Auguste L. die projektierte „gnädige Frau“.

Wie unwahr das Sprichwort ist: „der Apfel fällt nicht weit vom Stamme,“ zeigt am deutlichsten die Geschichte einer soi-disante gnädigen Frau, die ich Auguste L. nennen will. Ihre Eltern sind die bravsten und rechtlichsten Leute von der Welt, die ich um keinen Preis auch nur durch die leiseste Andeutung verwunden möchte, während Auguste — jetzt etwa 30 Jahre alt — bereits alle Stadien liederlicher Gemeinheit durchgemacht hat. Nur ein Lob kann man ihr geben, d. h. ein negatives, sie hat sich bis jetzt noch vor Konflikten mit der Kriminaljustiz zu bewahren gewusst. Im Übrigen aber gilt allgemein nur ein Urteil über sie, dass sie die ärgste und verworfenste Lustdirne ist, welche unter der angenommenen Maske der Anständigkeit und eines gewissen bon ton's in Berlin umherwandelt. Da sie viele Geschwister hatte, war ihre Jugenderziehung überhaupt, bei dem sittlichen Charakter ihrer Eltern, eine strenge, sie ward mit Nachdruck zur Schule und zur Arbeit angehalten, und an Häuslichkeit gewöhnt. Aber Schule und Erziehung vermochten Nichts über ihren angebornen Hang zum Müßiggange und zum Umhertreiben, die strengsten Züchtigungen des Vaters waren ohne Erfolg, — der Leichtsinn ihres Temperaments siegte.

Man sage nicht, dass der Mensch von Hause aus weder gut, noch schlecht sei, dass Erziehung und Umgang ihn erst zu dem machen, was er später wirklich ist. Jenes „cereum flecti“ des Horaz hat seine Ausnahmen, wenn man auch in der Regel annehmen kann, dass die Jugenderziehung zur Zeit der Verstandesentwickelung für das nachfolgende Leben maßgebend bleibt.


Schon die jetzt wieder vielfach hervorgesuchte und gar nicht zu verachtende Phrenologie lehrt, dass gewisse Organe der Tugenden, wie der Laster, vielen Menschen in außerordentlichem Grade angeboren sind, so dass diese sich, der besten Erziehung zum Trotz, auf eine, ich möchte sagen, krankhafte Weise zum sittlichen Nachteile des Individuums notwendig entwickeln müssen. So die Liederlichkeit der Auguste, welche schon in früher Jugend den besorgten Eltern zum tiefsten Kummer gereichte.

Vor ihrer Einsegnung hatte sie schon Liebesverhältnisse: vielleicht trat sie nicht mehr als Jungfrau zum ersten Male zum Tisch des Herrn. Ich finde einen merkwürdigen Unterschied zwischen ihr und andern Prostituierten, welcher das Vorhergesagte bestätigt.

Die bekannte Kupplerin Sp., welche noch bei ihrem Alter und ihrer bösartigen Krankheit nicht unterlässt, das von ihren Töchtern Erpresste ihren jungen Chapeau's zuzustecken, hat ihre Töchter von früh an selbst verführt und verkuppelt, und dennoch haben zwei derselben gänzlich diesen Weg verlassen: die Eltern der Auguste suchten alle Mittel hervor, um ihre Tochter zu retten, und dennoch musste sie in der Sphäre, worin sie sich bewegt, die ärgste Dirne werden, welche es zur Zeit vielleicht gibt. Wer vermag solche Krankheiten zu heilen, die die Natur selbst dem Menschen eingeimpft hat!?

Da Auguste im elterlichen Hause nicht zu bändigen war, kam sie in einen strengen Dienst. Sie hielt hier aber so wenig, als in der Folge in ihren fernern Konditionen aus, obschon der Vater sie jedes Mal, wenn sie ihrer Herrschaft entlaufen war, auf das Strengste, ja barbarisch bestrafte, und zuletzt die Mitwirkung der Polizeibehörde in Anspruch nahm. Vielleicht hat auch die übertriebene Strenge gerade den entgegengesetzten Erfolg herbeigeführt! —'

In Folge dieser häuslichen Verdrießlichkeiten entlief — vor jetzt 11 Jahren — Auguste auch ihren Eltern und fand, da sie damals ein günstiges Exterieur besaß, bei den Winkelkupplerinnen eine willkommene Aufnahme. Lange bemühte sich ihr Vater, sie aufzufinden, aber vergebens!

In der Kommandantenstraße bestand damals eine, jetzt längst verschollene Konditorei, wo in der Wirklichkeit nur Kuppelgeschäfte getrieben wurden. Die Wirtin jenes Lokals, welches späterhin die Polizei geschlossen hat, nahm unsere Auguste auf, welche darin mit Fähndrichs, Studenten, Handlungsgehilfen u. s. w. sehr bedeutende und für ihre Domina sehr einträgliche Geschäfte machte. Der Zufall führte eines Tages einen Hausfreund des Vaters der Auguste an diesen Ort, und derselbe unterließ nicht, seinem Freunde davon Mitteilung zu machen.

Auguste ward hierauf sofort von ihrem Vater abgeholt, vorher aber in Gegenwart ihrer zärtlichen Liebhaber mit dem Kantschuh gehörig gezüchtigt und auf Antrag ihres eigenen Vaters auf längere Zeit in das Arbeitshaus gebracht. Der Vater sah hierin das letzte Korrektionsmittel, welches er noch zu versuchen entschlossen war! Obschon ihm die Detention seiner Tochter in jener Anstalt zu bezahlen, bei seiner sonst zahlreichen Familie, sauer ward, so war dieses Besserungsmittel doch ein fruchtloses! Auguste kam, wie sich Jedermann vorstellen kann, noch viel verdorbener heraus, als sie hineingekommen war. Das Arbeitshaus ist bekanntlich das große Vaterhaus, wohin alles Berliner Elend, alles Berliner Verbrechen, alle Auswüchse der bürgerlichen und moralischen Gesellschaft gebracht werden. Verschuldete und unverschuldete Armut, Bettler, Landstreicher, Herumtreiber, Diebe, liederliche Dirnen, Wahn- und Irrsinnige, Hospitaliten — Alles wohnt dort bei und unter einander. Das Arbeitshaus ist für Berlin, was Bicètre, La force, die Conciergerie, die Salpetrie?ere, St. Pelagie und St. Lazare für Paris zusammen sind. Ich sage nicht zu viel — aber ich behaupte mit vollem Rechte, dass jene Amalgamierung so verschiedenartiger schädlicher Bestandteile der Zivilisation unmöglich anders, als im höchsten Grade verderblich auf diese unter einander einwirken muss. Was Auguste noch nicht kannte, hatte sie von den frechsten Dirnen, welche abwechselnd die Elite des Arbeitshauses bilden, jetzt gelernt. Sie war daher kaum entlassen, als sie bereits anfing, wieder herum zu schweifen und das Gewerbe der Prostitution in noch großartigerem Maßstabe zu betreiben, als vorher.

Der Vater verstieß die Unwürdige und jagte sie aus dem Hause. Jetzt trieb sie sich längere Zeit auf den Straßen, in den Absteigequartieren, oder in den Tanzkneipen umher, in fortwährender Furcht vor der Polizei, welche sie zu Zeiten aufgriff, auch noch einige Male mit Einsperrung im Arbeitshause bestrafte.

Bei dieser Lebensmethode würde sie unzweifelhaft bald ein Opfer der Syphilis geworden oder auf andere Weise gänzlich untergegangen sein, wenn nicht bei einer namhaften Kupplerin ein wohlhabender und in seinen Neigungen, wie die Folge zeigte, beständiger Mann die Auguste gesehen und dieselbe auf eigne Hand eingemietet und unterhalten hätte. Der Sprung von der Straßendirne, der letzten Klasse der Prostituierten, bis zur verschwenderisch ausgestatteten Mätresse, der fille entretenue, ist in der Tat nicht klein.

Auguste — wie durch einen Zauberschlag in ein Feenland versetzt — lernte jetzt ein ganz anderes Leben kennen, als ihr früher geboten ward. Eine glänzend tapezierte Wohnung, gleich einem chinesischen Boudoir, brillante Garderobe, Schmuck und Pretiosen, Theater, Konzerte, elegante Vergnügungen und Landpartien, dabei eine Börse, welche die Freigebigkeit ihres Gebieters täglich zu füllen bemüht war, — fürwahr! von solchen Dingen hatte sie sich im Arbeitshause oder im Polizeiarrest nichts träumen lassen. Ihre natürliche Schlauheit, welche sich jetzt auf dem richtigen Boden zu befinden glaubte, sagte ihr, dass sie raffinieren müsse, um dieses Leben fortsetzen zu können, wenn — was früher oder später geschehen müsse — ihr bisheriger Verehrer einmal abspringe. Dieser Zustand dauerte einige Jahre unverändert fort, während welcher sie natürlich ihre Eltern gänzlich vergaß. Indessen, sie hatte jetzt angesehene Bekanntschaften gemacht, sie hatte die Koketterie jener feinern Phrynen erlernt, welche selbst nach dem Verschwinden der natürlichen Reize mit Hilfe der Kunst alte und junge, besonders einfältige Männer an sich zu ziehen verstehen, und darum war ihr auch gar nicht bange, als ihr mehrjähriger Wohltäter endlich Abschied nahm, ja, es war ihr sogar lieb, seiner los zu werden, um ohne gêne jetzt auf Eroberungen unter der sogenannten fashionabeln Männerwelt ausgehen zu können.

Das Theater ist bekanntlich die Arena, wo die gewandtesten der hiesigen Phrynen, besonders der schon verlebten, unter dem günstigen Einflusse der Lampen ihre Pfeile auf die Herzen und Börsen junger und alter Narren abschießen. Es gelang auch ihr so mancher Fang, und da sie sich immer wieder klüglich zurückzuziehen gelernt hatte, wenn die öffentliche Stimme vielleicht zu laut von ihr sprach, so wandelte sie auch sicher „die schmale Mittelbahn des Schicklichen“, und straflos „unter den Palmen und unter den Linden“, ohne dass sie eben besonders von der Polizei angefochten worden wäre.

Diese Zeit bietet wenig Bemerkenswertes dar. Ich komme aber jetzt zu einem Wendepunkte in ihrer Geschichte — nämlich zu ihrer Heirat.

Es war in Berlin Mode geworden, dass die prostituierten Frauenzimmer Edelleute heiraten und „gnädige Frau“ werden wollten. Zuerst hatte eine dieser liederlichen Dirnen, die jetzige Frau Baronin v. S., einen ehemaligen Offizier geheiratet, welcher im Hospital des Arbeitshauses verstorben ist: eine andere, die ich nicht nennen will, hatte ebenfalls einen Leutnant geehelicht, worüber zu seiner Zeit viel Spektakel gewesen ist: eine dritte hatte sich mit einem Taugenichts von adeligem, in der Folge aus Berlin verwiesenen Handlungsdiener vermählt, die Ehe ward aber vom Kammergericht für nichtig erklärt, weil ein, wenn auch noch so schlechter Edelmann die Tochter eines geringen Mannes, nach Vorschrift der preuß. Landesgesetze, nur dann gültig ehelichen darf, wenn entweder seine drei nächsten Agnaten einwilligen oder das Obergericht der Provinz den Konsens gibt. Denn die Stellung im Leben ist einmal nur von den äußern Standesverhältnissen, keinesweges von dem sittlichen Charakter abhängig! — Ein Narr macht stets mehrere, also wollte unsere Auguste auch ein Bisschen von einer gnädigen Frau sein. Dies ward folgendergestalt ins Werk gesetzt: Ihr damaliger Galan — zu Ende 1843 — sehnte sich darnach, sie los zu werden, und da er ihre Wünsche in puncto matrimonii kannte, so schien ihm dies eine passende Gelegenheit zur Erreichung seines Zweckes zu sein. Zu dem Ende redete er einem, aus Brabant stammenden, armen Teufel von Handlungsdiener, welcher das d vor seinem Namen führt und daher den Rang eines französischen Edelmanns für sich in Anspruch nimmt, vor, dass er ihm zu einer reichen Partie behilflich sein wolle. Dieser geht, da er von Geld und Schätzen hört, willig in die Falle. Im englischen Hause ist das Rendezvous. Man speist und trinkt äußerst nobel, letzteres mehr als gut war. Der Handlungsdiener ist über die Schönheit, die Herablassung, die Herzensgüte der ihm bestimmten Zukünftigen außer sich, welche, um den Eindruck ihrer koketten Persönlichkeit zu verstärken, von Zeit zu Zeit noch eine durchgängig mit Goldstücken gefüllte Börse zeigt. Kurz — die Verlobung erfolgt auf der Stelle, der wonnetrunkene Bräutigam betreibt mit unbezähmbarer Hast die Vorbereitungen zur Hochzeit, die er gar nicht erwarten kann, und da zur priesterlichen Einsegnung die Einwilligung der Eltern der Braut erforderlich ist, so macht er sich anheischig, sie mit denselben zu versöhnen und ihren Segen für die jetzt Reuige zu erstehen. Die Eltern glauben wirklich, dass ihre Tochter, die voll der schönsten Versprechungen und Verstellungskünste ist, durch Erfahrungen gewitzigt, sich bekehrt habe: sie willigen in die Heirat, besorgen die Hochzeit, und geben, mit Aufopferung, der Schändlichen eine Ausstattung, so gut sie es vermögen.

Das junge Paar bezieht eine eigene Wohnung und der Mann fängt ein Handelsgeschäft an. Alles wäre gut gegangen, wenn Auguste wirklich die Absicht gehabt hätte, noch jetzt zu einem rechtschaffenen Leben zurückzukehren, Alles hätte man ihr vergeben und vergessen. Allein sie wollte ja bloß den Titel einer „gnädigen Frau“, um auf der Bahn der Schande und der Entehrung desto bessere Fortschritte machen zu können!

Das Ende vom Liede — dass ich es kurz erzähle — war: Auguste setzte ihr Prostitutionsgewerbe fort, und da der Mann sie bei einer Untreue ertappte und sie dafür körperlich züchtigte, verließ sie mit seinen und ihren Sachen, welche sie heimlich unterbrachte, eines Abends seine Wohnung, wo der Heimkehrende nur die leeren Wände vorfand. Dies war noch nicht Alles. Sie hatte ihn auch mit einer syphilitischen Krankheit angesteckt, woran er lange und kostspielig kurieren musste. Endlich, als er den Verbleib der Sachen erfuhr, hatte sie bereits dieselben — also auch die seinigen — verkauft, und als er seine Eigentumsrechte geltend machen wollte, stellte sie ihm die Behauptung entgegen, dass sie sämtliche von ihr mitgenommene Effekten lediglich für ihr Geld gekauft habe und daher auch damit machen könne, was sie wolle. Kein Teil hatte Beweise: mithin galt eine Angabe so viel als die andere, und der arme Teufel, der den ganzen Schaden zu tragen hatte, brauchte nun auch für den ihn jetzt in gehörigem Maße treffenden Spott durchaus nicht zu sorgen.

Die Ehe ward auf Antrag des Gatten — wegen Ehebruchs — getrennt. Mit der „gnädigen Frau“ wäre es aber ohnedies Nichts gewesen, weil das Königliche Hausministerium nach Einsicht der Ursprungszeugnisse und des Wappens des Mannes erklärt hatte, dass demselben keine adeligen Prädikate zu kämen.

Seit dieser verunglückten Heiratsspekulation ist Auguste wieder im Dekrement und kann sich nicht mehr emporschwingen. Sie ist wieder das geworden, was sie früher war, — eine Straßendirne, — (überhaupt ist dies der Cursus aller Mätressen) — und wird mehr als je von Seiten der Sittenpolizei überwacht. Zum Glücke hat sie eine Bekanntschaft in Frankfurt a. d. O. mit einem dort lebenden ältlichen Herrn, weshalb sie auch jedes Mal, wenn sie merkt, dass der polizeiliche Barometer für sie nicht günstig steht, dorthin abreist, und erst wiederkommt, wenn sie glaubt, dass das Gewitter sich verzogen hat.

Der Grundzug ihres Wesens ist eine entschiedene Frechheit, die sich bei jeder Gelegenheit in ihren Blicken nur zu deutlich ausspricht, daher soll sie nach glaubwürdigen Quellen schon Offizianten, welche ihren Verkehr kontrollieren müssen, fälschlich denunziert, und ihnen verliebte Attacken auf ihre, jetzt gänzlich verbluteten Reize zur Last gelegt haben.

Von ihren Genossinnen geflohen und von dem sogenannten feinern Männer-Publikum ganz verachtet, dürfte wohl die Zeit nicht fern sein, wo sie, wie früher, ein Stammgast des Arbeitshauses werden wird.