Die österreichische Monarchie

Von all den Unwahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten der deutschen Reichsverfassung widersprach keine stärker dem Grundgesetz des Reiches als die Teilung der Bekenntnisse. Die Reformation machte die Verfassung so recht eigentlich zur Lüge, denn der Kaiser und die geistlichen Fürsten durften Ketzer gar nicht dulden, und so stellte der Fortbestand der protestantischen Kirche im Reich im Grunde nichts anderes dar als eine chronische Revolution.

Sie hat den Dualismus geschaffen, auf den sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die deutschen Verhältnisse zuspitzten, Preußen auf der einen, Österreich auf der anderen Seite, hie Protestantismus, hie Katholizismus als die Kristallisationspunkte, um die sich alle Elemente geistigen und staatlichen Lebens, des Fortschritts und des Beharrens ganz von selbst gruppierten. Preußen kam dabei zugute, dass ein armes Volk auf magerem Boden sich tüchtig regen musste, um sich zu behaupten, und dass es im Kampf mit der Natur und den Menschen gezwungen wurde, alle seine Kräfte zu entfalten, um sich durchzusetzen. Österreich besaß den nicht geringen Vorteil einer viel älteren Kultur, größeren Reichtums und den Nimbus, den ihm die seit Jahrhunderten in seinem Herrscherhause erbliche Kaiserkrone lieh.


Dazu gab das Schicksal allerdings Preußen die hervorragenderen Regenten, die wirklich im besten Sinne des Worts die Erzieher ihres Volkes wurden, um es Schritt für Schritt der staatlichen und nationalen Einheit zuzuführen, während dieses Schicksal auf der Gegenseite so eigentümlich spielte, dass es Österreich zwar in Josef II. einen großen Mann schenkte, in der Mischung seines Charakters aber so viele widerstrebende Elemente verband, dass er sein Land, statt ihm ein Retter zu werden, an den Rand des Unterganges führte.

Der Zusammenhang Österreichs mit dem Reich war ebenso oberflächlich und locker, wie der aller seiner einzelnen Bestandteile untereinander, es war eigentlich nur die Person des Kaisers, durch die es mit Deutschland in Verbindung trat und die Einwanderung deutscher Elemente aus dem Reich, die der zu drei Vierteilen slawische und magyarische Staat nicht entbehren konnte, wenn er danach trachtete, seine Angehörigen der Kultur zuzuführen. Die österreichische Monarchie war ein Staatenbund, der durch seine Herrscher zusammengehalten wurde und so wenig eine Einheit darstellte, dass ihm sogar der Name fehlte, der die Gemeinschaft bezeichnet hätte. Man sprach und schrieb im 18. Jahrhundert nur von den k. k. Erblanden, der Begriff Österreich gehört erst dem 19. Jahrhundert an. Fest begründet war die kaiserliche Hausmacht erst, als langdauernde Kriege den Besitz Ungarns und Siebenbürgens sichergestellt hatten, was abschließend nicht vor 1718 der Fall war. Dazu kamen die Lombardei, die katholischen Niederlande und eine Zeitlang auch Neapel und Sizilien, von Rechts wegen hätte Karl VI. auch noch die Krone Spaniens zufallen müssen, so dass die Mannigfaltigkeit der Interessen am Kaiserhof den deutschen Angelegenheiten nur geringe Aufmerksamkeit zu schenken erlaubte. Kaiser Karl VI., althabsburgisch in seiner Gesinnung, hing gleich seinen Vorfahren so zäh am Hergebrachten, dass er in seiner langen Regierung an den Zuständen, die er bei der Thronbesteigung vorgefunden hatte, nichts änderte; als er starb, befanden sich seine Besitzungen in dem gleichen Zustande wie 100 Jahre zuvor.

Das Gemeinsamkeitsgefühl war so gering, dass man in Wien nach des Kaisers Tode höchst gleichmütig die Möglichkeit ins Auge fasste, an Bayern zu fallen, und dass Böhmen und Niederösterreich Karl VII. huldigte, sobald er sich nur sehen ließ. Karl VI. hatte, wie der kaiserliche Diplomat Baron Seckendorff in seinem Tagebuch schreibt, nur mit zwei Puppen gespielt, der pragmatischen Sanktion und der ostindischen Kompanie. Das Handelsprojekt mit Indien haben England und Holland zu hintertreiben verstanden, und die Erbfolge in seinen Stammländern, die er gegen die von seinem Bruder festgesetzte Regulierung seiner Tochter zuwenden wollte, ging trotz aller diplomatischen Mühen, an die er Jahrzehnte seines Lebens gesetzt hatte, doch nicht friedlich vonstatten.

Erst mit Maria Theresia, der letzten des Hauses Habsburg, beginnt für die k. k. Erblande eine neue Ära. Sie war Habsburgerin genug, um durchaus keine Neigung für Reformen zu verspüren, aber sie besaß zu viel natürlichen Verstand, um nicht ihre Notwendigkeit einzusehen. Sie fasste die Idee des Gesamtstaates ins Auge und versuchte, soweit sie konnte, das Interesse des Ganzen dem der einzelnen Teile voranzustellen. In ihren Erblanden sollte durch das Übergewicht der landesfürstlichen Behörden die Autorität des Regenten befestigt und der Regierung der entscheidende Einfluss auf das Gerichts-, Steuer- und Militärwesen eingeräumt werden. Das bedeutete einen Kampf mit dem Feudaladel, dessen Macht sie einzuschränken trachtete, aber diesen Kampf nahm sie mit Geschick und Takt auf und führte ihn mit zäher Ausdauer durch.

Sie tastete die Ständeverfassung nicht an, aber sie ignorierte die Stände und steuerte durchaus zielbewusst das Staatsschiff in das Fahrwasser der absoluten und unumschränkten Monarchie. Geschickt, kräftig und trotz mancher Nackenschläge nie entmutigt, wusste sie durch die taktvolle Art, in der sie mit den Menschen umzugehen verstand, ihre Zwecke sicher zu fördern und hatte den Zentralismus in ihren Erblanden so festgestellt, dass ihn selbst die falschen Schritte ihres Sohnes zwar erschüttern, aber nicht mehr zu Fall bringen konnten. Als sie ins Grab sank, bewundert und geliebt, da schrieb ihr großer Gegner ihr den glänzendsten Nachruf. „Sie hat dem Thron Ehre gemacht und ihrem Geschlecht,“ schrieb Friedrich II. an d'Alembert, „ich habe Krieg gegen sie geführt und bin niemals ihr Feind gewesen,“ und Klopstock rief ihr nach: ,,Schlaf sanft, du Größte deines Stammes, weil du die Menschlichste warst.“

Friedrich der Große

König Friedrich I. von Preußen Kupferstich von J. Böcklin nach dem Bilde von J. F. Wentzel

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
015 Friedrich der Große

015 Friedrich der Große

016 König Friedrich I. von Preußen Kupferstich von J. Böcklin nach dem Bilde von J. F. Wentzel

016 König Friedrich I. von Preußen Kupferstich von J. Böcklin nach dem Bilde von J. F. Wentzel

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