Der Turmfalke oder Rüttelfalke (Falco tinnunculus, Linné).

Cerchneis tinnuculus, Tinnunculus alaudarius. Gray.

Wer kennt ihn nicht, den schönen, roten „Wannenweher“, den immer beweglichen Rüttelfalken, seiner Farbe wegen oft irrtümlich Röthelfalke genannt? Gesehen hat ihn schon Jeder, aber leider zu oft ist er verwechselt und verkannt! Er ist es, der mit hellem gli, gli, gli um die Türme schießt, der alte Burgen und Kirchen zu seinem Wohnsitz wählt. Er ist es, der rüttelnd, d. h. auf einer Stelle flatternd, über den Feldern steht und dann in einem Bogen weiter streicht, um von Neuem zu rütteln. Dies Rütteln hat offenbar den Zweck, das unter ihm liegende Land genauer zu mustern, und häufig stößt er nach dem Rütteln herab, um mit einer Maus in den Fängen davon zu streichen. Er unterscheidet sich namentlich durch dies Rütteln in weiter Ferne von seinen Verwandten. Vom Lerchenfalken kann man ihn an dem längeren Schwanz unterscheiden, auch stürmt der Turmfalke nicht so reißend schnell dahin, hat nicht diese last schwalbenartig gebogenen Flügel und fällt häufig durch seine rote Farbe schon von weitem auf. Oft genug wird der Turmfalke aber mit dem Kuckuck verwechselt, der bekanntlich auch in rotbrauner Färbung nicht sehen ist; doch hat der Falk den dicken Kopf und breiteren Schwanz, das Rütteln und Stoßen, woran er bei einiger Aufmerksamkeit erkannt werden kann.


Der alte männliche Turmfalke ist ein prächtiger Vogel. Die Oberseite ist bei ihm von sehr angenehm rostroter Färbung, im Frühling mit schwachem, sehr lieblichem Lila-Schimmer überhaucht. Diese Farbe ist nur von einigen schwarzen kleinen Flecken unterbrochen. Kopf und Schwanz sind hellbläulich aschgrau, ersterer mit ganz schmalen dunklen Schaftstrichen. letzterer mit breiter, schwarzer, schmal-schmutzigweiß gesäumter Endbinde. Die Unterseite ist rötlich-weißgelb, mit kleinen, an den Seiten etwas größeren Schaftflecken. Die Schwingen sind schwarzbraun, das Auge graubraun, die Fänge gelb mit schwarzen Krallen, Wachshaut gelb, Schnabel bläulich, nach der Spitze schwarz. Eine ganz andere Farbe hat das Weibchen und die Jungen im ersten Jahre. Die ganze Oberseite, Kopf und Schwanz ist rostrot, viel dunkler als beim Männchen, der Kopf mit schwarzen Längsflecken, der Rücken mit zahlreichen breiten, ebensolchen Querbändern, der Schwanz rotbraun, mit etwa einem Dutzend schwarzer Binden, die letzte sehr breit. Die Unterseite ist dunkler und mit größeren und zahlreicheren Flecken. Je älter das Weibchen wird, desto geringer wird die Zahl der Flecken auf der Unterseite und deren Farbe reiner, der des Männchens ähnlicher. Auch bekommen sehr alte Weibchen einen aschgrauen Bürzel und einige solche Federränder auf der Oberseite. Die Jungen sind, besonders unten, noch dunkler gefärbt als die Weibchen, sonst ganz wie diese gezeichnet und gefärbt. Männchen etwa 32 bis 33 cm lang, 70 cm klafternd. Weibchen 33 bis 36 cm lang, 77 cm klafternd. Mit dem südeuropäischen Röthelfalken, Falco cenchris, der kleiner ist, kann man ihn bei sonstiger Ähnlichkeit nicht verwechseln, wenn man beachtet, dass der Röthelfalke weißliche, der Turmfalke aber schwarze Krallen hat.

Der Turmfalke ist ein weit verbreiteter Vogel; in Deutschland fehlt er keiner Gegend. In Städten sogar in Ostpreußen überwinternd, verlässt er wärmere Striche, wie unser Rheinland, in den meisten oder allen Wintern gar nicht, während er sonst ein Zugvogel ist. Sein Horst wird sehr verschiedenartig angelegt. In Kirchen und alten Burgen brütet er in Mauerlöchern und Spalten, an Festungen in Schießscharten und zwischen den Balken in den Pallisadenschuppen, in Wesel z. B. in Schießscharten, inmitten Hunderter von Dohlen. Auch in den Löchern der Felsen bauen die Turmfalken gern ihren Horst. Auf den kanarischen Inseln, wo sie sehr gemein sind, sieht man oft ihre Eier in den Felsen auf kleinen Absätzen in einem kunstlosen Horste liegen, meist geschützt durch überhängendes Gestein. An den Wiesen brütet er in und auf den Kopfweiden, in Wäldern in hohlen Eichen und Kiefern, am häufigsten aber legt er den Horst frei in Bäumen an, teils in dichten Tannen nahe dem Stamm, teils hoch auf alten Eichen und Kiefern, ebenso gern auch bezieht er alte Nester und Horste. Im Jahre 1880 hatte ich einem Mäusebussard seine Eier genommen und fand vier Wochen später in dem Bussardhorste einen Turmfalken brütend. Der kleine Usurpator hatte die Eier ohne jegliche Veränderung des Horstes an den bequemen Platz gelegt. Auch in Krähennester, ja sogar bisweilen in einen verlassenen Reiherhorst legt er seine vier bis sechs, zuweilen selbst sieben Eier. Diese Eier sind außerordentlich verschieden gefärbt. Von deutschen Raubvogeleiern sind sie nur denen des Lerchenfalken ähnlich, welche letztere aber gewöhnlich etwas größer, nicht so rot, sondern mehr braun und mit kleineren Flecken und Punkten gezeichnet sind, auch erst im Juni zu finden sind, während der Turmfalke gewöhnlich im Mai Eier hat. Die des Turmfalken sind bald auf weißem, bald auf gelbem Grunde mit roten oder braunen Flecken und Punkten, bald klein, bald groß bezeichnet. Ein Ei habe ich gefunden, das ganz einfarbig hellziegelrot mit ein paar ganz kleinen schwarzbraunen Fleckchen ist, ein anderes, das auf der einen Hälfte weiß, auf der andern rot und braun aussieht, andere, die kleinen Lerchenfalkeneiern ähneln. Auch in Größe und Form ändern sie ab, sind bald last rund, bald ziemlich länglich von 43:34 bis 36:29 mm.

Was nun die Nahrung unseres Vogels anlangt, so sind wir hiermit zu einem Gegenstande gekommen, der zwar oft genug besprochen ist. leider aber manchmal ohne Sachkenntnis und — Wahrheitsliebe. Denn wer behauptet, dass ein Turmfalke einen erwachsenen Hasen durch die Luft getragen habe, der kennt entweder keinen Turmfalken oder hat eine Fata Morgana gesehen. Eine unleugbare Tatsache ist, dass der Turmfalke größtenteils von Mäusen lebt, auch mit Vorliebe Insekten fängt. In einem in Homeyers „Reise nach Helgoland“ veröffentlichten Verzeichnis der Vögel der nordfriesischen Inseln von der Hand des trefflichen Beobachters Herrn Rohweder lesen wir: „Eine verhältnismäßig zahlreiche Gesellschaft von Turmfalken horstet seit vielen Jahren in den verwitterten Mauern einer alten Turmruine auf Pellworm, im Angesichte und hoch über der freien Nordsee. Streiflinge besuchen von hier aus und vom Festlande her regelmäßig alle Inseln und Halligen, wohl mehr der jungen Vögel wegen, als der hier so seltnen Mäuse halber. Seine überwiegende Nützlichkeit soll damit nicht in Abrede gestellt werden, aber junge Vögel habe ich ihn öfter fangen sehen und die im Winter hierbleibenden (das ist die Mehrzahl) machen in der Abenddämmerung systematisch Jagd auf die im Mauer-Epheu und in Spalierbäumen übernachtenden alten Sperlinge.“ Zu diesen Worten Rohweders bemerkt der nicht nur als Forscher, sondern auch als vortrefflicher Jäger bekannte Eugen von Homeyer: „Die ganz veränderten Verhältnisse, unter welchen der Turmfalke auf Pellworm lebt, müssen auf seine Lebensweise von wesentlichem Einflusse sein. Indessen besteht seine Nahrung nicht allein aus Mäusen, sondern wesentlich auch aus Insekten. Wie selten der Turmfalke Vögel fängt, möchte daraus erhellen, dass ich in einem halben Jahrhundert nie gesehen habe, dass der Turmfalke einen Vogel fing, noch je einen Vogel im Magen desselben fand.“ Dem Urteile eines solchen Beobachters müssen wir die größte Wichtigkeit beimessen. Ich selbst bin ein eifriger Raubvogeljäger, ich habe manchen Turmfalkenmagen untersucht, manchen Horst mit Jungen beobachtet und dem Leben und Treiben des Vogels zugesehen. Mäuse und wieder Mäuse blieben fast seine einzige Nahrung. Im vorigen Herbste wimmelte unsere Rheininsel von Mäusen; täglich sah man — oft sechs Stück nah beieinander — Rüttelfalken beim Mäusefang beschäftigt; freilich blieben nach wie vor noch Tausende von Mäusen da, bis das Hochwasser sie vernichtete. In diesem Jahre habe ich noch keine Maus auf der Insel gesehen, obgleich eine Menge kleiner Vögel in den Weidengebüschen haust, aber Turmfalken sieht man nicht auf der Insel, nur hin und wieder einen Sperber, bis man ihm einen Wink mit der Flinte gegeben. Darum, liebe Waidmänner, verschließet nicht eure Ohren und Augen und lasset im Wald und Feld dem hübschen Rüttelfalken das Leben! Etwas anderes ist es im Fasanengehege; ins abgeschlossene Gehege einen Raubvogel einzusperren ist nicht zu verlangen. Wenn einer es wagt, den Zaun zu überstreichen, dann — fort mit ihm. Wenn ihm es auch noch nicht beobachtet habe, dass er ein Fasänchen geschlagen, so ist doch die Möglichkeit vorhanden, und — das genügt, wenigstens in der Fasanerie. Daher möge man es verzeihen, wenn an solchen Orten der Turmfalke geschossen und vertrieben wird, aber in Wald und Flur darf man ihm ruhig Schonung gewähren. — Im Übrigen sei gesagt, dass man ihm mit Fallen meist vergeblich nachstellt, aber beim Uhu häufig schießen kann. Wo er nicht verfolgt wird, kommt er häufig durch Zufall zu Schuss, ist im Übrigen am Horste leicht zu erlegen und verlässt seinen Nistplatz bei wiederholter Wegnahme der Eier oder Zerstörung des Horstes.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Feinde der Jagd
Der Turmfalke oder Rüttelfalke (Falco tinnunculus, Linné).

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