Reichsämter, Reichskanzlei, Reichshofrat

Seit urvordenklichen Zeiten betrachteten sich die Kurfürsten als Inhaber der obersten Reichsämter. Der Kurfürst-Erzbischof von Mainz war Reichserzkanzler durch Germanien, der von Trier Reichserzkanzler durch Gallien und Arelat, der von Köln Reichserzkanzler durch Italien. Von den weltlichen Kurfürsten waren der König von Böhmen Erzschenk, der Kurfürst von Bayern Erztruchseß, der Kurfürst von Sachsen Erzmarschall, der Kurfürst von Brandenburg Erzkämmerer, der Kurfürst von der Pfalz Erzschatzmeister, welches Amt 1706 an Hannover überging, das 1692 zur Kurwürde gelangt war.

Diese Würden waren längst zu bloßen Titulaturen geworden, nur die drei geistlichen Kurfürsten sind im Laufe des 18. Jahrhunderts wenigstens noch bei den Krönungen der Kaiser in Funktion getreten, die weltlichen Kurfürsten ließen sich dabei durch ihre Gesandten vertreten.


Die Mittelspersonen, durch welche Fürsten und Stände mit dem Kaiser in Verbindung standen, waren die Reichskanzlei und der Reichshofrat, beide schon seit langem in Wien. Kurmainz besaß das Recht, das Personal der Reichskanzlei mit Vizekanzler, Hofräten, Reichshofsekretären und Referendarien zu ernennen, ihre Verhandlungen wurden in deutscher oder lateinischer Sprache geführt. Den Reichshofrat ernannte der Kaiser. Er bestand aus einer Herren- und einer Gelehrtenbank und beschäftigte zusammen etwa 20.000 Seelen. Auf der Herrenbank, sagt Perthes sehr hübsch, „saßen Kinder und Ignoranten“ , d. h. Sühne hochadliger Väter, die nichts zu können und nichts zu verstehen brauchten und daher auch nur 2.600 fl. jährliche Besoldung empfingen, während die Mitglieder der Gelehrtenbank die Arbeit leisteten und dafür ein Jahresgehalt von 4.000 fl. erhielten.

Diese Remuneration war indessen für die Wiener Verhältnisse durchaus ungenügend, und die gelehrten Reichshofräte waren zur Aufbesserung ihrer Finanzen ganz offenkundig auf Bestechung angewiesen. „Man kann sich bei diesem Reichskollegium wenig auf die Gerechtigkeit seiner Sache verlassen“, schrieb Freiherr von Fürst an Friedrich den Großen, „wenn man nicht durch Begünstigungen unterstützt wird.“ Als Joh. Jak. Moser bei dem Reichshofrat tätig war und sich für Bestechungen unzugänglich erwies, nannte ihn der Vizepräsident Graf Wurmbrand nie anders als „Ehrlicher Herr Rat“, so wenig gewohnt war er, diese Eigenschaft in seinem Kollegium anzutreffen. Außerdem hielten sich beim Reichshofrat Agenten auf, die bei Prozessen die Interessen ihrer Klienten wahrzunehmen hatten, es waren ihrer 30, die sich nach Keyßler auf 10.000 fl. im Jahre standen.

Die Arbeitsleistung war gleich Null. Prozesse, die beim Reichshofrat anhängig gemacht wurden, blieben 100 Jahre und länger in der Schwebe, ja, Rebmann berichtet den klassischen Fall, dass diese Behörde eine Klage der Untertanen über ihren Fürsten nach zwei Menschenaltern endlich dahin beschieden habe: „Man verhoffe in Wien, der Fürst werde schon von selbst auf Abstellung der betreffenden Beschwerde gnädigst bedacht gewesen sein.“ Nur die Kleinsten und Allerkleinsten wurden durch die Furcht vor dem Reichshofrat etwas in Zaum gehalten, denn wie selten es auch vorkam, dass man sich in Wien zu energischen Entschlüssen aufraffte, schon die Tatsache, dass ein Verfahren an dieser Stelle beträchtliche Summen kostete, ließ die kleinen Despoten darauf sehen, alles Verfängliche möglichst zu unterlassen, „dass nur kein Geschrei beim Reichshofrat entstehe.“ Vom Reichskammergericht und der Reichsarmee wird noch an anderer Stelle die Rede sein.

Kaiser Franz I. Kupferstich von Nibon
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
004 Kaiser Franz I. Kupferstich von Nibon

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