Patriotismus

Wie erbärmlich es um das Reich bestellt war, erkennt man erst so recht, wenn man sieht, dass es in der Gemütswelt seiner Angehörigen gar keine Stützen fand. Bei der unverhüllten Feindseligkeit, in der die Einzelterritorien mit ihren jeweiligen Nachbarn lebten, lag der Gedanke an die Nation als ein Ganzes um so ferner, als das Reich, suchte es sich einmal als solches geltend zu machen, wie etwa im siebenjährigen oder im Koalitionskriege gegen Frankreich nur Spott und Hohn erntete. Franzosen und Engländer besaßen jeder ein einiges großes Vaterland als den Mittelpunkt ihres Fühlens und Denkens, den Deutschen fehlte nicht nur dieser Begriff, sondern jedes politische Zentrum überhaupt, woher hätte den Deutschen ein Gefühl für Deutschland kommen sollen?

Im ,,Neuen Teutschen Merkur“ schrieb Wieland 1793: es sei ihm in seiner Kindheit viel gesagt worden von Pflichten gegen Gott, den Nächsten, auch wohl beiläufig ein Wort von Pflichten gegen die Obrigkeit, gegen Römisch Kaiserliche Majestät, Bürgermeister und Rat der löblichen Reichsstadt, aber von der Pflicht, ein deutscher Patriot zu sein, nichts, deutsch im politischen Sinne sei damals ein unbekanntes Wort gewesen. Eine reichspatriotische Empfindung konnte es nur im deutschen Süden und Westen geben, denn im Osten und Norden, denken wir nur an Preußen und Sachsen, waren ja die größten Erinnerungen der Geschichte mit Kämpfen gegen Kaiser und Reich verknüpft, hat doch noch Gleim in seinen „Siegesliedern eines preußischen Grenadiers“ seinen Hohn gleichmäßig über Reichsvölker und Franzosen ergossen.


Die beiden Moser, Vater und Sohn, sind in ihrer Art denn auch Ausnahmeerscheinungen in der deutschen Publizistik des Jahrhunderts, ihnen war das Kaisertum noch ein Gedanke voll Blut und Leben. Karl Friedrich von Moser rief in seinen Schriften ständig die Autorität der Reichsgewalt über die Einzelstaaten in Erinnerung; ihm galt, wie er 1764 an Iselin schrieb, die Wahl oder Krönung eines römischen Königs als ein Nationalfest der Deutschen. Er konnte sich dem Eindruck der Größe Friedrichs II. nicht entziehen, aber er mochte ihn nur wider Willen anerkennen, so sehr galt ihm der Siebenjährige Krieg als ein Bürgerkrieg von Deutschen gegen Deutsche. Ihren Zeitgenossen aber war der Gedanke eines politisch verstandenen Vaterlandes völlig fremd, und in der Tat, woher hätten sie, die oft schon dem nächsten Nachbarn als Ausländer galten, diesen Begriff hernehmen sollen? Schutzlos war jeder Bürger der Gewalt des Mächtigeren preisgegeben.

Als der Reichsstädter Schubart vom Herzog Karl Eugen von Württemberg ohne Urteil und Recht aufgegriffen und nach dem Hohenasperg gebracht wird, rührt sich keine Hand für ihn. „Ich war nicht Bürger in Ulm,“ schreibt er in seiner Selbstbiographie, „nicht in Aalen, nicht in Geislingen, war nur Weltbürger, dessen Rechte man zwar im allgemeinen, aber nicht in besonderer Fällen gelten lässt. Ich liebte mein Vaterland so herzlich und fand doch wenig Schatten unter den Flügeln des Adlers.“ Will man sich da wundern, dass der Sachse Lessing 1758 an den Preußen Gleim schrieb: ,,Ich habe von der Liebe des Vaterlandes keinen Begriff, und sie scheint mir aufs höchste eine heroische Schwachheit, die ich recht gern entbehre“, oder dass der Frankfurter Goethe ausruft: „Römerpatriotismus! Davor bewahre uns Gott wie vor einer Riesengestalt.“

Sprachen die Obrigkeiten von Patriotismus, so verstanden sie darunter die schweigende Erfüllung aller Pflichten, die sie den Untertanen aufzuerlegen für gut fanden, von Rechten der Bürger war im Staatsleben gar keine Rede. August Ludwig von Schlözer, der ein Leben an die Pflege des deutschen Selbstgefühls gesetzt hatte, schrieb am Ende seiner Tage, als das Reich zusammenbrach, voll Trauer und Schmerz: „Ungefragt verkauft, vertauscht, verschenkt, verkuppelt man uns wie eine Herde, und unempfindlich für deutsche Ehre, gefühllos selbst für alle Menschenwürde, heucheln wir, jubilieren wir, illuminieren, singen Te Deum und tanzen noch dabei!“ Als die Franzosen das linke Rheinufer besetzten, blieben die Deutschen gleichgültig, und nur einige, wie Schiller, Knigge, Körner, sprachen ihr Entzücken offen aus. Schiller, der mehr wie irgendein anderer Dichter das deutsche Empfinden seiner Leser gestärkt hat, sprach damals:

"Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche, vergebens,
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus!“


Bei diesem offen zutage liegenden Mangel an Gefühl für das Vaterland und der Kälte, mit der sich selbst unsere edelsten Geister von allem, was Vaterlandsliebe heißt, abwandten, hat es etwas Rührendes zu sehen, wie dieser Gedanke erwacht und sich allen Hindernissen zum Trotz erhält, wenn es auch Jahrzehnte dauern sollte und harte Prüfungen nötig waren, ehe er sich allgemein Bahn brach. Noch suchte die deutsche Dichtkunst sich ein kümmerliches Plätzchen unter fremder Sonne und besang in den schwülstigen Alexandrinern, die sie dem französischen Parnaß abgeborgt hatte, die Geschicke griechischer und römischer Heroen, da schrieb Joh. Elias Schlegel, der bis dahin Orest und Pylades, Dido und Lucretia besungen hatte, 1742 sein Trauerspiel „Hermann“, das zum erstenmal den Vorwurf tragischer Größe bei einem deutschen Helden fand.

Er weckte ein starkes Echo, das uns den Anklang bestätigt, den er gefunden haben muss. Justus Moser schrieb 1749 sein Drama „Arminius“ und Freiherr von Schönaich, der seinen gleichaltrigen Zeitgenossen für den ersten deutschen Dichter galt, folgte ihm 1751 mit dem Heldengedicht „Hermann oder das befreite Deutschland“. Von diesem Zeitpunkt an ist der Cheruskerfürst aus der deutschen Kunst nicht mehr verschwunden; Angelika Kauffmann malte ihn, so lieb und so nett, wie es ihrer schönen sanften Seele lag, und Dramatiker wie Klopstock, Ayrenhoff und andere haben um die Wette geeifert, seine und seiner Thusnelda Schicksale in Trilogien auf die Bühne zu bringen. Mögen Klopstocks „Bardiete“ die Schaubühne, für die er sie bestimmte, auch niemals gesehen haben, sicher ist, dass der hochtönende Schwung seiner Strophen in vielen jugendlichen Herzen eine Begeisterung entzündete, die, wenn sie sich auch vorläufig nur an die Vergangenheit wandte, doch über kurz oder lang auf die Gegenwart ausstrahlen musste.

Es gab Persönlichkeiten genug, die den Mangel einer Liebe zum Vaterlande als einen starken Fehler der Deutschen empfanden und die auf ihre Weise versuchten, gegen ihn anzukämpfen. Markgraf Karl Friedrich von Baden, sicher einer der besten deutschen Männer dieser Epoche, fühlte wohl, wie die Unbekanntschaft der deutschen Stämme miteinander an dieser Feindseligkeit Schuld sei und ein Gefühl der Gemeinsamkeit nur schwer aufkommen lasse. Er fasste den Plan, um die verschiedenen deutschen Bevölkerungen in ihren Anschauungen einander näher zu bringen und ein gemeinsames Interesse in ihnen wach zu rufen, eine Art Patriotisches Institut für den deutschen Gemeingeist zu errichten. Herder entwarf 1788 den Plan, den er im 6. Band seiner „Adrastea“ auch veröffentlichte. Die Idee ist nicht zur Ausführung gekommen, der Ausbruch der französischen Revolution erstickte sie schon im Keim. Gewiss ist, dass die Deutschen für diesen Gedanken noch nicht reif waren, und dass Wieland seine Mitbürger ganz richtig beurteilte, wenn er im ,, Neuen Teutschen Merkur“ 1794 schrieb: „Frankreich wird in allen Erschütterungen und Verwirrungen zusammengehalten durch den festen Willen der großen Mehrheit, eine Nation zu bleiben; Deutschland würde unter ähnlichen Umständen zersplittern und die Beute des Auslandes werden.“

Kaiser Leopold II. Schabkunst von J. Clerck nach dem Bilde von Kreitzinger 1730

Kaiser Franz II. Schabkunst von Johann Pichler

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
012 Kaiser Leopold II. Schabkunst von J. Clerck nach dem Bilde von Kreitzinger 1730

012 Kaiser Leopold II. Schabkunst von J. Clerck nach dem Bilde von Kreitzinger 1730

013 Kaiser Franz II. Schabkunst von Johann Pichler

013 Kaiser Franz II. Schabkunst von Johann Pichler

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