Roland.

Bertha, die Schwester Karls des Großen, hatte sich gegen den Willen des gestrengen Bruders mit dem Grafen Milon von Anglante vermählt und war deshalb vom kaiserlichen Hofe perstoßen worden, während auch ihr Gemahl sich von ihr gewandt.

Einst saß der Kaiser in seiner Hofburg zu Aachen mit seinem Hofstaate beim Mahle, als ein hübscher, frischer, in ein aus allerlei Lappen zusammengeflicktes Gewand gekleideter Knabe die Halle betrat und ohne weiteres eine Schüssel mit Braten von der Tafel nahm und damit zur Türe hinauseilte. Wahrend die gut gelaunte Gesellschaft sich noch über den kecken Burschen unterhielt, kam derselbe zum zweiten Male und griff nach dem vor dem Kaiser stehenden mit Wein gefüllten Becher, um auch diesen wegzutragen. Da hielt ihn aber des Kaisers starke Hand fest, und auf Befragen sagte er aus, daß er mit seiner Mutter im Walde vor der Stadt in einer armseligen Hütte wohne, so von allem entblößt, daß er Lebensmittel wegnehmen müsse, wo er sie eben finde. Angezogen von dem Wesen des Knaden, sandte Karl einige Leute aus seinem Gefolge mit dem Knaben in den Wald, um die Mutter gleichfalls in die Hofburg zu bringen. Wie erschrak aber der hohe Herr, als er in der bald vor ihn geführten Frau seine Schwester Bertha erkannte, die sich ihm zu Füßen warf, seine Verzeihung zu erflehen. Noch einmal wollte der alte Groll sich in dem Kaiser regen, aber ein Blick auf seinen Neffen, der es ihm angethan hatte, bewog ihn schnell zur Güte. Er verzieh seiner Schwester, nahm sie in Gnaden auf und behielt den jungen Roland, so hieß ihr Sohn, fortan in seiner nächsten Umgebung. Dieser wurde bald ein gewaltiger Ritter und ein Vertrauter des Kaisers, den er, als einer der zwölf Paladine, auf allen Heerzügen begleitete.


Als Karl sich in der Folge veranlaßt sah, gegen die Araber in Spanien zu ziehen, um auch dort den Kampf für das Christentum aufzunehmen und nebenher sein Reich zu erweitern, war auch der Markgraf Roland beim Heere und verrichtete große Heldentaten.

Die Deutschen eroberten Spanien bis an den Ebro und drängten die Araber zurück. Karl wurde durch einen neuen Aufstand der Sachsen nach Deutschland gerufen und Roland blieb mit einem Heere in Spanien. Er wurde aber von dem räuberischen Stamme der Basken in dem Thale von Roncevalles überfallen und nach äußerst heldenmutiger Gegenwehr getötet. Dieses in den schönsten Dichtungen jener und späterer Zeit von den romanischen sowohl, wie von den germanischen Völkern vielfach besungene Ereignis gehört zu den schönsten Sagenstoffen Altdeutschlands.

In Norddeutschland, wo Roland seiner Zeit Markgraf war, findet man auf den Marktplätzen heute noch große steinerne oder hölzerne Säulen mit, öfters auch ohne, darauf angebrachten roh gemeißelten Figuren. Man kennt weder den Ursprung, noch die eigentliche Bestimmung dieser Säulen genau. Dieselben werden aber „Rolande“ genannt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen