Das Katharinenkloster am Fuße des Horeb

Und so war denn wieder ein Sonntag in unserm einförmigen Reiseleben angebrochen, und wir wurden von einer fromm feierlichen Spannung erfüllt; denn heute noch, recht zur Sonntagserhebung, sollten wir den heiligen Berg des Herrn erblicken und das St. Katharinenkloster an seinem Fuße erreichen. Bisher waren uns die höchsten Gipfel des Gebirges, der Horeb und der eigentliche Sinai immer von andern Bergen verdeckt worden. Plötzlich, bei einer Wendung des steilen Weges, schrieen unsere Kameltreiber auf eine im Hintergrunde hervortretende imposante mehrgipfliche Bergmasse deutend: „Schuf Djebel Moshe!“ (Schaut, das ist der Berg des Moses!), und ein freudiger Schreck durchzuckte mich. Es ist mir unmöglich, die Gefühle zu beschreiben, die mich in diesem Augenblicke durchstürmten. Ich faltete die Hände zum wortlosen Gebete, und meine Augen füllten sich mit Tränen der Rührung.

Das rege Verlangen unsers Gemüts ließ uns heute keine Mittagsrast halten, und so sahen wir denn gegen 3 Uhr Nachmittags von der letzten Berghöhe in das Wadi Bostan (Gartental), auch Wadi Naha genannt, hinab und erblickten das große Kloster in seinem ganzen Umfange und dicht darüber die sieben Gipfel des steil aufsteigenden Horeb. Unsre Augen hafteten mit sprachlosem Entzücken lange auf dem reizenden Tale mit seinem hochummauerten Klosterfrieden und auf dem majestätischen Berge, bevor wir hinabritten.


Unsern Dolmetscher hatten wir mit den Empfehlungsschreiben nach dem Kloster vorausgeschickt, um uns die Erlaubnis auszubitten, einige Tage daselbst verweilen zu dürfen. Sie wurde uns gewährt, und Nachmittags nach 3 Uhr (27. Oktober 1833) zogen wir in das Kloster ein. Am meisten fiel mir auf, dass das Gebäude weder Tore noch Türen hatte. Aus einem hohen Fenster wurde ein Strick herunter gelassen, an dessen Ende ein großer Ring angebracht war. In diesen musste sich Einer nach dem Andern setzen, und so wurden wir mittels eines Flaschenzuges bis zum Fenster gezogen, das vom Boden an wohl gegen 40 Fuß hoch war. Wir wurden äußerst gastfreundlich von den Klosterbewohnern aufgenommen.

Den ersten Tag brachten wir damit zu, uns von den Anstrengungen der Reise zu erholen und das Kloster in Augenschein zu nehmen. Es hat ganz das Ansehen einer Festung; denn hohe, starke Mauern aus großen Grantiblöcken und Backsteinen umgeben es ringsum im unregelmäßigen Viereck. Auf jeder Ecke steht eine Kanone und oben durch die Mauer geht ein Gang, in welchem Schießscharten für das leichte Geschütz angebracht sind. Die Geschütze dienen zur Abwehr der Beduinen, die sonst, bevor Mehemed Ali hier herrschte, der den Christen kräftigen Schutz angedeihen lässt, sehr oft Raubüberfälle auf das reiche Kloster versuchten. Auch jetzt noch ist das Kloster stets für den Fall einer Belagerung auf 2 Jahre mit Proviant versehen. Das Innere ist ein Haufen unregelmäßiger, auf unebenem Boden aufgeführter Gebäude. Sehr wohltätig spricht überall in den Gemächern und auf den Höfen die sorgfältigste Reinlichkeit an. Mir vorzüglich gewahrte sie nach der heißen Wüstenfahrt, in die wir leider nicht allein mit Staub und Sand zu kämpfen hatten, unaussprechlichen Genuss. Das merkwürdigste Gebäude ist die Kirche, die der oströmische Kaiser Justinian erbauen ließ; das Kloster selbst soll von der heiligen Helena, der Mutter Kaiser Konstantin des Großen, gestiftet worden sein. Die Kirche ist nicht groß, aber von ausgezeichneter Schönheit, und hat drei Schiffe. Das blaugemalte, den Himmel mit seinen Sternen darstellende Gewölbe ruht auf zwei Reihen von Granitsäulen, der Fußboden sowie die Wände bestehen aus schwarzem und weißem Marmor; an letzteren prangen in herrlichen goldenen Rahmen viele Gemälde und Heiligenbilder. Zur Erleuchtung der Kirche dienen eine Menge goldener und silberner Lampen. Der Gottesdienst in derselben beginnt 12 Uhr Nachts und endet 6 Uhr Morgens, und ich habe ihm mit meinem Dolmetscher beigewohnt, der alle Zeremonien mitmachte, so dass die Mönche, weil er auch sehr gut griechisch sprach, glauben mochten, er sei ein Christ. In der Kirche ist eine Kapelle gerade über der Stelle erbaut, wo Moses einst den brennenden Busch erblickte, durch welchen Gott sich ihm offenbarte. Bevor wir sie betraten, zogen alle Mönche und Fremde die Schuhe ans, dem Bibelverse zu Folge, in welchem der Gott Israels aus dem Busche dem erstaunten Moses zuruft: Tritt nicht herzu, ziehe deine Schuhe aus von den Füßen, denn der Ort, da du aufstehest, ist ein heilig Land (2. Buch Mosis 3. S.). Ich war von dem Gefühle durchschauert, dass dies ein urheiliger Boden sei.

Das Kloster, zur Verklärung genannt, ist jetzt im Besitz griechischer Mönche, die vor mehreren Jahrhunderten in kirchlichen Streitigkeiten die Katholiken daraus vertrieben. Außer der Kirche hat das Kloster nur wenig Merkwürdiges; die übrigen Gebäude dienen den Mönchen zur Wohnung. Aus dem Kloster führt ein unterirdischer Gang nach dem Klostergarten, der ebenfalls mit einer Mauer umgeben ist. Auf der einen Seite derselben befindet sich ein Loch, das zum Ausgange dient, wo man sich an einem daran angebrachten Stricke herunterlässt. Der Garten hat kein sehr fruchtbares Erdreich, doch bauen die Mönche darin ihre Gemüse, auch gedeihen Südfrüchte, die jedoch von keinem guten Geschmacke sind.