Die Feinde der Jagd

Eine naturwissenschaftliche Studie über die dem Wildstande wirklich und vermeintlich schadenbringenden Tiere
Autor: Hartert, Ernst (1859-1933) deutscher Ornithologe, Naturforscher und Publizist, Erscheinungsjahr: 1885
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Jagd, Vogelkunde, Greifvögel, Raubvögel, Ernst Hartert, Ornithologie,
In den folgenden Zeilen beabsichtige ich, Tiere, welche dem Wilde Schaden zufügen, einer genaueren Besprechung zu unterziehen; ebenso diejenigen, welche von vielen Jägern und Nichtjägern als jagdschädlich angesehen werden, es aber nach meiner Überzeugung nicht sind. Von jeher habe ich keine Gruppe von Vögeln mit solcher Vorliebe beobachtet, wie die Raubvögel. Namentlich will ich den jüngeren Waidgenossen und Lesern, deren Zahl hoffentlich recht groß sein wird, ein treues, vorurteilsfreies Bild zu entwerfen suchen, da nicht Jeder Gelegenheit hat, selbst Alles zu erforschen.

Ich bin eifriger Jäger und großer Vogelfreund; häufig kommt es vor, dass der Vogelliebhaber in der Verteidigung seiner Lieblinge zu weit geht, wie es sich auch andererseits nicht leugnen lässt, dass zuweilen Jäger in der Verfolgung einzelner Tiere das Maß überschreiten. In den meisten Fällen ist die goldene Mittelstraße das allein Richtige.

Über einige Bezeichnungen werde ich Erklärungen vorausschicken müssen: Die Maße der Eier: x1 zu x2 bedeuten: die Länge beträgt x1, die Breite x2. — Unter Gelege versteht man die in einem Neste befindlichen Eier. — Der Fuß der Raubvögel heißt in der Waidmannssprache Fang; ich gebrauche diese Bezeichnung nur für die Zehen und nenne das Fußrohr (Tarsus) Ständer. Anders glaubte ich mich nicht ausdrücken zu dürfen, wenn ich nicht Missverständnisse möglich machen wollte. — Schaftstriche sind Flecke, welche längs des Schaftes (vulgo Kieles) einer Feder verlaufen. — Untere resp. obere Schwanzdeckfedern sind die länglichen Federn, welche oben und unten den Anfang des Schwanzes bedecken.

Sonst glaube ich keine Ausdrücke gebraucht zu haben, die einer Erklärung bedürften.

Ernst Hartert.
1. Der Hühnerhabicht (Astur palumbarius, Bechstein).[

Stockfalk, Taubenhabicht, Doppelsperber, großer Stößer (Falco palumbarus, Accipiter palumbarus).

Der Habicht ist von allen unseren Raubvögeln leicht zu unterscheiden. Er streicht meist niedrig und mit großer Schnelligkeit dahin, auffallend genug durch die kurzen Flügel und den langen Schwanz. Er sitzt sehr aufgerichtet.

Der Alte ist auf der Oberseite dunkelgrau, auf der Unterseite weis mit schmalen bräunlichgrauen Streifen über und über quer gebändert. Auge, Ständer und Fänge schön gelb. Die Fänge sehr lang, ebenso die scharfen Krallen. Ein ganz anderes Kleid tragen die Jungen, so dass der Unkundige sie sehr oft für ganz andere Vögel hält. Die Oberseite ist mehr hellbräunlich, die Unterseite bräunlichweiß mit dunkelbraunen Längsflecken, Auge hellgelb, Ständer und Fänge schmutziggelb.

Das Gefieder ist kürzer und fester, als bei Bussarden und Weihen. Verwechselungen können kaum vorkommen, doch werden die Jungen oft für einen anderen Vogel gehalten, auch erregt die oft sehr verschiedene „Größe“ der Geschlechter bisweilen bei den Jägern Zweifel, ob beide einer und derselben Art angehören mögen, denn das Weibchen ist etwa einen Dezimeter länger als das Männchen. Die Länge beträgt über einen halben Meter, die Flugbreite durchschnittlich einen Meter.

Der Hühnerhabicht ist ein in ganz Deutschland leider noch gar zu oft vorkommender Raubvögel, der in den allermeisten Gegenden noch horstet. Wo er genügenden Raub findet und nicht allzusehr verfolgt wird, horstet er in flachen und gebirgigen, wasserreichen und trockenen Gegenden. Der Horst ist groß und steht am liebsten recht hoch und gut versteckt, am häufigsten ohne Zweifel auf Nadelholzbäumen, aber auch auf allerlei Laubholz z. ß. Eichen und Buchen, Erlen und Espen und manchmal ganz frei. Unweit Wesel horstete einer in einem wahrscheinlich schon lange benutzten riesigen Horst auf einem Buchenast über einem befahrenen Waldweg, bis eine Ladung Hasenschrot ihm eines Tages das Geschäft verdarb. — Er benutzt den Horst oft viele Jahre lang und solche alte Horste nehmen dadurch, dass alljährlich die flache Mulde neu ausgefüttert wird, oft riesige Dimensionen an. Wie bei allen Raubvögeln, welche früh im Jahre ankommen, oder wie der Hühnerhabicht bei uns überwintern, so ist auch bei ihm die Zeit des Eierlegens nach der Witterung — wohl auch nach der Gegend und dem Alter der Paare — verschieden. In der Regel wird nach warmen Wintern und in zeitigen Frühjahren eher gebrütet, auch haben sie dann oft ein stärkeres Gelege. Die Eierzahl ist gewöhnlich drei, manchmal aber vier, selbst fünf, bisweilen auch nur zwei, welche in der Regel Mitte April, manchmal auch erst Ende April gelegt werden. Ausnahmsweise fand ich schon in den ersten Apriltagen Eier. Die Eier sind etwas bläulichweiß, oft auch nur schmutzigweiß und verlieren in den Sammlungen meist den grünlichen oder bläulichen Ton, so dass sie fast ganz weis erscheinen. Dass sie bisweilen hellgelbe verwischte Flecke haben, oder gar als große Rarität ein Ei mit rotbrauner Zeichnung vorkommt, ist so selten, dass es für den Jäger eigentlich kaum nötig ist zu wissen, da leicht Verwechselungen mit den Eiern anderer Raubvögel herbeigeführt werden können. Die Habichtseier messen in der Regel etwa 59:43 mm. manchmal aber bis 63:48 oder auch nur 51 zu 42 4/5 mm; ein so kleines Ei habe ich indes nur bei starkem Gelege als zuletzt gelegtes Ei, welches wahrscheinlich nicht ausgebrütet worden wäre, gefunden. Hin und wieder brüten Vögel noch im Jugendkleide mit der gelben Unterseite. Das Männchen brütet nur in den Mittagsstunden. Auf den Eiern sitzen sie gewöhnlich sehr fest und muss man zuerst das Männchen um die Mittagszeit im Abstreichen zu schießen suchen, dann das fester brütende Weibchen. Der Schuss auf einen vom Horst abstreichenden Habicht ist oft sehr schwierig, da er blitzschnell davonsaust und jegliche Deckung geschickt zu benutzen weis.

Erfolgreicher als das Schießen ist jedoch gewöhnlich der Fang. In Nr. 35 des dritten Jahrgangs der „Neuen Deutschen Jagd-Zeitung“ teilt Herr Bieling eine hochinteressante Fangart bei den Jungen mit. Auch in den bekannten Habichtskörben fangen sich, wenn sie an geeigneten Orten aufgestellt sind, eine Menge Habichte. Am besten geschieht die Aufstellung auf kleinen Anhöhen und Blößen im Walde, womöglich in der Nähe von Gebäuden, in denen Federvieh gehalten wird. Es ist aber eine wunderbare Sache um den Fangplatz. Manchmal fangen sich an ganz ungeeignet erscheinenden Punkten unaufhörlich die frechen Räuber, während sich ein Punkt, den man allen Erfahrungen nach für außerordentlich günstig halten muss, wenig ergiebig zeigt. Recht viel eigene Erfahrung ist auch hier, wie bei allen Fangarten, wünschenswert. — Findet man den Raub eines Habichts, so kann man ihn fangen, wenn man den Rest des Raubes auf ein Tellereisen befestigt, da er fast immer zu demselben zurückkehrt. Er kröpft meist an versteckten Plätzen und kommt es vor, dass er sich bei seiner Gier unverhofft überraschen lässt, so dass man ihn, wenn man sofort schussfertig ist, erlegen kann. Mir ist es auch einmal passiert, dass ein Habicht über mir auf einem Ast aufhakte, während ich mich unter dem Baum zum Frühstücken niedergelassen hatte und es gelang mir, leise die neben mir liegende Flinte zu ergreifen, zu spannen und den Ahnungslosen vom Baume herabzudonnern. Was den sonst so vorsichtigen Räuber veranlasste, so unbedacht aufzuhaken, weis ich nicht, da er ohne Raub herankam.

Über den ganz immensen Schaden, den unser Habicht der Jagd zufügt, reden zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen. Jeder Jäger wird es sich zur Ehre rechnen, den gefährlichen Burschen am Horst und auf der Krähenhütte, in Fallen und Eisen zu erbeuten, zumal er das ganze Jahr bei uns ist. In Deutschland bleiben die Paare das ganze Jahr über. Man behauptet, dass unsere Habichte im Herbste fortzögen und durch nordische Zuzügler ersetzt würden. Wir wissen allerdings, dass er im Norden fortzieht; schon von Livland berichtet von Loewis, dass er dem Schnee und der Kälte weicht und diese Nordländer belästigen uns dann auch noch im Winter. Unsere Brutvögel aber streichen in der Gegend umher, ohne in der Regel das Land zu verlassen. Möge die deutsche Jägerei ihnen ihre Streifereien tüchtig versalzen und nicht in ihrem Eifer im Vertilgen dieses Räubers nachlassen!

Hartert, Ernst (1859-1933) deutscher Ornithologe, Naturforscher und Publizist

Hartert, Ernst (1859-1933) deutscher Ornithologe, Naturforscher und Publizist

Der Hühnerhabicht (Astur palumbarius, Bechstein).

Der Hühnerhabicht (Astur palumbarius, Bechstein).