Das Kondominat

An der Spitze des Reiches ein machtloser Kaiser und ein untätiger Reichstag, sie repräsentierten das, was Friedrich der Große, wenn er sich offiziell ausdrückte, „eine erlauchte Republik von Fürsten mit einem gewählten Oberhaupt an der Spitze“ nannte, und was lange vor ihm Oxenstierna „die von der Allmacht erhaltene Konfusion“ und Pufendorf „ein Monstrum“ geheißen hatten.

In der Tat war das Emporstreben der Territorien daran schuld, dass das Ganze zum Vorteile seiner einzelnen Teile den schwersten Schaden erlitt und seinem Namen zum Trotz im Grunde eigentlich keine Verfassung besaß. Niemand war da, der imstande gewesen wäre, die Ordnung aufrecht zu erhalten und sie nötigenfalls zu erzwingen. Staatsrechtlich bedeuteten die deutschen Zustände ein Trümmerfeld, auf dem die Ruinen alter und überlebter Formen neben kümmerlichen Anfängen neuer Bestrebungen lagen, die über die Umrisse nicht recht hinaus kamen; das aber, was sich auf diesem Boden in der vollen Fülle des Lebens erhob, entwickelte sich im Gegensatz zu Kaiser und Reich und strebte neuer Einheit zu.


Der hartnäckig festgehaltene Wunsch, nichts von seiner Eigentümlichkeit aufzugeben und dem großen Ganzen zuliebe auf keine partikulare Sonderfreiheit zu verzichten, der die Geschichte der deutschen Stämme zu jenem Trauerspiel macht, dem wir eben wieder leid voll beiwohnen müssen, hatte dazu geführt, dass nicht nur die Territorien als solche, dass Korporationen und Stände, dass die Städte, ja, dass jeder einzelne den Anspruch auf Rechte festhielt, deren Ausübung in Wirklichkeit unmöglich geworden war. Niemand aber wollte veränderten äußeren Umständen Rechnung tragen, um so weniger, als er keinen Faktor gewahrte, der ihn dazu hätte zwingen können.

So hatte sich aus dem Durcheinander verrotteter Formen im 18. Jahrhundert allmählich jene geradezu typische Struktur der deutschen Territorien herausgebildet, in der das Nebeneinanderbestehen verschiedener Rechtszustände jene verfassungsrechtlichen Unmöglichkeiten herbeiführte, an denen das deutsche Staatsleben jener Zeit dahinsiechte. Das sogenannte Kondominat war nur eine von ihnen. Es bestand darin, dass ein Ort oder eine Landschaft von verschiedenen Herren abhängig war. So gab es in Nassau Zweiherren-, Dreiherren-, Vierherren-Länder, deren Name schon besagt, wie vielen Herren Rechte auf sie zustanden. Dorf und Schloss Michelfeld im Odenwald war z. B. ein Lehen der Freiherren von Gemmingen, dessen hohe Jurisdiktion dem Kaiser zustand, während das Schloss von Kurpfalz, die Kirche von Hessen-Darmstadt, das Gut von Hessen und Hohenlohe dependierte. Von tausend ähnlichen Fällen ist dies nur einer, er mag als Beispiel genügen, um zu zeigen, wie unnatürlich und verschroben sich die Zustände bei dem Fehlen jeder Zentralgewalt entwickelt hatten.

Kaiserin Maria Theresia Kupferstich von Nilson
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
005 Kaiserin Maria Theresia Kupferstich von Nilson

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