Die Zeit der Kreuzzüge und der Hanse

Die christlich-poetisch-romantische Zeit der Kreuzzüge hatte ihrer Endschaft sich zugeneigt und bald erfüllten weltliche Interessen, praktische Richtungen die Gemüter. Die Welt ergab sich der Wohlfahrt und Pracht, wozu die in der Fremde erbeuteten Reichtümer, der ausländische Luxus Anstoß gaben, vernachlässigte aber mehr und mehr die edleren poetischen Vergnügungen. Dennoch finden sich ans späterer Zeit, vermutlich aus dem vierzehnten Jahrhunderte, auch in Livland Zeugnisse der noch fortlebenden Minnedichtung, wie die im Revaler Ratsarchive neuerdings entdeckten Minnelieder in niederdeutscher Mundart beweisen.

Den Ritterorden gegenüber erhoben sich freie Städte mit ihrer Kultur und schlossen Schutz- und Trutzbündnisse, um in gemeinsam geschütztem Verkehre der Mehrung und des Genusses ihrer Reichtümer sich zu erfreuen. Im Jahre 1241 schlossen Hamburg und Lübeck den ersten Hansebund, dem 1300 schon sechzig Städte, unter denen Riga eine der bedeutendsten, beigetreten waren. Faktoreien wurden in allen Richtungen des Handels, so in Brügge, London, Bergen, Novgorod angelegt. Der Bund befehligte über See- und Land-Kriegsmächte und gab im ganzen Norden den Ausschlag. — Der Curverein von Rense (1338) und die goldene Bulle (1356), welche die obersten Gewalten der Fürsten regelten und feststellten, veranlassten den reichsfreien Adel und die Städte in Bündnisse zu treten, um auch ihre Rechte gegen Übergriffe zu schützen. Dem schwäbischen Städtebunde gegenüber bildeten sich die Raubschlösser des Adels. Das zügellose Leben, welches von den Rittern in der Tyrannei ihres Faustrechts geführt wurde, fand auch in Livland Anklang. Zahllose Gräuel, wie die liederliche Wirtschaft der von Tödwen und Tiesenhausen aus Schloss Ringen und Randen, von denen ein altes Ringensches Kirchenbuch erzählt, empörte die Gemüter. Die von den livländisch - deutschen Chronisten Rüssov und Kelch erwähnten Buhlenlieder, welche bei festlichen Gelegenheiten nach der Mahlzeit unter den jüngeren Leuten gesungen wurden, gehören dieser Zeit an, und „wer die besten Buhlenlieder quinkilieren konnte, der wurde vor Anderen lieb und wert gehalten, wie denn zu dieser Zeit die Buhlenlieder aus aller Welt nach Livland geflogen waren, weil Jedermann, Jung und Alt, sich derselben gewaltig befleißigte.“ (Kelchs Chronik 203.) Durch die atlantischen Entdeckungen des Infanten Heinrich, des Bartholomäus Diaz, Vasco de Gama, Columbus, Cortez und Pizarro betraten Portugal, Spanien, Holland und England der Reihe nach neue Entwickelungsstufen. Aus Deutschland, das sich höchstens in einigen bevorzugten Individuen an den Vorgängen in der neuen Welt und zwar durch die erste bedeutendere Einfuhr schwarzer Sklaven aus Afrika beteiligte, *) scheinen die Wunder jener fernen Weltteile fürs erste keinen unmittelbaren Einfluss ausgeübt zu haben. „Der Reineke Fuchs,“ die dramatischen Versuche eines Rosenplüt, eines Theodor Schernberg, der komische Roman „Till Eulenspiegel,“ die jener Zeit ihren Ursprung verdanken, verraten keinen Zusammenhang mit dem Leben im weitausschauenden Westeuropa. Für Deutschland sollte diese Stunde erst später hereinbrechen, da es den transatlantischen Ländergebieten sein Interesse zuwendete.


*) Zur Brandmarkung mögen hier die Namen jener deutschen Sklavenhändler stehen: „Kuntzmann und Becks“. (Vgl. La Havane par la Comtesse Merlin, II 134 und Ramon de la Sagra hist. Phys. Polit. Y. natural de la Isla de Cuba. Apdx. No LXXXIX. u. folg.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Dichter in Russland
Geschichte der Kreuzzüge, Cover

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