Cäsaren-Wahnsinn der Kleinfürsten

Aber auch da, wo sie bestehen blieben, hörten sie auf, den Untertan gegen den Landesherrn zu schützen, wofür ja Sachsen und Württemberg die eklatantesten Beispiele sind. Sie waren weder imstande, die maßlos ausschweifenden Pläne August des Starken zu hemmen, der nichts Geringeres wollte als Böhmen, Schlesien und Mähren erobern, um den Wettinern die Herrschaft über den Osten Europas zu verschaffen, und der nicht nur sich selbst, sondern sein bedauernswertes Land seinem dynastischen Ehrgeiz zu Liebe in das polnische Abenteuer stürzte, noch konnten sie die Misswirtschaft seines Sohnes und des Grafen Brühl hindern, die Kursachsen in die übelsten politischen Intrigen verwickelten, um es unter unendlichen Opfern an Ehre und Ansehen, Hab und Gut wehrlos seinem Gegner zu überlassen.

In Württemberg vollends haben die Stände ein volles Jahrhundert hindurch die Rolle des Chors in der Tragödie gespielt, jener alten Herren, die grollend und übellaunig alle Vorgänge auf der Bühne mit spitzen Reden und gar nicht erbetenen Ratschlägen begleiten und am Charakter der Helden und am Gang der Handlung doch so gar nichts ändern. ,,Die Regierung der Herzoge Eberhard Ludwig, Alexander und Karl Eugen“, schreibt Joh. Gottfr. von Fahl in seinen Denkwürdigkeiten, „ist ein düsteres Gemälde aus der Passionsgeschichte eines misshandelten Volkes.“


Eine Passionsgeschichte, in die Laune, Willkür und Tyrannei der Herrscher so viele Missetaten und Verbrechen gehäuft haben, dass man nur nicht begreift, wie ein Volk sie so lange und mit so unendlicher Geduld hat tragen können. ,, Waren doch alle getreu, ergeben und eifrig,“ bemerkt Albrecht von Haller 1723 in seinem Tagebuch, „ohne Murren, ohne Stachelschriften, und nahmen die Unordnung am Hofe als eine Strafe vom Himmel an.“ Je weiter es auf der dynastischen Leiter abwärts ging, je kleiner der Staat war, je ärger wurde die Willkürherrschaft, gegen die es für die Untertanen kaum einen Schutz gab. Da die Souveränität der Fürsten größtenteils in der Einbildung bestand und ihnen im Grunde gar keinen Spielraum zur Entfaltung irgendwelcher Talente frei ließ, da sie meist nicht weiter reichte als der Schatten des Kirchturms ihrer Residenz, so fielen sie in der Sucht, ihren Absolutismus auch betätigen zu müssen, einem kindischen Cäsarenwahnsinn zum Opfer. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau zwang den Adel seines Ländchens, ihm seine Güter abzutreten, denn er wollte sein Fürstentum nicht nur beherrschen, sondern auch besitzen. Und die Untertanen konnten noch von Glück sagen, wenn die Herren sich nur an ihrem Eigentum und nicht auch an ihrer Ehre und ihrem Leben vergriffen.

Fürst Hyazinth von Nassau-Siegen ließ 1703 den Bauer Friedrich Elender hinrichten, nicht nur ohne Urteil und Recht, sondern auch ohne irgendeinen verständigen Grund; es kam ihm nur darauf an, zu beweisen, dass er als Besitzer einer halben Grafschaft Herr über Leben und Tod sei. Der Markgraf von Ansbach schoss einen Dachdecker vom Turm des Schlosses in Bruckberg, um seiner Mätresse zu zeigen, wie sicher er im Zielen sei; der Witwe des Ermordeten schenkte er großmütigerweise 5 Gulden. Ein Markgraf von Bayreuth erschoss einen Jägerburschen, der gewagt hatte, ihm zu widersprechen; der Herzog von Mecklenburg ließ den Geheimrat von Wolffrath hinrichten, um die Witwe zu seiner Mätresse zu machen; Herzog Karl Eugen von Württemberg ließ die Tochter eines hohen adligen Beamten von der Redute weg in seine Zimmer bringen, und erhob sie, aller Proteste der Eltern ungeachtet, zu seiner Mätresse. Prinz Joseph von Hildburghausen pflegte auf seinen Platz am Sessionstisch des Geheimen Rats zwei geladene Pistolen und ein scharf geschliffenes Pandurenmesser zu legen. Missfiel ihm der Vorschlag eines Beamten, so warf er ihm das Messer an den Kopf, die geängstigten Mitglieder des Rats ließen es meist nicht erst dazu kommen, dass der Fürst auch nach ihnen schoss, sie zogen es vor, nach diesem Ausbruch hochfürstlicher Laune durch schleunigste Flucht den Regenten in die heiterste Stimmung zu versetzen. Karl Friedrich von Moser, der 1760 in seinem „Herr und Diener“ den Fürsten einen Spiegel vorhielt, hatte schon Grund zu dem Seufzer: „Sollte man es in unsern heillosen Zeiten anders als auf einem Blatt Papier wagen dürfen, dem Regenten ins Angesicht und mit Hoffnung des Eindrucks zu sagen: „Respektieren Euer Durchlaucht in Ihren Handlungen die Stimme Gottes und des Gewissens.“

Beide Moser, Vater und Sohn, die niemals müde wurden, fürstlicher Gewalt und Anmaßung entgegenzutreten, haben schwer für ihren Freimut büßen müssen, galt doch schon jede Kritik fürstlicher Handlungen für Hochverrat. Als Friedrich Wilhelm I. 1730 seinem Sohn den Prozess machte, ließ er bekannt machen, dass niemand sich einfallen lassen solle, Glossen über seine Handlungsweise zu machen, er würde ihm sonst die Zunge ausschneiden lassen ; wer sich aber unterstehe, über die Gefangenschaft des Prinzen und die Hinrichtung Kattes zu schreiben, dem werde die rechte Hand abgehauen werden. Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar verbot 1737 „Das vielfältige Räsonnieren der Untertanen“ bei halbjähriger Zuchthausstrafe, „maßen das Regiment von Uns, nicht aber von den Bauern dependiert und Wir keine Räsonneurs zu Untertanen haben wollen“. Am ärgsten blühte die Winkeltyrannei der Duozdespoten in den reichs-ritterschaftlichen Gebieten in Franken und Schwaben, die in tausend Partikelchen zerschlagen waren und im Bewusstsein und Sprachgebrauch der Deutschen erst eigentlich als ,,das Reich“ angesehen wurden. Diese Reichsgrafen und Reichsfreiherren waren zwar dem Kaiser unterworfen, aber Wien war weit, und Prozesse auch für die Untertanen kostspielig. Darum übten sie ungestraft die schonungsloseste Willkür, verhängten ohne Grund Geldstrafen, erhoben Steuern nach Belieben und belasteten die Bauern mit den härtesten Fronen, so dass die Ritterschaftsordnung der 6 Orte in Franken schon 1720 mahnte: ,,die armen Untertanen wider die Gebühr nicht zu beschweren“.

Die Reichsgerichtsurteile, wenn sie sich mit diesen Herrchen beschäftigten, sprechen von ihrem ,,niederträchtigen, unanständigen und gefährlichen“ Betragen, von ,,ehr vergessener Aufführung“, ,,ärgerlichem und ruchlosem Lebenswandel“. Joh. Gottfr. von Pahl, der lange Jahre in engster Berührung mit Mitgliedern des reichsunmittelbaren Adels lebte, hat ein treffendes Bild von ihnen gezeichnet. ,,Freifrau Karoline von Wöllwarth“, schreibt er, „benutzte ihre Stellung als Gutsherrschaft zwar nicht, um auf Kosten ihrer Untertanen zu gewinnen, sie realisierte aber ein eigentliches Sklaventum unter ihnen und erkannte ihnen gegenüber kein rechtliches Verhältnis an, sie griff in ihr Privatleben ein und verfügte über ihre häuslichen Umstände.“

Köstlich schildert er das Tun und Treiben des Grafen Joseph Anselm Adelmann auf Hohenstadt bei Neubronn, der alles selbst tat, das Unbedeutende und Geringfügige immer für wichtig und groß hielt, in seinen Beamten nur die willenlosen Vollzieher seiner Befehle erblickte. Alle Urteile gingen in erster und letzter Instanz stets von ihm persönlich aus, und zwar ohne Beachtung irgendeines Gesetzes, wie es Laune, Hass oder Zuneigung grade eingaben. Vom Obervogt bis zum Küchenjungen regierte er alles mit dem Rohrstock und hatte auf dem höchsten Punkte seiner Besitzungen zwei mächtige Galgen aufrichten lassen, um sein Recht über Leben und Tod den Untertanen eindringlich vor Augen zu führen. An der Spitze seiner Bauern zog er gegen den Freiherrn von Gültlingen auf Wildenhof ins Feld und lieferte ihm Schlachten, in denen es an Verwundeten und Toten nicht gefehlt hat. Kein Untertan durfte ihm nahe kommen, ohne ihm den Rockzipfel zu küssen. Da Pahl ihm missfiel, so nahm er ihn in eine Strafe von 100 Mark lötigen Goldes, und drohte, ihm den Kopf vor die Füße legen zu lassen, wenn er nicht zahlen werde. Nur in seltenen Fällen kam es vor, dass die kaiserliche Justiz die gröbsten Missetäter unter diesen Herren erreichte, und dann mussten sie es schon lange und arg getrieben haben. So kam Graf Friedrich von Leiningen-Guntersblum in Haft, weil er die abscheulichsten Untaten begangen hatte. Graf Gebhard zu Wolfegg-Waldsee erhielt wegen Betrügereien an Witwen und Waisen zwei Jahre Gefängnis; Graf Karl Magnus von Salm-Grehweiler, der die unsinnigste Verschwendung getrieben und sich bei Anleihen der gröbsten Betrügereien schuldig gemacht hatte, musste zehn Jahre auf der Festung Königstein im Taunus zubringen.

Allegorie auf den Frieden zu Hubertusburg Kupferstich von Schleuen. 1763

Kaiser Franz I. Kupferstich von Jakob Schmuzer nach dem Gemälde von Liotard. 1762

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
008 Allegorie auf den Frieden zu Hubertusburg Kupferstich von Schleuen. 1763

008 Allegorie auf den Frieden zu Hubertusburg Kupferstich von Schleuen. 1763

007 Kaiser Franz I. Kupferstich von Jakob Schmuzer nach dem Gemälde von Liotard. 1762

007 Kaiser Franz I. Kupferstich von Jakob Schmuzer nach dem Gemälde von Liotard. 1762

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