Die Stände

Solche Zustände waren nur möglich, weil man den Kaiser jeder Macht beraubt hatte und alles, was ihm entzogen worden war, der landesfürstlichen Autorität zu gute kam, auch wenn diese sich nicht weiter erstreckte als der sichtbare Horizont. „Selbst der jüngste Sohn einer apanagierten Linie bildet sich noch ein, Ähnlichkeit mit Ludwig XIV. zu haben,“ schrieb Friedrich II. im Anti-Macchiavell, ,,er baut sich ein Versailles, hat Mätressen und unterhält eine Armee.“

Die trostlosen Jahrzehnte, welche dem Ende des Dreißigjährigen Krieges folgten, sahen das Aufkommen des Absolutismus, den der kleinste deutsche Zwergpotentat sich in der Tat ebenso zu eigen zu machen suchte, wie der König von Frankreich, der sein leuchtendes Vorbild war. „Die Souveränitätsbegierde bemeistert sich immer mehr der fürstlichen Höfe,“ schreibt Johann Jakob Moser, „man hält Soldaten so viel man will, legt Akzis und andere Imposten auf, kurz, man tut was man will, lässt die Landstände und Untertanen, wenn es noch gut geht, darüber schreien oder macht ihnen, wenn sie nicht alles, was man haben will, ohne Widerstand tun, auch die nötigsten und glimpflichsten Vorstellungen zu lauter Verbrechen, Ungehorsam und Rebellion.“


Über allen Begriffen von Recht erhob sich in dieser Zeit die unumschränkte Macht des Fürsten, der keine Schranken anerkennen wollte, die seinem Herrenwillen entgegengestanden wären. „Wir sind Herr und König und tun was wir wollen,“ sagte Friedrich Wilhelm I. von Preußen. „Ich bin Papst in meinem Lande und niemand anders als mir selbst Rechenschaft schuldig,“ erklärte Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, als ihm die Stände Vorstellungen wegen seines Verhältnisses zur Gräfin von Grävenitz machten.

Der Erzieher des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, der Jesuit Seedorf, überreichte seinem Zögling bei dem Regierungsantritt ein Gutachten, das von dem Gedanken ausgeht, die Fürsten würden mit ,,größtem Fuge“ die Götter dieser Welt genannt. Alles, was der Landesherr seinen Untertanen nahm, forderte er von Rechtswegen, was er ihnen gab, sah er als eine Gnade an, zu deren Gewährung er durch nichts verpflichtet war. Die Landeshoheit diente keinen anderen Zwecken als der Erhöhung des Glanzes und des Ansehens des regierenden Hauses. Das Absehen der Politik war auf nichts anderes gerichtet als auf die Vermehrung des Familienbesitzes und die Aufrichtung der absoluten Monarchie unter Beseitigung aller Hindernisse.

Die Schranke der Willkür erblickten die Fürsten meist in den Ständen und in den Landtagen, die den unrechtmäßigen Ansprüchen des Landesherrn einen Damm entgegengesetzt hatten, und ihrer Beseitigung galt daher das eifrigste Streben aller Kabinettsregierungen. Nun hatte die furchtbare sittliche Verwilderung, die der Dreißigjährige Krieg in den Gemütern zurückließ, auch den Charakter der Stände beeinflusst und ihnen das Bewusstsein geraubt, öffentliche Pflichten zu vertreten. Sie hatten nichts anderes im Auge als ihren eigenen Vorteil und stellten ihre privaten Interessen hoch über das gemeine Wohl; in den Gegenden, in denen sie die meisten Rechte genossen, stand es um das Land am schlimmsten. Fast überall aus adligen Grundbesitzern zusammengesetzt, waren sie auch durchwegs nicht im Besitze des Vertrauens ihrer Mitbürger, spricht doch Joh. Georg Schlosser 1777 im Teutschen Museum von der „zehnfachen Last“, welche die Länder, deren Landstände nur aus Adel bestehen, zu tragen haben, im Vergleich mit jenen, die überhaupt keine Landstände besitzen.

So sah das Volk das Zurückdrängen und endliche Verschwinden der Stände in den meisten Ländern teilnahmslos mit an, und nur in Württemberg blieb die Sympathie des Volkes stets auf ihrer Seite. Hier erlahmte der ausdauernde Widerstand der im übrigen auch durchaus bürgerlichen Landstände im Kampfe gegen die Tyrannei eines Karl Eugen nie, wenn auch die Resultate, die sie im Zwiespalt mit der fürstlichen Willkür erzielten, nur bescheiden waren. Brandenburg hat am ersten mit seinen Ständen aufgeräumt. Die Beseitigung der althergebrachten ständischen Formen, schon durch den Großen Kurfürsten begonnen, wurde durch Friedrich Wilhelm I. vollendet. Seine berühmte Kabinettsorder aus dem Jahre 1717: „Ich komme zu meinem Zweck und stabiliere die Souveränität und setze die Krone fest wie einen rocher von bronce und lasse den Herren Junkers den Wind vom Landtag“ macht gewissermaßen den Schlussstrich unter dieses Kapitel. Von da an haben die Stände zwar noch Proteste erlassen, aber nur, um den Schein zu wahren. Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn ließen keine Landtage mehr abhalten, und da, wo sie durch die Finger sahen und den alljährlichen Landtag zusammenkommen ließen, wie in Cleve und Mark, geschah es nur aus Entgegenkommen gegen den Adel dessen Stiftsfähigkeit von der Teilnahme an Landtagen abhing. Eine reine Formalität war er auch hier. Wo die Landschaft fortbestand, wie beispielsweise in Brandenburg, nahm sie die Form einer Vereinigung des Adels zu rein wirtschaftlichen Zwecken an, politischer Einfluss oder solcher verwaltungsrechtlicher Art war ihr völlig entzogen.

In Bayern entschlummerte die landständische Verfassung, um nicht mehr zu erwachen. Seit dem 17. Jahrhundert waren hier keine allgemeinen Landtage mehr gehalten worden. Der letzte hatte einen Ausschuss ernannt und ihm eine Vollmacht auf die Dauer von 9 Jahren erteilt, die sich im Laufe der Zeit, ohne dass es sonderlich bemerkt wurde, auf ein Jahrhundert ausdehnte. Der Ausschuss trat einmal im Jahr in München zusammen, verzehrte seine Diäten, und im übrigen blieb alles, wie es gewesen war. In Kurpfalz waren die Landstände seit 200 Jahren nicht mehr zusammengekommen; in Pfalz Neuburg waren sie auf einen Ausschuss reduziert, „der sich seit 1721 so aufführte, dass, wie ein dem Kurfürsten Karl Theodor erstattetes Gutachten sich ausdrückt, ,,man sich darüber zu beklagen keine sonderliche Ursache habe“. In Sachsen bestanden die Landstände aus drei Klassen. Die erste umfasste die Stifte, den hohen Adel und die Universität, die zweite die Ritterschaft der sieben Kreise, soweit der einzelne acht Ahnen aufzuweisen hatte und ein Rittergut besaß, die dritte endlich die Städte. Allgemeine Versammlungen fanden nur alle 6 Jahre statt, der Ausschuss tagte dagegen alle 2 Jahre. Am mächtigsten war die Stellung der Stände in Österreich, und hier ist sie am längsten intakt geblieben. So lange Josef I. und Karl VI. auf dem Throne saßen, blieb die Verwaltung in der Hand der Stände, die die einzelnen Länder völlig voneinander abschlossen und im Innern ganz nach ihrem Sinne und zu ihrem Vorteil regierten. Im wesentlichen blieb es auch noch unter Maria Theresia so, erst Josef II. nahm ungleich seiner Mutter die Erbhuldigung der Stände nicht mehr entgegen, sondern löste die ständische Verfassung auf und orientierte seine Regierung gegen ständische Rechte und Vorrechte.

Kaiser Franz I. Kupferstich von Jakob Schmuzer nach dem Gemälde von Liotard. 1762
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
007 Kaiser Franz I. Kupferstich von Jakob Schmuzer nach dem Gemälde von Liotard. 1762

007 Kaiser Franz I. Kupferstich von Jakob Schmuzer nach dem Gemälde von Liotard. 1762

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