Ottilie, die schöne Schwindlerin

Wenn ein angenehmer Wuchs und ein entsprechendes Gesicht, verbunden mit angeborner Heiterkeit und unbefangenem, einschmeichelndem Betragen, der Ausdruck und Reflex einer sittenreinen Seele wären, — dann würden Wenige Bedenken tragen, Der, von welcher ich spreche und welche ich Ottilie nennen will, jene weibliche Tugend vorzugsweise zuzugestehen. Aber — so wie unter den schillerndsten Farben der in einer indischen Vegetation schwelgenden Schlange das gefährlichste Gift verborgen liegt, welches sie bei der leisesten Berührung todbringend auszuspritzen nicht warten lässt, — so ist in der sittlichen Welt eben so oft jene trügerische Maske das Versteck abgefeimter, durchtriebener Koketterie, und die Lockspeise für Gimpel, welche dumm oder schwach genug sind, sich durch jene lockenden Außenseiten umgarnen und fangen zu lassen. Dies gilt als Einleitung zur Biographie unserer Ottilie.

Sie ist gegenwärtig 25—26 Jahre alt, und obschon in Folge eines zu raschen Lebens etwas passiert, doch immer noch, man kann beinahe sagen, schön zu nennen. Ihr Geburtsort ist ein etwa 42 Meilen von Berlin gelegenes wohlhabendes, aber etwas zu sittenloses Landstädtchen D.... Ihr Vater, ein armer Handwerker, starb früh, und hinterließ seiner Witwe Nichts, als eine zahlreiche Kinderschar. Daher war Ottiliens Erziehung nur mangelhaft und umfasste nicht einmal die gewöhnlichsten Elementarkenntnisse. Wie es bei Kindern ihres Standes dort üblich ist, verbrachte sie ihre erste Jugend damit, Holz und Streu aus der Stadtheide nach Hause zu schaffen. Als sie eingesegnet war, behagte ihr diese Beschäftigung nicht mehr, sie lernte sich, da sie bereits die Aufmerksamkeit ungesitteter Männer erregte, fühlen und ging auf einen Tabaksboden bei einem dortigen Kaufmann, wo in der Regel der eben nicht beste Teil der männlichen und weiblichen Jugend zusammen arbeitet, und wo gute Sitten durch schlechte Gesellschaft — häufig durch die Prinzipale und ihre Geschäftsgehilfen selbst — erstickt werden. Hier wurde Ottilie — war es vorher noch nicht geschehen — in die Geheimnisse ihres Geschlechts praktisch eingeweiht, hier aber entstand auch bei ihr die Sucht, sich durch ihre körperlichen Vorzüge ein träges, vergnügtes Dasein um jeden Preis zu beschaffen. Noch blieben ihre Wünsche bei dem Stande einer Kammerzofe stehen. Sie hatte gesehen, wie dergleichen Mädchen — wenn sie mit dem umwohnenden Adel nach der Stadt kamen — aufgeputzt und frisiert, ebenso wie ihre Damen, einhergingen: diese Herrlichkeiten wollte sie genießen. Ihrem Äußeren gelang es bald, eine solche Stelle zu erhalten. Diese behauptete sie aber nur kurze Zeit, weil ihre sittenstrenge Herrin Ottiliens heimliches Treiben mit den männlichen Domestiken nicht dulden wollte. Was blieb ihr übrig? Das Eldorado der dienenden Klassen der kleinen Städte ist — zu ihrem großen Schaden — Berlin. Sie ging also auch nach Berlin, fand bald einen und den andern Dienst, ihre Liederlichkeit, ihr angebornes Lügentalent — welches ihr schon in ihrer Vaterstadt den Namen: Lügenottilie verschafft hatte — ließ sie aber nirgends lange aushalten. Schlechte Zeugnisse stellten sich ihrem fernern Unterkommen in den Weg, sie war über die polizeilich vorgeschriebene Frist dienstlos, und wurde daher nach ihrer Heimat zurückgewiesen. Dort hätte sie keine Aufnahme gefunden, auch kränkte es ihren Dünkel, mit Zwangspass versehen sich bei der heimischen Polizeibehörde melden zu müssen.


Ihre Schönheit machte sie zu einer wertvollen Akquisition für eine Winkelkupplerin. Diese Schandweiber — von dem gemeinen Volke sehr treffend mit dem Namen Seelenverkäuferinnen bezeichnet — lauern, wie der Tiger auf seine Opfer, so auf junge, ansehnliche Mädchen, die Unfall oder eigene Schuld dienstlos macht und zwingt, bei einer derartigen Megäre in Schlafstelle zu ziehen. Durch listige Überredung, durch Vorspiegelung glücklicher Heiraten, welche Diese oder Jene unter ähnlichen Umständen gemacht, durch das Beispiel anderer bereits verdorbener Dirnen, die sich bei ihrem verwerflichen Gewerbe glücklich befinden, weil sie nicht arbeiten müssen, stürzen endlich selbst bisher unschuldige Geschöpfe in jenen Strudel hinab, worin sie für immer untergehen.

Ottilie orientierte sich bald auf dem Terrain, wohin sie sich schon lange gewünscht hatte. Sie machte lockere Geschäfte, zog guten Verdienst, — bis endlich die Polizei ihrem romantischen Leben ein Ende machte, sie auf mehrere Monate nach dem Arbeitshause schickte und demnächst bei Androhung doppelter Strafe aus Berlin verwies. Sie wusste sich zu helfen. Ihre Galans, die sie ungern verloren, gaben ihr den Rat, zum Schein einen hier ortsangehörigen Einwohner zu heiraten, welcher gegen ein angemessenes Geldgeschenk sich verpflichten musste, die Wohnung seiner jungen Frau nie zu betreten und überhaupt auf die Ausübung seiner ehemännlichen Befugnisse ein- für allemal zu verzichten. Die Verlobung — mit einem dem Trunk ergebenen Droschkenkutscher — ward gefeiert, Ottilie war vor der Verfolgung der Polizei gesichert, und da Mutter und Vormund mit Freuden in die Ehe willigten, bloß um ihren Pflegling los zu werden, erfolgte bald die Trauung.

In der Folge werde ich noch andere Beispiele anführen, wo man sehen wird, wie Frauenspersonen — welche wegen Verbrechen oder sittenlosen Lebenswandels aus Berlin nach ihrer Heimat zurückgewiesen worden sind — fortwährend für Geld verworfene Männer finden, die sie scheinbar zur Frau machen und ihnen das Domizil in der Residenz verschaffen. Zur Verhinderung dieses Missbrauchs wäre es wohl zu wünschen, wenn wir statt eines strengen Ehescheidungs- ein strengeres Ehehinderungsgesetz hätten, denn das erstere schreckt von dergleichen Scheinehen nicht ab, da nach Ablauf einiger Wochen der Mann auf Grund der Bezüchtigung des Ehebruchs dennoch verabredetermaßen gegen seine Frau auf Scheidung klagt, welche auch regelmäßig erfolgt, weil die Frau den Ehebruch einräumt. Das ist es aber, was bei dem ganzen Handel beabsichtigt wird, denn die geschiedene Ehefrau behält — wenn sie, wie immer, nicht zu einer zweiten Ehe schreitet — das Domizil des Ehemannes. Solche Ehen kann man in der Tat mit Talleyrand „das Sakrament des Ehebruchs“ nennen.

Nach ihrer Verlobung und als Ottilie vor der Berliner Polizei sicher war, kannte sie keine Schranken mehr, sie überließ sich der ungezügeltsten Libertinage. Nicht nur, dass sie selbst Phryne war, und als solche im ehemaligen Kolosseum, in der Villa bella, und wie alle jene Akademien der Venus ... heißen, die erste und ausgelassenste Rolle spielte, sie war zugleich auch Kupplerin und gestattete ihren Kolleginnen — natürlich nicht unendgeldlich — in ihrer Behausung abzusteigen und Männerbesuche anzunehmen.

Da spielte ihr das Schicksal einen neckischen Streich. Am Tage ihrer Hochzeit — wo sie den liebenswürdigen Bräutigam bereits beim Heraustreten aus der Kirche verabschiedet hatte — waren ihre eifrigsten Verehrer mit einigen Kindern der Freude zu einer Orgie in ihrer Wohnung versammelt. Der Polizeikommissar des Reviers hatte dies gehört, und beschloss, am Spätabende jenes idyllische Vergnügen zu stören. Als er daher in die verschlossen gewesene und nur mit Widerstreben geöffnete Wohnung trat und außer zwei Herren, welche behaupteten, dass die Frauenzimmer ausgegangen wären, Niemanden antraf, so schöpfte er Verdacht und schritt zu einer Visitation. Jetzt fand er die Bescherung. Ottilie und eine ihrer Freundinnen — fast gänzlich im Stande der Natur — hatten sich in einem Spinde versteckt, und hielten die Tür desselben zu, so dass diese mit Gewalt losgesprengt werden musste. Ihr Aufenthaltsort, ihr Ansehen ließ erraten, was vorgegangen war. Der Polizeikommissar machte der paradiesischen Szene dadurch ein Ende, dass er die Herren aufschrieb und die Dirnen zum Arrest beförderte. So führte der unselige Hochzeitsabend Ottilien, statt zu Hymens Fackeln, wieder in das Arbeitshaus.

Nicht zu lange Zeit nach ihrer Entlassung klagte ihr Mann wegen Ehebruchs auf Trennung, welche bei ihrem Eingeständnisse erfolgte. Nunmehr war sie auch den Trinker los, der täglich Geld von ihr erpresst hatte und jetzt ein- für allemal abgefunden ward. Er soll später am Delirium gestorben sein.

Da Ottilie sich sowohl gegen ihre Wirtinnen, die sie fast allmonatlich wechselte, so wie gegen die Lehnefrauen (d. h. diejenigen, welche den Dirnen zu hohen Zinsen Geld, Putz und Pretiosen leihen) nicht immer Wort hielt, auch Andere, mit denen sie in Berührung kam, hinterging, so blieb es nicht aus, dass die frühere „Lügenottilie“ jetzt zu einer „Schwindelottilie“ gestempelt und getauft ward. Doch nahte — etwa ein Jahr nach ihrer Ehescheidung — eine Zeit heran, wo es in der Tat schien, als ob sie wirklich einen bessern Weg betreten wollte, wenn sie auch noch nicht gänzlich aufhörte, in den Reihen der Prostituierten zu glänzen.

Ein ehemaliger junger Beamter, wir wollen ihn E. nennen, kam mit einem Vermögen von etwa 6.000 Thlrn., glänzender Einrichtung, und mit Empfehlungsbriefen an hochgestellte Personen hier an, um eine andere Karriere einzuschlagen, als er bisher verfolgt hatte. Er besuchte die öffentlichen Lustbarkeiten fleißig und sah sehr bald unsere Ottilie, für welche ihn eine leidenschaftliche Flamme ergriff. Er kam ihr gewandt entgegen und da sie eingesehen, dass er Geld hatte und splendid war, so stand er bald am Ziel seiner Wünsche. Aber er war auch eifersüchtig und wollte von Nebenbuhlern Nichts wissen. Daher bewachte er sie mit Argusaugen, sie durfte ohne ihn nicht ausgehen und musste Tag und Nacht in seiner Wohnung zubringen. Überdies hatte er ihr ein Quartier bei Leuten gemietet, die ebenfalls die strengste Surveillance über Ottilien übten. Sie war schlau: da sie an seine angeblich großen Erbschaften glaubte, so wie an seine Eheversprechen, so schien es, als ob damit alle ihre Wünsche gesättigt wären und außer für ihren E. kein Platz in ihrem Herzen offen stände.

Dieser vergaß, im Taumel seiner Vergnügungen, seine Empfehlungsschreiben abzugeben, und so vergingen zwei Jahre, sein Geld ward alle, er verkaufte das Notwendigste, und musste endlich, um sich vor seinen Gläubigern zu retten, aus Berlin entfliehen.

Kaum hatte Ottilie den Verfall seines Vermögens wahrgenommen, so kehrte sie ihm schnöde den Rücken und hing sich an einen Comtoiristen, der früher schon nach ihr geseufzt hatte. Jetzt zeigten sich die schlimmen Seiten ihres Charakters recht auffällig: während sie vorher tausend Mal geschworen hatte, nie wieder einen Andern, als ihren Eduard zu lieben, und wenn er ein Bettler wäre und sie mit ihm das Brot vor fremden Türen suchen müsste, so bestrebte sie sich jetzt umgekehrt recht geflissentlich, ihn mit den schwärzesten Farben zu malen, um ihre eigene Schande zu bemänteln, und Dem — mit welchem sie das Letzte durchgebracht — vorzuwerfen, dass er sich habe durch den Verdienst ihres Körpers ernähren lassen und ihr Geld schuldig geblieben sei.

Mit dem Comtoiristen dauerte es jedoch nicht lange: dieser, als Geschäftsmann, hatte mehr praktischen Verstand, als sein studierter Vorgänger und ließ die Gleißnerin sogleich sitzen, als er sie durchschaut hatte. Inzwischen hatte unter den prostituierten Frauenzimmern, die sie früher beneidet hatten, ihr Ruf gelitten, auch die Männer beschuldigten sie der Schwindelei und Treulosigkeit, und so kam es, dass sie, selbst mit Aufwendung aller ihr zu Gebote stehenden Tournüre, nur Wenige an sich zu ziehen vermochte. Sie beschloss daher, eine Zeit lang von dem Schauplatze, wo sie früher Epoche gemacht hatte, abzutreten, bis ihr Verhalten gegen E. vergessen wäre, und ging zu einer Kupplerin nach Rostock. Sie kam jedoch bald nach Berlin zurück, weil sie in Folge einer von der Kupplerin denunzierrten Schwindelei Rostock zu verlassen für gut fand. Diese Denunziation gelangte auch hierher und führte unsere Ottilie zum ersten Male in die Hände der Kriminalpolizei. Obwohl sie längere Zeit verhaftet war, stellte sich jedoch der Tatbestand strafbaren Betruges nicht gegen sie heraus und sie ward daher, ohne Einleitung der Untersuchung, wieder entlassen.

In der Folge hat sie ihren frühern Glanzpunkt nie wieder erreicht. Vorsichtig gemacht und von der Polizei ernstlich verwarnt, scheint sie ihr exzessives Betragen in den öffentlichen Lokalen, welche sie überhaupt jetzt wenig zu besuchen scheint, sehr gemäßigt zu haben, doch ist auf der anderen Seite nach ihren jetzigen Herrenbekanntschaften ihr keine günstige Prognose zu stellen, da sie bereits Liebhaber unter den Gestraften und polizeilich Observierten gefunden haben soll. Dies ist in der Regel die Vorinstanz vor der eigenen Beteiligung an Verbrechen, welche ihr bis jetzt noch Niemand hat zur Last legen können. Ich glaube auch, so leichtsinnig und grundsatzlos sie sonst ist, dass sie dennoch nie einer verbrecherischen Richtung verfallen kann und wird.

Das muss ich aber nochmals wiederholen, dass, bei allen, ihren in einem grenzenlosen Leichtsinne wurzelnden Fehlern, ihr persönliches Betragen und ihre nicht uninteressante, freundliche und anständige Unterhaltung sie vor mancher Verlegenheit schützen, und dass es nur der Ruf ihres zu sehr auf Schwindeleien gerichteten Naturells ist, welcher sie weit weniger ein Gegenstand der Spekulation der Roué's und Libertins werden lässt, als Andere, die physisch und geistig weit unter ihr stehen.