Die Germanen.

Ungefähr fünfzig Jahre vor Christus standen sich in der Nähe der Stadt Mühlhausen im Oberelsaß — so werden der Ort und der Landstrich gegenwärtig genannt — zwei der berühmtesten Manner des Altertums mit ihren Heeren kampfbereit gegenüber: Gajus Julius Cäsar, der größte römische Feldherr und Staatsmann, und Ariovist, der vielgenannte, ebenso tapfere wie gewandte Heerkönig der deutschen Sueven von der rechten Seite des Rheines.

Vor dem bevorstedenden Zusammenstoße ihrer Streitkräfte hatten die beiden Führer „eine Unterredung, im Laufe welcher der Römer dem Deutschn zumutete, er solle mit seinem Volke Gallien, wohin es von einem den Römern noch nicht unterworfenen Stamme, den keltischen Aeduern, gerufen worden war, um diesen im Kampfe mit dem ebenfalls noch freien Stamme der Aequer beizustehen, freiwillig wieder verlassen. Rom werde dafür dem Ariovist den Königstitel verleihen. Ariopist aber antwortete: „Wir sind in dieses Land gerufen und für unsere Hilfe mit Grund und Boden belohnt worden, auf welchen die Römer durchaus keinen Anspruch haben. Wenn Dir nun unsere Nachbarschaft unangenehm ist, so kannst Du ja das Land verlassen, welches Du nur durch das Recht der Eroberung besitzest, Euer Königstitel reizt mich um so weniger, als ich längst durch freie Wahl meines Volkes Heerkönig bin. Deine Drohungen schrecken mich nicht im entferntesten. Muß es also sein, dann möge dag Schwert zwischen Römern und Sueben entscheiden.“


Die darauf folgende Schlacht wurde zugunsten der Römer entschieden, und die Sueben zogen sich auf eine kurze Zeit auf das rechte Rheinufer zurück um bald weiter nördlich wieder in Waffen Gallien ja betreten. Doch aber wurde seit der Schlacht der Rheinfluss stillschweigend als die Grenze zwischen Deutschland und dem römischen Gallien (heute Frankreich, Belgien und die Schweiz) betrachtet, und jeder Versuch der Römer, diese Grenze auf das rechte Rheinufer zu verlegen, führte zu endlichen Misserfolgen, während bei den Deutschen das gerade Gegenteil je länger je mehr Regel wurde. Das Eis war jedoch gebrochen: Aus Kriegszügen sowohl, wie in friedlichem Verkehr kamen die beiden Völker einander immer näher, und die Römer nannten die Deutschen mit einem Gesammtnamen „Germanen“, d. i. Nachbarn. Wohl wäre ihnen gewesen, hätten sie es dabei bewenden lassen! Da sie aber Gallien und dann auch die britischen Inseln nun erobert hatten, so regte sich das Verlangen nach dem Besitz der deutschen Lande über dem Rheine, wenn auch Cäsar, der weitsehende Mann, nachdem er ein einziges Mal das rechte Rheinufer betreten, seinen Landsleuten den sehr weisen Rat gab, die Germanen ungeschoren zu lassen.

Seine Warnung wurde in den Wind geschlagen. Bald nach seinem Tode entspann sich am Niederrheine eine Fehde, die durch das energische Vorgehen des römischen Feldherrn Drusus schnell das Ansehen eines Eroberungskrieges bekam. Drusus drang, ohne viel Widerstand zu finden, bis an die Elbe vor, als nach der Sage ein riesenhaftes Weib sich ihm in den Weg stellte mit der Warnung: „Wohin strebst Du, unersättlicher? Alle unsere Länder möchtest Du sehen, aber das Schicksal will es nicht. Fliehe von dannen, das Ende Deiner Tage ist nahe!“ Erschreckt wich Drusus zurück und fand bald darauf seinen Tod.

Der kluge römische Kaiser Augustus verfolgte bezüglich Deutschlands ganz die Politik des großen Cäsars. Ruhmsüchtige Generäle aber und die leicht bewegliche öffentliche Meinung zwangen ihn, von diesem Wege abzuweichen. Ein Ereignis trat denn auch bald ein, welches den Römern auf furchtbare Weise die Augen öffnete.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen