Karl der Große.

Einer der größten Männer aller Nationen und Zeiten ist der, mit dem wir uns jetzt beschäftigen werden: Karl der Große, König der Franken, römischer Imperator und deutscher Kaiser, Pipius des Kleinen Sohn.

In der Mitte des achten Jahrhunderts sehen wir auf dem Boden des ehemaligen römischen Weltreiches drei verschiedene Gruppen von Völkern und Staaten: die christliche Gruppe mit dem oströmischen Reiche als Hauptvertreter und Konstantinopel als Vorort, gestützt auf den Namen und die Überlieferungen der alten Römer; den Mohamedanismus, der im Westen solange noch gefahrdrodend dastand, als die Germanenvolker zersplittert und unter sich uneins blieben; die heidnische Gruppe, bestehend aus den noch wenig bekannten slavischen Nationen im Osten.


Noch keineswegs entschieden war der Sieg der christlichen Gruppe, als in sie der hochbegabte Karl der Große eintrat, ein entschlossener, klarer, weitblickender Geist in einem kraftvollen Körper, eine stattliche, aber doch schlichte Erscheinung, ein echter Germane in jeder Hinsicht, obgleich in seinem Stammlande franko-romanische Sitte und Sprache schon zu jener Zeit sich von der deutschen zu scheiden anfingen. Mit großem Eifer war er auf das Wohl der römisch-katholischen Kirche bedacht, ohne deren Mithilfe er die von ihm vor allem anderen angestrebte Sittigung und Erziehung des Volkes nicht verwirklichen zu können glaubte. Zu dem Zwecke ließ er einerseits die alten deutschen Volks- und Heldensagen und Lieder sammeln und niederschreiben, während er anderseits gelehrte Geistliche und Laien aus allen Ländern, besonders aus Italien und England, an seinen Hof berief, die ihm behilflich waren Schulen zu errichten, Handwerke und Landbau zu verfeinern, schöne Bauten zu errichten, die Rechtspflege und öffentliche Verwaltung auf bessere Grundlage zu stellen, mit einem Worte sein Volk vorzubereiten auf die große Rolle, welche er demselben zugedacht hatte.

Karls Hauptziel war offenbar, und eben dazu dienten alle diese vorbereitenden Maßregeln, die Vereinigung aller germanischen, romanischen und slavischen Länder zu einem großen Gesamtreiche. Das konnte er nicht ausführen als bloßer König der Franken, auch nicht als deutscher König. Er dedurfte eines weiter greifenden allgemeineren Titels, und das war der eines römischen Kaisers. Daß ihm dieser zu teil wurde, das bewirkte er, wie alle hochstrebenden Herrscher nicht allzu wählerisch bezüglich der Mittel zum Zwecke, durch die Vernichtung des italischen Langobardenreiches (Kap. 13), welches mit den römischen Päpsten beständig im Streit lag. In der Tat krönte ihn denn auch der Papst im Jahre 800 zu Rom unter dem Zurufe des versammelten Volkes: „Heil und Segen dem von Gott erwählten großen und friedfertigen Imperator Carolus Augustus!“

Durch die Erwerbung des langobardischen Königtumes und durch weitere Ausdehnung der deutschen Marken nach allen Seiten, was freilich nur durch oft blutige und grausame Mittel bewerkstelligt werden konnte, umfaßte das neue germanisch-romanische Reich schließlich 25.000 Quadratmeilen. Dasselbe dehnte sich im Norden bis an die Eider, die Nordsee und Ostsee, sowie an den atlantischen Ozean aus; im Süden erstreckte es sich bis an den Ebro in Spanien, an den Garigliano in Italien, an die Drau in Ungarn; im Osten bis an die Donau in Ungarn, die Elbe in Böhmen, die Oder in Schlesien; im Westen grenzte es an den atlantischen Ozean. Nur eine großartig angelegte Persönlichkeit konnte ein solches, aus so verschiedenartigen Bestandteilen zusammengesetztes Reich zusammenhalten. Das zeigte sich nach des großen Karls Tod nur allzubald.

Im Jahre 813 machte der alternde Herrscher seinen einzigen noch lebenden Sohn Ludwig nach Frankenart selbst zu seinem Nachfolger, indem er ihm auf einem Reichs- oder Maitage zu Aachen die goldene Krone der römischen Kaiser auf das Haupt setzte mit den Worten: „Gelobt seist Du, Herr Gott, daß Du meinen Augen gegeben hast zu schauen den Sohn meines Samens auf meinem Thron!“

Fünf Monate später starb Karl am 28. Januar 814 zu Aachen im 72. Lebensjahre und im 46. Jahre seiner glorreichen Regierung und ward im Dom zu Aachen in einer Nische, in vollem Kaiserornate auf einem Throne sitzend, bestattet.

„Niemand kann berichten,“ sagt sein Lebensbeschreiber und Eidam Eginhard, „wie groß das Klagen und das Trauern um ihn war auf der ganzen Erde. Auch bei den Heiden ward er betrauert als Vater des Erdkreises.“

Von Fehlern frei war der große Mann nicht gewesen. Mit besonderer Grausamkeit und Willkür hatte er die Eroberung und Bekehrung der tapferen heidnischen Sachsen durchgeführt, ohne welche eben von einer festen und sicheren Grundlage des Reiches keine Rede sein konnte. Doch muß man bei der Beurteilung dieser und anderer Tatsachen aus dem Leben und Wirken des außerordentlichen Mannes das Ziel, die Zeitverhältnisse und den Standpunkt der Menschheit jener Tage nicht aus dem Auge verlieren.

Karl, der Winzer.

Bei Tafel einst ber Kaiser saß.
Zu Ingelheim am Rheine;
Vom Becher blinkt ihm Welschweins Naß,
Bestrahlt vom Sonnenscheine.

Am Berge drüben glüht die Firn,
Glühn lenzhaft rot die Zinnen;
Doch Karl ruht mit gefurchter Stirn,
Verlor'n in tiefem Sinnen.

Nun springt er auf, schaut froh darein
Und rufet laut: „Gefunden!
Bald soll uns eigner deutscher Wein,
Statt dieses fremden, munden.

Dort an besonnter Bergeswand
Die Lage gut mir dünket;
Nicht rast' ich, bis im Frankenland
Die golbne Rebe winket.“ —

Da ist der große Kaiser auch
Ein Vater Noah worden,
Pflanzt Weinstöck' süß', nach Südlands Brauch,
Im waldbewachsnen Norben.

Am Rhein, am Main, im Neckartal
Zog man die edlen Reben,
Gefunden, Kranken überall,
Alt und Jung, Labsal zu geben. —

Drum wenn ihr sagen wollt nach Pflicht
Von Karl dem Großen, Weisen,
Ihr Deutschen, dann vergesset nicht
Als Winzer ihn zu preisen.


Nach Gerok.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen