Handelsweg nach Novgorod

Schon zu Anfange des dreizehnten Jahrhunderts hatten deutsche Kaufleute den Handelsweg nach Novgorod, das der Mongolenherrschaft nach Kräften sich entzog, eröffnet, und als um 1477 auch das übrige Russland von dem Fremdenjoche durch Iwan I. Wassiliewitsch befreit worden war, berief dieser, wie später Iwan II. der Grausame, zum Bau von Moskau und zur Verbreitung abendländischer Kultur ausländische, vornehmlich deutsche Baumeister, Handwerker, Manufakturisten, Künstler und Gelehrte, wodurch der erste Schritt deutscher Zivilisation in das Herz Russlands getan war. — Livland, das unter seinem Herrmeister Walther von Plettenberg das junge Russland siegreich überwältigt (1502) und zu einem fünfzigjährigen Frieden gezwungen hatte, ohne jedoch auf die Dauer sich seiner erwehren zu können, sah in ihm einen gefährlichen Nachbar aufwachsen. Während des dauernden Friedens nahm der Wohlstand an der Ostsee zu, und an die Stelle der bald verlernten Kriegskünste traten Schwelgerei und Verweichlichung. — Die Uneinigkeit im Lande unter der weltlichen und geistlichen Macht, zwischen Ritter und Bürger wuchs von Jahr zu Jahr. — Das Ansehen der unfehlbaren Päpste und ihrer Geistlichkeit sank, als die Welt Augenzeugin ihrer ausschweifenden Lebensweise und der gegenseitigen Bannflüche wurde. Die Rache des vom Klerus einst gezähmten Volkes gab sich auf empfindliche Weise kund, wie die Spottlieder jener Zeit ausweisen. Ein missliebiger Erzbischof Rigas wurde, rücklings auf einem Esel reitend, den Schweif als Zügel in der Hand, vom Volke mit Hohngesängen verspottet, durch die Gassen der alten Hansestadt geleitet. Ein verwandter Humor verewigte sich an altgotischen Baudenkmälern zu Basel, Bern, Erfurt, Straßburg u. a. m., wo wir Messe lesende Esel in Priestergewändern entdecken, Hunde und Tiger, welche gottesdienstliche Verrichtungen vornehmen, ja in Erfurt einen concubitus monachi cum monacha.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Dichter in Russland