Verrat an das Ausland

Der ganze Unfug der deutschen Kleinstaaterei war durch den Westfälischen Frieden gewissermaßen sanktioniert worden. Einmal waren in ihm ausländische Fürsten zu Garanten der Friedensbestimmungen gemacht worden, so dass Weckherlin in den Chronologen schreiben konnte: „Kein Kanonenschuss ist seit dem Westfälischen Frieden in Deutschland gehört worden, welcher nicht den Franzosen, Schweden, Russen zum Signal diente, herbeizulaufen, um das Reich zu verwüsten“, dann aber hatte eine seiner Klauseln erlaubt, dass die Reichsstände nicht nur unter sich, hindern auch mit auswärtigen Mächten Bündnisse schließen durften.

Das war der Herzstoß, der dem Dasein des Reiches ein Ende gemacht hatte, denn er machte es zum willenlosen Spielball fremder Mächte, die sich von Rechts wegen bei jeder Gelegenheit in die inneren Verhältnisse Deutschlands einmischen konnten und leider auch bei jeder Gelegenheit von den Parteien zur Einmischung aufgefordert wurden. Das nichtswürdige Spiel, das heute von den Radikalen getrieben wird, die Deutschland um die Wette an Frankreich und Russland verraten, um sich kleine Vorteile dadurch zu sichern, ist nichts Neues auf deutschem Boden; was heute der Pöbel tut, haben Fürsten und Stände ihm vor 100 und 200 Jahren vorgemacht.


Als z. B. der Erbprinz von Hessen zur katholischen Kirche übergetreten war, musste er zur Beruhigung der Evangelischen in seinem Lande die sogenannte Assekurationsakte von 1754 eingehen, die in Zukunft alle Entscheidungen in kirchlichen Angelegenheiten dem katholischen Landesherren entzog und in die Hände des Konsistoriums legte. England, Dänemark und Holland haben die Anführung garantiert, d. h. sie erhielten offiziell die Erlaubnis, in Hessen, wenn es ihnen passend schien, nach dem Rechten zu sehen. Die großen und die kleinen Fürsten des Reiches haben von der Möglichkeit, mit dem Ausland gegen den Kaiser und ihre Mitfürsten konspirieren zu dürfen, den weitgehendsten Gebrauch gemacht. Es war ja nur ihr gutes Recht, das offizielle Aktenstücke verbrieft und versiegelt hatten; so nahm selbst ein Leibniz keinen Anstoß daran, die partikularistische Politik seines Welfenherzogs und sein Buhlen mit den Welschen warm zu verteidigen und in Schutz zu nehmen. Nicht nur die Zaunkönige und Kleinfürsten waren ehrlos genug, sich stets Frankreich in die Arme zu werfen; allen voran sind die Wittelsbacher, lange Zeit die mächtigste Familie im deutschen Westen, immer Hand in Hand mit dem französischen Könige gegangen.

Es hat weder ihnen noch dem linksrheinischen Bundesgenossen namhafte Vorteile gebracht. Max Emanuel, der bayerische Kurfürst und sein Bruder, der Kurfürst von Köln, mussten lange genug das Gnadenbrot auf französischem Boden essen, und ein Menschenalter später sah Deutschland das schmähliche Schauspiel, dass Karl VII., der Kaiser aus dem Hause Wittelsbach, ganz und gar von dem Wohlwollen des Marschall Belleisle abhing und buchstäblich Hunger leiden musste, wenn ihm die Franzosen kein Geld gaben. Indessen wäre es falsch, auf die Fürsten wegen ihres Mangels an Nationalgefühl einen Stein werfen zu wollen, erinnern wir uns, dass als die Franzosen im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts einen Krieg gegen das Reich führten, sie nicht dazu imstande gewesen wären, hätten Bremen und Hamburg sie nicht durch Zufuhr an Munition instand gesetzt, die Deutschen zu besiegen. Vom französischen Standpunkt aus gesehen, war es ein Gebot der Politik, Deutschland in seiner Zersplitterung und Ohnmacht zu erhalten; dass Deutsche die eifrigster waren, ihm bei diesem Spiel zu helfen, gehört zu jenen tiefschmerzlichen Umständen, die unheilbaren Wunden gleich, stets von neuem schmerzen müssen und sich niemals schließen können.

Kaiserin Josepha, Gemahlin Josephs II. Kupferstich von J. E. Nilson
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
011 Kaiserin Josepha, Gemalhlin Josephs II. Kupferstich von J. E. Nilson

011 Kaiserin Josepha, Gemalhlin Josephs II. Kupferstich von J. E. Nilson

alle Kapitel sehen