Der Berg Sinai

Am zweiten Tage ging ich mit meinen Reisegefährten in etwa 6 Stunden rings um den Berg Sinai meist durch das denselben umgürtende Bostantal, und am dritten Tage früh 6 Uhr bestieg ich den Berg in Begleitung eines Mönchs. Anfangs wanderten wir über hingesäte Felsstücke hinweg, das Steigen fängt erst etwa 500 Schritte vom Kloster an. Viele Stufen in blätterigen Porphyr gehauen, führen zwischen den Felsen in einer engen Schlucht hinauf, doch sind sie wegen ihres schlechten Zustandes nur mit großer Vorsicht zu betreten. Es ist kein Wunder wenn sie verfallen sind, denn die Kaiserin Helena oder der Kaiser Justinian der Große soll sie haben einhauen lassen, und seit jener Zeit ist schwerlich etwas für ihre Ausbesserung geschehen. Indem wir auf ihnen emporstiegen, entstand unversehens über unsern Köpfen ein großes Brausen, das uns erschreckte. Uns umschauend, wurden wir inne. dass es von einem Paar durch den Engpass flatternden Tauben herrührte. Eine gute Viertelstunde Wegs höher steht links eine Grotte mit einer frischen klaren Quelle. Es ist die Quelle des heiligen Sangarius. Dieser fromme Mann war vor sehr langer Zeit Abt des Klosters. In einem sehr heißen Jahre ging den Mönchen alles Wasser in den Zisternen aus, da rief der Abt durch sein inbrünstiges Gebet diese herrliche Quelle aus dem Felsen hervor. So erzählte mir der mich begleitende Klosterbruder. Das Emporsteigen wird durch die mehr und mehr verengerte Schlucht und auf den ausgebrochenen Felsstufen und Blöcken immer mühsamer; eine Strecke höher tritt man durch einen verfallenden steinernen Bogen. Wir näherten uns nun, ziemlich warm geworden, der ersten Hochebene zwischen den zwei Hauptgipfeln des Horeb, aus dieser erhebt sich der eigentliche Sinai, ein noch höherer Gipfel. Der Horeb bildet sonach die Grundlage des Sinai, die erste Bergstufe desselben, seine Gipfel sind die Brüste des Berges, dessen Haupt der Sinai ist. Bevor man das Plateau des Horeb erreicht, sieht man am engen Wege zwei gemauerte Brunnen, von denen der eine jedoch ohne Wasser ist. Nicht weit davon steht, wie mitten aus den Felsen gewachsen, ein Zypressenbaum, rings mit einer kleinen Mauer umgeben. Die Aussicht von diesem Platze auf das starre Felsengebirge umher überrascht durch ihre Seltsamkeit. Auf dem Berge selbst ist keine Spur von Vegetation zu erblicken. Auf der Gebirgsplatte selbst kamen wir gleich zu einer Kapelle, die den Namen des Propheten Elias trägt; daneben ist eine Felsenhöhle im Berge, welche Elias, der todesmutige Streiter Gottes, vor der Verfolgung des Königs Abab und der verruchten Isabel gesichert, bewohnte und mit Gott sprach, der sich ihm hier in einem stillen sanften Sausen offenbarte. Wir bestiegen nun den eigentlichen Sinai, den bis diese Stunde, aus frommer Scheu und eingedenk des in der Wüste seinen Vätern gewordenen Verbots Gottes, kein Jude betritt noch seinen Fuß berührt. An zwei christlichen Kapellen vorüber, in denen sich Altäre befanden, langten wir gegen zehn Uhr auf dem Gipfel des Berges an. Zwei Kapellen zieren denselben, links eine christliche, rechts eine muhamedanische. In der ersten findet man auf dem Altare die Namen derer aufgezeichnet, die den Sinai bestiegen haben, in der andern sieht man Fetzen von Kleidungsstücken an einer Schnur aufgehangen, die die Türken zum Andenken ihres Besuchs hier zurücklassen, denn der Berg ist auch ihnen ein sehr heiliger. Neben der Kapelle führen in einer Vertiefung einige Stufen zu einem Kamine hinab, woselbst die Türken und Araber ihren Kaffee zu kochen pflegen.

Ein Brunnen, der in solcher Höhe sich zwischen den zwei Kapellen befindet, liefert das Wasser dazu. Mächtig bewegt sowohl von den großartigsten Erinnerungen an die uralte Herrlichkeit dieses Gipfels, der da rauchte, als der Herr mit Posaunenschall unter Blitz und Donner zu Moses sprach und ihm das Gesetz verkündete, als auch von der unvergleichlich hehren und fremdartigen Aussicht auf die Wüste der zackigen Felsenberge, auf das Meer und in die Ferne nach Arabien und Ägypten, eine Aussicht, die im Umfange 200 deutsche Meilen betragen soll, verweilte ich gegen eine Stunde in Staunen und Anbetung versunken. Ich war hier, wie mich mein Führer versicherte, fast 7.000 Fuß über der Meeresfläche. Die Rührung verließ mich lange noch nicht, als wir wieder in das Kloster zurückgekehrt waren.