Mittelalterliches und Antikes in den Gestaltungsgrundsätzen

Kulmbachs Figur ist eine unbeholfene Travestie italienischer Renaissancekunst ins Deutsche, Dürers Werke sind durchdrungen von der eigenwilligen, gesunden Lebenskraft germanisierter Antike, die, aus dem Mittelalter herübergenommen, mit der neuen Zeit sich verbindet. In der stummen Elegie des Gesichtes spielt die heitere Vergangenheit mit einer ungewissen Zukunft im Augenblick des Kampfbeginnes. Die Figur, das ganze Bild wird zum Begleitmotiv des Ausdruckes des Gesichtes, das Sinnliche zum Symbol des das persönliche Leben erfüllenden Geistes, dessen Inhalt die metaphysischen Beziehungen zwischen Persönlichkeit und Schicksal bilden, wie in der klassischen Tragödie, die hier vermittelalterlicht aus dem Ereignis in die Zuständlichkeit des Daseins hinüberleitet.

Im Anschluss an die mittelalterliche Weltanschauung ist anderwärts die Figur von der neuen Zeit noch sehr viel konsequenter in ihrer Ausdrucksbewegung zum Gestaltmotiv des ganzen Bildes geworden, wobei gelegentlich die Bildidee sich von der klaren Endlichkeit wohlproportionierter Körperwelt völlig loslöst, um im Halbdunkel sich in das Wunder der Ewigkeit zu verlieren. In der Bannerträgerin Altdorfers( Abb. 6) drängen die kreisenden Kräfte aus metaphysischem Dunkel ins formengebende, rasende Licht, das Himmel und Erde, Endlichkeit und Unendlichkeit vereinigt in dem leidenschaftlichen Tanze. — Die Bäume in Altdorfers Zeichnung (Abb. 2) sind alle einem Zaubergarten entwachsen, in dem das Einzelne nur im Ganzen als der wunderlichen Metamorphose des Einzelnen lebt. Die Zweige und Blätter werden zu wildem, stürzendem Lichte, das aus goldenem Schatten niederströmend, wie ein Sendbote des Himmels den schweren Gang des Erdgeborenen begleitet.

Abb. 006. Albrecht Altdorfer, Bannerträgerin aus d. Sammlung Lanna, z. Z. Privatbesitz, London