Das Willensproblem

Dürer schildert (Abb. 5) weder das überpersönliche Gesetz, noch das stolze Gebaren der Rittergestalt in ihren isolierten Bewegungen. Das Tun ist nicht bloß eine momentane Aktion, sondern Resultat eines wohldurchdachten Bildgedankens, in dem sich etwas von der Gesetzlichkeit des Daseins selbst verkörpert. Deshalb wird hier das persönliche Wollen zugleich zum Ausdruck eines transzendenten Willens und die Bewegung der Figur verharrt in jenem Zwischenstadium, das die Antike so unübertrefflich zu schildern verstanden hat, wo das Stehen zum instinktiven Gehen, das freie Handeln zum traumhaften Tun wird und jene Dämmersphären des Lebens erscheinen, in denen über allem Persönlichen die Macht des Schicksals lastet wie der Schatten der Nacht über dem morgendlichen Leben.

Dürers Figur gestikuliert nicht. Der Ausdruck liegt allein in der Form, in dem versteckten Tatendrang der Konturen, dem heimlichen Suchen erwachender Kräfte, die aus fernen Tiefen in einer fast eleganten Welle über die phantastische Silhouette des Baumstumpfes hinweg in die Fahne, die Arme emporfluten und schließlich die Hand an das Schwert drängen, dessen ruhige Horizontalen mit der feierlichen Geraden des Hintergrundes einen so willkommenen Kontrast bilden zu dem heraufziehenden Sturm in den Gliedern der Gestalt. Dürer geht über das bloße Ausbalancieren der Standfigur hinaus, indem er sie zum Raum das heißt Bildmotiv zugleich macht. Daher begleiten teils die landschaftlichen Einzelheiten die Gestalt, teils bestimmen sie diese selber wieder in ihrer Erscheinung, während in dem Gegenstück nur Löcher links und rechts in der Bildkomposition zu sehen sind.


Abb. 005. A. Dürer, Fahnenschwinger, Stich. B. 87.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Malerei. Band 1
Abb. 005. A. Dürer, Fahnenschwinger, Stich. B. 87

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