Die Deutschen

Erzählungen, Schilderungen, Sagen und Gedichte aus Deutschlands Vergangenheit und Gegenwart.
Autor: Grebner, Constantin (1830-1907) deutsch-amerikanischer Pädagoge., Erscheinungsjahr: 1902
Themenbereiche
Mit einem Anhange: Die Deutsch-Amerikaner. - Für deutsch-amerikanische Schulen und Familien.



Den Deutsch-Amerikanern:

Lehrern als Leitfaden und Schülern für den Unterricht in der Geschichte der alten und neuen Heimat; Familien als Lesebuch; Allen als Ehrenmal deutscher Sprache und deutscher Sitte.

Der Verfasser. Cincinnati, Ohio, im Jahre 1902.
Inhaltsverzeichnis
  1. Die alten Deutschen.
  2. Ein heiliger Hain.
  3. Walhalla und Hela.
  4. Die Cimbern und Teutonen.
  5. Die Germanen.
  6. Hermann und Thusnelda.
  7. Die Völkerwanderung.
  8. Das Grab im Busento.
  9. Der erste deutsche Herrscher in Rom.
  10. Dietrich von Berne.
  11. Chlodwigs Taufe.
  12. Die Deutschen jenseits des Ozeans.
  13. Alboin und Rosamunde.
  14. Die Donar-Eiche.
  15. Karl der Große.
  16. Roland.
  17. Die Schule des Kaisers.
  18. Die Karolinger.
  19. Mönche und Klöster.
  20. Die Lehensherrschaft.
  21. Die Ritter.
  22. Das heilige römische Reich deutscher Nation.
  23. Nach Kanossa.
  24. Die Weiber von Weinsberg.
  25. Die Kreuzzüge.
  26. Friedrich Barbarossa
  27. Der letzte Hohenstaufe.
  28. Der Sängerkrieg.
  29. Die Hansa.
  30. Rudolf von Habsburg.
  31. Wilhelm Tell.
  32. Das Schießpulver.
  33. Jedem ein Ei, dem frommen Schweppermann zwei.
  34. Eberhard der Rauschebart.
  35. Der erste Hohenzoller in Brandenburg.
  36. Die Buchdruckerkunst.
  37. Die neue Welt.
  38. Der letzte Ritter.
  39. Hüt Dich, Ritter, der Bauer kommt!
  40. Es ist eine Freude zu leben.
  41. Karl der Fünfte.
  42. Der Kaiser im Kloster.
  43. Das Interim.
  44. Der dreißigjährige Krieg.
  45. Die Türken vor Wien.
  46. Der große Kurfürst.
  47. Das Königreich Preußen.
  48. Friedrich der Große.
  49. Der siebenjährige Krieg.
  50. Der alte Fritz und sein Volk.
  51. Deutschland und der nordamerikanische Freiheitskrieg.
  52. Das goldene Zeitalter.
  53. Deutschland und die französische Revolution.
  54. Ende des alten deutschen Reiches.
  55. Der Deutschen Edelstein und der Waffenschmied der deutschen Freiheit.
  56. Der Sandwirt von Passeyer.
  57. Auf dem Gipfel.
  58. Die Befreiungskriege.
  59. Der letzte Akt.
  60. Der deutsche Bund.
  61. Zeichen der Zeit.
  62. Das deutsche Parlament.
  63. 1849.
  64. Neue Männer.
  65. Der norddeutsche Bund.
  66. Der Erbfeind.
  67. Sedan.
  68. Die Kaiserproklamation in Versailles.
  69. Kaiser Wilhelms I. Ende.
  70. Unser Fritz.
  71. Der eiserne Kanzler und der große Schweiger.
  72. Wilhelm II.
  73. Kaiser und Reich.
  74. Die Deutsch-Amerikaner.
  75. Unter fremden Flaggen.
  76. Die große deutsche Einwanderung.
  77. Im Kampfe für die Freiheit.
  78. Die Dreißiger und die Achtundvierziger.
  79. Der Bürgerkrieg.
  80. Der Lebende hat Reche.
1. Die alten Deutschen.

Ein Blick auf die Karte von Europa zeigt uns in dem mittleren Teile des Festlandes das Deutsche Reich.

Dieses Reich wird im Norden begrenzt von der Nordsee, von Dänemark und von der Ostsee; im Süden grenzt es an die Alpen und an Österreich, im Westen an die Niederlande, Belgien und Frankreich; die Ostgrenze bildet Russland.

Bedeutende Flüsse durchströmen das Land und ansehnliche Gebirge ragen aus ihm empor. Viele große Städte, Seen, Heiden und fruchtbare Ebenen schmücken die verhältnismäßig nicht große, von 56 Millionen Menschen bewohnte Oberfläche, die politisch in 26, unter einem Kaiser verbündete und von ihren einheimischen Fürsten regierte Staaten verteilt ist.

Das ist Deutschland; seine Bewohner sind die Deutschen.

So wenig wie von den übrigen Völkern Europas, weiß man von den Deutschen genau die Zeit anzugeben, wann die ersten von ihnen aus Asien, dem insgemein als die Wiege des Menschengeschlechtes angenommenen Weltteil, hereingekommen sind. Die erste Kunde, dunkel und zweifelhaft, reicht bis dreiundeinhalb Jahrhunderte vor Christi Geburt zurück. Damals, so meldet ein altgriechischer Geschichtsschreiber, schifften handeltreibende griechische Kolonisten ans Massilia — Marseilles im heutigen Südfrankreich — durch die, zu jener Zeit Säulen des Herkules genannte Straße von Gibraltar in den ihnen unbekannten atlantischen Ozean und fuhren die Küsten entlang nord- und ostwärts, bis sie in die Nordsee kamen, wo sie die Gegenden des jetzigen Diethmarsenlandes in Schleswig-Holstein von einem schönen, starken Menschenstamm mit meist blonden Haaren und blauen Augen bewohnt fanden, der sich die Teutonen nannte.

Zweihundert und fünfzig Jahre später begegnen wir dem Volksstamme wieder auf der Wanderung nach Italien und den weltbeherrschenden Römern Angst und Schrecken einjagend.

Zu jenen Zeiten sah es im heutigen Deutschland anders aus als jetzt. Dichter Urwald bedeckte den größten Teil des Landes; breite, ungeregelte Ströme durchschnitten die Wälder und bildeten in den Niederungen große Sümpfe. Die Luft war rau und feucht und wehrte gar oft den warmen Sonnenstrahlen den Zugang. Wilde Tiere hausten in den Wäldern, doch auf den Triften, die dem Sonnenlichte offen standen, weideten Pferde, Rinder und Schafe im hohen Grase.

Die Bewohner dieser Landstrecken lebten nicht in Städten und Dörfern. Abgesondert und zerstreut siedelten sie sich an, wo eine Quelle, eine Weide, eine schöne Waldung sie anlockte, ihr Haus mit einem weiten freien Raume umgebend. Ihre Kleidung bestand aus Tierfellen und wollenen oder leinenen Gewändern, wozu das eigene Land das Material lieferte. Das Volk schied sich in vier Stände: Adelige oder Edelinge, Freie oder Kerle, Hörige oder Liten, Unfreie oder Knechte. Im Laufe der Zeit hatten einzelne reich begüterte adelige Geschlechter ein größeres Ansehen erlangt und bildeten eine bevorrechtete Klasse unter den Edelingen, aus welcher später zumeist die Herzöge und Könige gewählt wurden. Die Freien bildeten den Kern der Bevölkerung, ihnen gehörte der Grund und Boden, auf dem sie wohnten, sie regierten das Land und schlugen seine Schlachten. Die Hörigen hatten keinen Grundbesitz, sondern erhielten Ackerland zur Nutznießung von den Adeligen und begüterteren Freien gegen bestimmte Abgaben und Dienstleistungen. Die Unfreien, meistens Kriegsgefangene oder zugelaufene Fremde, dienten als Gesinde auf den Höfen ihrer Herren, in deren Gewalt sie ganz gegeben waren.

Mehrere Freie bildeten mit ihrem Grundbesitze, der zu bestimmten Zeiten aufs neue abgeschätzt und verteilt wurde, eine Mark oder Gemeinde; mehrere Marken bildeten einen Gau, und mehrere Gaue eine Völkerschaft. Die Negierung und oberste Verwaltung wurde vorn ganzen Volke, d. i. von allen Freien, in der Volksversammlung geführt, wo auch über Krieg und Frieden entschieden wurde und Heerführer und Richter gewählt wurden.

Als Gesamtvolk unter dem gemeinschaftlichen Namen „Deutsche“ treten die Stämme erst einige Jahrhunderte nach Christi Geburt auf; ebenso wurde ihre gemeinsame, aber in viele Mundarten geschiedene Sprache erst später als die deutsche bezeichnet.

Die Hauptbeschäftigungen der Freien bildeten der Krieg und die Jagd. Dem Schmausen, Trinken und Spielen waren sie ziemlich stark ergeben. Kein anderes Volk Europas übte so freigebig die Gastfreundschaft wie die alten Deutschen. Gute Sitten galten und bewirkten bei ihnen mehr als gute Gesetze und Vorschriften. Ihre, von ihnen selbst Treue genannte Beharrlichkeit im Guten sowohl wie im weniger Lobenswerten war ohne Gleichen bei anderen Volkern und trug, neben ihrem stürmischen Kampfesmute, viel zu ihrer Jahrhunderte währenden Unbesiegbarkeit bei. Oft zogen die Frauen mit in den Kampf und bewirkten da nicht selten durch ihren Zuspruch die Wiederherstellung gebrochener Schlachtlinien und den Sieg. Häufig töteten sie die aus den Reihen weichenden Männer und brachten, lieber als der Gefangenschaft zu verfallen, ihre Kinder und zuletzt sich selber ums Leben.

Überhaupt genossen bei den freien Deutschen die Frauen und Jungfrauen großer Achtung und nicht selten bedeutenden Einflusses auf die öffentlichen Angelegenheiten. Sie hatten nur für die Erziehung der kleinen Kinder und, mit Hilfe unfreier Mägde, für das Hauswesen zu sorgen. Die Mädchen blieben bis zu ihrer Verheiratung ganz unter der Obhut der Mutter und nahmen schon frühe an den Geschäften der Haushaltung teil. Die Söhne folgten schon als Knaben dem Vater auf die Jagd und wurden von ihm im Rennen, Schwimmen, Reiten, Schlagen und Bogenschießen, sowie in den Rechten und Pflichten ihres Standes unterwiesen. War die Zeit der Wehrbarmachung des Jünglings gekommen, so wurde diese unter eindrucksvollen Zeremonien vorgenommen.

Gewöhnlich bekam der älteste Sohn das Gut des Vaters ungeteilt, während die jüngeren den Waffendienst, in späteren Zeiten auch wohl den geistlichen Beruf wählten. Im ersteren Falle wanderten sie — so sehr war deutschen Männern lange Ruhe verhasst — oft als Folglinge eines Edelinges freiwillig zu anderen, sich im Kriege befindenden Völkerschaften. So geschah es im Laufe der Zeit, daß es nicht für eine Schmach gehalten wurde, im Dienste der Römer gegen andere deutsche Völkerschaften zum Streite zu ziehen, um Ruhm und Beute sich zu erkämpfen.