selbst der roheste Hinterwäldler fast instinktartig beweist, und jede Frau kann deshalb auch, ohne fürchten zu müssen, der geringsten Unannehmlichkeit ausgesetzt zu sein, die ganzen Vereinigten Staaten allein durchreisen. Sie wird in jedem Fremden, der durch Zufall ihr Begleiter geworden, einen bereitwilligen, aber fast selten oder nie benöthigten Schutz finden.

Mrs. Everett schien übrigens, so herzlich sie auch dem alten Mann für seine Güte dankte, dennoch keinen Gebrauch von derselben machen zu wollen, denn sie blieb unruhig an Deck und schien von jetzt an besonders aufmerksam die noch immer sorglos gelagerten Gestalten der Flußleute zu betrachten. Sie befanden sich auch alle oben; nur Einer von ihnen war unten im Raume beschäftigt, auf dem dort befindlichen Roste oder Kochofen das einfache Abendmahl der Mannschaft zu bereiten, und tauchte von dort manchmal mit glühend rothem Gesicht auf, um sich entweder abzukühlen, oder Holz von oben mit hinunter zu nehmen.

„Hallo – was für Land ist das da drüben?“ sagte da plötzlich Edgeworth, als er auf einen im Nebel kaum erkennbaren, etwas dunkleren Streifen deutete, den sie zu ihrer Linken liegen ließ, „kann das wohl das Mississippi-Ufer sein?“

„Oh bewahre!“ erwiderte ihm Blackfoot – „das muß ja der Steuermann wissen. – Was für Land ist das, Sir?“

„Runde Weideninsel!“ erwiderte Bill lakonisch und drückte den Bug etwas davon ab, denn er fürchtete selbst eine von dieser Insel auslaufende Sandbank, auf welcher ja auch das Dampfschiff Van Buren festgesessen hatte.

„Wie wär's denn, wenn wir hier eine Weile vor Anker gingen?“ meinte Edgeworth, – „wenigstens so lange, bis sich der Nebel etwas verzogen hätte.“

„Geht nicht!“ rief Bill ruhig dagegen. – „Wir können nicht bis an hundert Schritt von der Insel selbst kommen. – Der Sand läuft hier ein tüchtiges Stück in den Strom hinein – nehmt einmal das Senkblei!“

Edgeworth nahm die Leine, an welcher das Blei befestigt war, und warf dieses über Bord – Bill hatte Recht, der Strom war hier höchstens acht Fuß tief, und sie durften allerdings nicht wagen, näher hinan zu halten. Die Strömung lag aber – dem Navigator nach – von hier an rechts an der Insel vorüber dem Arkansasstaat zu, und drängte erst von dort aus, etwa vier bis fünf Meilen unterhalb, der Mitte des Stromes wieder zu. Nr. Einundsechzig lag, wie schon früher erwähnt, dreizehn englische Meilen unter der Weideninsel.

Durch den Nebel noch beschleunigt, fing es jetzt recht ernstlich an dunkel zu werden, und der alte Farmer schüttelte gar bedenklich den Kopf, als selbst die letzten bis dahin fast noch immer sichtbar gebliebenen Wipfel der nächsten Uferbäume verschwanden. Sie trieben ja auch nun, fast auf gut Glück und ohne den leisesten Halt von irgend einer Seite aus, stromab und, wie er recht gut wußte, zwischen unzähligen Gefahren hin. Er stand vorn auf dem Bug und lauschte auch dem unbedeutendsten Geräusch, ob er nicht das Brechen der Wasser an irgend einer Drift, oder das Wehen der vielleicht nahen Uferbäume hören könne. Aber Alles lag ruhig und still, kein Laut ließ sich vernehmen, die ganze Natur schien wie ausgestorben, und selbst der Wind, der noch früher den Nebel einigermaßen zertheilt hatte, mußte gänzlich eingeschlafen sein, denn die Dünste lagen wie ein graues Leichentuch fest und unbeweglich auf dem Strome, und müde und träumend schwamm das schläfrige Boot auf seiner mattblinkenden Fläche.

Eine halbe Stunde mochte auf diese Weise verflossen sein, und Edgeworth war oft ungeduldig zum Steuermann gegangen, um mit diesem eine mögliche Gefahr zu bereden, dann wieder mit raschen Schritten auf dem runden Verdeck hin und her gelaufen – unschlüssig, was er thun, ob er seinem Lootsen folgen, oder selber handeln solle, wie er es für gut finde, das heißt augenblicklich zum nächsten rechten Ufer rudern und dort anlegen, bis sich der Nebel verziehen möchte. Blackfoot hatte sich indessen fast immer an seiner Seite gehalten, um jeden möglicher Weise in ihm aufsteigenden Verdacht abzulenken. Jetzt aber, da sie sich mehr und mehr dem verhängnißvollen Punkt näherten, war noch so Manches, was er mit dem Verbündeten zu besprechen wünschte, und er zog sich nach und nach dem Steuer wieder zu, wobei er zuerst eine Zeit lang in Bill's Nähe auf- und abging, ohne ein Wort an diesen zu richten. Endlich that er einige laute Fragen über den Fluß in dieser Gegend und knüpfte zuletzt ein leiseres, dem Ohr des entfernter Stehenden unverständliches Gespräch mit dem Steuermann an.

Mrs. Everett hatte sich erst in ganz letzter Zeit in ihr hergerichtetes Zelt zurückgezogen, oft aber den Vorhang gelüftet, der es verschloß, und jenen Theil des Verdecks mit ihren Augen überflogen, auf dem sich Mr. Edgeworth befand. Jetzt, da sie ihn zum ersten Mal auf kurze Minuten allein und ungestört sah, verließ sie ihr Lager wieder und schritt – mit flüchtigem Blick sich überzeugend, daß Keiner der übrigen Männer in der Nähe sei, auf ihn zu.

„Ach, Madame,“ sagte der alte Mann, als er ihren Tritt hörte und sich nach ihr umwandte, „Sie sind auch noch munter? Ja, ja, man hat keine Ruh', wenn man nicht weiß, wo man ist, und Gefahren jeden Augenblick erwarten kann, ohne im Stande zu sein, sie zu sehen. – Geht mir's doch selbst nicht besser.“

„Ich fürchte nicht die Gefahren, die uns der Fluß selber entgegenstellt,“ flüsterte jetzt Mrs. Everett rasch und sah sich scheu nach den Männern am Steuer um – „Ihnen – vielleicht uns Allen droht etwas Schlimmeres, und gebe nur Gott, daß es noch Zeit ist, es zu vermeiden.“

„Was haben Sie, Mrs. Everett!“ sagte Edgeworth erstaunt – „Sie scheinen ja ganz aufgeregt – was fürchten Sie?“

„Alles,“ sagte die Frau, aber immer noch mit unterdrückter Stimme – „Alles, sobald Sie nicht der Treue Ihrer Leute gewiß sind.“

„Aber ich begreife nicht –“

„Wo haben Sie Ihre Büchse?“

„Unten an meinem Bett.“

„Gehen Sie hinab und untersuchen Sie das Schloß!“

„Das Schloß?“

„Zögern Sie keinen Augenblick, der nächste kann unser Aller Verderben besiegeln.“

„Aber was fürchten Sie denn? Was ist mit dem Schloß meiner Büchse?“

„Sie gaben es vorhin in die Hand jenes Mannes – ich selber aber, im Walde auferzogen und oft gezwungen, die Schußwaffe zu führen, wenn Everett Tage und Wochen lang auf der Jagd blieb, warf fast zufällig den Blick auf jenen Menschen, als er aus seinem eigenen Horn Pulver auf die Pfanne schüttete. Wäre mir der Gebrauch jener Waffe fremd, so hätte ich nichts Auffallendes in seinem Benehmen finden können – er trug etwas Spitzes in der Hand und öffnete scheinbar damit das Zündloch, aber der lauernde Blick, den er dabei auf Sie warf, machte mich zuerst stutzig – ich lehnte den Kopf in die Hand und behielt, ohne daß er mein Gesicht sehen konnte, seine Hand im Auge. Wohl drehte er sich, während Sie sein Pulver prüften, so weit von Ihnen ab, daß sein eigener Arm das Schloß verdeckte, deutlich aber erkannte ich, wie er irgend etwas, ob Holz oder Nagel weiß ich nicht, in das Zündloch drückte, und seine Hand zitterte, als er gleich darauf wieder Pulver auf die Pfanne schüttete – ich sah, wie das Pulver reichlich an Deck hinabfiel. So übermannte mich bei dieser Wahrnehmung Angst und Schreck, daß mir das Blut stockte und ich beinahe ohnmächtig an Deck niedergesunken wäre. Seit der Zeit war es mir aber nicht möglich, Ihnen auch nur eine Minute lang unbemerkt meinen Verdacht mitzutheilen, und ich fürchte nur, es ist fast zu spät, dem zu begegnen, was Jene Schreckliches beabsichtigen mögen.“

Edgeworth stand mehrere Minuten lang in tiefem Nachdenken versunken und starrte schweigend in den sein Boot jetzt dicht und undurchdringlich umgebenden Nebel hinaus – endlich sagte er, während er sich langsam gegen die Frau umwandte:

„Gehen Sie ruhig wieder in Ihr Zelt, meine gute Mrs. Everett – ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen, wir dürfen aber für den Augenblick noch Jene nicht merken lassen, daß wir irgend Verdacht geschöpft haben. Ich durchschaue jetzt Alles, oh, daß Tom doch hier wäre! Doch – es wird auch ohne ihn gehen, ich will nur gleich unten nach meiner Büchse sehen und sie wieder in Stand setzen. – Fürchten Sie aber nichts – meine Indiana-Männer sind treu wie Gold.“

Er schritt langsam dem vordern Theil des Fahrzeugs zu, wohin die Bootsleute einige der Kisten geschafft hatten, damit sie beim Rudern nicht im Wege wären, und wo sich auch der alleinige Eingang in das untere Deck und zu den Schlafstellen der Männer befand. Dieser bestand in einem viereckig ausgeschnittenen und nur drittehalb Fuß im Durchmesser haltenden Loche, in dem eine kurze Leiter lehnte. Er stieg hinab und verschwand gleich darauf im untern Raum.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi