Kaiser Josef II.

Mit Josef II. betritt eine wahrhaft tragische Figur den Schauplatz der Geschichte. Sie gehört der ganzen Menschheit an, fast mehr wie Österreich oder Deutschland allein, denn mit Vorzügen und Fehlern ist er der Typus des edlen Schwärmers, des Enthusiasten, wie er in seinem Zeitalter häufig war, wie er aber zu allen Zeiten aufsteht, um die Völker, die auf ihn hören oder ihm zu folgen gezwungen sind, zu betören und ins Unglück zu führen.

Beseelt vom besten Willen und vom reinsten Wollen, geht er daran, die Menschen zu beglücken, ohne sie zu kennen und ohne sie nach ihren Wünschen zu fragen, und ist entmutigt und enttäuscht, als sie ihn nicht verstehen und seinem hohen Fluge nicht zu folgen vermögen. Ganz erfüllt von dem Gedanken der Humanität, groß geworden im Licht der Aufklärung und genährt von ihren Ideen, vermag er sich doch selbst denen nicht verständlich zu machen, die den gleichen Idealen huldigen wie er. Fünfzehn Jahre hindurch war er Mitregent Maria Theresias gewesen, die vergebens unternommen hatte, seinem stürmischen Temperament einen Zügel anzulegen. ,,Wie hervorragend auch deine Talente sein mögen,“ schrieb sie ihm einmal, „es ist unmöglich, dass du all die Erfahrung hast, Vergangenheit und Gegenwart kennst, um alles allein tun zu können“; aber nur widerwillig und gezwungen hatte er nachgeben müssen.


Am 29. November 1780 befreite ihn der Tod der Mutter von jeder Rücksicht, und nun brachen die Reformen mit der Gewalt eines Kataraktes über die Erblande herein. Die Pläne, die Josef so lange mit sich herumgetragen hatte, sollten nun verwirklicht werden, und zwar alle auf einmal und nicht von heute auf morgen, sondern möglichst heute schon. Mit einer alles überstürzenden Hast machte sich der Tatendrang des Kaisers in förmlichen Explosionen neuer Gesetze Luft, sein ruheloser Ehrgeiz griff heute in dieses Gebiet der Verwaltung ein, morgen in jenes; warten zu können war ihm nicht gegeben. Wie gern hätte er mit der ganzen Vergangenheit aufgeräumt, alles historisch Gewordene, jede Tradition war ihm ein Gräuel, die er nur zu willig bereit gewesen wäre, aus der Welt zu räumen.

Der Glaube, dazu imstande zu sein, war vielleicht der folgenschwerste Irrtum, dem er sich hingab; er kannte die Menschen so wenig, dass er sich einbildete, sie ändern zu können. Wie die Enzyklopädisten seines Zeitalters gewiss waren, man brauche den Menschen die Vernunft nur zu zeigen, um sie von ihren Vorzügen auch zu überzeugen, so glaubte Josef II., dass die Güte seiner Absichten genügen werde, um die einen auf ihren Vorteil, die andern auf ihre Bequemlichkeit, die dritten auf eine althergebrachte Gewohnheit ohne weiteres verzichten zu lassen. Er wollte die Gerechtigkeit, aber er glaubte sie durch Willkür herbeiführen zu können; mit verbundenen Augen und gefesselten Armen sollten seine Untertanen der Polizei der Toleranz und der Humanität überliefert werden. Die Zuversicht, mit der er an sein Werk, die völlige Umgestaltung der Monarchie, herantrat, war ebenso groß wie die überschwänglichen Hoffnungen, die er weckte. Aber es dauerte nur wenige Jahre, da war seine Zuversicht gebrochen, und alle Erwartungen, die man im Lager der Aufgeklärten auf ihn gesetzt hatte, bitter enttäuscht.

Die atemlose Unruhe und krankhafte Hast, mit der er vorwärts trieb, als fürchte er, die Zeit könne ihm untreu werden, brachte ihn um alle Früchte seines Strebens. Ohne Schonung für das Bestehende und ohne Verständnis für das historisch Gewordene versuchte Josef, allen Verhältnissen eine neue und ihnen meist widerstrebende Gestalt aufzudrängen. In dem einen Jahrzehnt seiner Regierung hat er alles angetastet, unendlich vieles zerstört, aber nichts gebessert, sondern durch das Zertrümmern alter Ruinen, nur neue Berge von Schutt aufgehäuft. Josef II. starb als ein verbitterter und gebrochener Mann, denn alles war zusammengebrochen, was er geplant hatte. „Versunken in mein eigenes Missgeschick und das des Staates“, schrieb er am 21., 24. Dezember 1789 seinem Bruder Leopold, „mit einer Gesundheit, welche mich jeder Erleichterung beraubt und nur die Arbeit noch peinlicher macht, bin ich gegenwärtig der Unglücklichste unter den Lebenden; Geduld und Ergebung sind meine einzige Devise. Du kennst meinen Fanatismus, darf ich sagen, für das Wohl des Staates, dem ich alles geopfert habe; das bisschen guten Ruf, den ich besaß, das politische Ansehen, welches die Monarchie hier erworben, alles ist dahin. Beklage mich, mein teurer Bruder, und möge Gott Dich vor einer ähnlichen Lage bewahren.“

König August der Starke von Polen und König Friedrich Wilhelm I von Preußen. Nach dem Gemälde von Louis de Silvestre im Stadtschloss in Potsdam
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
017 König August der Starke von Polen und König Friedrich Wilhelm I von Preußen. Nach dem Gemälde von Louis de Silvestre im Stadtschloss in Potsdam

017 König August der Starke von Polen und König Friedrich Wilhelm I von Preußen. Nach dem Gemälde von Louis de Silvestre im Stadtschloss in Potsdam

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