Problem in der Naturwahrheit

Die Wahrheit findet der Deutsche dort, wo ihm der Reichtum des Individuellen zusammenwächst zu dem großen Wunder der Einheit. Er geht daher bei seinen Gestaltungsmodi zumeist jeweils von der Individualität seiner Bildvorstellung aus, die eben als Vorstellung so leicht den Weg zur Einheit in dem persönlichen Schauen findet. Er weiß nicht mit solcher Sicherheit wie der Italiener objektive Grundsätze für die Beziehung von Figur und Raum sich zu schaffen. Aber die Werke der deutschen Kunst gewinnen gerade deshalb eine so große Bedeutung für die Geschichte der Kunst, weil sie fast alle aus dem Gedächtnis geschaffen sind 2). Die Naturstudien dienen dem Deutschen zumeist nur als Bereicherung seines sinnlichen Vorstellungsbesitzes, aus dem heraus er dann frei das Bild entwirft, ohne die berauschende Phraseologie des Südens, aber auch ohne jene Artistentrivialitäten. Gewiss steckt auch unsern Größten noch der Philister und Pedant in den Knochen und die Mühsal des Rechnens guckt so häufig aus allen Ecken und Winkeln ängstlich heraus.

Aber dieser zähe Ernst des Ringens hat schon um seiner selbst willen manchmal etwas Erschütterndes, wie ein Menschenantlitz, auf dem das Schicksal im Kampfe mit der Persönlichkeit seinen harten Willen in den Ecken und Falten bildet. Doch ist das Resultat ein oft prinzipiell anderes als in der italienischen Renaissancekunst. Das Gesetz ist dem Deutschen nicht ein ästhetisches, sondern ein ethisches Postulat, nicht etwas zu der Sache Hinzugedachtes oder über sie Hinweggedachtes, sondern ihr etwas Immanentes, ihre eigentliche geistige Wesenheit.


Der Romane findet die Einheit relativ so leicht durch den transzendenten Standpunkt seines Wesens den Dingen gegenüber. Das Konventionelle ist ihm deshalb Bedürfnis, weil es ihn innerhalb dieser freiwillig gesteckten Grenzen seines Handelns frei macht; die Freiheit innerhalb der formalen Einheitlichkeit seines Denkens und Handelns ist ihm der Lohn dieser selbst geschaffenen Gesetzlichkeit, für den Deutschen dagegen ist eben das Zusammenwirken wie der Gegensatz der starren Macht des überpersönlichen Gesetzes und des persönlichen, freien Tuns fast stets das objektive Problem seiner Darstellung. Deswegen spürt man so häufig den Krieg, die Revolution, die Ruhe vor dem Sturm in Dürers Schöpfungen, weil diese feindlichen Mächte in der Bildform sich so schwer binden wollen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Malerei. Band 1