Hermann und Thusnelda.

Im Jahre 7 nach Christi Geburt wurde der aus Asien heimgekehrte römische Feldherr Quintilius Varus, den es nach neuen Lorbeeren gelüstete, an das Rheinufer gesandt, um dort die Beziehungen mit den Deutschen in dem wünschenswerten friedlichen Zustande zu erhalten. Voller Eifer verlegte jedoch dieser sein Hauptquartier alsbald auf das rechte Rheinufer, brachte dagegen den Deutschen in angeblicher Freundschaft Geschenke mit und empfing alle, die sich für römische Kriegsdienste anwerben lassen wollten, mit offenen Armen. Bald wurde nun der Römer dreister. Er rückte über die Weser in das Land der Cherusker und schickte sich an, daselbst das römische Gerichtswesen und sonstige römische Gebräuche einzuführen.

Da erwachte der Groll in den Herzen der von Varus ganz falsch beurteilten Germanen, und sie dachten daran, die Eindringlinge zu vertreiben.


Der junge tapfere Cheruskerfürst Hermann oder Arminias, wie ihn die Nomer nannten, fand den Weg zur Befreiung seines Heimatlandes. Gleich anderen deutschen Edelingen hatte er in römischen Diensien die Kriegskunst erlernt und die Ritterwürde nebst dem römischen Bürgerrechte erlangt. Mit ganzem Herzen aber hing er seinem Volke an und begriff, daß es nur des rechten Führers und eines möglichst glänzenden Anfangserfolges bedurfte, um sich der ländersüchtigen Fremden zu entledigen.

So stiftete denn der edele junge Mann in aller Stille einen Bund mit den benachbarten Stämmen, die er zu überzeugen wusste, dass es recht wohl möglich sei, die Römer zu verjagen.

Ein anderer Cheruskerfürst, Segest, dessen Tochter, Thusnelda, Hermann gegen den Willen des Vaters zu seiner Gemahlin gemacht hatte, zeigte dem Varus die Sache an, fand jedoch keinen Glauben bei dem selbstgefälligen Manne, der die Deutschen eines solchen Unternehmens nicht für fähig hielt.

Bald fingen nun aber einige vom Römerlager entfernt gelegenen Gaue Feindseligkeiten an, um Varus in ihre Gegend zu locken. Es gelang ihnen. Im Herbste des Jahres 9 befanden sich drei Legionen — etwa 25.000 Mann — römischer Truppen unter Varus' Befehl bei entsetzlichem Regen und Sturme in dem Teutoburger Walde. Da brachen auf einmal deutsche Heerhaufen von allen Seiten aus dem Dickicht hervor. Die Legionen konnten, trotz der römischen Kriegstüchtigkeit, dem furchtbaren Ansturme der Deutschen nicht widerstehen und wurden zum größten Teile niedergemetzelt. Nur ein geringer Teil der Reiterei entkam, um die Schreckenskunde ins Nomerlager zu bringen. Varus wollte die Schmach dieser selbstverschuldeten Niederlage nicht überleben und stürzte sich in sein eigenes Schwert. Die-jenigen, die nicht in dem Blutbade umgekommen waren, wurden zum Teile nachtraglich noch grausam niedergemetzelt, den Göttern auf der Malstatt geopfert, während die, denen man das Leben ließ, dasselbe als Knechte auf deutschen Gehöften beschlossen.

In Rom ergriff Furcht und Schrecken die Gemüter; man glaubte die siegreichen Deutschen schon vor der Stadt zu sehen. Der Kaiser Augustus irrte klagend in seinem Palaste umher und rief ein ums andere Mal aus: „Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!“

Die Deutschen aber begnügten sich klugerweise mit ihrem Erfolge; nur über den Rhein, zum deutschen Lande hinaus, jagten sie die Eindringlinge. Niemals wieder haben die Römer es vermocht, oder auch nur versucht, in Deutschland festen Fuß zu fassen.

Auf den Höhen des Teutoburger Waldes, in der Nähe der Stadt Detmold, ist dem Nationalhelden Hermann ein großartiges Denkmal errichtet worden, von welchem sich zu Neu Ulm, Minnesota, eine gut gelungene Nachbildung defindet.

Jetzt ließen die ihrer Kraft bewusst gewordenen Deutschen sich von gelegentlichen Angriffen auf das römische Reich nicht länger zurückhalten. Sie wussten nun, daß Eintracht stark macht; wie denn auch Hermann sein ganzes Leben fortan dem Streben weihte, alle deutschen Stämme zu einem großen Bunde zu vereinigen, der sie zu Herren Europas gemacht haben würde. Es gelang ihm nicht; er musste es sogar erleben, daß, als er endlich die meisten westlichen Stamme beisammen hatte, die im Osten wohnenden sich gegen ihn erhoben. Auch dieses Mal war es wieder vor allen anderen sein Schwiegervater, Segest, der alles aufbot, Hermanns Pläne zu durchkreuzen.

Der römische Feldherr Germanicus war nämlich einige Jahre nach der Niederlage im Teutoburger Walde, um wenigstens die römische Waffenehre zu retten, nochmals ins Cheruskerland eingedrungen und hatte die Deutschen unter Hermann bei Idistoviso in der Nähe des Weserflusses geschlagen. Damit begnügte sich der Römer und ging über den Rhein zurück. Da rief ihn der treulose Segest nochmals ins Land und geleitete ihn nach der Burg des abwesenden Hermann, auf daß er dessen Familie gefangen nehme. Das geschah, und das geliebte Weib des deutschen Fürsten und Befreiers seines Volkes musste im darauf folgenden Jahre mit ihrem Bruder und Sohne in dem Triumphzuge des Germanicus vor seinem Wagen in Ketten einherschreiten. Ihr eigener Vater, der in Deutschland sich nicht mehr sicher fühlende Segest, befand sich zur Zeit in Rom und verschaffte sich die grausame Genugtuung, seine eigene Tochter in diesem schmachvollen Aufzuge zu sehen. Der von den Römern erwartete Sündenlohn blieb aber aus; Segest erfuhr von ihnen die verdiente Verachtung, die gewöhnlich Landesverrätern zuteil wird.

Thusneldens weitere Schiksale sind nicht bekannt. Von ihrem Sohne Thumelicus sagt eine Überlieferung, daß er von den Römern mit anderen dafür geeigneten Gefangenen gezwungen wurde, sich als Gladiator auszubilden. Als er dann in Ravenna zum ersten Male öffentlich habe auftreten sollen, habe seine dort anwesende Mutter ihn beim Eingange zur Arena erdolcht, um sich und ihrem Gatten diese Schande zu ersparen.
In demselben Jahre, 17 nach Christus, besiegte Hermann seinen erbitterten Gegner, den Markomannenfürst Marbuod, der gleichfalls später in Rom seine Belohnung für die Bekämpfung Hermanns erwartend, nicht fand was er ersehnte, sondern nach achtzehnjähriger strenger Überwachung zu Ravenna, wo Thusnelda ihren Sohn vor einem noch schlimmeren Schicksale bewahrt hatte, starb. Hermanns großes Unternehmen gelang, trotz Marbuods Beseitigung, nicht. Er konnte weder seine eigene Wahl zum König der nordwestlichen Stämme durchsetzen, noch die östlichen zum Anschlusse an das angebahnte Bündnis überreden. Endlich fand der Befreier Deutschlands aus dem Römerjoche in seinem siebenunddreißigsten Lebensjahre durch den Haß und die Eifersucht der ihm Nächststehenden ein gewaltsames Ende. Er starb, wie es hieß an Gift, im Jahre 21 nach Christus.

Wenn zu jener Zeit eine germanische Priesterin weissagte, daß die Deutschen den Römern die Weltherrschaft im Verlaufe einiger Jahrhunderte entreißen würden, so ließ sich der jetzt in friedlicher Weise vollziehende Anfang der Erfüllung unbedingt sehr gut an. Der nunmehr sich immer mehr entwickelnde Verkehr zwischen den beiden Volkern änderte in sehr kurzer Zeit vieles. Römische Kaufleute und Händler - begaben sich von den zahlreichen befestigten römischen Grenzstädten des linken Rheinufers und der oberen Donaugegend in das innere Deutschlands, wo sie ihre feineren Waren gegen die Bodenerzeugnisse des letzteren austauschten. Römische Bildung, römischer Luxus, römisches Geld und oft auch römische Laster waren unter den Deutschen bald keine Seltenheit mehr. Vor allem aber trugen die sehr zahlreichen deutschen Söldner in den römischen Heeren dazu bei, daß ihre Landsleute die Römer in vielen Stücken gar bald übertrafen. Nicht wenige solcher Glückssoldaten brachten es zu hohen Ehrenstellen als römische Heerführer, Minister und Statthalter.

Was das Schwert nicht vermocht hatte, das würde wohl stille Friedensarbeit vollbracht haben, wenn die Römer nicht bereits in so großem Maße entnervt und entartet gewesen wären, daß sie nicht mehr imstande waren, das welterschütternde Ereignis, welches nunmehr bald eintrat, für sich auszubeuten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen